Predigt: Die Gemeinde, die Jesus unter uns bauen will – Berufen zur Gemeinschaft 4 – 1.Johannes 4,7-11

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Liebe und Gemeinschaft

Geliebte, lasst uns einander lieben! Denn die Liebe ist aus Gott; und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott

1. Joh 4,7

Seit einigen Wochen beschäftigen wir uns mit dem Thema Gemeinschaft. Bemerkenswert am Thema „Gemeinschaft“ ist, dass die Bibel die Christen an keiner Stelle zur Gemeinschaft aufruft. Zumindest kenne ich keine Stelle, in der es etwa heißt: „Habt Gemeinschaft miteinander.“ Andererseits spricht die Bibel sehr wohl von Gemeinschaft. Gemeinschaft war zum Beispiel das Kennzeichen der ersten Gemeinde, die sehr vorbildlich war. Von Gemeinschaft ist auch im ersten Kapitel dieses Briefes die Rede. Gemeinschaft ist also auch nach der Bibel nicht unwichtig. Trotzdem werden die Christen dazu nicht explizit aufgerufen. Warum? Gemeinschaft, zumindest biblische Gemeinschaft entsteht nicht einfach so, sondern ist das Resultat verschiedener geistlicher Faktoren. Sie entsteht, wenn gewisse Voraussetzungen gegeben sind. In der Bibel werden wir eher zu den Voraussetzungen der Gemeinschaft als zur Gemeinschaft selbst aufgefordert. Zum Beispiel heißt es in 1. Joh. 1,7: „Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander…“ Das Wandeln im Licht ist eine dieser Voraussetzungen für brüderliche Gemeinschaft. Johannes ermahnt aber nicht zur Gemeinschaft selbst, sondern zum Wandeln im Licht. In dem heutigen Text aus 1. Joh. 4 geht es ebenfalls um eine wichtige Voraussetzung der brüderlichen Gemeinschaft. Es ist die Liebe bzw. das Gebot einander zu lieben. Ohne die Liebe ist die Gemeinschaft in der Gemeinde wie ein Getriebe ohne Öl, wie ein Braten ohne Soße, wie Müsli ohne Milch – mit anderen Worten: trocken, anstrengend und wenig wenn überhaupt erbaulich. Um mehr echte christliche Gemeinschaft zu haben, reicht es nicht einfach nur, sich mehr zu treffen, mehr zusammen zu sein, mehr miteinander irgendetwas zu unternehmen. Es bedarf der Liebe. Der heutige Text aus 1. Joh. 4 fordert uns an mehreren Stellen dazu auf, einander zu lieben. Gleich zu Beginn heißt es: „Geliebte, lasst uns einander lieben!“ Wir wollen uns mit dem Text anhand von drei Fragen näher auseinandersetzen:

