Predigt: Apostelgeschichte 21,1-22,29

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Paulus zog nach Jerusalem hinauf

Nach diesen Tagen machen wir uns fertig und zogen hinauf nach Jerusalem.“

(Apostelgeschichte 21,15)

„Reise nach Jerusalem“ ist ein bekanntes Gesellschaftsspiel. Beim Spiel versucht jeder sich so schnell wie möglich auf einen Stuhl zu setzen, sobald die Musik gestoppt wird. Wer sich keinen Platz erkämpft, scheidet aus.

Nun möchte ich mit euch eine echte Reise nach Jerusalem betrachten. Als die Evangelisation durch Paulus in Ephesus ihren Höhepunkt erreichte, nahm sich Paulus vor, nach Rom zu reisen. In Apg 19,21 steht: „Als das geschehen war, nahm sich Paulus im Geist vor, durch Makedonien und Achaia zu ziehen und nach Jerusalem zu reisen, und sprach: Wenn ich dort gewesen bin, muss ich auch Rom sehen.“

Warum er zuerst nach Jerusalem reisen wollte, erklärte er in seinem Brief an die Gemeinde in Rom:

Jetzt aber reise ich nach Jerusalem, um den Heiligen zu dienen. Denn Makedonien und Achaia haben eine Gabe der Gemeinschaft beschlossen für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem. Sie haben’s beschlossen, denn sie sind auch ihre Schuldner. Denn wenn die Heiden an ihren geistlichen Gütern Anteil bekommen haben, ist es recht und billig, dass sie ihnen auch mit irdischen Gütern dienen.“ (Römer 15,25-27)

Also wollte er die Spenden, die von den Gemeinden in Europa gesammelt wurden, der Gemeinde in Jerusalem zur Sicherheit selbst aushändigen.

Die Stelle in Apg 20,16 erklärt, dass Paulus sich beeilte, bis zum Pfingsttag in Jerusalem zu sein. Lesen wir die Verse Apg 20,22-24 zusammen: „Und nun siehe, durch den Geist gebunden, fahre ich nach Jerusalem und weiß nicht, was mir dort begegnen wird, nur dass der Heilige Geist mir in allen Städten bezeugt, dass Fesseln und Bedrängnisse auf mich warten. Aber ich achte mein Leben nicht der Rede wert, wenn ich nur meinen Lauf vollende und das Amt ausrichte, das ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes.“ Paulus wusste nicht, was ihm genau in Jerusalem begegnen wird. Er wusste nur durch den Heiligen Geist, dass Fesseln und Bedrängnisse auf ihn warteten. Dennoch wollte er seinen Reiseplan nach Jerusalem nicht ändern, da er dort das Evangelium von der Gnade Gottes bezeugen wollte.

Für diese Reise nahm Paulus folgende Mitarbeiter mit: Sopater aus Beröa, aus Thessalonich Aristarch und Sekundus und Gajus aus Derbe und Timotheus, aus der Provinz Asien Tychikus und Trophimus (Apg 20,4). Der Verfasser Lukas steht nicht in der Liste, doch er war sicher auch dabei.

Paulus erreichte zuerst Tyrus mit seinem Reiseteam. Als sie dort die Jünger vorfanden, blieben sie 7 Tag bei ihnen. Die Jünger in Tyrus warnten Paulus davor, nach Jerusalem weiterzureisen. Der Heilige Geist hatte sie wissen lassen, welche Gefahren ihm dort begegnen würden. Sie zogen weiter nach Ptolemais. Dort blieben sie einen Tag bei den Brüdern. Am nächsten Tag zogen sie weiter nach Cäsarea, wo der Evangelist Philippus wohnte. Dorthin kam der Prophet Agabus aus Judäa. Er nahm den Gürtel von Paulus und band sich die Füße und Hände. Dann sprach er: Die Juden in Jerusalem werden ihn so binden und den Heiden ausliefern. Wiederum baten alle, die Paulus liebten, dass er nicht nach Jerusalem hinauf zöge.

Auf ihre Bitte antwortete er nur so: „Warum weint ihr und macht mir das Herz schwer? Ich bin nicht nur bereit, mich in Jerusalem gefangen nehmen zu lassen, ich bin auch bereit, dort für Jesus, den Herrn zu sterben. Weil er fest entschlossen war, hörten sie auf, ihn zu überreden und sagten: Des Herrn Wille geschehe.“ (Apg 21,13.14)

Lesen wir den Apg 21,15 zusammen. „Und nach diesen Tagen machten wir uns fertig und zogen hinauf nach Jerusalem.“ Obwohl alle Paulus baten, nicht nach Jerusalem zu reisen, wurde die Reise nach Jerusalem nicht gestoppt.

Schließlich erreichte Paulus mit seinem Reiseteam die Jerusalem. Lesen wir den Vers Apg 21,17 zusammen. „Als wir nun nach Jerusalem kamen, nahmen uns die Brüder gerne auf.“ Es hat sich gelohnt, trotz aller Warnung dorthin zu kommen, weil die Brüder Paulus und die Heidenchristen gerne aufnahmen. Gemeinsam gingen sie zu Jakobus, der die Gemeinde leitete. Bei ihm versammelten sich die Ältesten. Als Paulus sie begrüßt hatte, berichtete er ausführlich, was Gott unter den Heiden durch seine Arbeit getan hatte. Was war ihre Reaktion auf seinen Bericht? Sehen wir uns den Vers Apg 21,20a an: „Als sie aber das hörten, lobten sie Gott.“ Sie erkannten darin die Überwindung der Grenze zwischen den Juden und den Heiden und erkannten die Arbeit von Paulus unter den Heiden als Gottes Werk an. Somit wurden die Heidenchristen aufgenommen, so dass sie mit den Judenchristen zusammen den Leib Christi bilden durften. Es war eine lange Geschichte, dass die Juden mit den Samaritern keine Gemeinschaft hatten. Darüber hinaus betrachteten die Juden die Heiden wie Hunde. Aber Jakobus und die Ältesten lobten Gott, als sie den Bericht von Paulus hörten.

Doch dann äußerten sie ihre Befürchtung. Und zwar missverstanden tausende Judenchristen Paulus. Sie meinten: Paulus lehrt alle Juden den Abfall von Mose. Ihrer Meinung nach sei Paulus gegen ihre Ordnung und ihre Tradition. Weil sie alle für das Gesetz eiferten, konnten sie Paulus nicht tolerieren. Daher gab die Gemeindeleitung in Jerusalem Paulus einen Rat, um das Missverständnis abzubauen. Paulus sollte in den Tempel gehen und den Juden öffentlich zeigen, dass er alle vom Gesetz geforderten Reinigungsvorschriften erfüllte. Durch diese Aktion sollte Paulus beweisen, dass alle Gerüchte über ihn nicht wahr seien. Paulus nahm diesen Vorschlag an. Eine Woche lang lief alles ohne irgendeinen Zwischenfall. Als die sieben Tage zu Ende gingen, sahen ihn die Juden aus der Provinz Asien im Tempel. Sie schrien: „Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden lehrt gegen unser Volk, gegen das Gesetz und gegen diese Stätte; dazu hat er auch Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte entweiht.“ (21,28) Das ganze Volk wurde durch sie erregt und die ganze Stadt geriet in Aufruhr. Die Juden ergriffen Paulus und schleppten ihn aus dem Tempel, um ihn zu töten.

Da kam die Nachricht davon hinauf vor den Oberst der Abteilung, dass ganz Jerusalem in Aufruhr sei. Als die er mit seinen Soldaten zu ihnen kam, hörten sie auf, Paulus zu schlagen. Obwohl der Oberst wissen wollte, wer Paulus wäre und was er getan hätte, konnte er keine genaue Information bekommen. Denn jeder sagte etwas anderes. Wegen des Gedränges der Menge mussten die Soldaten Paulus in die Burg tragen. Die Volksmenge folge und schrie: Weg mit ihm!

In so einer dramatischen Lage bat Paulus den Oberst, ihm zu erlauben, zu seinem Volk zu reden. Der Oberst ignorierte die Bitte von Paulus nicht, sondern erlaubte sie. In Kapitel 22 erzählte Paulus seine Bekehrungsgeschichte. Er sprach von seiner jüdischen Herkunft, von seiner Ausbildung durch den bekannten Lehrer Gamaliel, von seinem Eifer für Gott und er bekannte ihnen: Er sei ein Verfolger der Christen gewesen. Aber Jesus besuchte ihn, als er nach Damaskus reiste, um die Christen dort festzunehmen. Weil ein helles Licht seine Augen blendete, wurde er blind. Dennoch ließ Jesus ihn wieder sehen. Jesus schickte ihm seinen Diener Hananias. Obwohl Paulus gegen die Christen gewesen war, wurde seine Sünde abgewaschen. Als Paulus von Damaskus nach Jerusalem zurückkam, sprach Jesus zu ihm, Jerusalem schnell zu verlassen. Eigentlich wollte Paulus seinem Volk von Jesus erzählen. Aber damals sagte Jesus zu ihm: „Sie werden dein Zeugnis von mir nicht hören.“ (21,18) „Geh hin; denn ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden.“ (22,21) Das war die Bekehrungsgeschichte von Paulus. Als die Juden Paulus bis dahin zugehört hatten, erhoben sie ihre Stimme und riefen: „Hinweg mit diesem von der Erde! Denn er darf nicht mehr leben.“ (22,22b) Auf die Erzählung über seine Bekehrung reagierten die Juden voller Empörung. Aus Wut schrien sie und zerrissen ihre Kleider.

Als Paulus in Ephesus seine dritte Missionsreise beendete, nahm er sich vor, nach Jerusalem zu reisen. Für die Reise sammelte er Spenden von den Gemeinden, um die hungerleidende Gemeinde in Jerusalem zu unterstützen. Trotz aller Warnungen vor den Gefahren reiste er nach Jerusalem. Nun begegneten ihm Fesseln und Bedrängnisse, wie es ihm mehrfach gesagt wurde.

Als mir dieser Predigttext zugeteilt wurde, fing ich an, darüber nachzudenken, was der Text aussagen will. Sicher kann die Entschlossenheit von Paulus für den Herrn zu sterben ein Punkt sein. Seine Reise nach Jerusalem erinnerte mich an den Weg Jesu nach Jerusalem. In Lukas-Ev. 9,51 lesen wir dazu: „Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, dass er in den Himmel aufgenommen werden sollte, da wandte er das Angesicht, entschlossen, nach Jerusalem zu wandern.“ So wie Jesus entschlossen nach Jerusalem wanderte, wollte auch Paulus unbedingt nach Jerusalem reisen. Warum zog er nach Jerusalem hinauf, obwohl Gefahren auf ihn warteten? Ein Grund sein, dass er die gesammelten Spenden sicher zur Muttergemeinde gebracht werden sollten. Daher konnte er diese Aufgabe nicht anderen überlassen, sondern wollte unbedingt selbst die Gabe aushändigen. Zum anderen kann es sein, dass die Heidenchristen als ein Teil des Leibes Christi von der Muttergemeinde anerkannt werden sollen. Eigentlich wurden die Heidenchristen schon längst als ein Teil des Leibes Christi akzeptiert. Dennoch gab es viel Missverständnisse über sie. Durch den Besuch wollte er die Gemeinschaft zwischen den Brüdern in Jerusalem und den Heidenchristen stärken. Darum nahm er auch mehr als 7 Mitarbeiter, die meist Heidenchristen waren, auf die Reise mit.

