Auf dem Weg nach Rom
„und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus, du musst vor den Kaiser gestellt werden; und siehe, Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir fahren.“
(Apostelgeschichte 27,24)
In den vorangehenden Kapiteln haben wir erfahren, dass Paulus mehr als zwei Jahre lang in Cäsarea im Gefängnis war. Der Prozess zog sich scheinbar endlos hin. Paulus bekam mehrmals eine Gelegenheit, sich zu verteidigen; aber jedes Mal nutzte er sie dazu, um Jesus Christus zu bezeugen. Als der römische Statthalter ihn schließlich doch nach Jerusalem bringen wollte, berief sich Paulus auf das Recht, vor dem Kaiser zu stehen. Unser heutiger Text beschreibt Paulus Fahrt nach Rom. Diese verlief ganz und gar nicht reibungslos, sondern sehr dramatisch. Wir wollen heute vor allem auf zwei Fragen antworten: Wie half Gott Paulus auf seinem Weg nach Rom? Was hat Gott dabei vor allem über sich und die Art und Weise, wie er wirkt, offenbart? Gott möge jeden durch sein Wort ansprechen.
Teil 1: Ein unerwarteter Sturm (1-20)
Die Verse 1-8 beschreiben, wie Paulus mit einigen anderen Gefangenen einem römischen Hauptmann namens Julius übergeben wurde und mit einem Schiff zunächst über Sidon nach Myra an der Südküste der heutigen Türkei fuhr. Der Verfasser Lukas schreibt das ganze Kapitel in der Wir-Form; er begleitete Paulus also, außerdem Aristarch, ein Jünger aus Thessalonich. In Myra fand der Hauptmann ein Schiff, das nach Italien fahren sollte, und ließ Paulus darauf übersteigen. Sie hatten starken Gegenwind, sodass sie tagelang nur langsam vorwärtskamen und mit Mühe bis auf die Höhe von Knidos kamen. Danach fuhren sie im Schutz von Kreta Richtung Süden und östlich an der Insel vorbei und gelangten nach Guthafen an der Südküste von Kreta.
Der Vers 9 berichtet, dass inzwischen viel Zeit vergangen war und dass die Schifffahrt schon gefährlich wurde, weil auch das Fasten schon vorüber war. Der Hintergrund ist, dass das Fasten zum Versöhnungstag Ende September/Anfang Oktober kurz vor der Zeit war, in der die Seefahrt auf dem Mittelmeer wegen vieler Stürme bis zum Frühling eingestellt wurde. Paulus hatte durch seine Missionsreisen viel Erfahrung mit der Seefahrt. Als er merkte, dass die Verantwortlichen auf dem Schiff vorhatten, von Guthafen aus noch weiterzufahren, warnte er sie: „Ihr Männer, ich sehe, dass diese Fahrt mit Leid und großem Schaden vor sich gehen wird, nicht allein für die Ladung und das Schiff, sondern auch für unser Leben“ (10). Aber der Hauptmann glaubte dem Steuermann und dem Eigentümer mehr als dem, was Paulus sagte. Sie wollten nach Phönix weitersegeln, einer größeren und attraktiveren Hafenstadt, die etwa neunzig Kilometer weiter westlich auf Kreta liegt.