1. Warum sollen wir lieben?
2. Wozu sollen wir lieben?
3. Wie können wir lieben?

1. Das Warum der Liebe
Direkt nach der Aufforderung im Vers 7, einander zu lieben, folgt das Wort: „Denn“. Johannes gibt also eine Begründung dafür, warum wir einander lieben sollen. Mit anderen Worten: Er klärt, warum das einander Lieben so wichtig ist, warum das einander Lieben im Leben eines echten Christen nicht ausbleiben kann. Was ist also die Begründung? Im Vers 7 heißt es: „Denn die Liebe ist von Gott“. Nach anderen Übersetzungen heißt es: „Denn die Liebe ist aus Gott“. Das ist ein großer Unterschied. Von Gott kommt alles Geschaffene. Aber aus Gott kommen nur der Sohn, der Heilige Geist, das Wort und eben auch die Agape-Liebe. Alles, was aus Gott kommt, ist Gott selbst. Daher heißt es am Ende von Vers 8: Denn Gott ist Liebe. Im Vers 16 steht es noch einmal. Gott selbst ist Liebe. Das was Gottes Wesen durch und durch ausmacht, ist gerade Liebe. In der Bibel erfahren wir zwar immer wieder, dass Gott gerecht ist, dass Gott heilig ist, dass Gott treu ist usw. Aber nirgendwo in der Bibel heißt es: „Gott ist Gerechtigkeit, Gott ist Heiligkeit, Gott ist Treue“ Doch über die Liebe heißt es: Gott ist Liebe. Gottes innerstes Wesen ist die Liebe. Wer Gottes Tun und Handeln tief verstehen möchte, sollte es immer aus der Perspektive der Liebe tun. Alles, was Gott tut, geschieht aus Liebe. Selbst wenn Gott richtet oder zornig ist, geschieht das aus Liebe. Von Gottes Liebe erfahren wir bereits im AT an vielen Stellen, aber dass Gott selbst Liebe ist, wird dort kein einziges Mal berichtet. Dass Gott selbst Liebe ist, musste erst einmal offenbart werden. Was Johannes diese Offenbarung gab, verrät uns Vers 9. Es war die Sendung des Sohnes in die Welt. Nirgendwo anders hat Gott seine Liebe so klar offenbart, als dadurch, dass er seinen Sohn in die Welt sandte, um für unser Leben zu sterben. Und jeder, der mit Glauben auf das Kreuz schaut, kann es nur bestätigen: „Gott muss die Liebe selbst sein!“
Betrachten wir noch einmal die Verse 7 und 8: Weil Gott selbst Liebe ist, liebt auch der, der aus Gott geboren ist. Die göttliche Liebe ist das Kennzeichen eines wiedergeborenen Christen. Viele Dinge, die wir kennen, haben ein bestimmtes Merkmal, was sie ausmacht: Was wäre bspw. ein Vogel ohne Flügel, was wäre ein Auto ohne Motor, was wäre ein Bleistift ohne Miene und genauso ist es mit dem Christen: Was ist ein Christ ohne Liebe? Die göttliche Liebe ist gerade das Merkmal, das einen wiedergeborenen Christen kennzeichnet. Nicht Bibelwissen, nicht die regelmäßige Stille Zeit, nicht der regelmäßige Gottesdienstbesuch, nicht Mission, nicht bestimmte Gaben usw. zeigen, ob jemand wiedergeboren ist, sondern die Liebe.
Weil Gott die Liebe ist, kennen nur diejenigen Gott wirklich, die selber lieben. Nur diejenigen, die selber lieben, haben wirklich verstanden, wie Gott ist. Das sind die, die Gott persönlich begegnet sind. Ob jemand Gott wirklich kennt, kann man nicht daran festmachen, ob er viel Bibelwissen hat, fromm redet oder die besten Antworten auf theologisch knifflige Fragen hat, sondern daran, dass er liebt (Beispiel: Lehrer). Viele denken, sie wissen schon, wie Gott ist, weil sie ein bestimmtes Wissen haben. Aber in Vers 8 heißt es ganz klar: „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt“.
Das einander Lieben ist also keine Nebensächlichkeit im christlichen Leben. Wer nicht liebt, ist entweder nicht wiedergeboren und kennt Gott gar nicht. Oder zumindest seine Beziehung zu Gott ist nicht in Ordnung, aber nicht nur ein bisschen, sondern nach dem Wort aus V. 7 und 8 gar nicht in Ordnung. Praktisch ist man dann wie einer, der Gott gar nicht kennt, wie einer, der Gott nie begegnet ist. Vers 11 spricht sogar davon, dass wir es den Geschwistern schuldig sind, sie zu lieben. Warum? Johannes sagt: Weil uns Gott so geliebt hat. Wie Gott uns geliebt hat, beschreibt Johannes in den Versen 9 und 10. Betrachten wir die Verse 9 und 10. Gott sandte Seinen über alles geliebten Sohn in die Welt. Wenn die Bibel von „Welt“ spricht meint sie nicht den Planeten Erde. Mit „Welt“ meint sie die Mehrheit der Menschheit, die in Feindschaft gegen Gott lebt. Obwohl Gott wusste, was die Welt mit seinem über alles geliebten Sohn anstellen würde, sandte er ihn doch in die Welt. Wer würde schon sein Kind zu Feinden schicken? Aber Gott tat das mit seinem einzigen Sohn. Er sandte ihn quasi in eine Räuberhöhle. Und wozu tat Gott das? Um sich dadurch selbst zu bereichern? Um sich selber Vorteile zu verschaffen? Nein, am Ende von Vers 9 heißt es: damit wir durch ihn leben. Als Gott auf die Welt sah, erwiderte er der Feindschaft der Welt nicht mit Feindschaft, sondern mit Mitleid: Er sah, dass die Menschen kein echtes, wahres Leben haben, sondern tot sind. Gott nahm Seinen über alles geliebten Sohn in Kauf, um uns das Leben zu geben. Gott sandte seinen Sohn nicht, um sich zu bereichern, sondern um uns das Leben zu geben. In Titus 3,4-5 heißt es: „Als aber die Güte und die Menschenliebe unseres Retter-Gottes erschien, rettete er uns“. Vers 10 macht unmissverständlich deutlich: „Gottes Liebe wurde uns nicht erzeigt, weil wir ihn zuerst geliebt hätten. Mit anderen Worten: er liebte uns nicht, weil wir ihn liebten, sondern er liebte uns trotz unserer bitteren Feindschaft (MacDonald, W. 2009: 1391)1.“ Kehren wir zurück zu V. 11. Eben weil Gott uns so sehr geliebt hat, sind wir es schuldig, die Brüder zu lieben. In Röm. 13,8 heißt es: „Seid niemand irgendetwas schuldig, als nur einander zu lieben!“ Schuldig bedeutet nicht, dass wir Gottes Errettung zurückbezahlen, indem wir anderen etwas Gutes tun. Schuldig bedeutet, dass es in der Liebe zum Bruder keine Grenzen gibt. Man kann nicht sagen: „Ich habe dem schon so viel Gutes getan. Das ist jetzt aber genug.“ Oder: „Das ist aber jetzt zu viel verlangt.“ Weil Gott uns so eine unvorstellbar große Liebe erwiesen hat, wird man nie sagen können: „Dem habe ich schon genug Liebe erwiesen.“ Egal, wie viel Liebe wir bereits erwiesen haben – wir bleiben Schuldner der Liebe.
Der heutige Text spricht aber nicht nur darüber, warum wir lieben sollen, sondern auch darüber, was göttliche bzw. echte Liebe bei dem anderen bewirkt. Dies zu wissen, ist wichtig, damit man die Glaubensgeschwister in der rechten Art und Weise liebt. Wir wollen dies im zweiten Teil der Predigt betrachten.