Diese zwei genannten Gründe könnten eine dafür Erklärung sein, warum Paulus nach Jerusalem ging. Obwohl die zwei Gründe plausibel klingen, fragte ich mich weiterhin: Warum reiste Paulus hinauf nach Jerusalem? Als Antwort fand ich einen weiteren Grund. Im Römerbrief 9,1-3 sagt Paulus: „Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. Denn ich wünschte, selbst verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch.“ Seit seiner Bekehrung war er die ganze Zeit unterwegs für die Menschen, die Juden waren. Jesus berief ihn, um ihn zu den Heiden zu senden. Daher war er dem Auftrag des Herrn durch seine erste, zweite und dritte Missionsreise gehorsam. Nach diesen „Dienstreisen“ hatte er noch vor, auch Rom zu besuchen und danach nach Spanien zu reisen. Bis ans „Ende der Welt“ wollte er für den Herrn seine Missionsaufgabe erfüllen. Aber in seinem Herzen hatte er ein ungelöstes Problem, nämlich große Traurigkeit und Schmerzen. Sein eigenes Volk war verflucht und von Christus getrennt, während die Heiden, die ohne Gott lange Jahre gelebt haben, gesegnet werden. Sein Wunsch war, an Stelle seiner Stammverwandten selbst verflucht zu werden und von Christus getrennt zu werden, wenn sie dadurch gerettet werden könnten. Darum kann ich sagen, dass seine Liebe zu seinem Volk der Juden ihn nach Jerusalem geführt hat. Es wäre nur allzu menschlich, wenn er Angst vor den Gefahren in Jerusalem hätte. Viele Male hat er Gefahren durch sein eigenes Volk erlebt. Die Verse aus Römerbrief 15,30-32 zeigen, dass er um die Gebetsunterstützung bat, um vor den Ungehorsamen errettet zu werden: „Ich ermahne euch aber, Brüder und Schwestern, durch unsern Herrn Jesus Christus und durch die Liebe des Geistes, dass ihr mir kämpfen helft und für mich zu Gott betet, dass ich errettet werde vor den Ungehorsamen in Judäa und mein Dienst, den ich für Jerusalem tue, den Heiligen willkommen sei, damit ich mit Freuden zu euch komme nach Gottes Willen und mich mit euch erquicke.“ Er war sich dessen bewusst, dass die Juden versuchen würden, ihn zu töten. Dennoch liebte er sein Volk mehr als sein Leben. Wie kann man seine Liebe auf menschliche Weise verstehen? Paulus bekannte in seinem Brief an die Galater: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20) Paulus selbst kann die Menschen nicht lieben, aber Jesus Christus, der in ihm lebt, liebt die Menschen, die ihn hassen. Als Jesus vor Pilatus verhört wurde, schrien die Juden: „Kreuzige ihn“. Aber am Kreuz betete Jesus zu Gott: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Das gleiche hörte Paulus von seinem Volk: „Hinweg mit diesem von der Erde! Denn er darf nicht mehr leben.“ Trotz ihrer Ablehnung wollte er seine letzte Kraft dafür nutzen, ihnen die Gnade der Vergebung zu bezeugen. Er berechnete nicht, was sein Zeugnis bringen würde. Sein Zeugnis kann nur ein törichter Versuch sein, weil sein Volk nicht zuhören wird. Aber seine Tat wird unauslöschlich ins Herz Gottes geschrieben. Als Stephanus gesteinigt wurde, stand Paulus in der Nähe und hörte: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Stephanus Tod sah vergeblich aus, weil Paulus dadurch nicht bekehrt wurde. Aber sein Tod war wie ein Same, der ins Herz Gottes eingepflanzt wurde. Paulus, der Verfolger der Gemeinde wurde zum Apostel verändert. Wer hätte das gedacht? Aber Gott bringt zu seiner Zeit seine Früchte. Wer weiß, wann unsere Mitmenschen das Evangelium aufnehmen und Gott loben werden? Die Liebe Christi, die Paulus befähigt hat, nach Jerusalem zu reisen, haben wir ebenso empfangen. In uns wohnt Christus, der sein Leben für uns hingegeben hat und auferstanden ist. Das ist die Antwort, warum wir trotz aller Gefahren und Verlusten die anderen Menschen lieben können. Lasst uns „hinauf nach Jerusalem ziehen“, wo Fesseln und Bedrängnisse auf uns warten. Unser Alltag kann unser Jerusalem sein. Unser Arbeitsplatz kann für uns unser „Jerusalem“ sein. Wo die Menschen sind, die uns geringachten und nicht akzeptieren, da ist unser „Jerusalem“. Aber gerade dorthin können wir gehen, weil Christus in uns wohnt. Es mag sein, dass unser Dasein keine Bedeutung für unsere Mitmenschen zu haben scheint. Aber wir können etwas bleibendes ins Herz Gottes schreiben, indem wir unsere Mitmenschen lieben. Zu seiner Zeit wird er seine Früchte bringen. Das ist unser Glaube. Amen.

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Predigt: Apostelgeschichte 20,17-38

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Abschied von der Epheser Gemeinde

„Und jetzt vertraue ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade an, das die Kraft hat, aufzubauen und das Erbe in der Gemeinschaft der Geheiligten zu verleihen.“

(Apostelgeschichte 20,32 [EHÜ])

Wir haben gesagt, dass die Apostelgeschichte ein Bericht darüber ist, wie Gott durch die christliche Gemeinde seine Verheißungen an Israel erfüllt. Nur ein Beispiel unter unzähligen: In Hesekiel 34 verspricht Gott, dass er sich um seine Schafe kümmern wird. „Ich, ich selber werde meine Schafe weiden und ich, ich selber werde sie ruhen lassen spricht Gott, der HERR.“ Natürlich erfüllt sich dieses Wort in Jesus: Jesus ist der gute Hirte, der sein Leben für die Schafe gegeben hat. Und Jesus ist der Herr seiner Gemeinde, in der dieses Versprechen gelebt wird, wie wir im heutigen Text sehen.
Paulus befindet sich auf der Reise zurück nach Jerusalem. Er hat in der Stadt Philippi das Passafest gefeiert, vermutlich als Osterfest. Er hatte die Absicht, noch vor Pfingsten in Jerusalem zu sein. Weil Paulus keine Zeit zu verlieren hatte, trifft er die Entscheidung, nicht nach Ephesus zu reisen. Stattdessen lässt er die Ältesten der Gemeinde von Ephesus nach Milet kommen. Und er hält seine Abschiedsrede. Lukas überliefert uns in der Apostelgeschichte eine ganze Anzahl von öffentlichen Ansprachen und Predigten gehalten von Petrus, Stephanus und vor allem von Paulus. Manche von diesen Reden wurden in sehr feindseligen Umgebungen gehalten, z. B. vor Menschen, die den Redner umbringen wollten. Praktisch alle diese Reden richteten sich an nichtgläubige Menschen. Die Rede von Paulus im heutigen Text ist die große Ausnahme. Es ist die einzige Rede in der Apostelgeschichte, die sich an Christen richtet. Paulus war praktisch der Pastor der Epheser Gemeinde gewesen, eine Funktion, die er nicht länger ausüben konnte.
Wir können durch diesen reichhaltigen Text einiges über die christliche Gemeinde lernen. Mindestens drei Punkte können wir hier mitnehmen. Erstens, die Gemeinde ist gründet auf Wahrheit; zweitens, sie ist verbunden in Liebe; und drittens, sie ist Gott und dem Wort seiner Gnade anvertraut.

