Predigt: Jesaja 11,1-9 — Weihnachten 2022

Download

Ein Spross aus Isai

„Aus dem Stumpf Isais wird ein Spross hervorgehen – ein neuer Trieb aus seinen Wurzeln wird Frucht tragen.“

(Jesaja 11,1)

Frohe Weihnachten! Passend zum heutigen Feiertag haben wir einen wunderbaren Text aus Jesaja 11. Der Text ist uns bekannt aus dem alten Weihnachtslied aus dem 16. Jahrhundert: „Es ist ein Ros entsprungen“
Wir wollen über drei Fragen nachdenken: Wer ist der Spross aus Isai? Wie regiert er? Und welche Welt resultiert daraus? Wir können das, was wir durch den Text über Isais Nachkommen lernen, in folgenden Punkten festhalten: seine Identität, seine Regentschaft und seine neue Welt.

1. Seine Identität
Wir sehen in Vers 1, dass von einem Stumpf die Rede ist: „Aus dem Stumpf Isais wird ein Spross hervorgehen.“ Gemeint sind natürlich Baumstümpfe, nachdem der Baum gefällt wurde. Der Kontext ist hier entscheidend. In Jesaja 10,21-22 heißt es: „Ein Rest wird umkehren, ein Rest von Jakob, zu dem starken Gott. Auch wenn das Volk Israel so zahlreich wäre wie der Sand am Meer, wird doch nur eine kleine Zahl von ihm umkehren. Die Vernichtung ist endgültig beschlossen und dadurch kommt die Gerechtigkeit voran.“ Und noch deutlicher lesen wir das in Jesaja 6 bei der Berufung des Propheten. Vers 13 sagt da: „Selbst wenn nur ein Zehntel überlebt, ist es doch zur Vernichtung bestimmt, wie bei einer gefällten Terebinthe oder Eiche, von der nur ein Stumpf übrig bleibt. Ein heiliger Same ist dieser Stumpf.“ D. h., das Fällen der Bäume bedeutet, dass zuerst Gottes Gericht über das Volk Israel kommt, bis das Volk fast völlig vernichtet ist. Von einem üppigen Wald bleiben nur noch die Baumstümpfe übrig. Alle Bäume sind gefällt.
Aber jetzt wächst ein neuer Spross. Aus der Biologie kennen wir das. Viele Laubbäume sind auch nach dem Fällen nicht ganz tot. Wenn wir im Wald spazieren gehen, sehen wir manchmal wie aus abgesägten Baumstümpfen, neue Triebe wachsen. Man nennt das „Stockausschlag“. Und von einem solchen Stockausschlag spricht Jesaja. Die Art und Weise, wie Jesaja über den Spross spricht, macht deutlich, dass es sich unbedingt um einen König handeln muss. Aber die Art und Weise, wie über diesen König berichtet wird, ist sehr außergewöhnlich. In den alttestamentlichen Geschichtsbüchern Könige und die Chroniken werden eine ganze Reihe von Königen erwähnt. Die meisten von diesen Königen waren schlimme Finger. Aber sie werden uns immer als Sohn oder Nachkomme von ihrem entsprechenden Vater vorgestellt. Jesaja tut etwas anderes. Der König ist kein weiterer, entfernter Nachfahre Davids, sondern er stammt aus Isai ab.
Der irische AT-Experte Alec Motyer hat einen wunderbaren Kommentar zu Jesaja geschrieben. In seinem Kommentar analysiert er die Bedeutung der Tatsache, dass Jesaja von Isai spricht. Hier ist das, was Motyer schreibt: „Der Hinweis auf Isai zeigt uns, dass es sich bei dem Spross nicht einfach um einen weiteren König in Davids Linie handelt, sondern um einen anderen David. In den Büchern der Könige wurden die aufeinanderfolgenden Könige im Vergleich zu ihrem Vater David beurteilt, aber kein König wird als „David“ oder „Sohn Isais“ bezeichnet. Unter den Königen war nur David der Sohn Isais, und der unerwartete Hinweis auf Isai hat hier eine enorme Bedeutung: Wenn Isai einen Spross hervorbringt, muss es David sein.“ Was Motyer meint ist, dass wir es nicht einfach mit einem weiteren König zu tun haben. Der neue König ist kategorisch etwas völlig anderes: ein neuer David.
Wir sehen das auch anhand von den Versen 2 und 3a: „Auf ihm wird der Geist des HERRN ruhen – der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Macht, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.“ Im AT gab es hin und wieder Individuen, die kurzzeitig vom Heiligen Geist erfüllt waren und dann große Dinge vollbrachten. Der Spross Isais ist aber nicht nur hin und wieder mit dem Geist Gottes erfüllt. Der Geist ruht auf ihn. Vers 2 spricht von einem siebenfältigen Dienst des Heiligen Geistes. Weisheit und Verstand sind Attribute eines guten Königs. Rat und Macht bezogen sich auf Strategie und militärische Kraft; oder anders gesagt, die Fähigkeit, zur rechten Zeit, das zu tun, was dran ist und notwendig ist. Erkenntnis und Furcht bedeuten, die Wahrheit zu erfassen und aufgrund dessen zu leben. Von niemandem der AT Könige konnte das gesagt werden.
Für praktisch alle Menschen aller Zeiten ist das ein wichtiger Realitätscheck. Hier ist das, was ich meine. Wir Menschen leben in einer ungerechten Welt. Menschen haben sich seit jeher gegen die Ungerechtigkeiten aufgelehnt. Eines der wichtigsten Ereignisse in der mitteleuropäischen Geschichte war die Französische Revolution von 1789 bis 1799. Das Motto der Revolution war Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Das sind allesamt noble Werte, für die es sich lohnt, zu kämpfen. Gleichzeitig war die Revolution eine blutige Geschichte. Kurz nachdem die Nationalversammlung eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verabschiedet hatte, kamen die Jakobiner an die Macht. Wir sehen hier ein ganz typisches Muster in der Menschheitsgeschichte: Nachdem ein ungerechter Herrscher abgesetzt wurde, ergreift ein anderer ungerechter Herrscher die Macht. In diesem Fall war es ein Anwalt namens Robespierre. Es begann die sogenannte „Schreckensherrschaft“ der Französichen Revolution, bei der ungefähr 50.000 Menschen hingerichtet wurden. Noch viel mehr Menschen kamen im Bürgerkrieg ums Leben.
Inmitten des Chaos sehnten sich die Menschen nach Stabilität. Schließlich kam ein Mann, der die Ideale der Französischen Revolution zu verkörpern schien. Sein Name war Napoléon Bonaparte. Auf ihm ruhten die Hoffnungen. Als junger Mann brannte Beethoven für die Ideale der Französischen Revolution. Auch er setzte seine Hoffnung auf Napoléon. Auf das Manuskript seiner bis zu diesem Zeitpunkt größten und wichtigsten Symphonie schrieb er die Worte „Sinfonia intitolata Bonaparte“ (Symphonie mit dem Titel Bonaparte). Kurz nachdem die Symphonie beendet war, kam sein Schüler Ferdinand Ries mit der Nachricht, dass Napoléon sich am 18. Mai 1804 selbst zum Kaiser gekrönt hatte. Beethoven soll folgende Worte gesagt haben: „Ist der auch nichts anderes, wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen; er wird sich nun höher wie alle anderen stellen, ein Tyrann werde.“ Er radierte den Namen Bonaparte mit so viel Gewalt aus, dass auf dem Titelblatt seiner Symphonie ein Loch entstand. Beethoven sollte recht behalten. Bonaparte war ein weiterer Tyrann, der die Menschenrechte mit Füßen trat.
Die Menschheit braucht nicht einen weiteren König, einen weiteren Herrscher, einen weiteren Mächtigen, der Nachkomme von sündigen Menschen ist. Die besten von ihnen machen das Leben vielleicht ein wenig besser. Aber das reicht nicht aus. Die Welt braucht einen neuen Nachkommen Isais, einen neuen David. Wir brauchen nicht einfach einen neuen König, sondern einen kategorisch neuen König; nicht einfach eine Kurskorrektur, sondern ein neues Konzept.
Das gilt nicht nur für die Welt. Es gilt auch für uns individuell. Jeder von uns hat seine eigenen Probleme, die wir mit uns herumschleppen. Wir alle sind auch auf der Suche nach Frieden für unsere Herzen. Und wir alle werden von etwas beherrscht: von unserer Arbeit, von unseren Mitmenschen, von unseren Kindern, von unseren Finanzen. Wir denken, dass wir unsere eigenen Herren sind. Aber tatsächlich gibt es in einem jedem von uns etwas, was so zentral und so absolut ist, dass unser ganzes Leben sich darum dreht. Wir alle dienen etwas oder jemandem. Wir können uns nicht davon frei machen, beherrscht zu werden. Aber wir können mitbestimmen, wovon wir uns beherrschen lassen. In gewisser Weise können wir uns unseren Herrn und Meister mit aussuchen.
In seinem Buch „Counterfeit gods“ erzählt Tim Keller die Geschichte von einer Frau namens Sally, die sehr attraktiv war. Alle Männer wollten mit ihr ausgehen. Es führte aber dazu, dass sie anfing zu denken, dass ihr Wert davon abhängig war, von Männern begehrt zu werden. Als Folge dessen fühlte sie sich gezwungen, immer in einer Beziehung leben zu müssen, auch mit Männern, die sie ausnutzten und missbrauchten. Sally berichtete Tim Keller davon, wie sie ihr Leben zurückbekam. Ihr Therapeut zeigte ihr, dass das Interesse und die Liebe von Männern ihre Identität waren. Und das war extrem ungesund. Mit der Diagnose hatte der Therapeut absolut ins Schwarze getroffen. Was war die Lösung? „Finanziell unabhängig zu werden und ihrer Karriere nachzugehen.“ Zu diesem Zeitpunkt war sie aber bereits gläubig. Und sie sagte sich: „Mir wurde geraten einen Götzen, der typischerweise von Frauen verehrt wird aufzugeben; und diesen Götzen mit einem anderen Götzen zu ersetzen, der typischerweise von Männern verehrt wird.“ Und wisst ihr was? Das ist auch einfach ein anderer König.
Das Letzte was wir brauchen ist ein weiterer König. Die gute Nachricht, die unser Text verkündigt, ist, dass in Jesus Christus der neue König da ist. In Jesus begegnet uns nicht einfach der Sohn Josefs, sondern wir haben den Spross Isais. Jesus ist der neue David. Jesus ist nicht nur die Neuauflage von David, er ist der wahre David: Der David auf welchen der AT David nur hinweisen konnte. Er ist der kategorisch neue König, den wir alle brauchen und nachdem wir alle Sehnsucht haben.