2. Das Wozu der Liebe
Auf die Frage nach dem Wozu der göttlichen Liebe gibt es sicherlich mehrere Antworten. Aber welche Antwort gibt der heutige Text? Betrachten wir hierzu noch einmal Vers 9. Gott sandte Seinen Sohn, um uns das Leben zu geben. Göttliche, wahre Liebe hat zum Ziel, anderen das Leben zu geben. Liebe und Leben sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Einige von uns haben das sicherlich auch schon durch die Gemeinschaft mit liebevollen Christen erfahren. Welchen Eindruck erwecken solche Menschen bei dir? Bei mir erwecken solche Menschen den Eindruck, dass sie lebendig sind, dass sie wirklich lebhaft sind. Sie ziehen Leute an sich. Man hat gerne Gemeinschaft mit ihnen. Man erlebt die Gemeinschaft mit ihnen als erfrischend. Und was ist das Resultat davon? Man wird selber lebendig, man wird ermutigt, Gott und anderen zu lieben. Liebe und Leben sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille.
Da das einander Lieben darin besteht, Gottes Liebe weiterzugeben, hat auch das einander Lieben zum Ziel, anderen das Leben zu geben. Wenn wir den Bruder mit göttlicher Liebe lieben, dann hat das zur Folge, dass das geistliche Leben in ihm gefördert wird. Das geschieht nicht allein dadurch, dass wir mit anderen beten und Bibel lesen, sondern kann ggf. auch durch praktische Hilfe geschehen. Zum Beispiel haben uns vor Kurzem zwei aus der Gemeinde nachträglich eine sehr großzügige Geldsumme zur Hochzeit geschenkt. Ich glaube, dass sie das aus Glauben und Liebe zu Gott getan haben. Dieses Geschenk hat mich als geistliches Zeugnis der Liebe angesprochen, sodass ich zu mir sagte: „Du solltest auch zu anderen großzügiger sein.“ Oder hier ein anderes Beispiel aus der Bibel: Als Paulus die Korinther dazu ermutigte, der verarmten Gemeinde in Jerusalem zu spenden, schrieb er: 12 Denn der Dienst dieser Sammlung hilft nicht allein dem Mangel der Heiligen ab, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken. 13 Denn für diesen treuen Dienst preisen sie Gott über eurem Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und über der Einfalt eurer Gemeinschaft mit ihnen und allen. 14 Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der überschwänglichen Gnade Gottes bei euch. 15 Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe! (2. Kor. 9,12-15).
Hier ein negatives Beispiel: Einmal erzählte ein Bruder über die Freude eines Frischbekehrten. Er war über das neue Leben überaus erfreut. Aber dann kam einer aus der Gemeinde und sagte ihm: „Das Glaubensleben ist nicht einfach nur Friede, Freude und Eierkuchen. Man muss dies und jenes machen usw.“ Der Bruder, der mir diese Geschichte erzählte, beendete die Erzählung mit dem Satz: „Ja, der Teufel kann auch solche Leute gebrauchen.“ Und ich denke er hat Recht. Die Worte haben das geistliche Leben des Frischbekehrten nicht gefördert, sondern eher beeinträchtigt. In diesem Fall würde lieben wohl bedeuten, dass man sich mit diesem frischbekehrten Bruder mitfreut und mit ihm darüber spricht, welch ein Reichtum wir doch in Christus haben. Das wäre eine Liebe, die sein geistliches Leben fördern würde.
Man kann auch auf einer Art und Weise lieben, die nicht das Leben, sondern die Sünde des anderen fördert. Wenn man bspw. andere Menschen, die Gott einem anvertraut hat, so annimmt, wie sie sind, dann ist das eine gute Sache. Wenn man aber dabei stehen bleibt und sich der Verantwortung entzieht, ihnen darin zu helfen, sündhafte Verhaltensweisen zu korrigieren, dann ist das eine Liebe, die die Sünde des anderen fördert und gedeihen lässt.
Wie ist es mit deiner und meiner Liebe bestellt? Liebe ich die anderen? Wenn ja, wie liebe ich die anderen? So, dass es das Leben gibt und fördert? Oder so, dass es das geistliche Leben des anderen beeinträchtigt. Lieben wir die anderen so, wie es Gott tut, dann wird die Gemeinschaft in der Gemeinde mehr und mehr zu einer lebendigen und erfrischenden Gemeinschaft verändert werden.
Einander lieben – leichter gesagt als getan. Was soll man tun, wenn die Bruderliebe bei einem ausbleibt? Soll man sich dann einfach vornehmen, ab nun den anderen mehr zu lieben, zu den anderen nun freundlicher und lieber zu sein? Wir wollen dies im dritten Teil der Predigt betrachten.