1. Gegründet auf Wahrheit
In mindestens fünf Stellen seiner Rede sagt Paulus ihnen, dass er vor allen Dingen immer wieder eine Sache getan hatte: Er hatte gepredigt, gelehrt, bezeugt, verkündigt, ermahnt. Vers 20: „wie ich nichts verschwiegen habe von dem, was heilsam ist. Ich habe es euch verkündet und habe euch gelehrt, öffentlich und in den Häusern.“ Vers 21: „Ich habe vor Juden und Griechen Zeugnis abgelegt für die Umkehr zu Gott und den Glauben an Jesus, unseren Herrn.“ Vers 24: „das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen.“ Vers 27: „Denn ich habe mich der Pflicht nicht entzogen, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkünden.“ Vers 31: „Seid also wachsam und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht aufgehört habe, unter Tränen jeden Einzelnen zu ermahnen.“
Paulus‘ Rückblick deckt sich perfekt mit dem, was Lukas über Paulus‘ Wirksamkeit berichtet hatte. Drei Monate hatte Paulus in der Synagoge gelehrt. Danach hatte er zwei Jahre lang täglich im Lehrsaal des Tyrannus gepredigt. Paulus‘ primäre Tätigkeit bestand also darin, zu lehren. Die christliche Gemeinde ist zu vielen verschiedenen Diensten berufen. Aber eine ganze zentrale Berufung der Gemeinde Jesu ist es, die Wahrheit zu verkünden. Und die Gemeinde Jesu selbst ist auf Gottes Wahrheit gegründet. Weil dem so ist, ist die größte Bedrohung der Gemeinde nicht äußere Verfolgung, sondern falsche Lehre. Verse 29 und 30 sagen dazu: „Ich weiß: nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen. Und selbst aus eurer Mitte werden Männer auftreten, die mit ihren falschen Reden die Jünger auf ihrer Seite ziehen.“ Gottes Wahrheit ist das Fundament der Gemeinde.
Ein paar Gedanken dazu, was das eigentlich bedeutet. Hier ist ein Beispiel, das ich von Tim Keller gelernt habe. Angenommen jemand würde sagen: „Ich würde gerne J. kennenlernen. Für mich ist J. ein ganz typischer bayrischer Braumeister.“ Dann könnte man drei Dinge dazu sagen: zum einen, nichts gegen bayrische Braumeister; die machen richtig gutes Bier. Als zweites, wir leben in einem Land, indem Meinungsfreiheit herrscht; d. h., du kannst gerne alles Mögliche über J. denken und meinen, und du hast die Freiheit, das zu tun. Aber drittens, J. ist ein vielseitig begabter, talentierter junger Mann. Das, was er nicht ist, ist Braumeister und bayrisch schon gar nicht. Und wenn du dich auf J. einlassen willst, wenn du eine persönliche Beziehung zu ihm haben willst, dann musst du verstehen, wer er wirklich ist. Dein Verständnis von ihm muss auf der Wahrheit gegründet sein.
Auf einer ungleich viel höheren Ebene gilt das für Gott. In unserer Gesellschaft meinen viele, dass es kein „richtig“ und „falsch“ gibt, was den Glauben betrifft: „Jeder kann das glauben, was er will, weil es keine absolute Wahrheit gibt.“ Die Bibel widerspricht dieser Annahme vehement. Ich hatte vor einiger Zeit schonmal erzählt, wie mein ehemaliger Chef und ich uns während einer Autofahrt über den Glauben unterhalten hatten. Er meinte: „Ach weißt du, im Prinzip sind doch alle Religionen gleich. Alle glauben an den gleichen Gott.“ Und meine Antwort war: „Das stimmt nicht. Im Zentrum des christlichen Glaubens ist der Sohn Gottes, der am Kreuz für seine Feinde stirbt, und für die Vergebung der Menschen betet, die ihm das angetan haben.“ Keine andere Religion verkündet so etwas. Wenn du ein Leben führen willst, das etwas mit dem zu tun hat, was real und was wirklich ist, dann brauchst du Wahrheit. Jesus sagte: „Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Joh 2,24 [EHÜ])Wenn du eine persönliche Beziehung zu Gott haben willst, dann musst du Gott in Wahrheit begegnen. Du musst wissen, wer dieser Gott ist, und du musst verstehen, wer du vor diesem Gott bist.
Wir haben gesehen, dass Paulus die Wahrheit verkündigt hat. Seine Rede gibt uns auch Einblicke in die Art und Weise, wie Paulus die Wahrheit verkündete. In Vers 20 sagt, dass er nichts verschwiegen hat von dem, was heilsam ist. Wir können davon ausgehen, dass Paulus Lehre in den zwei Jahren sehr gründlich und sehr systematisch war. Paulus hat nichts ausgelassen. Seine Lehre war vollständig.
Sehen wir uns noch einmal Vers 20 an: „Ich habe es euch verkündet und habe euch gelehrt, öffentlich und in den Häusern.“ Paulus Verkündigung war vielseitig. Es waren öffentliche Ansprachen, also Predigten im klassischen Sinne. Das tat er vor vielen Leuten, vielleicht vor hunderten von Zuhörern. Und Paulus lehrte auch im privaten Umfeld, wenn er von den Christen in ihre Familien nach Hause eingeladen wurde. Und er tat es auch ganz persönlich. N.T. Wright fasst das Ganze zusammen: „Und wenn [Paulus] weiter zurückblickt und an die vielen späten Nächte in beleuchteten Räumen und die vielen langen Nachmittage im Hörsaal des Tyrannus sowie an die tausend persönlichen Gespräche denkt, die er über einen Text der Heiligen Schrift gebeugt mit einem halbfertigen Zelt auf der Bank neben sich geführt hat, spricht er davon, dass er ihnen entschlossen den ganzen Plan Gottes erklärt hat.“
„Plan“ ist ein gutes Stichwort. Wir bekommen einen kleinen Einblick in den Inhalt seiner Verkündigung. Vers 27 noch einmal: „Denn ich habe mich der Pflicht nicht entzogen, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkünden.“ Das Wort Ratschluss in Vers 27 kann mit Plan übersetzt werden. Paulus hat den ganzen Plan Gottes verkündigt. Der Plan Gottes sind nicht einfach Gebote oder Regeln („Tu dies, tu das, das lässt du schön bleiben“) oder Lehrsätze. Der Plan Gottes ist eine Geschichte. Der Plan Gottes beginnt mit der Berufung von Abraham, er geht weiter mit Israel, danach Jesu Kommen, sein Leben, sein Sterben, seine Auferstehung, und die Geschichte endet mit Jesu Rückkehr, wenn er richten wird und alle Dinge rechtmachen wird. Der Plan Gottes handelt davon, wie der Gott Israels eine verlorene Welt rettet und wiederherstellt.
Eine Anwendung noch, bevor wir fortfahren: Gottes Wahrheit kann richtig unbequem sein. Die Bibel kann noch unbequemer und noch schmerzhafter sein, als zum Arzt zu gehen und vom Arzt gesagt zu bekommen: „Sie haben Übergewicht und Diabetes. Wenn Sie ihr Essverhalten und ihre Lebensweise nicht ändern, werden Sie frühzeitig versterben.“ Gottes Wahrheit stellt uns die Diagnose aus, dass wir alle verloren sind. Und Gottes Wahrheit zeigt uns die einzige therapeutische Intervention, die uns retten kann, ist, Vertrauen auf Jesus. Ganz viele Leute in unserer Zeit sagen: „Ich kann mit der Bibel oder mit dem christlichen Glauben nichts anfangen, weil es Dinge darin gibt, mit denen ich nicht einverstanden bin. Ich fühle mich vor dem Kopf gestoßen“ oder „die Bibel ist intolerant“. Vielleicht geht es dir in Teilen ähnlich?
Und wisst ihr was? Die Tatsache, dass es in der Bibel Aussagen gibt, die uns nicht in den Kram passen, ist ein Indiz dafür, dass die Bibel wirklich Gottes Wort ist. Es gibt keine Kultur, die wirklich mit der Bibel konform ist. Die Bibel wird in jeder Gesellschaft, in jeder Kultur, egal aus welcher Zeit, anecken. Zum Beispiel, unsere Gesellschaft kann nicht akzeptieren, dass Gott den Menschen als Mann und Frau schuf, weil unsere Gesellschaft der Meinung ist, dass Geschlecht Teil unserer selbstbestimmten Identität ist. Oder unsere Gesellschaft hat damit Probleme, dass das Leben von Ungeborenen geschützt werden muss; oder, dass Sex außerhalb der Ehe Sünde ist. Im Nahen Osten würden die muslimischen Menschen sagen, dass sie das, was die Bibel zu Sexualität und Geschlechteridentität sagt, sehr gut finden; vielleicht könnte es noch ein wenig strenger sein. Aber sie ecken mit Aussagen an, dass wir unsere Feinde lieben sollen, dass wir einander vergeben sollen, oder dass Gott in Jesus Christus für uns am Kreuz litt.
Die Bibel macht selbst christlichen Denominationen zu schaffen. Evangelikale Christen sind vor dem Kopf gestoßen, weil die Bibel sagt, dass wir die Armen lieben sollen (Paulus sagt das auch in Vers 35), dass soziale Gerechtigkeit essenziell ist, und dass wir zu den Ausländern barmherzig sein sollen, dass deshalb jede Form von Xenophobie und Fremdenhass selbst unter dem Deckmantel christliche Werte zu verteidigen, Sünde ist. Liberale Christen werden vor den Kopf gestoßen, weil die Bibel sagt, dass Jesus kommen wird, die Lebenden und die Toten zu richten und dass nur in Jesu Namen das Heil ist. Die Bibel macht es niemanden recht. Selbst wir werden immer wieder aufs Neue herausgefordert, obwohl wir uns auf die Bibel berufen. Und das spricht dafür, dass die Bibel wahr ist.
Diese Wahrheit ist es, auf welcher die christliche Gemeinde gegründet ist.

2. Verbunden in Liebe
S.L., einer meiner besten Freunde hatte einmal gesagt, dass wenn man mit jemanden Fußball spielt, man die Leute noch einmal ganz anders kennenlernen kann. Da können sich ganz neue Facetten auftun. In dieser Rede sehen wir bei Paulus ganz neue Facetten, die wir sonst in der Apostelgeschichte nicht gesehen hatten. Um noch einmal N.T. Wright zu zitieren: „Hier sehen wir Paulus also in einem anderen Modus, verletzlich, nachdenklich, beständig in seiner treuen Beharrlichkeit, aber ohne jeden Anflug von Triumphalismus […]. Er ist ruhig, nicht kämpferisch; nachdenklich, nicht streitlustig. Es ist, als hätten wir ihn endlich gefunden, der nicht mehr durch die Gegend rennt, sondern lange genug stillsitzt, um sich porträtieren zu lassen. Und was für ein Porträt.“
Welche persönliche Seite bekommen wir von Paulus also zu sehen? Paulus begann seine Rede mit den Worten: „Ihr wisst, wie ich vom ersten Tag an, seit ich die Provinz Asien betreten habe, die ganze Zeit in eurer Mitte war.“ (Vers 18b) Paulus hatte mitten unter ihnen gelebt. Er hatte sein Leben mit ihnen geteilt. Alle konnten sprichwörtlich hautnah miterleben, wer er war, wie er war und wie er sein Leben tagtäglich führte. Wir haben vorhin auch gesehen, dass er die Christen in ihren Häusern besucht hatte. Paulus war ein Mann der Gemeinschaft.
Was sie zu sehen bekamen, waren Paulus‘ ungefilterte Emotionen. Uns erstaunt, wie oft der Text von Tränen und Weinen spricht. Vers 19: „und wie ich dem Herrn in aller Demut diente unter Tränen und vielen Prüfungen…“ Vers 31: „Seid also wachsam und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht aufgehört habe, unter Tränen jeden Einzelnen zu ermahnen.“ Und schließlich in Vers 37: „Und alle brachen in lautes Weinen aus, fielen Paulus um den Hals und küssten ihn.“ Diejenigen, die mich schon öfter predigen gehört haben, wissen vermutlich, dass ich nah am Wasser gebaut bin. Aber das ist nicht nur bei mir so. Paulus war jemand, der viel geweint hat. Sein Dienst hatte ihn viele Tränen gekostet.
Und was war das Resultat? Wir haben vorhin viel von Wahrheit gesprochen und wie unermüdlich Paulus diese Wahrheit gepredigt hatte. Es ging niemals um Rechthaberei. Alles Lehren hatte einen höheren Zweck. Wir sehen das am herzzerreißenden Abschied. Die Ältesten fielen Paulus um den Hals, küssten ihn und weinten bei seinem Abschied. In Kapitel 21,1 lesen wir, dass sich Paulus und seine Gefährten von ihnen losreißen mussten. So sehr haben sie an ihm gehangen. Was war das Resultat von Paulus‘ Predigten? Es war eine Gemeinschaft der Liebe. Die Verkündigung der Wahrheit führte nicht zu Ausgrenzung, Unterdrückung und Spalterei. Seine Predigt formte eine Gemeinschaft der Liebe: Liebe zu Gott und Liebe zu den Mitmenschen.
Was bedeutet das für uns? Die Gemeinde ist ein Ort der Gemeinschaft. Jeder Christ ist aufgefordert, Teil einer Gemeinde zu sein. Wenn du Jesus nachfolgst, wenn du Jesus liebst, dann solltest du Teil einer christlichen Gemeinschaft sein. Christliche Gemeinschaft ist ein essenzieller, nicht verhandelbarer Teil deines Glaubenslebens. Diese Gemeinschaft trifft sich im öffentlichen Rahmen wie dieser Gottesdienst hier. Und diese Gemeinschaft trifft sich in vielen kleinen Gruppen wie auch in Gesprächen zu zweit. Im Kontext dieser Gemeinschaft lernen wir als Christen um in Liebe zu wachsen. Wir lernen mitunter vielen Schmerzen, einander zu lieben, einander zu vergeben und das gemeinsame Leben zu teilen.
Frage an uns: Wer von uns ist gut darin, ein so transparentes Leben zu führen wie Paulus in Ephesus? Wer von uns kann behaupten, dass es Mitmenschen gibt, die so einen tiefen Einblick in unser Leben haben? Viele von uns sind ziemlich gut darin, oberflächliche Beziehungen zu führen. Social Media hat ganz viel dazu beigetragen. In den sozialen Medien bestimmen wir, wie viel wir von uns preisgeben und was wir mit anderen teilen. Wir kontrollieren und managen und manipulieren vielleicht auch unser Bild, das wir nach außen geben, sprichwörtlich.
Warum tun wir das? Weil wir wissen, dass die Wahrheit über uns preiszugeben, uns verletzlich macht. C.S. Lewis hatte es richtig gut auf den Punkt gebracht: „Zu lieben bedeutet, verletzlich zu sein. Wenn du irgendetwas liebst, wird dein Herz ausgewrungen und möglicherweise gebrochen. Wenn du sicher sein willst, dass es unversehrt bleibt, darfst du es niemandem schenken, nicht einmal einem Tier. Umschließe es sorgfältig mit Hobbys und kleinen Genüssen; vermeide alle Verwicklungen. Verschließe dein Herz sicher in den Sarg deiner Selbstsucht. Aber in dieser Schatulle, sicher, dunkel, unbeweglich, luftleer, wird es sich verändern. Dein Herz wird nicht zerbrechen; es wird unzerbrechlich, undurchdringlich, unerlösbar werden. Zu lieben bedeutet, verletzlich zu sein.“
Woher kommt der Mut, das zu tun?

