Predigt: 1. Timotheus 5,1-25

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Die Gemeinde: deine Familie

„Ehre die Witwen, wenn sie wirklich Witwen sind!“

(1. Timotheus 5,3)

Wir haben gesehen, dass es zum Verständnis vom 1. Timotheusbrief einen wichtigen Schlüssel gibt: Falsche Lehrer trieben ihr Unwesen in der Gemeinde von Ephesus. Sehr wahrscheinlich waren unter den falschen Lehrern Älteste. Und wir können ziemlich sicher davon ausgehen, dass Frauen ein Teil dieses Problems waren. Paulus geht das Problem an, indem er sehr konkrete und sehr spezifische Anweisungen gibt, was Timotheus inmitten dieser Situation tun sollte – so spezifisch, dass er ihm sogar in Vers 23 sagt, dass er nicht nur Wasser trinken sollte, sondern auch etwas Wein.
Dieser Hintergrund ist wichtig zum Verständnis unseres heutigen Texts. Es geht darum, wie die Witwen in der Gemeinde versorgt werden sollten. Wir könnten meinen, dass das nur bedingt etwas mit unserer Gemeinde zu tun hat. Wir sind immer noch eine relativ junge Gemeinde. Wir scheinen andere Probleme zu haben, als uns um Hinterbliebene zu kümmern. Und doch glaube ich daran, dass uns dieser Text richtig viel zu sagen hat. Es stecken ein paar Annahmen dahinter, die richtig relevant für uns sind.
Folgende Punkte können wir mitnehmen: erstens, die Gemeinde ist deine Familie; zweitens, jede Familie braucht Regeln zum Zusammenleben; drittens, die christliche Familie hat eine identitätsstiftende Grundlage.

1. Die Gemeinde ist deine Familie
Wir sehen den ersten Punkt in den ersten zwei Versen. Wir lesen da: „Einen älteren Mann sollst du nicht grob behandeln, sondern ihm zureden wie einem Vater. Mit jüngeren Männern rede wie mit Brüdern, mit älteren Frauen wie mit Müttern, mit jüngeren wie mit Schwestern, in aller Zurückhaltung!“ Timotheus war der temporäre Leiter in Ephesus. Als Leiter hatte er eine ganze Reihe von schwierigen Gesprächen zu führen. Wir können davon ausgehen, dass es bei einigen von diesen Gesprächen richtig zur Sache ging, dass der Ton etwas rauer werden konnte. Aber das sollte Timotheus nicht davon abhalten, respektvoll zu sein. Timotheus sollte ältere Männer niemals hart angehen. Paulus sagte nicht, dass Timotheus die älteren Männer nicht ermahnen sollte. Wenn es entsprechenden Grund gab, sollte er das tun. Aber er sollte es so tun, wie er seinen eigenen Vater ermahnen würde: mit Liebe und Respekt.
In diesen zwei Versen erwähnt Paulus Väter, Mütter, Brüder und Schwestern. Uns fällt hier auf, welche Arten von Verwandtschaften Paulus nicht erwähnt. Paulus spricht nicht von Onkeln und Tanten oder Nichten und Neffen; er erwähnt keine Opas und Omas oder Enkelkinder; er nennt hier auch keine Cousins und Cousinen, zweiten oder dritten Grades. Er spricht von den engsten Familienmitgliedern, die man haben kann. Außer dem Ehepartner gibt es keine engere Bindung. Viele Stellen in der Bibel weisen uns darauf hin, dass wir innerhalb der Gemeinde Brüder und Schwestern sind. In Matthäus 23,8 sagte Jesus: „Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder.“ Und Jesus hatte damit gemeint, dass die Gemeinschaft der Gläubigen aus Brüdern und Schwestern besteht.