2. Seine Regentschaft
Die Art wie der Messias regiert, kann man am besten mit dem Wort „Gerechtigkeit“ zusammenfassen. Verse 3b-5: „Sein Urteil wird sich nicht auf Äußerlichkeiten gründen, er wird nicht aufgrund dessen, was er hört, entscheiden. Er sorgt für Gerechtigkeit unter den Armen und verschafft den Unterdrückten Recht. Er schlägt das Land mit der Rute seiner Lippen und tötet die Gottlosen mit dem Hauch seines Mundes. Gerechtigkeit ist sein Gürtel und Wahrheit sein Gurt.“ Die Gerechtigkeit seiner Herrschaft äußert sich in mindestens zwei Aspekten.
Wir sehen zum einen, dass sein Urteil sich nicht auf Äußerlichkeiten gründet. Auf Äußerlichkeiten zu achten ist eines der menschlichsten Dinge überhaupt. Wir haben einige Sprichwörter, die uns gerade davor warnen sollen „der Schein trügt“ oder „es ist nicht alles Gold, was glänzt“ oder „außen hui, innen pfui“. Es gibt bestimmt noch mehr. Und trotzdem tun wir das am laufenden Meter, einfach weil uns die Fähigkeit fehlt, Menschen, Situationen und Begebenheiten, Sachverhalte in ihrer Tiefe zu durchschauen. Ob wir wollen oder nicht, wir geben uns zwangsläufig mit Oberflächlichkeiten zufrieden. Und vielleicht resultieren einige der schlimmsten Entscheidungen, die wir jemals getroffen haben, darauf, dass wir gedacht haben: „Das sieht verlockend aus!“, oder „sie sieht so hübsch aus“, oder „er ist so attraktiv.“ Aber nicht so der Messias. Sein Urteil basiert auf Wahrheit, auf der Realität, die im tiefsten Herzen eines jeden Menschen verborgen ist.
Wir sehen seine Gerechtigkeit zum anderen in der Tatsache, dass er den Armen Recht verschafft. Kurze Randbemerkung: Jesaja 11 ist ebenfalls hebräische Poesie. Wir sehen die Parallelismen: „er sorgt für Gerechtigkeit unter den Armen“ entspricht in seiner Bedeutung dem „und verschafft den Unterdrückten Recht“. Wie tut der Messias das in der Praxis?
Jesus tat es, indem er sich mit den Armen identifizierte, und zwar so sehr, dass er selbst völlig arm wurde. Er hatte nichts, kein Geld, kein Zuhause, kein Ansehen, keine Macht. Seine Identifikation mit den Unterdrückten ging so weit, dass er starb wie einer von ihnen. Er starb den Tod eines rechtlosen Sklaven, elend am Kreuz in absoluter Schmach und Schande. Als die römischen Henker unter dem Kreuz um seine Kleidung losten, verschacherten sie sprichwörtlich seinen einzigen und letzten Besitz, den er hatte. Selbst das Grab, in das Jesus gelegt wurde, war von einem seiner reicheren Freunde geliehen. So konsequent war seine Armut. Das ist die Art und Weise, wie Jesus Gottes Gerechtigkeit offenbart: Er stirbt für uns. Er nimmt alle unsere Schuld und alle unsere Ungerechtigkeit auf sich ans Kreuz.
Die Gerechtigkeit, die Jesus in diese Welt hineinbringt, ist die Rettung von Sünde: die menschliche Bosheit in unseren Herzen mitsamt all den Auswirkungen der Sünde in dieser Welt. Es ist die konsequenteste Befreiung von Unterdrückung. Als Untertanen dieses Königs, ist es unsere Aufgabe, ebenfalls, diese Gerechtigkeit in diese Welt zu tragen. Als Menschen unter seiner Herrschaft, haben wir die Mission, innerhalb unseres Einflussbereiches, die Welt zu einem besseren und gerechteren Ort für alle zu machen: durch Predigt des Evangeliums und durch soziale Aktivitäten, durch Worte wie auch Taten der Liebe, durch Bibelstudium und Almosen.