3. Gott und dem Wort seiner Gnade anvertraut
In Vers 28 verwendet Paulus ein ganz prominentes Bild: „Gebt Acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Vorstehern bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Gemeinde des Herrn sorgt, die er sich durch sein eigenes Blut erworben hat!“ Und in Vers 32 sagt er: „Und jetzt vertraue ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade an, das die Kraft hat, aufzubauen und das Erbe in der Gemeinschaft der Geheiligten zu verleihen.“
Die Ältesten der Epheser Gemeinde sind berufen, Hirten zu sein für die Gemeinde Jesu. Und das ist eine repräsentative Aufgabe. Sie sind Hirten (mit einem kleinen „H“), die selbst unter der Fürsorge und Herrschaft des wahren Hirten (mit einem großen „H“) stehen. Letzte Woche zu Ostern, hat R. gepredigt, dass Gott unser Hirte ist, und dass wir deshalb keinen Mangel haben. Ein Hirte ist ein Leiter. Ein Hirte hat Autorität. Tim Keller sagte: „Ein Hirte stellt sich nicht morgens vor die Schafe hin und fragt sie, worauf sie heute Lust haben.“ Der Hirte gibt die Richtung an. Er zeigt, wo es lang geht. Und gleichzeitig ist er eine Autorität der Liebe. Die Führung des guten Hirten besteht aus Fürsorge, Geduld, Sanftmut und auch Freude und Frieden.
Paulus vertraute die Epheser Gemeinde Gott und seinem Wort der Gnade an. Das Wort, das Paulus predigte, handelte primär von Gottes Gnade. Das ist es, was er auch in Vers 24 sagte. Seine Berufung war es, das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen. Gnade bedeutet Gottes Güte, mit welcher er uns beschenkt, obwohl wir es nicht verdient haben. Gnade bedeutet, dass Gott uns unendlich viel besser behandelt, als wir es verdient hätten. Gnade bedeutet, dass Gott den Preis bezahlt hat, den wir nicht hätten bezahlen können, um uns zu erkaufen. Gnade ist die Tatsache, dass Jesus nicht nur ein Hirte ist: Er ist der eine wahre gute Hirte, der sein Leben gegeben hat, damit wir leben können. Jesus ist der Hirte, der das Lamm geworden ist.
Es gibt zwei grundverschiedene Art und Weisen, zu einer Identität zu kommen; zwei Möglichkeiten, die definieren, wer wir sind. Die eine Art und Weise ist unser eigener Verdienst: Wir sind jemand, weil wir etwas erreicht haben, weil wir ein gutes und moralisches Leben geführt haben, weil wir Leistung erbracht haben, weil wir eine Position mit Prestige erlangt haben. Die andere Identität beruht auf Gnade: Wir sind jemand, nicht weil wir etwas Tolles erreicht haben; wir sind jemand, obwohl wir nichts vorzuweisen haben und obwohl wir Sünder sind. Unser Wert und unsere Würde kommen von außen. Sie beruhen auf der Tatsache, dass Gott uns so sehr geliebt hat, dass er für uns in den Tod gegangen ist. D. h., auf der einen Seite sind wir schlimm, so schlimm, dass wir auf Rettung von außen angewiesen sind; weit schlimmer als wir befürchtet hatten; auf der anderen Seite sind wir mehr geliebt, als wir zu träumen gewagt hätten. Wir sind von Gott geliebt. Wir sind seine Kinder.
Woher kommt der Mut, ehrlich zu sein, die Masken fallen zu lassen, zu lieben und verletzlich zu sein? Der Mut kommt vom Kreuz. Dort wo Jesus für uns starb. Gnade ist das, was uns verändert. Es ist das einzige, das uns von Grund auf erneuern kann und was uns erbaut. Gottes Wort der Gnade macht aus uns Menschen der Liebe. Es formt uns zusammen zu einer Gemeinschaft der Liebe.
Die Gemeinde Jesu ist gegründet in Wahrheit, verbunden in Liebe und Gott und seinem Wort der Gnade anvertraut. Als der große Prediger Spurgeon im Sterben lag, bekam seine Frau einen kurzen Brief, der voller Mitgefühl und Ermutigung war. Sie schrieb zurück, aber Spurgeon musste diesem Brief noch ein paar Worte hinzufügen. Er schrieb: „Dein Wort ist ein Wort der Liebe, wie es nur diejenigen schreiben, die im Land des Königs waren und viel von seinem Angesicht gesehen haben. Meine Herzensliebe für dich.“
Paulus‘ Rede an die Ältesten von Ephesus war ein Wort der Liebe, gehalten von jemand, der im Land des Königs war und der viel von dessen Angesicht gesehen hatte.
Das ist unsere Berufung.

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Predigt: Psalm 23,1-6 — Ostern 2024

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Der Herr ist mein Hirte

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“

(Psalm 23,1)

Frohe Ostern! Millionen von Christen feiern heute Jesus, der von den Toten auferstanden ist! Unser heutiger Text ist wohl der bekannteste der 150 Psalmen und eines der berühmtesten Kapitel in der Bibel. Dafür gibt es wahrscheinlich mehrere Gründe. Denn in diesem Psalm beschreibt der König David in nur sechs Versen mit poetischen Worten, als wen er Gott in seinem Leben erfahren hat. Dieser Psalm hat wohl gerade deshalb so eine starke Anziehungskraft, weil hier nicht etwas allgemein über Gott gelehrt wird, sondern weil David seine ganz persönliche Erfahrung mit Gott wiedergibt. Und gleichzeitig gilt das, was dieser Psalm bezeugt, nicht nur in Bezug auf David, sondern beschreibt Gottes Wesens, das für jeden erfahrbar ist.

Manche fragen sich vielleicht, warum wir diesen Psalm zu Ostern studieren. Diejenigen von uns, die auch an Karfreitag hier waren, haben mit M. gemeinsam den Psalm 22 betrachtet. Dieser Psalm enthält etliche Verse, die das Leiden Jesu am Kreuz genau beschreiben bzw. die sich bei der Kreuzigung Jesu wortwörtlich erfüllt haben; zum Beispiel der Vers: „Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand“ (Ps 22,19)
Der Psalm 22 wird deshalb auch der messianische Leidenspsalm genannt. Während der Verfasser David im Psalm 22 in bedrückender Anschaulichkeit das Leiden Jesu vorausgesagt hat, beschreibt derselbe David im darauf folgenden Psalm 23 sein gesegnetes Leben mit Gott, seinem Hirten. Lasst uns heute Davids Glaubenszeugnis über sein gesegnetes Leben mit Gott, seinem Hirten und dadurch Gott selbst besser kennenlernen! Gott möge uns helfen zu verstehen, inwiefern auch der Psalm 23 prophetisch auf Jesus hinweist und wie seine Aussagen durch Jesu Tod und Auferstehung in vollem Maße in unserem Leben in Erfüllung gehen!

Was hat David über Gott bezeugt? Betrachten wir den Text! Der Psalm beginnt mit den Worten: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ David beschreibt hier zusammenfassend seine Erfahrung in seinem Leben mit Gott. Davids Leben war eigentlich alles andere als einfach oder geradlinig. Wie viele wissen, war David der siebte und jüngste Sohn seines Vaters Isai. Damals spielte das Alter und die Körpergröße noch eine viel größere Rolle als heute. David war relativ klein und sowieso der Jüngste; er musste von klein auf lernen, demütig zu sein, weil seine älteren Brüder alles besser wussten und besser konnten, und er musste oft die Arbeit machen, die kein anderer machen wollte. David musste vor allem Tag und Nacht die Schafe seines Vaters hüten. Dabei zeigte sich, dass er ein mutiger junger Mann mit einem echten Hirtenherz war. Denn wenn ein Löwe oder Wolf kam und eines der Schafe raubte, kämpfte David mit der bloßen Faust gegen das Raubtier und schlug auf es ein, bis es das erbeutete Schaf wieder freigab. Eines Tages kam der Prophet Samuel auf Gottes Befehl hin zu lsais Familie und goss – zur Überraschung aller – Salböl auf Davids Kopf und verkündete ihm, dass Gott ihn zum Fürsten über sein Volk Israel erwählt hatte.