Was bedeutet das dann für uns? Mindestens zwei Anwendungen können und sollten wir hier unbedingt mitnehmen. Zum einen bedeutet es, dass unsere Beziehungen hier in dieser Gemeinde wirklich wichtig sind. Übrigens gilt das nicht nur für unsere lokale Gemeinde hier, sondern definitiv auch gemeindeübergreifend. Aber weil Jesus uns gelehrt hat, dass wir unsere Nächsten lieben sollen, lass uns gerne hier in diesem Raum anfangen. Neben dir, vor dir und/oder hinter dir sitzen dein Bruder und deine Schwester. Die Person, neben der du sitzt, ist nicht egal. Sie kann dir nicht gleichgültig sein. Und vielleicht bist du hier reingekommen und hast erst einmal geschaut, neben wem du dich sitzen kannst. Vielleicht dachtest du, dass du mit der Person neben dir, nichts gemeinsam hast, weil du denkst, dass ihr Null gemeinsame Interessen habt, weil ein kultureller Unterschied besteht, weil der Altersabstand zu groß ist. Wenn du eher zu den Älteren gehörst, dachtest du vielleicht, dass du mit der jüngeren Person neben dir nichts anfangen kannst, weil er oder sie jeden zweiten Satz mit den Worten beginnt: „Ey Digger …“ Wenn du zu den Jüngeren gehörst, denkst du vielleicht, dass du mit den Älteren nichts anfangen kannst, weil sie noch nicht einmal wissen, was TikTok ist.
Aber Fakt ist, dass wir uns da nicht mehr irren könnten. Das, was dich mit der Person neben dir verbindet, ist größer, stärker, weitreichender, langanhaltender als die Beziehungen zu deiner leiblichen Familie, weil Jesus eure gemeinsame Grundlage ist. Der kleinste gemeinsame Nenner ist Jesus, und Jesus ist größer als das ganze Universum. Die Person, neben der du gerade sitzt, ist wichtig. Die Person, neben der du sitzt, ist dein Bruder und deine Schwester. Eines Tages wirst du deine ganze Ewigkeit mit ihm oder mit ihr verbringen. Also fang besser jetzt schon an, dich für die andere Person zu interessieren. Fang jetzt schon an, deren Wohlbefinden auf deinem Herzen zu haben.
Eine weitere Anwendung hat etwas mit dem Aspekt der Qualität der Beziehungen zu tun. Denken wir einmal kurz über die Beziehungen nach, die wir in unserem Leben haben: unsere Freundschaften, der oder die Ehepartner/in oder Verlobte, unsere Eltern, unsere Kinder, die Kollegen, die Mannschaft im Sportverein, unser Bekanntenkreis. Im Prinzip ist es so, dass man zwei Arten von Beziehungen unterscheiden kann, ganz grob gesprochen. Auf der einen Seite sind Geschäftsbeziehungen und dann gibt es Bundesbeziehungen. Und das erfordert ein paar erklärende Worte.
Wenn wir das Wort „Geschäftsbeziehungen“ hören, dann denken wir an unser Berufsleben, die Kunden, um die wir uns kümmern müssen, Networking usw. Das, was diese Art von Beziehungen im Wesen ausmacht, ist, dass sie an Bedingungen geknüpft sind. Solange wir einen Benefit haben, solange es uns etwas bringt, bleiben wir in dieser Beziehung. Wenn wir aber merken, dass wir dauerhaft mehr investieren müssen als wir herausbekommen, dass es uns nur Nachteile, Mühe, Strapazen und Stress bringt, dann beenden wir diese Beziehung. Geschäftsbeziehungen sind kein Selbstzweck.