3. Seine Welt
Die folgenden Verse zeigen uns die Welt des Messias. Es sind einige der bekanntesten Verse der Bibel, weil sie unsere Vorstellungskraft so sehr herausfordern. In den Versen 6–8 heißt es: „Dann werden der Wolf und das Lamm einträchtig zusammenleben; der Leopard und die Ziege werden beieinander lagern. Kalb, Löwe und Mastvieh werden Freunde und ein kleiner Junge wird sie hüten. Kuh und Bär werden miteinander weiden. Ihre Jungen werden nebeneinander ruhen. Der Löwe wird Stroh fressen wie das Vieh. Der Säugling spielt am Schlupfloch der Otter. Ja, ein Kleinkind steckt seine Hand in eine Giftschlangenhöhle.“
Die Tierpaarungen sind ziemlich unvereinbar, zumindest wenn man sich ein langes harmonisches Zusammensein vorstellen will. Wölfe fressen Lämmer, Ziegen werden von Leoparden zerrissen, Kälber und gemästetes Vieh sind absolute Delikatessen für Löwen, Bären reißen Kühe. Im Orient gibt es einige giftige Schlangen, und der Biss von vielen von ihnen ist für einen erwachsenen Menschen tödlich. Aber hier spielt ein Kind am Schlangennest, der Ort, an dem Schlangen potenziell am aggressivsten sind, vor allem, wenn sie ihr Nest verteidigen. Vers 7b erwähnt, dass selbst die größten Fleischfresser unter den Tieren Heu fressen werden, wie die Pflanzenfresser. In der Fernsehsendung Futurama gibt es eine Szene, in der Leela zu einer Gruppe von vegetarischen Hippies spricht: „Tiere fressen andere Tiere. Das ist die Natur.“ Der Sprecher der Gruppe antwortet: „Das stimmt nicht! Wir haben einem Löwen beigebracht, sich von Tofu zu ernähren.“ Im nächsten Bild sieht man einen traurigen, heruntergekommenen Löwen an einer Hundeleine, der traurig hustet. Aber das ist überhaupt nicht das Bild, das Jesaja aufzeigt. Ganz offensichtlich geht es allen Lebewesen bestens. Sie leben in Frieden und erfahren tiefes Wohlergehen, vom Menschen bis hin zu allen Tieren. Das Bild, das wir hier sehen, ist die Schöpfung vor dem Sündenfall.
Wie ist das möglich? Was liegt dem zugrunde? Vers 9 antwortet: „Auf meinem ganzen heiligen Berg wird niemand mehr etwas Böses tun oder Unheil stiften, denn wie das Wasser das Meer füllt, so wird die Erde mit der Erkenntnis des HERRN erfüllt sein.“ Die ganze Welt wird Gott kennen. Das hebräische Wort für „Erkenntnis“ bedeutet nicht einfach nur Kopfwissen. Es ist ein Wissen aus persönlicher Erfahrung. Im Zusammenhang mit Personen bedeutet es, die Person aus einer tiefen Beziehung persönlich zu kennen. Alle Menschen würden Gott persönlich kennen.
Für uns klingt diese Beschreibung geradezu utopisch und weltfremd. Frage ist, wie würde unsere Welt aussehen, wenn der Messias sein Werk vollendet hat? Was für eine Welt baut König Jesus? Wie würde Jesajas Traum der Schöpfung vor dem Sündenfall heute aussehen? Im 21. Jahrhundert? Der Autor John Ortberg hatte darauf eine sehr interessante Antwort. Er schrieb: „In einer Welt, in der Schalom vorherrscht, wären alle Ehen gesund und alle Kinder sicher. Diejenigen, die zu viel haben, würden denen geben, die zu wenig haben. Israelische und palästinensische Kinder würden im Westjordanland zusammen spielen; ihre Eltern würden sich gegenseitig Häuser bauen. In den Büros und Vorstandsetagen der Unternehmen würden Führungskräfte heimlich Pläne schmieden, um ihren Kollegen zum Erfolg zu verhelfen; sie würden ihnen hinter ihrem Rücken Komplimente machen. […] Meinungsverschiedenheiten würden mit Anmut und Höflichkeit beigelegt werden. Es gäbe vielleicht noch Anwälte, aber die hätten wirklich nützliche Jobs, wie Pizza ausliefern, die fettfrei und cholesterinarm wäre. Türen hätten keine Schlösser, Autos keine Alarmanlagen. […] Kirchen würden sich niemals spalten. Die Menschen wären weder gelangweilt noch gehetzt. Kein Vater würde jemals wieder zu einem enttäuschten Kind sagen: „Ich bin zu beschäftigt“. Unser nationales Schlafdefizit wäre ausgeglichen. Es würde noch Starbucks geben, aber sie würden nur noch koffeinfreien Kaffee verkaufen.
Scheidungsgerichte und Frauenhäuser für misshandelte Frauen würden in Erholungszentren umgewandelt. Jedes Mal, wenn ein Mensch einen anderen berührt, würde er damit Ermutigung, Zuneigung und Freude ausdrücken. Niemand würde einsam sein oder Angst haben. Menschen verschiedener Ethnien würden sich die Hände reichen; sie würden ihre Unterschiede ehren und sich durch sie bereichern und in ihrem gemeinsamen Menschsein vereint sein.
Und im Zentrum der gesamten Gemeinschaft würde ihr großartiger Architekt und herrlichster Bewohner stehen: Der Gott, dessen Gegenwart jeden Menschen mit unaufhörlicher Herrlichkeit und immer größerer Freude erfüllt. Die Schreiber der Heiligen Schrift sagen uns, dass diese Vision der Art und Weise entspricht, wie die Dinge sein sollen. So sähen wir aus, wenn wir nach den Normen lebten, die Gott für das menschliche Leben aufgestellt hat – wenn unsere Welt wirklich normal wäre. Eines Tages wird sie es sein.“
Das Interessante ist, dass uns eine solche Beschreibung nicht einfach kaltlässt. Es ist diese Art von Vision und Traum, die Millionen von Menschen inspiriert hat. Es ist die Art von Vision und Traum, die unzählige Leiter dazu bewegt hat, sich nicht mit der umliegenden Ungerechtigkeit nicht zufriedenzugeben, Leute wie Martin Luther King. Um ein Bild von C.S. Lewis zu verwenden: Ein Fisch im Wasser würde vermutlich niemals auf die Idee kommen, zu hinterfragen, ob er sich in der richtigen Umgebung befindet. Er befindet sich bereits im richtigen Element.
Aber bei uns ist es anders. Wir fühlen uns als ob wir in eine Welt hineingeworfen wurden, die nicht wirklich unser Zuhause ist. Wir haben Sehnsucht nach einer besseren, gerechteren, schöneren Welt. Es ist, als ob wir Heimweh haben, jeder einzelne von uns. Wir haben einen Hunger nach Frieden und Gerechtigkeit. Mit anderen Worten, wir wünschen uns, dass der wahre König kommt.
Die frohe Nachricht von Weihnachten ist, dass der wahre König in diese Welt gekommen ist: ein Spross aus Isai. Durch seinen Tod und durch seine Auferstehung hat er die Grundlage geschaffen für eine neue Schöpfung. Und eines Tages wird er zurückkommen und sein Werk vollenden.