Als ein Südwind wehte, meinten sie, dass sie ihr Vorhaben ausführen könnten, und fuhren mit Hilfe dieses Windes los. Aber nicht lange danach brach ein Sturmwind von der Insel aus nordwestlicher Richtung los. Er ergriff das Schiff und war so heftig, dass sie das Schiff nicht mehr gegen den Wind richten konnten, sondern es treiben lassen mussten. Die Schiffsleute taten alles, was sie tun konnten; sie umspannten das Schiff zum Schutz mit Seilen, damit es im Sturm nicht auseinanderbricht; sie ließen den Treibanker herunter und warfen Ladung ins Meer und dann sogar das Schiffsgerät. Aber sie konnten das Schiff nicht unter Kontrolle bringen und nicht verhindern, dass es vom Sturm insgesamt zwei Wochen lang ca. 1000 Kilometer weit übers Meer getrieben wurde. Vers 20 sagt: „Da aber viele Tage weder Sonne noch Sterne schienen und ein gewaltiges Ungewitter uns bedrängte, war all unsre Hoffnung auf Rettung dahin.“
Teil 2: Neue Vision durch Gottes Verheißung „Du musst …“ (21-26)
Je länger der Sturm tobte und das Schiff hilflos übers Meer getrieben wurde, desto hilfloser wurden die Menschen an Bord. Vers 21 sagt, dass niemand mehr essen wollte. Aber dann berichtet der Text von einer Wende. Diese kam ausgerechnet von Paulus, der eigentlich nur einer der Gefangenen an Bord war. Paulus ergriff das Wort und sagte: „Ihr Männer, man hätte auf mich hören sollen und nicht von Kreta aufbrechen, dann wären uns dieses Leid und der Schaden erspart geblieben. Doch nun ermahne ich euch: Seid unverzagt; denn keiner von euch wird umkommen, nur das Schiff wird untergehen“ (21.22). Paulus wollte alle mit einer klaren Zusage ermutigen. Woher war er so sicher? Er sagte weiter: „Denn diese Nacht trat zu mir der Engel des Gottes, dem ich gehöre und dem ich diene, und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus, du musst vor den Kaiser gestellt werden; und siehe, Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir fahren“ (23-24).
Als der Sturm tagelang pausenlos tobte und nicht nachließ, fing wohl auch Paulus an, sich vor dem Untergang zu fürchten. Aber Gott hat ihn in der größten Not durch seinen Engel besucht und ihm gesagt: „Fürchte dich nicht, Paulus, du musst vor den Kaiser gestellt werden.“ Wie froh muss Paulus über diesen Zuspruch gewesen sein! Er würde den Sturm überleben und alle, die mit ihm auf dem Schiff waren. Dabei sagte der Engel nicht einfach: „Du wirst überleben“, sondern: „Du musst vor den Kaiser gestellt werden.“ Damit sagte der Engel Paulus nicht nur seine Rettung zu, sondern auch den Hintergrund für seine Rettung. Der Hintergrund war nicht nur Gottes persönliche Liebe zu Paulus, sondern weil er vor den Kaiser gestellt werden musste. Warum musste Paulus vor dem Kaiser stehen? Wir wollen über dieses „göttliche Muss“ nachdenken, um zwei wichtige Dinge über Gott zu lernen.
Zum einen drückte das Wort „Du musst vor den Kaiser gestellt werden“ aus, wie groß Gottes Wille ist, dass alle Menschen durch das Evangelium von Jesus gerettet werden. Das galt nicht nur für die Juden und Heiden in Israel, Kleinasien und Griechenland, denen Paulus schon gepredigt hatte, sondern auch für den Kaiser in Rom und seine Gefolgschaft. Der Engel sagte „Du musst vor den Kaiser gestellt werden“, weil Gott den brennenden Wunsch hatte, dass auch der Kaiser, seine Verwandtschaft und seine Bediensteten das Evangelium hören und viele von ihnen gerettet würden.
Der zweite Punkt hängt mit dem ersten eng zusammen: Gott hat für sein Werk einen Plan. Eigentlich gab es in Rom damals schon eine christliche Gemeinde; Paulus hatte an sie bereits einen langen Brief geschrieben, den Römerbrief. Aber Paulus musste selbst nach Rom fahren und vor dem Kaiser stehen, weil Gott das in seiner Souveränität und Weisheit so geplant hatte. Anscheinend gab es in der Gemeinde in Rom niemanden, der dem Kaiser und seiner Gefolgschaft das Evangelium so gut bezeugen konnte wie Paulus. Denn Paulus hatte das Evangelium tief verstanden und viel Erfahrung in der Verkündigung für Heiden und auch im Umgang mit Königen. Außerdem konnten gewöhnliche Einwohner von Rom überhaupt nicht vor den Kaiser oder ein kaiserliches Gericht treten, zumal viele Gemeindeglieder in Rom damals Sklaven waren.