Diese persönliche Verheißung Gottes klang großartig, aber sie bedeutete gar nicht, dass Davids Leben von da an besser oder gar glänzend wurde. Als die Philister das Land belagerten, musste David weiter zu Hause die Schafe hüten und hatte den Job, seinen Brüdern an der Front ab und zu ein Essenspaket zu bringen. Als er bei dieser Gelegenheit über die Lästerungen des riesengroßen Philisters Goliath in heiligen Zorn geriet und ihn zum Kampf herausforderte und ihn mit einer Schleuder und einem Kieselstein tötete, wurde der König Saul auf ihn aufmerksam. David wurde an Sauls Hof geholt und wurde sein persönlicher Diener. Obwohl David alles gab, um Saul als Musiker und als Soldat treu zu dienen, wurde Saul wegen Davids Erfolg im Kampf und seiner wachsenden Popularität eifersüchtig und fing an, ihn zu hassen. Für David begann eine leidvolle Zeit von etwa zehn Jahren, in denen er ständig auf der Flucht leben musste, weil Saul ihn mit seinen Leuten überall im Land verfolgte und ihn umbringen wollte. David wusste nie so recht, wem er vertrauen konnte, weil der König alle im Volk angewiesen hatte, seinen Aufenthaltsort zu verraten. Manchmal konnte David Sauls Männern nur um Haaresbreite entkommen. Wie konnte David so viele Jahre lang in einem relativ kleinen Land wie Israel der Verfolgung durch Sauls Truppen entgehen? Wie konnte David all das auch psychisch aushalten – die ständige Verfolgung und Lebensgefahr, die Tatsache, dass er fast niemandem vertrauen konnte und auf sich selbst gestellt war? Wie konnte David den Widerspruch zwischen der Verheißung Gottes, dass er der König von Israel sein sollte, und der Realität, dass er jahrelang wie der schlimmste Staatsfeind im ganzen Land gejagt wurde ertragen? Wir würden erwarten, dass er an diesem scheinbaren Widerspruch zwischen Gottes Wort und seiner sichtbaren Realität schon längst verzweifelt wäre und seinen Glauben aufgegeben hätte.

Aber was sagte David in Wirklichkeit über Gott? Er bekannte: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.“ (Ps 23,1-3)

David bekannte, dass Gott sein guter Hirte ist, der ihn auf grüne Auen und zum frischen Wasser führt. David sagte damit, dass Gott sich immer um ihn gekümmert und ihn versorgt hat. Das ist sowohl geistlich als auch praktisch zu verstehen. Gott hat ihn jahrelang während der Verfolgung versorgt, so dass er immer eine Zuflucht fand und etwas zu essen und zu trinken bekam. Gott hat ihn auch geistlich immer wieder auf eine grüne Aue geführt und ihn in seinem Kummer getröstet und ihn mit seinem Wort und seiner Gegenwart erquickt. Selbst als sich einmal Davids eigene Leute gegen ihn wandten, weil während ihres Feldzugs die Feinde ihre Frauen und Kinder überfallen und getötet hatten, heißt es, dass David sich im Herrn stärkte. David suchte gerade in der Not Gottes Nähe und seine Hilfe, und er empfing von Gott immer neu Trost, Weisheit, Orientierung und Kraft. Wegen unzähliger solcher Erfahrungen hatte David die feste Zuversicht auf Gott: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“

Obwohl David solchen Glauben lernte, wurde sein Leben nach Sauls Tod und seiner Einsetzung als König über ganz Israel keineswegs einfach. David musste jahrelang gegen verschiedene Feinde kämpfen, die sich den Israeliten entgegenstellten und sie unterjochen wollten. Er musste Intrigen in seiner Armeeführung und schwere Verbrechen wie Vergewaltigung und Mord durch seine eigenen Söhne erleben. Davids Leben war oft so dramatisch; er muss auch innerlich oft an seine Grenzen gestoßen sein.

Aber in allen Situationen erlebte er, dass Gott bei ihm war und ihn nicht im Stich ließ, dass Gott ihn hörte, wenn er ihn anrief, und ihm treu aus allen Nöten heraus half. Aufgrund unzähliger solcher Erfahrungen bekannte David: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Er hatte eine feste Zuversicht darauf, dass Gott sein Hirte ist, der ihn nie im Stich lässt. Aufgrund dessen hatte er die Gewissheit, dass es ihm auch in der Zukunft an nichts Wichtigem fehlen wird – anders ausgedrückt hatte er die Zuversicht, dass alles gut werden wird.

Dieses Glaubensbekenntnis war nicht nur oberflächlich, sondern wurde immer wieder auf die Probe gestellt. Es gab in Davids Leben wiederholt auch Zeiten, die für ihn wie ein dunkle Täler waren. Einmal machte sein Sohn Absalom einen gut vorbereiteten Aufstand gegen ihn, sodass David mit seinen Leuten aus Jerusalem fliehen musste. Er wurde vom eigenen Sohn vom Thron gestoßen und aus der Stadt gejagt und musste gegen ihn und seine Landsleute um sein Leben kämpfen, wobei der Ausgang dieses Bürgerkriegs lange ungewiss war. Diese Situation war wirklich traurig und wirklich dramatisch. Das war wohl ziemlich sicher eine der Zeiten, an die David gedacht hat, als er im Vers 4 vom finsteren Tal spricht, oder anders übersetzt vom Tal des Todesschattens. David muss so enttäuscht und so traurig über seinen Sohn und die ganze Situation gewesen sein. Außerdem war sein Leben akut bedroht, weil Absaloms Truppen ihm nachjagten. Aber auch in dieser massiven Notlage half Gott ihm und lenkte die Entwicklung so, dass David zurückkehren und wieder als König eingesetzt werden konnte. So bekennt er im Vers 4: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ David hatte noch etliche andere Probleme erlebt, die wie finstere Täler waren. Aber er geriet nicht in Furcht, weil Gott bei ihm war.

Manche unterstellen den Christen, dass sie nur so lange glauben, wie nichts wirklich Schlimmes in ihrem Leben passiert. Tatsächlich kann vieles im Leben eintreten, was uns wie ein dunkles Tal vorkommt: Wenn wir ein so großes Problem haben, dass wir keine Lösung dafür sehen können; wenn innere oder praktische Nöte so groß werden oder so lang dauern, dass wir kein Licht am Ende des Tunnels sehen; oder wenn wir wegen verschiedener Erfahrungen nach und nach die Vision für unser Leben verlieren und in Traurigkeit geraten, aus der wir gar nicht mehr allein herauskommen.

Der Vers 4 hilft uns zu erkennen, dass es bei Nöten zwei verschiedene Faktoren gibt, nämlich einmal das Problem an sich und zum anderen, wie wir damit umgehen. David spricht vom finsteren Tal, vom Tal der Schatten des Todes, also von Wegstrecken in seinem Leben, bei denen es sehr ernste Probleme gab, die auch bedrohlich aussahen, sogar lebensbedrohlich. Aber im Kontrast dazu betont David, dass er kein Unglück fürchtete. Das heißt, er geriet nicht in Furcht. Was große, scheinbar unlösbare große Probleme wirklich schrecklich macht, ist, wenn wir ihretwegen im Herzen den Glauben an Gott verlieren und deswegen in Furcht geraten, die uns alles fraglich erscheinen lässt und uns in Gefühle der Hilflosigkeit und Verzweiflung stürzt. Dann wird das finstere Tal wirklich schrecklich. Aber David geriet auch im dunklen Tal, wo er keinen Ausweg sehen konnte, nicht in Furcht, sogar auch angesichts des Todesschattens nicht. Warum nicht? Er bekannte: „Denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“ (4b). David geriet deshalb nicht in Furcht, weil er bewusst daran festhielt, dass Gott bei ihm ist und dass Gott sein Hirte ist. Er sah in der Not auf Gott, seinen Hirten, und wurde beim Anblick seines Steckens und seines Stabs getröstet. Viele haben schon überlegt, was mit Gottes Stecken und Stab gemeint ist.

lch halte die Auslegung für am überzeugendsten, dass mit Gottes Stecken und Stab sein Wort und sein Heiliger Geist gemeint sind, die uns in jeder Situation an Gottes Gegenwart erinnern und uns trösten. Davids Bekenntnis, dass er auch im finsteren Tal kein Unglück befürchtete, ermutigt uns, in allen Situationen und erst recht bei ernsten Problemen, bewusst an Gottes Gegenwart zu denken und uns durch sein Wort und die Gemeinschaft im Gebet von ihm trösten zu lassen.

Was bezeugte David noch über Gott? Betrachten wir Vers 5: „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.“ Hier beschreibt David, wie weit die Güte und Liebe Gottes, seines guten Hirten, geht. Gott schützte ihn nicht nur vor Gefahren oder rettete ihn aus Notlagen. Gott deckte für ihn sogar auch einen Tisch im Angesicht seiner Feinde, salbte sein Haupt mit Öl und schenkte ihm voll ein. Dieser Vers ist offensichtlich gleichnishaft zu verstehen; es wird nirgends in der Bibel berichtet, dass Gott diese Dinge praktisch für David getan hätte, also vor ihm auf dem Schlachtfeld einen Tisch aufgebaut und ihm einen Kelch mit Wein voll einschenkt. Dass diese ausdrücke etwas Geistliches beschreiben, macht die Aussage in diesem Vers nicht weniger faszinierend. Das Haupt mit Öl zu salben, war etwas, was man für sehr geschätzte Gäste tat. Das und für den anderen einen Tisch vorzubereiten und ihm voll einzuschenken, und das trotz Kriegszustand im Angesicht der Feinde zu tun, bringt die verwöhnende Liebe Gottes zum Ausdruck, die David von Gott erfuhr. Gott war der gute Hirte Davids und er rettete ihn nicht nur in akuter Lebensgefahr, sondern er ließ David seine wohltuende Liebe auch darüber hinaus erfahren, die ihn erfreute und erquickte.