Share

Fragebogen: Jesaja 40,1-11 — Weihnachten 2022

Download

Gottes Trost

„Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.“

(Jesaja 40,1)

  1. Warum befahl Gott, sein Volk zu trösten (1)? Was war Gottes tröstende Botschaft (2)? Was zeigen diese Verse über Gottes Liebe und seinen Willen, seine Leute wahrhaft zu trösten?
  2. Zu welcher Vorbereitung fordert Gott sein Volk, das er trösten will, durch eine Stimme in der Wüste auf (3-5)? Durch wen wurde diese Prophezeiung erfüllt und wessen Kommen hat er angekündigt (Lukas 3,1-6.16)?
  3. Was sollte über das Wesen des Menschen und über Gottes Wort gepredigt werden (6-8)? Wie macht diese Einsicht uns Menschen bereit, Gottes Wort zu hören und seine tröstende Botschaft anzunehmen?
  4. Was ist die frohe Botschaft, die Zion verkündigen soll (9-11)? Wie erfüllte Jesus diese Verheißung und wie erfüllt er sie bis heute?
  5. Was kannst du in diesem Text über Gottes Willen und sein Werk lernen, sein Volk wahrhaft zu trösten? In welchen Bereichen brauchst du zurzeit Gottes Trost? Wie kannst du durch Jesus von Gott wahrhaft getröstet werden?