Wenn wir den weiteren Verlauf der Geschichte betrachten, muss Gott für seinen Plan noch weitere Gründe gehabt haben. Paulus sollte wohl auch deshalb nach Rom gehen, weil das Evangelium in Rom richtig Fuß fassen und sich stark verbreiten sollte, damit es von dort aus in ganz Europa und in der ganzen Welt verbreitet würde. Etwa zwei Jahre später würde Paulus in seinem Brief an die Philipper schreiben, dass im ganzen Prätorium bekannt ist, dass er seine Fesseln für Christus trägt. Etwas mehr als 300 Jahre später würde in Rom das Christentum zur Staatsreligion erklärt werden. Hinter den Worten „Du musst vor den Kaiser gestellt werden“ steht also Gottes starker Wille, die Menschen in Rom zu retten und durch sie Menschen in ganz Europa; außerdem sehen wir Gottes konkreten Plan, dafür Paulus zu gebrauchen, und Gottes Eifer, diesen Plan zu verwirklichen. Gott hat Paulus durch alle Bedrängnisse und Gefahren hindurch begleitet und wie seinen Augapfel beschützt, weil Gott diesen Plan hatte und verwirklichen wollte.
Was können wir dadurch über Gott lernen? Wir lernen neu, wie stark Gottes Wille ist, dass alle Menschen das Evangelium hören und durch den Glauben an Jesus gerettet werden. Wir lernen auch, dass Gott für dieses Werk konkrete Pläne hat. Es war Gott nicht egal, wo Paulus wirken würde, Hauptsache, er verkündigt irgendwo irgendwem das Evangelium. Genauso wenig war es Gott egal, wer die Botschaft von Jesus dem Kaiser und vielen anderen Menschen in Rom verkündigen würde. Gott wollte, dass Paulus das tun sollte, weil Gott das in seiner Weisheit für am besten befand.
Was bedeutet das für uns? Gott will auch heute das Evangelium in unserer Stadt, in unserem Land und in der ganzen Welt verbreiten. Gott will, dass alle Menschen das Evangelium erfahren und gerettet werden. Wir dürfen Gottes brennendes Anliegen neu wahrnehmen und dafür beten, bis unser Herz für die Rettung unserer Mitmenschen hier und für die Menschen in anderen Ländern brennt. Als ich vorletzte Woche in Korea war, habe ich gehört, wie die Glaubensgeschwister dort für die Weltmission beten. Viele beten von Herzen für unsere Bibelkonferenz im August und rufen zu Gott Tag und Nacht die Namen der fünf Prediger, damit Gott uns an der Konferenz durch sein Wort und seinen Geist segnen möge. Sie interessieren sich dafür, was Gott in anderen Ländern tut, wofür sie aktuell beten sollen, und freuen sich über Gottes Wirken. Sie haben Gottes brennendes Anliegen verstanden. Das hat in mir den Wunsch geweckt, mich mehr für Gottes Werk in anderen Ländern zu interessieren und durch mein persönliches Gebet und mit anderen daran teilzunehmen.
Zum anderen dürfen wir glauben, dass Gott auch heute konkrete Pläne dafür hat, wie er wirken und wen er wie in seinem Werk gebrauchen will. Manche denken, dass Gott zwar grundsätzlich alle Menschen mit dem Evangelium erreichen will, dass es aber völlig uns überlassen wäre, was der Einzelne tut. Sie denken, dass Gott zwar die große Linie und das Ziel vorgibt, dass er sich aber nicht darum kümmern würde, wer wo wie wirkt. Aber das Wort „Du musst vor den Kaiser gestellt werden“ zeigt uns, dass Gott in seiner Souveränität und Weisheit konkrete Pläne für sein Rettungswerk hat, die bis dahin gehen, wen er wo und wie gebrauchen will. Das bedeutet nicht, dass in Gottes Werk alles vorgegeben wäre und unser Mitdenken und unsere Initiative gar nicht gefragt wären. Aber es ist wichtig, dass wir Gottes Willen und seinen Plan erkennen und uns dafür ganz zur Verfügung stellen, wie Paulus es tat. Obwohl wir uns nicht mit Paulus vergleichen können, dürfen wir trotzdem die Zuversicht haben, dass Gott in seinem großen Werk, sein Reich zu bauen, auch für jeden von uns einen Plan hat und auch für uns als Gemeinde. Mit dieser Zuversicht dürfen wir beten, dass wir Gottes Plan so klar erkennen, dass wir ihm seinem Willen und Plan entsprechend dienen können. Unser heutiger Text zeigt uns am Beispiel von Paulus, wie wichtig das ist. Paulus‘ Beispiel zeigt uns auch, dass wenn wir uns für Gottes Willen ganz zur Verfügung stellen, unser Leben nicht bequemer wird, dafür aber geistlich dynamisch, aufregend, sinnvoll und fruchtbar.