Bundesbeziehungen funktionieren ganz anders. Sie beruhen auf der Tatsache, dass wir ein Versprechen abgeben, dass wir uns freiwillig dazu verpflichten. Wenn wir uns auf eine solche Beziehung einlassen, dann verbleiben wir auch dann noch darin, wenn es uns Nachteile bringt. Wir bleiben auch dann noch in der Beziehung, wenn es uns nichts als Nachteile bringt. Denken wir zum Beispiel an unsere Kinder: wir pflegen und hegen sie, ernähren sie, haben schlaflose Nächte ihretwegen, kleiden und baden sie, und lesen ihnen zum tausendsten Mal ihr Lieblingsbuch vor, das wir schon längst auswendig gelernt haben. Und was ist der Dank? Sie werden Teenager und sagen uns: „Was hast du denn jemals für mich getan? Du verstehst mich nicht! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!“ Nichts als Ärger.
Ich kann mich an eine Situation erinnern, in der ich mich (natürlich völlig zurecht) über eine Person geärgert habe. Ich weiß nicht mehr, was genau ich in dieser Situation gesagt hatte. Aber meine Frau hatte sich das angehört, und dann zu mir gesagt: „Das, was du damit sagst, heißt ja nichts anderes als dass deine Liebe an Bedingungen geknüpft ist.“ Meine Antwort darauf war: „Genau, meine Liebe ist konditional. Ich liebe unsere Kinder so lange, wie sie sich zu benehmen wissen!“
Ich hatte mich mit Kollegen unterhalten, wie sie mit ihren Kindern klarkommen. Und einer von ihnen sagte zu mir: „Ich sehe die Mühen und Opfer als einen Generationenvertrag.“ Obwohl Kindererziehung echt anstrengend ist, bleiben wir in dieser Beziehung und absorbieren den ganzen Schmerz. Wir enterben die Kinder nicht einfach (zumindest noch nicht). Warum? Weil wahre Liebe bedingungslos ist. Weil die Beziehung an sich einen Wert hat. Und wisst ihr was? Am Ende des Tages machen uns diese Art von Bundesbeziehungen viel glücklicher. Es macht das Leben erst lebenswert.
Das Problem unserer westlichen Gesellschaft ist, dass so viele unserer Beziehungen selbst unter Freunden oder in der Gemeinde oder selbst beim Ehepartner, meistens unbewusst als Geschäftsbeziehungen gelebt werden. Vermutlich ist das einer der Hauptgründe, weshalb mehr als ein Drittel der Ehen in Deutschland geschieden werden: „Warum sollte man in einer Ehe leben, in der man selbst nicht glücklich wird?“ Damit meine ich nicht häuslichen Missbrauch und Gewalt: Natürlich sollte man aus einer Beziehung raus, in der man misshandelt wird. Aber in unserer Kultur ist der Glaube tief verankert, dass Ehe und Partnerschaft dazu da sind, dich glücklich zu machen; und wenn du in der Partnerschaft nicht glücklich bist, dann ist es die Beziehung nicht wert.
Wir sehen Ähnliches auch in der Gemeindezugehörigkeit. Tim Keller schrieb in einem Aufsatz: „Gläubige wechseln oft die Gemeinde und die christliche Gemeinschaft, sobald sie sich in einer ihrer Beziehungen unwohl oder unglücklich – oder auch nur gelangweilt und uninspiriert – fühlen.“ Und genau so sollten die Beziehungen in der Gemeinde nicht sein. Brüder und Schwestern zu sein, bedeutet, dass wir einander eine verbindliche Zusage machen; dass wir auch dann füreinander einstehen, wenn es unangenehm ist oder gar nicht gut läuft. Die Beziehungen in der Gemeinde sind kategorisch Bundesbeziehungen, nicht Geschäftsbeziehungen.