 

 

Share

Predigt: Jesaja 49,1-6 — Weihnachten 2022

Download

Der Dienst des Gottesknechts

„ja, er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen. So mache ich dich ⟨auch⟩ zum Licht der Nationen, ⟨dass⟩ meine Rettung reicht bis an die Enden der Erde “

(Jesaja 49,6 [ELB])

Vor einigen Jahren war ich mit der Straßenbahn nach Schriesheim unterwegs, um einen Bekannten zu besuchen. Auf der Fahrt las ich in der Bibel. Eine junge Frau sah das und kam auf mich zu. Sie sagte mir sinngemäß Folgendes: „Oh, sie lesen ja die Bibel, ich auch. Ich habe eine Zeit lang das Buch Jesaja gelesen, aber ich habe es abgebrochen, dieses Buch zu lesen. Ich konnte es nicht mehr lesen, weil es ständig um Gericht geht.“ Ich versuchte sie zu ermutigen, das Buch trotzdem zu Ende zu lesen. Das Buch Jesaja ist in der Tat nicht so einfach zu verdauen, weil es viel um Gericht geht. Aber erstaunlicherweise wird ausgerechnet das Buch Jesaja als das „prophetische Evangelium“ bezeichnet. Das Buch Jesaja spricht auch viel von Gnade, insbesondere in den letzten Kapiteln des Buches. Diese Gnade würde niemals so aufleuchten, wenn nicht zuvor das Gericht in aller seiner Schrecklichkeit aufgezeigt werden würde. Gerade weil das Gericht so schrecklich ist, ist die Gnade Gottes so wunderbar herrlich. Von dieser herrlichen Gnade ist auch in den vier Liedern über den Gottesknecht die Rede. Doch wer ist eigentlich mit dem sogenannten Gottesknecht gemeint? Ist damit Jesaja gemeint oder Israel oder der Messias? Meinem Verständnis nach sowohl als auch. Es ist hier sowohl von der Berufung des Propheten und des Volkes Israels die Rede, aber gleichzeitig ist es auch eine Prophetie auf den kommenden Messias. In der Predigt soll es vor allem um die messianische Perspektive auf den Gottesknecht gehen.
Der heutige Text aus Jesaja 49 befasst sich mit einem dieser vier Lieder über den Gottesknecht. Die Bestimmung eines Knechts ist es, den Willen seines Herrn auszuführen. Ein Knecht ist dazu da, um zu dienen. Daher lautet der Titel der Botschaft: „Der Dienst des Gottesknechts“. Um diesen Dienst gut verstehen zu können, wollen wir uns mit dem Gottesknecht anhand von drei Fragen auseinandersetzen:
1. Von wem ist der Gottesknecht?
2. Wofür ist der Gottesknecht?
3. Für wen ist der Gottesknecht?

1. Gottes Berufung des Gottesknechtes (V. 1-3)

Wenn wir die Verse 1b bis 3 zusammen betrachten, gibt es eine gewisse Auffälligkeit:

Der HERR hat mich berufen vom Mutterleib an, hat von meiner Mutter Schoß an meinen Namen genannt. Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, hält mich versteckt im Schatten seiner Hand. Und er hat mich zu einem geschärften Pfeil gemacht, hat mich verborgen in seinem Köcher. Und er sprach zu mir: Mein Knecht bist du, Israel, an dem ich mich verherrlichen werde. (Jes 49,1b-3)

Gott ist hier der Handelnde. Erstens heißt es: „Der HERR hat mich berufen vom Mutterleib“. Die Berufung des Gottesknechtes kam von Gott. Zweitens heißt es: „von meiner Mutter Schoß an meinen Namen genannt“. Die Identität des Gottesknechts kam ebenfalls von Gott (denn mit Namen ist ja die Person und damit die Identität des Gottesknechts gemeint). Von an Anfang an hatte Gott bestimmt, wofür der Gottesknecht kommen sollte. Beides – sowohl Berufung als auch Identität – wurden bereits von Mutterleib an bestimmt. Der Gottesknecht wurde nicht erst zum Knecht Gottes, als er bestimmte Dienste für Gott vollbrachte. Er wurde nicht erst dann zum Gottesknecht, als er sich als Gottesknecht bewies. Nein, noch bevor er irgendetwas tat, war er bereits Gottesknecht. Seine Berufung und Identität beruhen ganz allein auf Gottes Erwählung und Bestimmung. Dies passt ganz genau auf Jesus. Noch bevor Jesus auf die Welt kam, waren bereits sein Name und seine Berufung festgelegt: „Und sie wird einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus nennen, denn er wird sein Volk retten von seinen Sünden“ (Mt. 1,21). Drittens heißt es: „Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht …“, und im Vers 5 steht: „der mich von Mutterleib an für sich zum Knecht gebildet hat“. Gott ist auch derjenige, der den Gottesknecht geformt und gebildet hat. Identität, Berufung und Gestaltung des Gottesknechts – alles, was den Gottesknecht ausmacht, ist von Gott. Der Gottesknecht ist nicht nur ein Mann für Gott, sondern durch und durch auch ein Mann von Gott.
Jetzt ist die Frage: Was hat das Ganze mit uns zu tun? Lasst uns das im zweiten und dritten Teil betrachten.

2. Der Gottesknecht – extra für uns (V. 1.6)

Die Worte des Gottesknechtes, die wir soeben betrachtet haben, sind ja nicht in erster Linie an Gott gerichtet. Vers 1 macht deutlich, an wen die Worte vom Gottesknecht eigentlich gerichtet sind: „Hört auf mich, ihr Inseln, und horcht auf, ihr Völkerschaften, ⟨die ihr⟩ von fern her ⟨seid⟩!“ Der Gottesknecht appelliert an die ganze Welt. Er ruft die ganze Welt zur Aufmerksamkeit. Die ganze Welt soll erfahren, zu was Gott ihn berufen hat. Die ganze Welt soll erfahren, was sein Name ist, also wozu der Gottesknecht bestimmt ist. Wer der Gottesknecht ist, und wozu er gekommen ist, ist von globaler Bedeutung. Daher der Appell: „Hört auf mich, ihr Inseln, und horcht auf, ihr Völkerschaften, ⟨die ihr⟩ von fern her ⟨seid⟩!“
Warum dieser weltweite Appell? Im Vers 6 wendet sich der Text erneut an die Nationen der Welt. Die Gnade, die Gott in Seinem Knecht bringt, ist so groß, dass es viel zu schade wäre, wenn der Gottesknecht nur für das Volk Israel gekommen wäre. Stell dir vor, jemand würde ein riesengroßes und traumhaftes Schloss vererbt bekommen, so ein Schloss, wie man es aus den Disney-Filmen kennt. Der Erbe würde aber nur allein darin leben. Nur eine Person im ganzen Schloss – wie schade wäre das doch! Das Schloss ist so groß, dass nicht nur eine Person, sondern viele andere davon in den Genuss kommen könnten. Ebenso ist es auch mit der Gnade, die Gott in Seinem Knecht bringt. Sie ist zu groß und zu wunderbar, als dass sie nur einem Volk widerfahren sollte. Lange Zeit hatte man geglaubt, dass der Messias nur für die Juden gekommen sei. Selbst nach Jesu Auferstehung brauchten die Apostel eine Zeit lang, um zu verstehen, dass das Heil auch den Heiden gilt. Doch am Ende von Vers 6 steht es ganz klar: „bis an die Enden der Erde“. Gottes Gnade, die er in seinem Knecht bringt, ist so groß, dass sie für die ganze Menschheit reicht. Sie ist nicht begrenzt.