Bei der Beschäftigung mit diesem Text half Gott mir zu erkennen, wie groß sein Wille ist, dass ich sein Evangelium verkündige, weil sein Herz für die Rettung der jungen Leute in dieser Stadt brennt. Ich habe auch neu erkannt, dass es Gott wirklich nicht egal ist, wo ich ihm diene, sondern dass er für jeden einen konkreten Plan hat. Er will mir seine Hilfe schenken, dass ich seinem Werk entsprechend seinem Plan dienen kann. Ich will dafür beten und darum ringen, mich ihm dafür ganz hinzugeben.
Was bewirkte Gottes Verheißung in Paulus? Der Sturm tobte weiterhin und bedrängte das Schiff. Aber Gottes Wort gab ihm die Zuversicht, dass er den Sturm überstehen und vor dem Kaiser stehen würde. Dadurch hatte er Ruhe im Herzen und neue Kraft, sich um die anderen Menschen auf dem Schiff zu kümmern, damit sie wirklich gerettet werden.
Teil 3: Alle wurden gerettet (27-44)
Die Verse 27-44 beschreiben die Ereignisse, die auf dem Schiff geschahen, bis am Ende alle gerettet wurden. Bei diesen Ereignissen erwies sich Paulus, der Ruhe und Zuversicht im Herzen hatte, als derjenige, der den Überblick behielt und die wichtigste Person auf dem Schiff wurde. Als die vierzehnte Nacht kam, befürchteten die Schiffsleute, dass sie auf Klippen auflaufen würden, und versuchten, mit dem Beiboot vom Schiff zu fliehen. Paulus bemerkte das und warnte sofort den Hauptmann, dass sie nicht gerettet werden könnten, wenn die Besatzung das Schiff verlassen würde. Der Hauptmann reagierte schnell und verhinderte die Flucht. Am nächsten Morgen ermahnte Paulus alle 275 Menschen an Bord, dringend wieder etwas zu essen: „Darum ermahne ich euch, etwas zu essen; denn das dient zu eurer Rettung; es wird keinem von euch ein Haar vom Haupt fallen“ (34). Als er das gesagt hatte, nahm er Brot, dankte Gott vor ihnen allen und brach’s und fing an zu essen. Durch Paulus‘ Zuspruch und sein Vorbild wurden alle ermutigt und aßen auch. Wenig später näherten sie sich Land und ließen das Schiff auf einer Sandbank auflaufen, wo es unter der Gewalt der Wellen zerbrach. Die Soldaten wollten die Gefangenen töten, damit niemand fliehen konnte; aber der Hauptmann wollte Paulus am Leben erhalten und verbot das und erlaubte denen, die schwimmen konnten, an Land zu schwimmen, die anderen paddelten auf Wrackteilen dorthin. Auf diese Weise kamen alle gerettet ans Land.
Heute haben wir erfahren, wie Gott Paulus auf seiner Fahrt nach Rom geholfen und ihn beschützt hat. Gott bewahrte Paulus, weil Gott seinen Plan hatte und ihn für sein Rettungswerk in Rom gebrauchen wollte. Möge Gott jedem von uns helfen, Gottes Willen und Plan für sich klar zu erkennen, sodass wir ihm alle nach seinem Willen dienen können!