Ein letztes Beispiel, bevor ich weitermache. Vor einigen Wochen waren die christlichen Hochschulgruppenleiter bei uns zu Hause zum Frühstück. Pastor J.L. war auch dabei. Es gab eine ziemlich lange und verfahrene Diskussion, weil bei einer gemeinsamen Veranstaltung ein Prediger eine ziemlich kontroverse Predigt gehalten hatte. Mitarbeiter der einen Hochschulgruppe hatten den Raum verlassen, weil sie mit der Predigt nicht klarkamen. Ihr Leiter stellte sich hinter seine Mitarbeiter. Am gleichen Tisch saß aber gleichzeitig derjenige, der den Prediger eingeladen hatte, und er fühlte sich persönlich angegriffen. Es ging eine ganze Weile hin und her. Irgendwann hat J.L. interveniert. J.L. wendete sich an den Leiter, dessen Leute während der Versammlung gegangen waren. Und er sagte einen dieser Sätze, die ich nicht vergessen kann: „Du bist ein Leiter. Also trägst du Mitverantwortung für den Prediger, auch wenn du mit der Nominierung nicht einverstanden warst. Es ist ein Prinzip christlicher Einheit, auch das mitzutragen, was nicht gut läuft, und jemanden den Rücken freizuhalten, auch wenn man nicht einverstanden ist.“ Es bedeutet nicht, dass kein Raum für Ermahnung vorhanden ist; es bedeutet nicht, dass man nicht sagt, wenn einem etwas nicht passt. Aber es bedeutet, dass die Beziehung im Vordergrund steht; dass wir auch dann zur Beziehung stehen, wenn es uns wirklich kostet, einschließlich unserer Glaubwürdigkeit.
Welche Beziehungen hast du, die nicht Geschäftsbeziehungen sind, wo es nicht primär um deine Erfüllung, um dein Glück und um deine Bedürfnisse geht? Welche Beziehungen hast du in der Gemeinde?

2. Jede Familie braucht Regeln im Zusammenleben
In den Versen 3–16 gibt Paulus Anweisungen bezüglich der Versorgung der Witwen. Wir alle wissen, dass Witwen damals in einer extrem verletzlichen Lage waren. In der Regel waren Witwen auf Hilfe von außen angewiesen. In der Bibel sind Witwen ein Sinnbild für Hilfsbedürftigkeit. Aber was in den Augen der Menschen gering aussieht, ist so wertvoll in Gottes Augen. Wir lesen in Vers 5: „Eine Frau aber, die wirklich eine Witwe ist und allein steht, setzt ihre Hoffnung auf Gott und betet beharrlich und inständig bei Tag und Nacht.“ Uwe Schäfer hatte sich voller Respekt über die alten Frauen geäußert, die beten können: „Und wenn sie dann auch noch anfangen, im Gebet zu weinen, dann bekommen sie bei Gott einfach alles durch.“ In Boston hatte ich einmal an einem christlichen Symposium teilgenommen, wo auch ein Vertreter der russischen Kirche gesprochen hatte. Er erzählte, wie jemand etwas verächtlich über die Gemeinde Jesu in Russland gesagt hatte: „Eure Gemeinde besteht doch nur aus alten Frauen. Was macht ihr, wenn eure alten Frauen tot sind?“ Seine Antwort war: „Sie werden durch die nächste Generation von alten Frauen ersetzt.“
In Gottes Augen sind Witwen großartige Menschen. Die Gemeinde hatte die Aufgabe, diese Witwen zu versorgen. Welches Problem gab es in der Gemeinde Ephesus? Ein Problem war, dass das sehr viel Geld kostete. Und die Gemeindekasse gab das einfach nicht mehr her. Es gab zu viele Frauen, die versorgt werden mussten. Die Frage war dann, ob wirklich alle Frauen zurecht Hilfe bekamen.