Im ersten Teil haben wir hoffentlich gesehen, dass der Gottesknecht in jeglicher Hinsicht ein Mann von Gott ist. Nun sehen wir auch, für wen der Gottesknecht ist. Der Gottesknecht ist für die Welt. Der Gottesknecht ist von Gott für die Welt, für die Menschheit. Der Gottesknecht ist nicht für ein bestimmtes Volk, nicht für bestimmte Privilegierte, sondern für jeden einzelnen von uns – von Gott für dich und mich. Gerade weil der Gottesknecht ganz und gar von und für Gott ist, ist der Gottesknecht ganz und gar für uns.
Was ist aber konkret die Gnade, die der Gottesknecht uns bringt? Lasst uns das im 3. Teil der Predigt betrachten.

3. Die Gnade im Gottesknecht

Wie der Name schon sagt, ist der Gottesknecht von seinem Wesen her ein Diener. Gerade weil er voll und ganz dem Willen Gottes dient, ist er gekommen, um uns zu dienen. Er ist gekommen, um uns zu helfen. So heißt es in Mk 10,45: „Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“. Einzelne Stellen des Liedes zeigen, worin konkret dieser Dienst besteht:
In den Versen 5–6 steht, dass der Gottesknecht Israel zurückbringt, es sammelt und aufrichtet. Dies bezieht sich in erster Linie auf das Zurückbringen der Juden in ihr Land und die Wiederherstellung Israels als Staat. Die geographische und politische Wiederherstellung Israels steht in der Bibel mit der zukünftigen Umkehr Israels in Verbindung. Daher sind dieses Zurückbringen, Sammeln und Aufrichten auch in geistlicher Hinsicht zu verstehen. So heißt es auch nur wenigen Kapiteln weiter: „Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen ⟨eigenen⟩ Weg; aber der HERR ließ ihn treffen unser aller Schuld (Jes 53,6).“ Viele Menschen gehen ihren eigenen Weg. Viele wollen es so machen, wie sie es für richtig halten, wie es auch im Buch Richter heißt: „In jenen Tagen war kein König in Israel. Jeder tat, was recht war in seinen Augen.“ (Ri 17,6). Doch der Gottesknecht möchte vom eigenen Weg zurückbringen. Wie können wir dieses Zurückbringen verstehen? Angenommen ein Kind hat sich draußen in Kälte und Dunkelheit verirrt. Der Vater sucht es, findet es und bringt es nach Hause. Wie wohltuend ist doch dieses Zurückbringen für das Kind. Dieses Zurückbringen ist ein Zurückbringen nach Hause, zu unserem Gott und Vater.
Das Gehen seines eigenen Weges führt auch dazu, dass Gemeinschaften zerstört werden, weil jeder auf das Eigene bedacht ist. Aber was möchte der Gottesknecht an uns tun? Er möchte sammeln. Er tut es, indem er jedes einzelne verirrte Schaf von seinem eigenen Weg zurückbringen will.
Der Gottesknecht bringt nicht nur zurück und sammelt, sondern richtet auch auf. Letzte Woche haben wir erfahren, dass der Gottesknecht den glimmenden Docht nicht zerbricht (Jes 42,3). Der Gottesknecht ist nicht destruktiv, sondern konstruktiv. Sein Dienst an uns hat das Ziel, uns aufzurichten. Er möchte uns erbauen.
Vor allem am Ende von Vers 6 erfahren wir, worin dieser besondere Dienst des Gottesknechtes besteht, nämlich in Licht und Rettung für die Welt. Wie wir wissen ist Licht ein beliebtes Bild, das die Bibel verwendet. Licht ist eigentlich immer mit positiven Assoziationen verbunden:

 

Dass Licht ein Bild für Wahrheit ist, machen mehrere Bibelstellen deutlich:
Joh 3,20-21: Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
1. Joh 1,5b-6: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln doch in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit.

Wenn Menschen durch Jesus zur Erkenntnis der Wahrheit über Gott und damit auch über sich selbst kommen, sie glauben und annehmen; kommen die anderen Bedeutungen des Lichts (die im linken Pfeil stehen) in ihr Leben hinein und verändern es sehr ins Positive.

Die Welt kennt Gott nicht. Das Leben vieler Menschen würde ganz anders aussehen, wenn sie die Wahrheit über Gott wüssten. Diese Wahrheit würde viele ihrer Ängste, Traurigkeiten, Sorgen und Sünden aus ihrem Leben vertreiben. Sie würden mit einer anderen Perspektive durchs Leben gehen. Im Vers 6 steht allerdings nicht, dass der Gottesknecht das Licht zu den Nationen bringt, sondern dass er selber das Licht der Nationen ist. An der Person des Gottesknechts selbst wird die Wahrheit über Gott sichtbar. Jesus sagt: „Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Dabei sagt Gott, dass er ihn zum Licht der Nationen macht. Natürlich gilt das für das ganze Leben des Messias, aber ganz besonders als er am Kreuz starb, machte Gott ihn zum Licht der Nationen. Denn nirgendwo anders wird die Liebe Gottes zu uns Menschen, aber auch seine Gerechtigkeit und Heiligkeit deutlicher, als durch das Sterben des Gottesknechts am Kreuz. Im Vers 3 sagt Gott daher: „Mein Knecht bist du, Israel, an dem ich mich verherrlichen werde.“ Als der Gottesknecht am Kreuz starb, stellte Gott ein helles Licht für die Welt auf, sodass es alle Menschen sehen können, wie großartig Gott in Wirklichkeit ist und wie verkehrt ihr bisheriges Gottesbild ist. Gerade am Kreuz zeigt sich, dass der Messias durch und durch ein Knecht Gottes ist. Der Knecht Gottes dient den Menschen dadurch, dass er ihnen die wunderbare Wahrheit über Gott zeigt.