3. Das Wie der Liebe
Um lieben zu können, muss man das Wesen der göttlichen Liebe verstehen. Vers 10 leitet mit den Worten ein: „Hierin ist die Liebe.“ Es spricht über das Wesen der Liebe. Das Wesen der Liebe besteht nicht darin, dass wir, sondern Gott zuerst liebt. Ähnlich heißt es auch in Vers 19: „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“  Die Liebe kommt nicht aus unserer Initiative, sondern aus der Initiative Gottes.
Erinnern wir uns an Vers 7. Dort heißt es ja: Die Liebe ist aus Gott. Die Liebe kommt aus Gott, nicht aus uns. Wir können von uns aus gar nicht lieben. Vers 7 geht sogar einen Schritt weiter: Um zu lieben, bedarf es der Wiedergeburt – mit anderen Worten: Um zu lieben, bedarf es einer neuen Existenzweise. Wer nicht wiedergeboren ist, ist nicht frei von seinem Ich. Daher ist seine Liebe zu anderen Menschen sehr begrenzt (Einwände – Email). Durch die Wiedergeburt erfährt der Mensch Gottes Liebe – sie macht ihn frei von seinem ichhaften Wesen und befähigt ihn, andere grenzenlos zu lieben. Um das Gebot: „Einander zu lieben“ erfüllen zu können, muss man erst einmal verstanden haben, dass man von sich aus nicht lieben kann, jedenfalls nicht in der Art und Weise, wie es Gott meint. Ein großes Hindernis zu lieben ist ja gerade die Meinung, man könne das irgendwie aus sich selbst heraus tun – nach dem Motto: „Ab heute nehme ich mir vor, freundlicher zu den anderen zu sein.“ Meine Liebe ist wie ein Boden mit wenig Erde. Schon nach den ersten Schippenschlägen, macht es „Kling“ – auf Stein gestoßen. Von sich aus andere zu lieben stößt schnell an seine Grenzen. Es reicht oft nicht einmal dafür aus, Macken des anderen zu ertragen. Wie der Mond nicht von sich aus leuchten kann, sondern das Licht der Sonne reflektiert, so können auch wir nur die Liebe Gottes, die er uns in Jesus erwiesen hat, zu anderen weiterleiten, sie aber nicht selbst erzeugen.
Wenn wir die Verse 7 und 11 miteinander vergleichen, fällt auf, dass Johannes die Christen zuerst mit „Geliebte“ anspricht, bevor er sie dazu ermahnt, andere zu lieben. Vers 16 spricht vom Erkennen und Glauben der Liebe, die Gott zu uns hat. Was zeigt das? Es zeigt, es gibt nur einen Weg, wie wir das Gebot vom „einander zu lieben“ erfüllen können. Dieser Weg ist: „Sich von Gott lieben zu lassen“. Immer und immer wieder aufs Neue, sich von Gott lieben zu lassen. „Das sich lieben lassen“ ist so einfach, dass es schwierig ist, darauf zu kommen, wie das funktioniert. Ich möchte hierzu zwei Beispiele aus dem Buch: „So ist Jesus“2 vorlesen. Das erste Beispiel ist aus dem Leben eines Evangelisten (S. 59):
In der Sakristei einer Kirche hielt der Evangelist seine Sprechstunde. Es ist eine gut ausgestatte Sakristei, in der es sogar fließendes Wasser gibt. Vor dem Evangelisten sitzen immer wieder Menschen mit der Klage: „Ich komme nicht weiter, in meinem Leben gibt es nur Niederlagen, wie soll es mit mir werden, wie komme ich heraus aus dem Elend?“ Da steht der Evangelist auf und geht zur Wasserleitung, dreht den Hahn auf und bittet seinen Besucher: „Schauen Sie einmal her! Sehen Sie das Leitungsrohr? Ist es aus Gold mit Brillanten besetzt? Ist es wenigstens aus Silber? Nein, es ist ein Bleirohr. Aber das schadet gar nichts und darauf kommt es nicht an. Wichtig ist allein, dass durch dieses Rohr das klare Wasser fließt! Das Rohr muss das Wasser nicht aus sich selbst herauspressen; das kann ein Bleirohr niemals. Das Wasser kommt ganz woanders her. Aber das Rohr darf das Wasser aufnehmen und durch sich strömen lassen zu allen, die es brauchen. So darfst du leben, denn so darfst du lieben: „Nur Gefäße, heilger Meister, doch gefüllt mit deiner Kraft, lass von dir und durch uns strömen Liebesmacht und Lebenssaft!“
Das zweite Beispiel ist aus dem Leben des China-Missionars Hudson Taylor gegriffen (S. 56-58):
Ich hatte die letzten sechs oder acht Monate große Bekümmernis, denn ich fühlte, wie sehr ich persönlich und die Mission als Ganzes mehr Heiligung, Leben und innere Kraft nötig hatten. Aber das Dringendste war mein eigener Mangel. Ich betete, ich quälte mich ab, ich fastete und mühte mich; ich fasste Vorsätze, las die Schrift fleißiger, suchte mehr Zeit zu meiner inneren Sammlung – aber alles vergebens! Täglich, fast stündlich drückte mich das Bewusstsein der Sünde zu Boden. Ich wusste, wenn ich nur in Christus bleiben könnte, würde alles gut sein, aber ich konnte es nicht. (…) In dieser ganzen Zeit hatte ich die feste Überzeugung, dass in Christus alles beschlossen war, dessen ich bedurfte; die Frage war nur, wie ich es bekommen könnte… Ich wusste, dass in der Wurzel und im Stamm reichlich Lebenssaft strömte; die Frage war nur, wie er in meinen armen kleinen Zweig gelangen könnte. – Als langsam das Licht empordämmerte, sah ich, dass der Glaube die Hand war, die seine Fülle erfassen und mir zu eigen machen könnte. Aber ich hatte diesen Glauben nicht. Ich strebte ihm nach… ich versuchte ihn zu üben, aber vergeblich… Als meine innere Qual ihren Höhepunkt erreicht hatte, benutzte der Herr einen Satz in einem Brief McCarthys, um es mir wie Schuppen von den Augen fallen zu lassen: McCarthy, der von dem gleichen Bewusstsein seiner Schwachheit bedrängt gewesen war, aber eher als ich das Licht sah, schrieb: Wie bekommen wir Stärkung unseres Glaubens? Nicht indem wir um Glauben ringen, sondern dadurch, dass wir ruhen in dem Getreuen! Während ich las, wurde mir alles klar! Glauben wir nicht, so bleibet er treu! Ich schaute auf Jesum und sah – und Freude überströmte mein Herz! – , dass Er gesagt hat: Ich will dich nicht verlasse. Da ist die Ruhe, dachte ich. Ich habe mich vergeblich abgemüht, in ihm zu ruhen. Ich will mich nicht mehr mühen. Denn – hat er nicht selbst versprochen, bei mir zu bleiben, mich nicht zu verlassen? Strahlendes Licht ergoss sich in mein Herz, als ich an den Weinstock und seine Reben dachte. Wie groß war mein Irrtum, als ich wünschte, den Lebenssaft aus ihm heraus, in mich hinein zu bekommen!

Ich musste den Abschnitt mehrfach lesen, bis ich verstanden hatte, was überhaupt die Erkenntnis von Taylor war. Taylor erkannte, dass das Ruhen in dem Werk Christi schon der Glaube ist, durch den er Jesu Liebe und Kraft empfangen kann. Er verstand, dass gerade dieses Ringen um den Glauben das Gegenteil vom Ruhen in dem Werk Christi ist. Er konnte ruhen, weil er erkannte, dass Jesu Liebe und Treue unabhängig von seinen Bemühungen und Treue sind.
Am Ende von Vers 17 heißt es: „denn gleichwie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt.“ Wir sind dazu berufen und bestimmt, vom Wesen her wie Gott zu sein. Da die Liebe das ist, was das Wesen Gottes ausmacht, ist es geradezu unsere Bestimmung einander zu lieben. Unsere Hauptaufgabe auf dieser Welt ist zu lieben. Lasst uns daher unseren Fokus darauf setzen, dass Gottes Liebe durch uns zu anderen strömt. Dann wird auch die Gemeinschaft in der Gemeinde mehr und lebendiger. Lasst uns beten.
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1 MacDonald, W. (20095): Kommentar zum Neuen Testament. CLV, S. 1391.
2 De Boor, W. (o.J.): So ist Jesus. CMV, S. 56-59.

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Fragebogen: Die Gemeinde, die Jesus unter uns bauen will – Berufen zur Gemeinschaft 4 – 1.Johannes 4,7-13

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Gemeinschaft der Liebe

Heute lesen wir 1. Johannes 4,7-13. Diese Verse dienen uns als Inspiration und als Aufforderung. Warum ist Liebe zentral? Und alle romantischen Vorstellungen von Liebe beiseite legend: warum fällt es uns manchmal so schwer, unsere Mitmenschen zu lieben?

Bist du ein emotional reifer Mensch? In welchem Stadium erkennst du dich in der Tabelle unten? (Die Liste ist nicht vollständig, gibt aber Anhaltspunkte.)