Welche Zuversicht hatte David aufgrund all dieser Erfahrungen für seine Zukunft? Er schreibt abschließend im Vers 6: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar.“ Weil David wusste und immer wieder erfahren hatte, dass Gott sein guter Hirte ist, hatte er in seiner Gegenwart keine Angst vor einem Unglück, sondern hatte eine positive Sicht auf seine Zukunft. Praktisch gesehen war Davids Zukunft zu keinem Zeitpunkt sichergestellt, weder was seine eigene Gesundheit anging noch familiär noch politisch-militärisch. Aber durch den Glauben an Gott, der sein guter Hirte war, hatte David eine feste Zuversicht, dass ihm auch in der Zukunft sein Leben lang Gutes und Barmherzigkeit folgen würde. Er hatte insbesondere die Zuversicht, dass er immer im Haus des Herrn bleiben würde. Damit drückte er seine Zuversicht aus, dass er immer in einer richtigen Beziehung zu Gott bleiben und ewig mit ihm Gemeinschaft haben würde. War David so sicher, dass ihn keine Angriffe oder Gefahren von außen bedrohten? Oder war er sicher, dass er von sich aus nie sündigen würde und dadurch sein Bleiben im Haus Gottes bzw. in der Beziehung zu ihm gefährden könnte? David konnte sich weder des einen noch des anderen sicher sein. Im Gegenteil: Seine Erfahrung hatten ihn gelehrt, wie viele Gefahren und Problem in seinem Leben jederzeit auftauchen konnten. Er konnte sich keineswegs auf sich selbst verlassen, sondern er war schwach und für Versuchung anfällig und potenziell jederzeit fallen konnte. Aber David war sich trotzdem so sicher, dass ihm sein Leben lang Gutes und Gottes Barmherzigkeit folgen würden. Er war sich gewiss, dass er für immer bei Gott bleiben würde, weil er wusste, dass Gott sein guter Hirte ist, der ihn nie im Stich lassen, sondern ihn immer schützen, führen und leiten würde; und dass Gott dafür sorgen würde, dass er ewig bei ihm bleibt.

Wir sind beeindruckt, wie treu Gott tatsächlich mit König David war und wie Zuverlässig er ihn in seinem Leben begleitet, beschützt und aus den unterschiedlichsten Nöten gerettet hat. Und hier kommt die für uns wichtige Frage? Können wir dieselbe Zuversicht haben? An sich nicht. David war in vieler Hinsicht kein gewöhnlicher Mann, mit dem wir uns einfach vergleichen können. David war ein vielseitig talentierter Mensch, er war ein begnadeter Dichter und Musiker, ein erfolgreicher Feldherr und König über das Volk Israel, das es vierzig Jahre lang weise regierte. Er war ein treuer und mutiger Mann, der für die Gerechtigkeit und den Schutz seines Volks auf Leben und Tod kämpfte. Vor allem liebte David Gott von ganzem Herzen und diente ihm in vorbildlicher Weise. David ist die Hauptperson im Buch Samuel und wurde selbst der Autor vieler Psalmen und damit ein Mitautor der Bibel. David wurde und wird bis heute in Israel als der beste König verehrt und galt als ein Sinnbild für den wahren König, den Messias den Gott zu senden verheißen hat. Tatsächlich gab Gott David, als er alt war, die Verheißung eines Nachkommen, dem Gott den Thron ewig bestätigen würde. Die Juden verstanden es so, dass sich diese Verheißung auf den Messias bezog, den von Gott verheißenen König und Retter, der ein Reich mit Gerechtigkeit aufrichten und ewig regieren würde. Deshalb haben die Juden den Messias auch „den Sohn Davids“ genannt. David war ein Hinweis auf den wahren König und Retter, der kommen sollte. David war also eine Art Ausnahme-Mensch, jemand, mit dem wir uns nicht so leicht vergleichen können. Wer kann einfach sagen, dass er wie David Gott lieben und ihm dienen und sein Leben lang in der Liebesbeziehung zu ihm leben kann?

Andererseits haben wir vorhin schon festgestellt, dass David keineswegs vollkommen war, dass er auch Schwächen hatte, sich gerirrt hat und zum Teil in schwere Sünde geriet. Dass David sein Leben lang in einer Liebesbeziehung zu Gott und unter seiner Führung leben konnte, war also nicht wegen Davids Treue oder seine anderen Qualitäten. Es war wegen Gottes Barmherzigkeit, aus der er ihn treu liebte und sein guter Hirte war.

David war auch ein Sünder, der es nicht verdient hatte, dass Gott ihn ansieht, geschweige denn dass er immer bei ihm ist und ihm sein Leben lang hilft. Dass Gott sein Hirte war und ihn sein ganzes Leben lang leitete und schützte, wie es Psalm 23 beschreibt, war allein Gottes Barmherzigkeit. Diese Barmherzigkeit war es, worauf David vertraute und woraus er die Zuversicht schöpfte, dass ihn sein Leben lang Gutes und Barmherzigkeit begleiten und er immerdar im Haus des Herrn bleiben würde. Deshalb weist Davids Leben auf das Bedürfnis der Menschen nach dem guten Hirten hin, der die schwachen, fehlbaren Menschen mit Gottes Barmherzigkeit schützt und leitet.

Deshalb wird in Psalm 23 nicht David, seine Treue oder andere Eigenschaften gepriesen, sondern Gott, der mit seiner Güte und Barmherzigkeit David geliebt und sein guter Hirte gewesen ist. Der Psalm beschreibt das gesegnete Leben, das David trotz vieler Probleme führen konnte, weil Gott sein Hirte war und ihn mit seiner Liebe und Barmherzigkeit führte. Dieses gesegnete Leben Davids war ein Hinweis, dass wir Menschen alle den guten Hirten brauchen, den wahren König, der kommen sollte. Gottes Barmherzigkeit mit den Sündern trieb Gott dazu, nach seinem Plan schließlich tatsächlich seinen einzigen Sohn in die Welt zu senden. Das tat Gott, damit er für uns und alle gewöhnlichen Menschen der gute Hirte wird, der uns aus der Sünde rettet und uns auf den rechten Weg mit ihm leitet und in die ewige Gemeinschaft mit ihm führt. Jesus kam als ein schwaches Kind auf die Erde und wohnte mitten unter uns. Er ging gerade nicht zu den Frommen, den Reichen und Erfolgreichen, sondern predigte dem Volk die frohe Botschaft von Gottes Liebe und seinem Reich. Jesus offenbarte sich selbst im Johannesevangelium mit den Worten: „lch bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ (Joh 10,11)

Jesus ist der gute Hirte für alle Menschen – auch die gewöhnlichen. Jesus half den Schwachen und Kranken und wurde ein Hirte für die Menschen, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekamen, wie Zöllner und Prostituierte. Er half einer Frau, die fünfmal geheiratet hatte, weil sie bei einem idealen Partner ihr Glück suchte, bis sie Jesus als Messias erkannte und ihn anbetete. Er half einem Mann, der schon so lange krank war, dass er selbst den Wunsch und die Hoffnung auf Heilung verloren hatte. Jesus half Zolleintreibern, von ihrer Geldgier frei zu werden, und Soldaten, barmherzig zu sein. Mit seiner Barmherzigkeit wurde Jesus der gute Hirte für alle Menschen. Jesus sagte: „lch bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Um allen Arten von Sündern wirklich ein Leben in einer beständigen und heilen Beziehung zu Gott zu ermöglichen, wie es im Psalm 23 beschrieben ist, musste Jesus unsere Sünden auf sich nehmen und am Kreuz dafür sterben. Aus seiner göttlichen Barmherzigkeit nahm Jesus tatsächlich unsere Sünde auf sich und bezahlte dafür am Kreuz die Strafe mit seinem eigenen Blut (d.h. Leben). So hat er sich als der gute Hirte offenbart. Am Kreuz trug er die Sünde aller Menschen, der ganzen Welt, damit die Sünde, die auch ein Hindernis zwischen David und Gott war und die uns von Gott getrennt hat, zu tilgen, sodass wir ein gesegnetes Leben unter Gottes Leitung führen können. Dadurch dass er am Kreuz starb und auferstand, ist er der gute Hirte für uns alle geworden, damit wir unter seinem Schutz und unter seiner Leitung täglich mit Gott und für ihn leben und in Ewigkeit mit ihm Gemeinschaft haben können. Jesus ist der gute Hirte, der durch seinen Tod am Kreuz und durch seine Auferstehung unser guter Hirte geworden ist und uns auf täglich auf die grüne Aue und zu seinem frischen Wasser führt! Jesus leitet uns auf der rechten Straße, indem wir allein aus dem Glauben an ihn leben können. Selbst wenn wir durch ein finsteres Tal gehen müssen, wo wir keinen Ausweg sehen, dürfen wir 100%ig sicher sein, dass er bei uns ist, und uns täglich durch sein Wort und seinen Geist trösten lassen, bis er uns aus dem Tal herausgeführt hat. Weil Jesus als unser guter Hirte am Kreuz für uns gestorben ist, brauchen wir uns nie vor Unglück zu fürchten, sondern dürfen Ruhe haben, weil er uns schützt und uns vollständig in der Hand hat. Weil Jesus der gute Hirte ist und für unsere Sünde gestorben und auferstanden ist, dürfen wir sicher sein, dass uns unser Leben lang Gutes und Barmherzigkeit begleiten wird. Weil Jesus am Kreuz gestorben ist und auferstanden ist, dürfen wir Zuversicht haben, dass wir immerdar in seinem Haus bleiben und ihn in Ewigkeit in seinem Reich anbeten werden. Dank sei Jesus, der unser guter Hirte geworden ist. Halleluja!

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Predigt: Apostelgeschichte 18,1-17

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Ermutigung in Korinth

„Der Herr aber sagte nachts in einer Vision zu Paulus: Fürchte dich nicht! Rede, nur, schweige nicht! Denn ich bin mir dir, niemand wird dir etwas antun. Viel Volk nämlich gehört mir in dieser Stadt.“

(Apostelgeschichte 18,9.10 [EHÜ])