Zweitens nennt Vers 6b auch Rettung. Der Gottesknecht bringt Rettung. Dies hängt eng mit dem zusammen, dass er das Licht der Welt ist. Durch die Wahrheit über Gott erkennen Menschen, dass sie Sünder sind und Rettung brauchen. Das Schöne ist, dass der Gottesknecht nicht nur zeigt, dass sie Rettung brauchen, sondern auch Rettung bringt! Wie oben bereits erwähnt, kann meinem Verständnis nach unter dem Gottesknecht sowohl der Prophet Jesaja als auch der Messias verstanden werden – aber sowohl der Name „Jesaja“ als auch „Jesus“ haben die Bedeutung: „JAHWE ist Rettung“. Im Vers 2 sagt Gott daher: „hat von meiner Mutter Schoß an meinen Namen genannt.“ Die Identität des Gottesknechts besteht gerade darin, zu retten. So wurde auch noch vor Jesu Geburt bekanntgegeben: „er wird sein Volk retten von seinen Sünden“ (Mt 1,21). Der Gottesknecht rettet von den Sünden, die den Menschen in die Verdammnis bringen. Dabei ist er nicht nur bei unserer Bekehrung unserer Retter, sondern möchte diese Rolle beständig in unserem Leben einnehmen. Brenzlige Situationen können uns dazu veranlassen, dass wir, durch sündhafte Strategien, die Rolle des eigenen Retters spielen. Doch der Knecht Gottes möchte uns damit dienen, in jeder Situation unserer Retter zu sein.
In dem Text selbst bekommen wir ein wunderbares Beispiel dafür, was es heißt, Gottes Licht und Rettung in seinem Leben zuzulassen. Dieses Beispiel ist das Leben des Propheten Jesaja selbst. Im Vers 4 erfahren wir, dass sich der Prophet Jesaja beklagt: „Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verbraucht.“ In der Tat hatte der Prophet allen Grund sich zu beklagen. Jesaja hatte in Juda mehr als fünf Jahrzehnte lang gewirkt. Sein Wirken überdauerte die Regierungszeit von vier Königen. Doch was war das Resultat dieser Warnungen? Israel tat nicht Buße. Im Gegenteil, der Überlieferung nach wurde er unter König Manasse hingerichtet, und zwar dadurch, dass er mit einer hölzernen Säge zersägt wurde. Das Krasse ist, dass Gott es Jesaja bereits bei seinem Amtsantritt sagte, dass sein Reden auf taube Ohren stoßen würde. Jesaja wusste von Anfang an, dass seine Arbeit vergeblich sein würde. Jahrzehntelange Arbeit schienen für die Katz gewesen zu sein – wie frustrierend! Solche Situationen, in denen unsere Arbeit keine sichtbaren Früchte bringt, lassen es dunkel in uns werden. Doch wie kam Licht in Jesajas Leben? Vers 4 setzt fort mit den Worten: „Doch mein Recht ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott.“ Am Ende von Vers 5 heißt es: „ich bin geehrt in den Augen des HERRN, und mein Gott ist meine Stärke.“ Jesaja ließ viel Licht, also die Wahrheit Gottes, in sein Leben hineinströmen. Da sah die Sache auf einmal ganz anders aus. Von der Situation her sah es so aus, dass seine ganze Arbeit umsonst war. Doch Jesaja fasst dadurch Mut, indem er erkennt: „Mein Lohn ist bei meinem Gott!“. Jesaja konnte mehr als 50 Jahre lang einen Dienst ohne sichtbaren Erfolg tun, weil er eine wichtige Sache über Gott erkannte. Er sagte: „Mein Gott ist meine Stärke geworden“. Jesaja erfuhr von seinem Volk Verachtung und Ablehnung. Aber er ließ sich dadurch nicht von seinem Dienst entmutigen. Warum? Er sagte: „ich bin geehrt in den Augen des HERRN“. Bei Verachtung und Ablehnung ergreifen Menschen normalerweise eigene Rettungsversuche. Die einen ziehen sich zurück, andere wehren sich mit verbalen Gegenangriffen usw. Doch Jesaja hingegen ließ Gott seinen Retter sein, indem er sagte: „Mein Recht ist bei dem HERRN.“ Anstelle sich selbst Recht zu verschaffen, vertraute er auf das gerechte Gericht Gottes. Jesaja selbst ist daher ein wunderbares Vorbild darin, Gottes Licht und Rettung in seinem Leben zuzulassen.
Wie bereits erwähnt, ist ein Knecht dazu da, um zu dienen. Zurückbringen, sammeln, aufrichten, Licht und Rettung – das ist die Art und Weise, wie der Knecht Gottes uns dienen möchte. Gerade dazu hat Gott den Knecht Gottes berufen und geformt – von Gott extra für uns. Wann immer wir unsere eigenen Wege gehen, möchte uns der Knecht Gottes sagen: „Lass mich dir dienen.“ Er möchte uns zurückbringen, sammeln und aufrichten. Wann immer Dunkelheit in unserem Leben herrscht, möchte uns der Knecht Gottes sagen: „Lass mich dir dienen.“ Er möchte Licht in unserem Leben bringen. Indem er uns die Wahrheit über Gott mehr und mehr zeigt, können bestimmte Dinge und Situationen auf einmal ganz anders aussehen. Dadurch können Ängste und Sorgen im Nu verschwinden und sich stattdessen Hoffnung und Zuversicht breit machen. Dinge, die wir bisher als Probleme erachtet haben, sind dann vielleicht gar keine Probleme mehr, weil wir sie buchstäblich in einem anderen Licht sehen. Oder zumindest können wir trotz dieser Probleme doch Hoffnung und Zuversicht haben. Dinge, die wir für groß erachtet haben, werden dann auf einmal zu einer Kleinigkeit. Dinge, die wir für zu klein erachtet haben, werden dann auf einmal zu einer Wichtigkeit. Im Licht Gottes wird klar, was im Leben wirklich zählt usw. Wann immer wir versuchen, unser eigener Retter zu spielen, möchte der Knecht Gottes uns sagen: „Lass mich dir dienen.“ Der Knecht Gottes ist, was Rettung angeht, ein Profi, ein Meister. Lassen wir ihn in jeder Situation unser Retter sein, anstelle mit unseren eigenen Rettungsversuchen die Lage zu verschlimmern.
Wenn von einem Dienst, der an mir getan wird, die Rede ist, kann man leicht denken, dass es sich hierbei immer um eine angenehme Sache handelt. Ist das beim Dienst des Gottesknechts auch so? Betrachten wir hierzu einmal Vers 2. Hier ist ausgerechnet von Waffen die Rede, und zwar von einem Schwert und einem Pfeil. Bei beiden wird ausdrücklich erwähnt, dass sie geschärft sind. Am Anfang von Vers 2 steht: „Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht.“ Der Dienst des Gottesknechts geschieht durch seinen Mund, d.h. durch sein Wort. Sein Wort geschieht immer genau zum rechten Zeitpunkt und ist scharf. Denn das Wort des Gottesknechts ist Gottes Wort. Hebr 4,12 beschreibt Gottes Wort so: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“ Das Wort des Gottesknechts deckt auf, überführt, trifft das Gewissen, bringt verborgene Motive des Herzens ans Licht usw. Das Wort Gottes ist trennscharf. D. h. es kann exakt unterscheiden zwischen Gut und Böse, sodass Menschen, die in Selbstbetrug leben, überführt werden können. In einem Kommentar hierzu heißt es: „sein Wort ist wie das seines Gottes ein eindeutiges, das auf Veränderung der Wirklichkeit zielt (…) ein Wort, das zwar Heil bringt, aber zugleich auch Unheil für den, der es nicht annimmt.“ (1 SCHNEIDER, D. 1988: 163). Das Wort des Gottesknechts ist so scharf, dass er sich bei denjenigen, die es nicht annahmen, in Lebensgefahr brachte. Die religiösen Leiter nahmen Jesu Wort nicht an, vielmehr wuchs ihr Hass zunehmend ihm gegenüber, bis dass sie ihn umbringen wollten. Doch wie sehr sich Jesus auch in Lebensgefahr befand, ihm geschah solange nichts, bis der Zeitpunkt Gottes gekommen war. Im Vers 2 steht: „hält mich versteckt im Schatten seiner Hand“. Obgleich der Gottesknecht wegen der Schärfe seines Wortes in Lebensgefahr schwebt, steht er doch unter Gottes Schutz. Das Wort des Gottesknechts muss scharf sein. Denn sonst könnte der Gottesknecht nicht zurückbringen, sammeln und aufrichten. Als ich mir vor einigen Jahren die Nase gebrochen hatte, musste sie per Operation wieder zurechtgebracht werden. Hierzu steckte der Arzt zwei Stäbe in meine Nase, jeweils eins pro Nasenloch. Als er nun anfing, meine Nase mithilfe dieser zwei Stäbe zurechtzubringen, war das alles andere als angenehm. Genauer gesagt, hatte es mir ungeheure Schmerzen bereitet. Es kam mir vor, als befände ich mich gerade in einer Folterkammer. Doch war das Resultat dieses Dienstes? Meine Nase wurde wieder zurechtgebracht (zumindest einigermaßen). Was möchte ich mit diesem Beispiel sagen? Wenn andere einen guten Dienst an uns tun, ist das nicht immer gleichbedeutend damit, dass dieser Dienst auch angenehm ist. Der Dienst des Gottesknechts ist zwar nicht immer angenehm, doch sucht er unser Bestes. Menschen verweigern sich dem Dienst des Gottesknechts, weil er ihnen zu unangenehm ist. Aber ist das weise? Was wäre aus meiner Nase geworden, wenn ich es dem „Folterarzt“ nicht erlaubt hätte, sie wieder zurechtzubringen? Daher möchte ich mit dieser Frage abschließen: „Inwieweit gebe ich dem Gottesknecht in meinem Leben Raum, mir zu dienen?“