Kinder Teenager Erwachsene
Sind zufrieden und glücklich, solange sie das bekommen, was sie wollen   Können auch unter Stress ihren Glauben und ihre Werte ausdrücken, ohne Anstoß zu erregen
Sind sehr schnell verletzt, vertragen keine Kritik Haben die Tendenz, auf Kritik defensiv zu reagieren In der Lage, Kritik zu hören und zu verarbeiten und nicht persönlich zu nehmen
Interpretieren Meinungsunterschiede als persönliche Beleidigungen Sind nicht in der Lage, gut mit Konflikten umzugehen, und schieben die Schuld auf andere Fähig, Konflikte mit einer reifen Haltung zu lösen und dabei die Perspektive der anderen zu verstehen
Beschweren sich, ziehen sich zurück, nehmen Rache, reagieren sarkastisch, wenn sie nicht das bekommen, was sie wollen Haben ein Punktesystem (merken sich, was sie für andere tun und was sie zurück bekommen)  
Sind nicht in der Lage, ihre Bedürfnisse und Wünsche ruhig und klar zu kommunizieren   Sind in der Lage, das, was sie brauchen und wollen, klar, direkt und ehrlich zu kommunizieren
  Ständig auf sich selbst fokussiert; können nicht wirklich gut anderen zuhören und sich in andere hineinversetzen Können sich auf andere Menschen einlassen

Welche emotionale oder geistliche Unreife hindert dich daran, andere Menschen zu lieben?

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Predigt: Die Gemeinde, die Jesus unter uns bauen will – Berufen zur Gemeinschaft 2 – 1. Johannes 1,1-4

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Gemeinschaft

„was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.”

1. Johannes 1,3

Wir haben letzte Woche mit der Predigt von Noah eine neue Themenreihe angefangen: berufen zur Gemeinschaft. Davor haben wir uns sieben Wochen lang mit dem Evangelium beschäftigt. Bevor wir fortfahren, möchte ich gerne sagen, dass wir mit dem Evangelium nicht „fertig“ sind. Alles, was jetzt folgt, ist ein Vertiefen und Anwenden des Evangeliums. Unsere Berufung zur Gemeinschaft ist eine Folge der Tatsache, dass wir durch das Evangelium gerettet und radikal erneuert wurden.
Letzte Woche hatten wir eine Einführung in die Gemeinde. Im heutigen Text sehen wir, dass die Gemeinde Jesu in Gemeinschaft lebt. Das griechische Wort für Gemeinschaft ist koinonia. Es bedeutet Gemeinschaft durch Teilhaben. Wir sind eingeladen zu einer Gemeinschaft, in der wir etwas teilen. Ich denke, dass wir in diesem Text mindestens drei Dinge über die christliche Gemeinschaft lernen können: erstens, der Ursprung der Gemeinschaft; zweitens, das Wesen der Gemeinschaft; drittens, das Ziel der Gemeinschaft.

Erstens, der Ursprung der Gemeinschaft
Der Anfang des Briefes ist – wie ich finde – umwerfend, elektrisierend. Wir spüren die Begeisterung vom Autor, der sein Glück fast selbst nicht fassen kann: „Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und unsere Hände angefasst haben vom Wort des Lebens…“ Der Apostel Johannes sagt, dass sie das Wort des Lebens gehört haben mit ihren Ohren; nicht nur das, ihre eigenen Augen haben ihn gesehen; nicht nur das, ihre Hände haben ihn angefasst, weil er real, physisch unter ihnen war. Die Begeisterung von Johannes ist an dieser Stelle so überfließend, dass er seinen eigenen Gedanken unterbricht und dann folgendes einschiebt: „das Leben ist erschienen und wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns erschienen ist.“
Das ist der Ursprung der Gemeinschaft. Das Leben ist der Ursprung der christlichen Gemeinschaft. Das Problem ist, dass „Leben“ als Begriff ziemlich umfassend ist. Biologen sind sich einigermaßen einig, dass wenn ein System in der Lage ist, zu wachsen, sich zu vermehren, Stoffwechsel zu betreiben, sich zu bewegen und reizbar ist, dieses System biologisch lebendig ist. D.h., mit „Leben“ meinen wir das Leben von Bakterien oder Einzellern, die wir gerade so unter dem Mikroskop erkennen können. Mit Leben meinen wir aber auch das Leben, von Pflanzen und Bäumen, die ungleich komplexer sind, wie etwa Mammutbäumen, die mehrere Tausend Jahre als sein können. Mit Leben meinen wir aber auch das Leben von Tieren; und schließlich das Leben von Menschen. Die meisten Menschen wären damit einverstanden, wenn wir sagen würden, dass das menschliche Leben noch einmal eine andere Komplexität und einen anderen Wert hat im Vergleich mit dem Leben von Tieren und Pflanzen. Wir Menschen sind vermutlich die einzigen Lebewesen auf der Erde, die sich Gedanken darüber machen können, weshalb wir leben und wofür wir leben sollten.
Und trotzdem ist es so, dass wenn Johannes über das Leben spricht, er etwas anderes meint. Das Leben, von dem Johannes spricht, ist ein ewiges Leben; es ist ein Leben, das immer existiert, bevor irgendetwas anderes existierte. Es ist ein Leben, das beim Vater war. Die Griechen hatten unterschiedliche Wörter für Leben. Alles biologische Leben nannten die Griechen bios; das ewige Leben hingegen bezeichneten sie als zoe. Zoe, das ewige Leben, ist ein Leben, das kategorisch anders ist, als das biologische Leben. Es ist das Leben, von welchem alles andere Leben, einschließlich dem biologischen Leben, seinen Ursprung hat. Alles existiert, weil es am Anfang das ewige Leben gab.
Was charakterisiert dann das ewige Leben? Vers 3 sagt: „Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.“ Johannes sagt, dass das ewige Leben eine Gemeinschaft ist, zwischen dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus. Das ewige Leben ist ewige Gemeinschaft innerhalb der Gottheit. Wir glauben an einen Gott, der in Ewigkeit in drei Personen existiert hat. Wir befinden uns damit im Zentrum der christlichen Theologie. Es geht hier nicht nur um die Frage wer Gott ist, sondern wie dieser Gott ist. C.S. Lewis schrieb in seinem Buch Mere Christianity: „Alle möglichen Leute wiederholen gerne die christliche Aussage, dass ‚Gott Liebe ist‘. Aber sie scheinen nicht zu bemerken, dass die Worte ‚Gott ist Liebe‘ keine wirkliche Bedeutung haben, wenn Gott nicht mindestens zwei Personen enthält. Liebe ist etwas, das eine Person für eine andere Person empfindet. Wenn Gott eine einzige Person wäre, dann war er vor der Erschaffung der Welt nicht Liebe. … im Christentum ist Gott kein statisches Ding – nicht einmal eine Person – sondern eine dynamische, pulsierende Aktivität, ein Leben, fast eine Art Drama. Falls du mich nicht für pietätlos hältst, fast eine Art Tanz.“
Das ist krasse Theologie. Die Frage ist jetzt natürlich, was das für uns bedeutet. Im Film Ironman wird Tony Stark von Terroristen entführt. Tony ist ein Milliardär und gleichzeitig ein genialer Erfinder, der Waffen baut. Während er schwer verletzt bei den Terroristen ist, gibt es einen Mitgefangenen namens Yinsen, der ihn pflegt und ihm das Leben rettet. Sie kommen später ins Gespräch. Tony fragt Yinsen ob er eine Familie hat. Er antwortet: „Ja, und ich werde sie wiedersehen, wenn ich hier herauskomme. Was ist mit dir?“ Tony Stark hat keine Familie, keine wirklich verbindlichen Beziehungen, kaum echte Freundschaften. Yinsen sagt daraufhin: „Also bist du ein Mann der alles hat… und doch nichts hat.“ Und das ist für einen Unterhaltungsfilm eine durchaus profunde Einsicht.
Ein kurzes Gedankenexperiment: versuchen wir uns an den schönsten Moment unseres Lebens zu erinnern. Gab es in unserem Leben einen Moment, an dem wir uns riesig gefreut haben; einen Moment, an dem wir uns einfach glücklich gefühlt haben? Vielleicht war es dein Hochzeitstag? Oder besser, vielleicht war es der Tag nach deinem Hochzeitstag, nachdem alle Gäste erst einmal weg waren? Vielleicht war es ein richtig guter Abend oder eine richtig gute Feier mit den engsten Freunden? Vielleicht war es ein richtig guter Urlaub mit der Familie? Vielleicht war es eine besondere Bibelfreizeit? Egal was die genauen Umstände dieses Moments waren, ich bin mir ziemlich sicher, dass wir im schönsten Moment unseres Lebens nicht allein waren, sondern in irgendeiner Form von Gemeinschaft. Ich gehe sehr stark davon aus, dass dieser schönste Moment im Beisammensein mit Menschen war, die uns lieb und teuer sind. Und ich gehe stark davon aus, dass diese Momente eben deshalb so schön waren, weil wir nicht allein waren; weil es Menschen gab, mit denen wir den Augenblick teilen konnten; weil Mitmenschen das Schöne nicht nur aufaddiert, sondern multipliziert haben.
Am Anfang des Universums war Beziehung; am Anfang war Liebe; am Anfang war ein Tanz des dreieinigen Gottes. Der Ursprung der christlichen Gemeinschaft ist das ewige Leben in ewiger, in sich vollkommener Gemeinschaft. Gott ist ein Gott in Beziehung. Und das ist null Prozent theoretisch. Es ist unendlich relevant für uns: wir alle, du und ich, sind geschaffen nach dem Bild eines dreieinigen Gottes. Der Grund weshalb Menschen am Ende des Tages Gemeinschaftswesen sind, der Grund weshalb unser Herz eine Sehnsucht nach Zweisamkeit, nach Freundschaft und nach Beziehungen hat, ist der, dass wir diesem Gott entsprungen sind.