Unser Text beginnt mit den Worten: „Hierauf verließ Paulus Athen und ging nach Korinth.“ Korinth war eine der wichtigsten Städte im römischen Reich, die Hauptstadt der Provinz Achaia und Sitz des Prokonsuls. Bevor es dazu kam, war Korinth eine griechische Stadt. Als die Römer Mazedonien eroberten, lehnte sich Korinth aber mit anderen Städten gegen die Römer auf. Als Antwort darauf wurde Korinth 146 v.Chr. dem Erdboden gleich gemacht. Die Stadt wurde niedergebrannt, die Männer wurden umgebracht, die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft, und alle Schätze der Stadt wurden geplündert. Ungefähr 100 Jahre lang war dann dort nicht mehr viel. Danach kam aber ein Mann namens Julius Cäsar, der ein Auge für Dinge mit Potenzial hatte. Die Stadt wurde als römische Bürgerkolonie neu gegründet. Danach dauerte es nicht lang, und die Stadt begann wieder zu florieren.
Was machte die Stadt aus? Zum einen lag die Stadt mitten an einer Handelskreuzung. Korinth lag an einem schmalen Korridor, der nur 6 km weit war. Oberhalb befand sich Nordgriechenland und im Süden war die Halbinsel Peloponnes. Nord-Süd-Reisende innerhalb von Griechenland kamen unweigerlich an Korinth vorbei. Dann lag Korinth direkt zwischen zwei Golfs: der Golf von Korinth im Nordwesten und der Saronischer Golf im Südosten. Diese Verbindung war so wichtig, dass mindestens zwei römische Kaiser versuchten, einen Kanal zu graben (beide Versuche scheiterten). Korinth lag an zwei wichtigen Häfen und war der Inbegriff einer Handelsstadt. Natürlich profitierte die Stadt wirtschaftlich enorm davon. Es war vermutlich die reichste Stadt in Griechenland, viel wohlhabender als Athen mit mehr und schönerer Kunst.
Cicero nannte Korinth das Auge von ganz Griechenland. Man schätzt, dass die Stadt ca. 200.000 Einwohner hatte. Viele von ihnen waren ziemlich gut gebildet, und die meisten waren in die Stadt zugezogen. Es war eine Stadt, in die es viele Reisende hinzog, um Geld zu verdienen, um Geld auszugeben und um sich zu vergnügen: Essen, Trinken, Sportfeste, Theater. Mode spielte dort natürlich auch eine sehr wichtige Rolle: Aussehen war wichtig, Kleidung war wichtig, es gab sehr viel Schmuck: Ohrringe, Broschen, Haarspangen, Ringe, Knöpfe. Es wurde Parfüm und Kosmetik verkauft. Was noch? Strabo, ein griechischer Historiker aus dem 1. Jahrhundert berichtet davon, dass ein Tausend Tempelprostituierte jeden Abend ihre „Dienste“ anboten. Korinth war bereits in der Antike bekannt dafür, moralisch und verdorben zu sein.
Um es kurz zusammenzufassen: Korinth war eine extrem reiche, kosmopolitische Handelsstadt, sie zog Menschen an, die an diesem Erfolg teilhaben wollten, es war eine multikulturelle und gebildete Stadt, es war eine vergnügungssüchtige Stadt, und es war eine unmoralische Stadt. Tim Keller sagte in einer Predigt: Korinth war also wie das heutige New York. Und er sagte, dass wenn man diese Parallelen und Ähnlichkeiten nicht sehen konnte, es nur daran liegen könnte, dass man ein Tourist war. Wenn es eine Stadt gab, in der es unmöglich schwer sein musste, eine lebendige christliche Gemeinde zu gründen, dann war es Korinth. Die Menschen dort waren so beschäftigt, so abgelenkt, so kultiviert, so intellektuell und auch so religiös, dass das Letzte, was sie sich vermutlich vorstellen konnten, was sie brauchen könnten, eine neue Religion war. Schon gar nicht eine Religion, die behauptete, dass es nur einen wahren Gott gibt, der sich uns in Christus offenbart hat und dass alle anderen Götter wie Zeus, Poseidon, Apollo und Aphrodite Fake waren. Schon gar nicht eine Religion, die eine scheinbar so restriktive, sexuelle Ethik, hatte, wie das Christentum. Und trotzdem entstand dort eine wichtige christliche Gemeinde. Es ist ein Wunder, dass das Evangelium dort Fuß fassen konnte.
Und jetzt kommen wir endlich zum Thema der Predigt: Selbst für einen gestandenen Mann des Glaubens wie Apostel Paulus war das keine Selbstverständlichkeit. Und wir haben Grund zur Annahme, dass Paulus in Korinth eine Zeit der Entmutigung hatte. In seinem ersten Brief an die Korinther Gemeinde schrieb Paulus Folgendes: „Zudem kam ich in Schwäche und in Furcht, zitternd und bebend zu euch.“ Der große Gottesmann Paulus kam in Schwäche, in Furcht und Zittern.
Drei Dinge lernen wir dann durch den heutigen Text. Erstens, für wen ist Ermutigung? Zweitens, wie geschieht Ermutigung? Drittens, wozu ermutigt uns Gott?

1. Für wen ist Ermutigung?
In den Versen 9 und 10 lesen wir: „Der Herr aber sagte nachts in einer Vision zu Paulus: Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht! Denn ich bin mit dir, niemand wird dir etwas antun. Viel Volk nämlich gehört mir in dieser Stadt.“ Vor zwei Wochen hatten wir gelesen, dass Paulus nachts eine Vision von einem Mann hatte, der ihn nach Mazedonien rief. Dass Gott seinen Willen auf so deutliche Weise offenbart, ist außergewöhnlich. Hier im Text sehen wir aber noch etwas viel Bedeutenderes. Nicht irgendein unbekannter Mazedonier spricht zu Paulus. Es ist Jesus selbst, der ihm in einer Vision erscheint. Und Jesus spricht, diese unglaublich ermutigenden Worte: „Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht! Denn ich bin mit dir, niemand wird dir etwas antun. Viel Volk nämlich gehört mir in dieser Stadt.“ Für mich gehört das mit zu den ermutigendsten Versen der Apostelgeschichte.
Warum sagte Jesus ihm das? Die Antwort liegt auf der Hand. Es waren genau die Worte, die Paulus in dieser Zeit hören musste. Anscheinend hatte er Furcht; anscheinend dachte er, dass das, was er tat, nicht wirklich nützlich und nicht wirklich effektiv war; anscheinend fühlte er sich alleingelassen; und anscheinend dachte er ans Aufgeben. Nicht dass so jemand wie Paulus jemals aufgegeben hätte; aber vielleicht spielte er zumindest mit dem Gedanken. Und anhand dessen und auch aus dem, was Paulus später in 1. Korinther schrieb, können wir folgern, dass es Paulus in diesem Moment nicht so toll ging. Wie mag sich das geäußert haben?
In Vers 4 lesen wir: „An jedem Sabbat redete er in der Synagoge und suchte Juden und Griechen zu überzeugen.“ Paulus tat das, was er sonst in anderen Städten getan hatte. Er ging in die Synagoge und predigte dort. Als es dort Widerstand gab, ging er in das Haus eines Titius Justus. Der hatte sein Haus direkt neben der Synagoge, also eine Haustür weiter. Paulus Predigten blieben nicht ohne Frucht. Es kamen Menschen zum Glauben an Jesus. Und nicht nur irgendwelche Menschen. Vers 8: „Krispus aber, der Synagogenvorsteher, kam mit seinem ganzen Haus zum Glauben an den Herrn; und viele Korinther, die davon hörten, wurden gläubig und ließen sich taufen.“ Der Leiter der jüdischen Synagoge bekehrte sich. Vers 8 sagt, dass viele Korinther gläubig wurden. Paulus‘ Missionseinsatz war ein voller Erfolg!
Hier ist das, was wir über Entmutigung lernen können: in der Regel hat Entmutigung nichts mit den äußeren Umständen zu tun. Ein anderes Beispiel aus der Bibel ist der Prophet Elia. Zwei Jahre lang hatte es keinen Tropfen geregnet, weil Gott den Himmel verschlossen hatte. Auf dem Berg Karmel kam es zu einem riesigen Showdown. 450 Baalspriester traten gegen einen Propheten an. König Ahab und das Volk Israel waren die Zuschauer. Das ganze Volk sah eine riesige Gottesoffenbarung, alle werfen sich auf den Boden nieder und rufen laut: „Der HERR ist Gott, der HERR ist Gott!“ Das Volk ergreift die Baalspriester, und Elia lässt sie hinrichten. Kurz danach endet die Dürreperiode: Gott lässt es regnen. Es war ein riesiger Sieg für den Propheten Elia. Besser ging es nicht. Im nächsten Kapitel sagt die Königin Isebel, dass sie Elia umbringen wird. Da hat doch Elia schon ganz andere Dinge erlebt. Ständig wollte jemand ihn umbringen. Aber plötzlich verliert Elia jeden Mut. Er rennt um sein Leben, geht in die Wüste, setzt sich unter einem Strauch, wünscht sich den Tod und sagt: „Nun ist es genug, HERR. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter.“
Kurze Anwendung: Johannes Hartl hat Entmutigung folgendermaßen definiert: „plötzlicher, irrationaler und unspezifischer Verlust von Perspektive. Was vorher so klar war, ist gar nicht mehr klar.“ Das ist es, was Paulus vermutlich auch in Korinth erlebt hatte. Entmutigung hat nichts mit den äußeren Umständen zu tun. Die Umstände sind so wie sie sind; oft ist die Situation gar nicht mal so düster. Entmutigung findet tief in unserem Inneren statt. Entmutigung hat etwas damit zu tun, dass alles, was man vorher erlebt hat, keine Bedeutung mehr hat. Alles Positive scheint aus dem Blick zu geraten. Man sieht nur noch das Negative. Wir kennen das alle.
Entmutigung hat ja nicht nur etwas mit dem geistlichen Leben zu tun. Wenn wir einen Künstler dabei zu sehen, wie er etwas aufführt, wie z. B. einen Pianisten, dann sehen wir das Produkt von unzähligen Stunden Arbeit. Oftmals haben diese Künstler viele Entmutigungen überwinden müssen. Oder wenn wir bei den Olympischen Spielen Läufer auf der Zielgeraden sehen, dann sehen wir Athleten, die ihr ganzes Leben dafür trainiert haben. Sie alle mussten viele Entmutigungen wegstecken.
Zeiten der Entmutigung können kommen, wenn wir das hören, was Uwe Schäfer den „inneren Kritiker“ nannte. Es ist die Stimme in uns, die ständig negativ ist und die ständig kritisiert, z. B.: „Das wirst du doch nie schaffen“ oder „Du bist so schlecht, dich kann doch keiner mögen“ oder „Diese Person wird sich niemals bekehren; warum betest du eigentlich noch für sie?“ oder „Alles, was du tust, das bringt doch rein gar nichts; du könntest genauso gut damit aufhören“.
Johannes Hartl, den ich gerade schon zitiert hatte, hat hunderte von Vorträgen gehalten. Viele von diesen Vorträgen kann man sich auf YouTube ansehen oder als Podcast hören. Einer seiner Vorträge, der am häufigsten aufgerufen wurde, heißt „Nein zu Entmutigung“. Mit diesem Vortrag hat er wirklich einen Nerv getroffen. Jeder von uns hat Zeiten tiefer Entmutigung. Es hat nichts mit dem Alter zu tun, auch wenn es vielleicht Phasen im Leben gibt, in den man anfälliger dafür ist. Es hat auch nichts mit dem Geschlecht zu tun. Es hat nichts mit der geistlichen Reife zu tun, denn wenn Männer des Glaubens wie Elia und Paulus solche Zeiten kannten, dann geschieht es allen Menschen. Es ist ein Thema, dass für jeden von uns Relevanz hat.