______

1 SCHNEIDER, D. (1988): Der Prophet Jesaja. Erklärt von Dieter Schneider. In Wuppertaler Studienbibel, S. 163. SCM R. Brockhaus.

Share

Fragebogen: Jesaja 49,1-6 — Weihnachten 2022

Download

Das Licht der Heiden

„Er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.“

(Jesaja 49,6)

  1. Wer sollte diese Botschaft des Propheten hören (1a)? Was sagt er über seine Berufung (1b)? Und darüber, wie Gott ihn dafür ausgerüstet hat (2)?
  2. Was war das Ziel der Berufung (3)? Wie dachte der Prophet aber über seinen Dienst? Was bedeutet es, dass Gott ihn hier mit „Israel“ anredet?
  3. Woran erinnert sich der Prophet im Vers 5 und wie wird er dadurch offensichtlich ermutigt? Warum ist es auch für uns wichtig, dass wir unsere Berufung von Gott kennen und uns immer wieder daran erinnern?
  4. Was sagt Gott ihm darüber, welches größere Werk er durch ihn noch tun will (6)? Was sagt das über Gottes Liebe zu allen Völkern und über seinen Plan? Auf wen bezieht sich dieses Wort (Jes 60,3; Lk 2,32; Joh 8,12; Apg 13,47)? Warum ist das auch heute eine gute Nachricht?
Share