Zweitens, das Wesen der Gemeinschaft
Zum Wesen der christlichen Gemeinschaft sagt der Text zwei Dinge. In Vers 3 sagt Johannes: „was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt.“ Der Apostel verkündigt sein Erleben von Jesus Christus, um Gemeinschaft zu verbreiten. D.h., die Predigt Jesu Christi hat das Ziel, dass neue und heilsame Gemeinschaft entsteht. Die Verkündigung Jesu sind nicht einfach nur Glaubens-Statements; sie sind das Bezeugen eines Erlebens und eines Erfahrens der Person Jesu Christi. Ich finde die Wortwahl von Johannes sehr interessant. Vers 1: „Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben…“ Johannes war einer der Augenzeugen Jesu, der Jesus praktisch mit allen Sinnen wahrgenommen hat. So real war Jesus unter ihnen. Hier ist also der erste Punkt zum Wesen der Gemeinschaft: die christliche Gemeinschaft besteht aus Menschen, die Jesus persönlich erlebt haben. Wie hast du Jesus persönlich erlebt?
Was faszinierend ist: die Art und Weise, wie Menschen Jesus erfahren und begegnen, kann sehr unterschiedlich sein. Es kann ein überwältigender Fischfang sein; oder es kann ein grelles Licht sein, das einen militanten Christenverfolger vom Pferd stürzt; oder es kann ein einziges Wort sein wie der Ruf des Namens „Maria“; es kann ein bebender und rauchender Berg sein oder ein stilles Flüstern im Wind. In unserer Gemeinde legen wir sehr viel Wert auf die Bibel: Wiedergeburt durch ein Wort, das persönlich zu uns spricht. Ich denke, dass Gott den meisten Menschen auf diese Art begegnet. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass es nicht die einzige Art und Weise ist.
Vor einigen Jahren habe ich ein hervorragendes Zeugnis von einem koreanisch-amerikanischen Theologen namens Paul Lim gehört. Er hatte eine schwierige Kindheit erlebt, war Außenseiter und wurde schließlich Student an der Yale Universität. Er wollte mit dem christlichen Glauben nichts zu tun haben, und er machte sich über seine Schwester lustig, weil sie einen Christen heiratete. Er sagte zu seiner Schwester: „Du heiratest diesen armen Loser. Ich dagegen studiere BWL und werde später richtig viel Geld verdienen. Und wenn ich dann reich bin, werde ich dich und meinen Schwager finanziell unterstützen.“ Es war zwar gut und aufrichtig gemeint, aber seine Schwester war trotzdem gekränkt. Eine Woche später war er auf einer Bibelfreizeit von seinem Schwager, die er ziemlich schlimm fand: schlechtes Essen, langweilige Gespräche, öde Vorträge. Der einzige Grund, weshalb er dort war, war der, weil seine Mutter ihn darum gebeten hatte, und er seiner Mutter nicht „nein“ sagen konnte. Am letzten Abend hat die Band ein Lied angestimmt. (Die Band war auch nicht so toll). Und im Lied sangen sie dann: „Ich will dein Geld nicht. Ich will dein Leben.“ Als er diese Worte hörte, war es, wie als ob Gott zu ihm sprechen würde. Und dann brachen bei ihm das Eis. Die Schutzwälle, die er über viele Jahre aufgerichtet hatte, waren eingerissen. Er konnte gar nicht aufhören, zu weinen.
Ein weiteres Beispiel: die meisten von euch haben von dem deutschen Youtuber Philipp Mickenbecker gehört, der vor wenigen Monaten an Krebs gestorben ist. Als er gefragt wurde wie er zum Glauben gekommen war, erzählte er folgendes: er hatte zum zweiten Mal Krebs bekommen. Während seines Aufenthalts im Krankenhaus ging er spazieren und setzte sich auf einem Hügel auf eine Bank. Er sagte dann: „Jesus, wenn es dich gibt, dann zeig dich bitte.“ Im nächsten Moment spürte er, wie er von einer göttlichen Liebe überflutet wurde. Worte konnten seine Erfahrung nicht wirklich beschreiben. So hat er Jesus persönlich erfahren. (Fairerweise muss man sagen, dass seine Geschichte länger und komplexer ist; aber das ist die Essenz seiner Begegnung mit Jesus).
Welche Geschichte hast du zu erzählen? Wie hast du Jesus erfahren? Hast du ihn gehört, gesehen und angefasst? Das ist das erste, was wir über das Wesen der Gemeinschaft erfahren. Die christliche Gemeinschaft besteht aus Menschen, die Jesus persönlich begegnet sind. Aber das ist längst nicht alles.
Der andere Aspekt hat mit dem ewigen Leben selbst zu tun. N.T. Wright wurde bei einer Einreise in die USA gefragt, was er beruflich macht. Er antwortete, dass er ein Bischof ist. Aber er hatte gerade keine Kutte oder entsprechende Kleidung an. Der Beamte fragte ihn deshalb: „Wenn du Bischof bist, kannst du mir sagen, was in Johannes 3,16 steht?“ N.T. Wright ließ sich nicht zweimal bitten: „Houtos gar egapesen ho Theos ton kosmon…“ Johannes 3,16 sagt, dass wir das ewige Leben erhalten, wenn wir an Jesus glauben. Wir haben vorhin gesehen, dass das ewige Leben, das im Anfang bereits war, ein kategorisch anderes Leben ist, als das biologische Leben. Zoe ist etwas völlig anderes als bios. Wir können uns das vielleicht so vorstellen: ein Bildhauer kann aus einem Stück Marmor eine Statue machen. Diese Statue mag aussehen wie ein Mensch. Aber sie ist am Ende des Tages nichts anderes als Stein. Oder wir sind mit der berühmten Geschichte von Pinocchio vertraut: Pinocchio ist eine Holzpuppe, nichts anderes als ein Stück Holz, das kunstvoll geschnitzt wurde. Die Puppe ist kein Junge.
Die Bibel sagt, dass wir kein wahres Leben in uns haben. Aus uns selbst heraus, haben wir kein ewiges Leben. Aber in Vers 3 schreibt Johannes die unfassbaren Worte: „Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.“ Wir werden eingeladen, einzutreten, in diese Beziehung. Vater und Sohn laden uns ein, das ewige Leben, das in ihnen ist, zu empfangen. Vater und Sohn wollen dieses ewige Leben uneingeschränkt mit uns teilen. Und das macht etwas mit uns. Wir werden verändert. Die Veränderung ist genauso radikal wie wenn aus leblosen Statuen echte Menschen aus Fleisch und Blut werden. Aus uns wird kategorisch etwas völlig Neues, wie eine Holzpuppe, die ein echter Junge wird. Aus uns werden Kinder Gottes, die das gleiche Leben haben wie Gott.
Zu Beginn habe ich gesagt, dass koinonia bedeutet, Gemeinschaft zu haben durch Teilhaben. Was wir miteinander teilen ist genau das: eine persönliche Erfahrung mit Jesus Christus, durch die wir radikal erneuert und verändert wurden. Wir haben das ewige Leben. Nicht erst dann, wenn wir sterben. Das ewige Leben beginnt im Hier und Jetzt, wenn wir durch Jesus angerührt wurden.
Wie macht sich das bemerkbar? Letzte Woche haben wir gehört, wie das Evangelium die Feindschaft zwischen Juden und Heiden aufgehoben hat; das Evangelium sprengt die Mauern, die es zwischen Menschen gibt. Es fängt innerhalb unserer Familien an. Wenn wir vom ewigen Leben angerührt werden, werden wir warmherziger, empathischer, großzügiger, geduldiger, liebevoller, authentischer, transparenter. Natürlich wirkt sich das auf alle unsere Beziehungen aus. Natürlich hat das einen Einfluss darauf, wie wir unsere Ehepartner sehen und behandeln. Natürlich verändert das die Art und Weise wie wir mit unseren Kindern umgehen. Es hört nicht in unseren Familien auf. Es geht weiter im Umgang mit den Geschwistern in der Gemeinde. Und es hat Auswirkungen im Umgang mit unseren Geschwistern außerhalb unserer Gemeinde, außerhalb unserer Konfession und unseren Denominationen. Das, was uns in Christus mit anderen Christen verbindet ist unendlich viel größer als das, was uns trennt.
Die letzten Monate und Jahre waren ziemlich hart, was Gemeinschaft betrifft. Wir haben einen signifikanten Teil der Zeit in Quarantäne, Homeoffice und Homeschooling verbracht. Quarantäne, Homeoffice und Homeschooling sind drei unterschiedliche Worte für ein- und dasselbe: in den eigenen vier Wänden eingesperrt zu sein. Und vielleicht haben in dieser Zeit die Beziehungen innerhalb der Gemeinde etwas gelitten. Ich weiß nicht wie es euch ergeht. Aber vielleicht verbringen wir mehr Zeit mit unserem Smartphone als in Gemeinschaft mit echten Menschen. Vielleicht verbringen wir mehr Zeit in der virtuellen Welt als mit der realen Welt. Vielleicht ziehen wir uns lieber zurück, weil Beziehungen oftmals echt anstrengend sein können. Vielleicht gehen wir zwischenmenschlichen Beziehungen lieber aus dem Weg als sich ihnen zu stellen. Wie es aussieht, wird Corona uns noch eine Weile begleiten.
Der Text sagt nicht: „Jetzt reißt euch wieder zusammen! Verbringt mehr Zeit mit euren Geschwistern!“ Der Text ermutigt uns, neu von dem ewigen Leben angerührt und verändert zu werden. Wenn das geschieht, dann ist christliche Gemeinschaft unvermeidlich.