Paulus stellt folgende Kriterien auf: Eine Witwe die Kinder oder Enkel hat, soll von ihren Angehörigen versorgt werden. In Vers 8 sagt Paulus, dass Angehörige, die nicht für ihre eigenen Hilfsbedürftigen aufkamen, schlimmer sind, als die Ungläubigen. D. h., selbst von Nichtchristen erwartete die Gesellschaft, dass sie sich um ihre Angehörigen kümmerten. Christen, die das nicht machten, waren in diesem Sinne schlimmer als ihre nicht gläubigen Nachbarn. Neben der Tatsache, dass Witwen alleinstehend sein sollten, kamen charakterliche Qualifikationen hinzu. Wir finden in dieser Liste gewisse Parallelen zu den Qualifikationen, die von Ältesten und Diakonen erwartet werden: Die Witwen, die von der Gemeinde versorgt werden sollten, waren mindestens 60 Jahre alt, Frau von einem Mann, was vermutlich bedeutet, dass sie zeit ihres Lebens ihrem Ehemann treu war, bekannt für ihre guten Werke, hatte Kinder großgezogen, war bekannt für ihre Gastfreundschaft und Dienerschaft. In Vers 3 schrieb Paulus: „Ehre die Witwen, wenn sie wirklich Witwen sind!“ In seinen Augen waren das die „richtigen“ Witwen, die primär von der Gemeinde versorgt werden sollten. Sie sollten auf die Liste.
In den Versen 11–15 schreibt Paulus welche Witwen nicht auf die Liste kommen sollten: jüngere Frauen. Ihnen gab er den Rat, dass sie heiraten sollten. Idealerweise sollten sie Familien gründen, Kinder zur Welt bringen. Warum diese Anweisung? Weil anscheinend diese Witwen vorher ein ziemlich gutes Leben hatten: Sie wurden von der Gemeinde versorgt, hatten aber keine besonderen Aufgaben. Für sie wurde Klatsch und Tratsch ihre Hauptmission.
Was können hier mitnehmen? Ich denke nicht, dass diese Anweisungen eine allgemeine Abhandlung darüber sind, wie eine Gemeinde ihre Witwen zu versorgen hat. Dieser Brief ist keine Bedienungsanleitung für die Gemeinde. Zum Beispiel denke ich nicht, dass die Grenze von 60 Jahren absolut ist, und dass eine alleinstehende Frau heute, die Hilfe braucht und die vielleicht nur 55 Jahre alt ist oder 59 Jahre und 10 Monate, nicht von der Gemeinde versorgt werden darf. Paulus gibt sehr spezifische Anweisungen an eine Gemeinde, die in einer sehr speziellen Lage war. Und was wir hier sehen, ist, dass Paulus nicht nur ein großartiger Visionär war. Er war auch ein Macher. Er hatte genug praxisnahe Gemeindeerfahrung, um pragmatische Lösungen zu finden.
Jede Familie braucht Regeln fürs Zusammenleben. Und vor diesem Hintergrund denke ich, dass es gut und hilfreich ist, dass eine Gemeinde eine Gemeindesatzung hat. Und dass es die Regel gibt, dass Essensreste nicht einfach in der Mülltonne entsorgt werden und unter der Woche zu einer Brutstätte für Fliegen werden, sondern dass wir organische Abfälle direkt draußen entsorgen. Auch dieser Aspekt gehört zu einem Familienleben dazu.

3. Die christliche Gemeinde hat eine identitätsstiftende Grundlage
Wir haben gesehen, dass Paulus‘ Verständnis von christlicher Gemeinde eine Familie ist. Und wir haben gesehen, dass eine Familie sich um die Menschen kümmern soll, die ansonsten niemanden haben. So weit so religiös. Das Christentum ist nur ein Glaube, der dazu auffordert, dass wir uns um die Bedürftigen kümmern. Und es könnte den Eindruck erwecken, dass es zwei Kategorien von Menschen gibt: diejenigen, die helfen können und die anderen, die Hilfe brauchen; diejenigen, die was haben und was abgeben können und die anderen, die arm sind und nichts haben; diejenigen, die gut im Leben dastehen und die anderen, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen.
Wenn wir den Text betrachten, dann sehen wir, dass Paulus das überhaupt nicht so sah. Im Gegenteil, die Witwen, die versorgt werden sollen, haben nicht nur Qualifikationen, sondern Ansehen und Würde. Es sind die Witwen, die nicht unbedingt auf Hilfe von der Gemeinde angewiesen sind und es doch tun, die Paulus kritisiert. Vertauschte Rollen! Wie kommt das? Es hat etwas mit der Identität zu tun, die es uns erst erlaubt, Teil von Gottes Familie zu werden. Wie wurden wir zu Gottes Familie?