2. Wie geschieht Ermutigung?
Im Text erfahren wir drei spezifische Ereignisse, die so orchestriert zu sein scheinen, um Paulus zu helfen. In Vers 2 ist von zwei Expats die Rede, die kürzlich aus Rom in Korinth eingereist waren. Das Ehepaar heißt Aquila und Priscilla. Dieses Ehepaar wird sechsmal in der Bibel erwähnt. Interessanterweise wird meist die Frau zuerst genannt und danach der Mann. Es ist vermutlich ein subtiler Hinweis darauf, dass Priscilla die Aktivere war und vermutlich auch eine leitende Rolle gespielt hatte. Was hatte es mit dem Ehepaar auf sich? Lukas erwähnt, dass Kaiser Claudius angeordnet hatte, dass alle Juden Rom verlassen sollten. Der Geschichtsschreiber Suetonius erwähnt, dass es in Rom Aufruhr bei den Juden wegen eines „Chrestus“ gab. Chrestus klingt sehr verdächtig nach Christus. Viele Ausleger gehen daher davon aus, dass es in den späten 40er Jahren Christen in Rom gab. Das hatte zu handfesten Streitereien unter den Juden geführt, so ähnlich wie wir das oft in der Apostelgeschichte sehen, nicht zuletzt in Korinth. Claudius wurde das Treiben zu bunt und verbannte die Juden kurzerhand. Viele dieser Juden kehrten später nach Rom zurück, nachdem Claudius gestorben war, einschließlich Priscilla und Aquila.
Dieses unzertrennliche Ehepaar war wahrscheinlich bereits in Rom zum Glauben gekommen. Vers 3 erwähnt, dass sie das gleiche Handwerk wie Paulus ausübten: Zeltmacher. Anscheinend verstanden Priscilla, Aquila und Paulus sich in jeder Hinsicht gut. Sie werden richtig gute Mitarbeiter, Kollegen und vor allem Freunde. Die Freundschaft geht so weit, dass Paulus sie immer wieder in seinen Briefen grüßen lässt. Und das ist das erste wirklich ermutigende Ereignis in Paulus‘ Leben. Er findet neue Seelenverwandte; Freunde, die bereit sind, mit ihm durch dick und dünn zu gehen.
Das zweite ermutigende Ereignis ist in Vers 5: „Als aber Silas und Timotheus aus Mazedonien eingetroffen waren, widmete sich Paulus ganz dem Wort und bezeugte den Juden, dass Jesus der Christus sei.“ Vielleicht fragt ihr euch, was daran so ermutigend ist. Paulus hatte Silas und Timotheus in Mazedonien zurückgelassen, weil es immer noch Arbeit für sie zu tun gab. Ihre Mission war beendet, und das Reiseteam war wieder vereint. Nicht nur das, sehr wahrscheinlich hatten sie Geld mitgebracht. Paulus konnte aufhören, als Zeltmacher zu arbeiten und sich stattdessen ganz dem Predigtdienst widmen. Das war eine praktische Hilfe für Paulus.
Als Elia in der Wüste war, kam ein Engel. Zweimal gibt der Engel Elia zu essen: gegrilltes Brot und frisches Wasser. Warum war das Brot gegrillt? Weil alles, was gegrillt ist, besser schmeckt. Es ist diese Art von praktischer Hilfe, die eine echte Ermutigung sein kann, wenn es uns schlecht geht: Geld, das hilft eine Not zu überbrücken; oder einfach etwas zu essen und zu trinken; oder einfach etwas Schlaf.
Das dritte ermutigend Ereignis haben wir bereits betrachtet. Jesus erschien ihm in der Nacht. Ich finde es interessant, dass Jesus ihm in der Nacht erscheint. Viele von euch kennen das wahrscheinlich: Kurz vor dem Einschlafen kommen uns ganz viele Gedanken. Und oft denken wir, dass diese Gedanken so klar und so genial sind, obwohl sie in Wirklichkeit ziemlich dämlich sind. Oder wir haben ein Gedankenkarussell, und wir können nicht einschlafen, weil wir uns Sorgen machen. Aber inmitten der dunklen Nacht der Seele, kommt Jesus und verschafft ihm Klarheit: „Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht! Denn ich bin mit dir, niemand wird dir etwas antun. Viel Volk nämlich gehört mir in dieser Stadt.“ Vielleicht fühlte Paulus sich einsam und allein. Und Jesus sagt ihm, dass das nicht realitätsferner sein könnte. Jesus war mit ihm. Jesus war derjenige, der ihn bewahrte. Jesus hatte alles in der Hand. Vielleicht sind genau das die ermutigenden Worte, die wir hören müssen?
In der Fernsehserie Big Bang Theory gibt es einen jungen Mann namens Leonard, der fast immer Zweifel hat. Als seine Freundin von ihm wegzieht, fragt er seine Mutter um Rat. Seine Mutter ist eine eiskalte Psychologin mit null Empathie. Ihr Rat: „Reiß dich zusammen.“ Leonard fragt: „Du bist eine weltbekannte Expertin für Kindererziehung, und alles, was du mir sagen kannst, ist: reiß dich zusammen?!?“ Sie überlegt kurz und sagt dann: „Entschuldigung. Reiß dich zusammen, du Weichei!“ Leonard sagt: „Dankeschön, mir geht es schon viel besser.“ Seine Mutter antwortet: „Gerne geschehen. Falls du weitere Hilfe von mir brauchen solltest, kannst du meine Bücher auf Amazon finden.“ Die Komik dahinter ist natürlich, dass das nicht hilfreich ist.
John Ortberg berichtet davon, wie er vor Jahren durch ein finsteres Tal ging. Er schrieb: „In meiner eigenen dunkelsten Zeit vor einigen Jahren war meine größte Enttäuschung tief und unüberwindbar. Ich stellte meine Berufung in Frage. Ich dachte nicht an Selbstmord, aber ich dachte definitiv, dass ich, wenn mein Leben zu Ende wäre, für das Endes des Schmerzes dankbar wäre. Ich sprach mit ein paar engen Freunden, die mir ihr Mitgefühl und ihre Unterstützung zusagten, wofür ich dankbar war. Aber dann tat ich das, was ich schon so oft getan habe, wenn ich nicht denken oder beten oder mir einen Ausweg aus meiner Situation überlegen konnte. Ich rief Dallas Willard an. Ich schilderte ihm die Umstände, den Herzschmerz, und die Leiden und wartete bangend auf seine Antwort. Lange Pause. ‚Dies wird ein Test sein für dein freudiges Vertrauen in Gott.‘ Stille.“ Später sagte Ortberg, dass nur Dallas Willard so eine Antwort geben konnte. Anscheinend war es genau das, was er hören musste.
Der heutige Text gibt sehr praktische Tipps, die wir mitnehmen können. Wenn wir durch das ein oder andere Tal echter Entmutigung hindurch müssen, dürfen wir uns an diese drei Elemente erinnern. Zum einen, Gott hat uns Freunde im Leben gegeben; wir brauchen Zeiten der Mutlosigkeit nicht allein durchzustehen. Als zweites, oftmals sind es die praktischen Dinge, die uns helfen, wieder Mut zu fassen, Geld, Essen, Trinken, Schlafen. Und vor allem anderen: Am Ende des Tages ist es Gott selbst, der uns ermutigt. Gott ist derjenige, der in unsere geistliche Depression hineinspricht. Gott ist derjenige, der uns wieder aufrichtet. Er ist derjenige, der uns das zuspricht, was wir hören müssen. Gott ist derjenige, der an unserer Seite ist. Nichts ist ermutigender, als nahe bei Gott zu sein.

3. Wozu gibt Gott Ermutigung?
Wir finden die Antwort in Vers 10. Jesus sagt: „Viel Volk nämlich gehört mir in dieser Stadt.“ Vorhin haben wir gesehen, dass Entmutigung ein plötzlicher, irrationaler und unspezifischer Verlust von Perspektive ist. Und Jesu Wort hier (in Vers 10), ist so wichtig für einen großen Perspektivwechsel. Zwei Gedanken dazu.
Wir sehen zum einen, dass es um Jesu Volk und Jesu Auftrag geht, nicht um unseren eigenen. Entmutigung ist ganz häufig ein Blick auf sich selbst: meine Unfähigkeit, mein Unvermögen, mein Versagen. Jesu Ermutigung ist ein Blick auf ihn. Wir erkennen, dass wir zu etwas berufen sind, was größer und bedeutender und herrlicher ist, als unser eigenes Leben. Und wir erkennen, dass Jesus souverän ist. Sein Wille wird geschehen, weil es um ihn geht.
Zum Schluss, es zeigt den Wert, den Jesus in uns sieht. Jesu Volk ist Jesu Eigentum. C.S. Lewis ging durch eine sehr harte Zeit, als seine Frau gestorben war. Lewis war jemand, der erst sehr spät heiratete (im ‚zarten‘ Alter von 57 Jahren), als alle dachten, dass er mit diesem Thema schon abgeschlossen hätte. Seine Ehe war schön aber sehr kurz, weil seine Frau nur drei Jahre später verstarb. Lewis verarbeitete seine Trauer in einem kurzen Buch (‚A Grief Observed‘). Er berichtet davon, wie er am Sterbebett seiner Frau war. Als das Ende nahe war, sagte er zu ihr: „Wenn du kannst – wenn es erlaubt ist – komm zu mir, wenn ich im Sterbebett liege.“ Ihre Antwort war: „Erlaubt! Der Himmel hätte einiges zu tun, mich zu halten; und was die Hölle betrifft, würde ich sie in Stücke hauen.“ Sie hatte sowohl ein Zwinkern als auch eine Träne in den Augen.
Und hier kommt der Punkt: natürlich ging das nicht. Beide wussten das, so sehr sie sich einander liebten. Sie gehörten beide einander. Aber noch viel mehr gehörten beide zu Jesus. C.S. Lewis beendet sein Buch, in dem er schreibt: „Wie schlimm wäre es, wenn man die Toten zurückrufen könnte! Sie sagte nicht zu mir, sondern zu dem Priester: »Ich habe Frieden mit Gott.« Sie lächelte, aber nicht zu mir. Dann zurück zum ewigen Brunnen [Zitat aus Dantes ‚Göttlicher Komödie‘].“ Das war seine Art loszulassen und zu verstehen, dass sie bei Jesus war, was unendlich viel besser war.
Jesus will, dass Paulus den unendlichen Wert seines Volkes versteht. Jesus gab sein Leben, damit seine Gemeinde leben kann. Du und ich, jeder einzelne von uns, wir haben einen unendlichen Wert, weil Jesus einen unendlichen Preis für uns bezahlt hat. In einem Lied heißt es:

Die Gemeinde steht gegründet allein auf Jesus Christ,
sie, die des großen Gottes neue Schöpfung ist.
Vom Himmel kam er nieder und wählte sie zur Braut,
hat sich mit seinem Blut ihr ewig angetraut.

Jesus hat mit seinem Blut für dich bezahlt. Was gibt es noch, was er für uns hätte tun können? Alles wird gut werden. Natürlich wird alles gut werden, weil dieser Jesus mit uns ist, und weil alles in seiner Hand ist.

 
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