Drittens, das Ziel der Gemeinschaft
Johannes schreibt in Vers 4: „Dies schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen ist.“ Das Ziel der Gemeinschaft ist Freude, und zwar vollkommene Freude. Und das klingt so trivial. Aber es ist alles andere als trivial. Freude liegt im Zentrum von allem, worum es im christlichen Glauben geht.
Während unserer Zeit in Boston sind Grace und ich einmal mit einer Freundin nach New Haven gefahren, um dort Ostern zu feiern. Unsere Freundin ist nicht gläubig. Auf dem Weg zurück haben wir uns darüber unterhalten, was wir für das höchste Ziel des Lebens halten. Sie meinte, dass es ein Leben ist, in dem sie maximale Freude hat. Und diesen Wunsch hat jeder Mensch. Jeder lebt dafür und tut alles dafür, um maximale Freude zu haben. Ich habe ihr erklärt, dass es im christlichen Glauben genau darum geht: vollkommene Freude zu haben. Ihre Antwort war, dass unsere Lebensziele dann gar nicht so unterschiedlich sind. Sie hatte nicht ganz unrecht.
Hier ist der Grund: wir haben gesagt, dass am Anfang Gott in Beziehung war, in drei Personen. Es ist der Tanz der Trinität. Gott ist das einzige Wesen, das in sich vollkommen ist. Gott ist vollkommene Liebe. Gott hat in sich vollkommene Freude. Warum sollte ein Gott, der in sich perfekt ist und der alle Fülle hat, Himmel und Erde schaffen wollen? Die Antwort ist nicht, um noch mehr Freude zu bekommen. Jemand, der unendlich reich ist, wird nicht reicher, wenn man ihm fünf Euro gibt. Gott erschuf die Welt und uns, um seine Freude mit uns zu teilen.
Johannes Hartl hat folgende Illustration gebraucht: Männer und Frauen fühlen sich einander zugeneigt, weil jeder denkt: wenn ich den perfekten Partner habe, wenn ich die perfekte Partnerin habe, dann kann ich wirklich glücklich sein. D.h., der andere ist dazu da, meine Bedürfnisse zu erfüllen und mich glücklich zu machen. Nach einer Zeit des Verliebtseins stellt man fest, dass die Welt doch nicht so rosarot ist. Aber nehmen wir an, dass es den Ehepartnern nicht um sich selbst geht. Nehmen wir an, dass sie nicht einfach nur verliebt sind. Nehmen wir an, ein Mann und eine Frau lieben sich wirklich mit einer selbst hingebenden, selbst aufopfernden Liebe (agape). Was geschieht? Es entsteht innerhalb dieser Beziehung eine Fülle und ein Raum. In diesem Raum ist Platz für eine dritte und vierte Person. In diesem Raum können Kinder gesund heranwachsen. Kinder sind der Inbegriff von Bedürftigkeit: „ich will jetzt sofort essen und spielen!“ Bedürftige Kinder werden von der Liebe ihrer Eltern genährt.
Auf eine unendlich viel höhere und größere Art und Weise entsteht innerhalb der vollkommenen Liebe der Trinität ein Raum. In diesen Raum hinein erschafft Gott die Welt. Gott hat das getan, um die Welt mit seiner überfließenden Liebe und Freude zu beschenken und reich zu machen. Letztendlich tut Gott das, indem er sich selbst der Welt schenkt. Nirgendwo mehr können wir die Bedeutung dessen verstehen lernen, als in christlicher Gemeinschaft.
Wir haben gesehen, dass das ewige Leben in Gott der Ursprung der Gemeinschaft ist. Die christliche Gemeinschaft entsteht, wenn Menschen das ewige Leben empfangen. Das Ziel dieser Gemeinschaft ist es, maximale Freude in Gott zu haben. Nichts verherrlicht Gott mehr als das.