In Johannes 15,14 sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.“ Das waren seine Worte in der Nacht vor seinem gewaltsamen Tod. Und wir sehen einen bemerkenswerten Wechsel in Jesu Wortwahl, nachdem er am Kreuz gestorben und auferstanden war. In Johannes 20,17 spricht Jesus zu Maria Magdala: „Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ Wie wurden wir also Teil von Gottes Familie? Am Kreuz wurde Jesus, der eine und der wahre Sohn Gottes vom Vater verlassen. Jesus verlor die Liebe, die Anerkennung, die freundliche Zuwendung des Vaters als er starb. Jesus bietet uns einen wunderbaren Tausch an: sein vollkommenes Leben gegen unser verkorkstes Leben; sein Status als geliebter Sohn gegen unseren Status als Feinde Gottes; seine Identität gegen unsere Namenslosigkeit. Unsere Identität als Brüder und Schwester Jesu ist, dass wir Sünder sind, die von Gott unendlich geliebt sind und gerettet sind durch das Opfer seines Sohnes.
Das heißt, dass es im Evangelium nicht die Helfer und die Hilfsbedürftigen gibt. Wir sind allesamt die Hilfsbedürftigen. Wir alle sind die Witwe, die in Jesus den wahren Bräutigam gefunden haben. Wir alle sind die Waisenkinder, die in Gott ihren wahren Vater gefunden haben. Wir alle sind die verlorenen Söhne, die durch unseren wahren älteren Bruder Jesus gefunden wurden. Und wenn wir bereit sind, diese Hilflosigkeit immer und immer wieder neu einzugestehen und zu bekennen, dann haben wir die eine Grundlage, Jesus immer wieder neu zu begegnen. Und das ist der Grund, weshalb die wirklich hilfsbedürftigen Witwen, die alten Frauen, die niemanden hatten außer Jesus, in Paulus Augen so würdevoll und so wertvoll waren.
Lasst mich mit einem Beispiel abschließen. Joni Eareckson-Tada ist eine ältere Frau, die als 17-jähriges Mädchen einen Badeunfall hatte und seither querschnittsgelähmt ist. Sie sitzt seit mehr als fünf Jahrzehnten im Rollstuhl. Als eine behinderte Person ist sie ein Beispiel von Hilfsbedürftigkeit. Sie braucht Hilfe beim Aufstehen, Hilfe beim Waschen, Hilfe beim Anziehen, Hilfe für die einfachsten Dinge des Lebens. Eines Nachts wollte sie weinen, aber sie wusste, dass sie noch nicht einmal in der Lage war, sich selbst die Tränen abzuwischen. Also hat sie ihren ganzen Kummer geschluckt.
Bei einem Vortrag hat sie Folgendes gesagt:
„Ich hoffe, dass es möglich ist, im Himmel meinen Rollstuhl mit dabei zu haben. Wenn es möglich wäre, diesen Rollstuhl mit mir im Himmel zu haben, dann würde ich zu meinem Heiland gehen, und ich würde ihm folgendes sagen: ‚Herr Jesus, siehst du diesen Rollstuhl da? Bevor du ihn in die Hölle schickst, möchte ich dir etwas bekennen. Du weißt das alles bereits. Aber gib mir das Vergnügen, dich zu preisen, wenn ich dir das sage. Je schwächer ich in diesem Ding dort war, desto mehr habe ich mich auf dich gestützt. Und je mehr ich mich auf dich gestützt habe, desto mehr habe ich erkannt, wie stark du bist. Ich bin so dankbar.‘ “
Liebe Brüder und Schwestern, was ist eure Schwäche, die euch auf solche Art und Weise zu Jesus bringt?

 

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