 

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Fragebogen: Die Gemeinde, die Jesus unter uns bauen will – Berufen zur Gemeinschaft 2 – 1. Johannes 1,1-4

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Gemeinschaft

Heute lesen wir 1. Johannes 1,1-4.

Wie hatte Johannes Jesus erfahren und wie beschreibt er das? Wer ist in diesem Zusammenhang „wir“?

Der berühmte Youtuber Philipp Mickenbecker hatte Folgendes über seine Begegnung mit Jesus geschrieben: „Da lag ich also vor einer Kirche auf der Bank und hab gedacht: Warum kannst du, Gott, nicht mal kurz zu mir sprechen, wenn du das früher doch immer gemacht hast? Warum versteckst du dich so? Bist du nicht derselbe wie vor tausend Jahren? …
Es war, als ob ein Schleier von meinen Augen weggezogen wurde. … Das war so ein übernatürliches Gefühl. Beschreiben kann ich’s aber auch nicht. Das kann man niemandem erklären, der es nicht selbst erlebt hat. Das ist wie der Geruch von frisch gemähtem Gras, den kann man auch nicht beschreiben, wenn man ihn noch nie gerochen hat. Vielleicht kommen die Schmetterlinge im Bauch, wenn man frisch verliebt ist, diesem Gefühl am nächsten. Das Gefühl unendlicher, bedingungsloser Liebe. So eine Liebe kannte ich bisher nicht.“
Was ist deine Reaktion darauf und wie siehst du das?

In Vers 3 schreibt Johannes, dass der Grund der Verkündigung darin besteht, dass die Empfänger Gemeinschaft mit ihnen haben, und diese Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit dem Sohn. Wie hängt unser Erleben von Jesus Christus mit Gemeinschaft zusammen?

Laut Vers 4 ist die Konsequenz dieser Gemeinschaft Freude. Was bedeutet das für unsere Gemeinschaft?

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