Ein neues Gebot
„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt,wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.
Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid,
wenn ihr Liebe untereinander habt.“
(13,34.35)
Letzte Woche haben wir durch den ersten Teil dieses Kapitels die wunderschöne Liebe Jesu kennen gelernt. Obwohl Jesus wusste, dass die Zeit gekommen war, in der er sterben und zum Vater gehen sollte, kümmerte er sich nicht um sich selbst, sondern liebte seine Jünger bis ans Ende. Und wir haben gesehen, wie Jesus sie geliebt hat; dass er von seinem Platz aufgestanden ist und jedem Einzelnen wie ein Diener die Füße gewaschen hat. Petrus fand es nicht angemessen, dass sein Meister sich so erniedrigen und ihm auf diese Weise dienen wollte. Aber Jesus machte ihm klar, dass er seine reinigende Liebe annehmen musste, wenn er an ihm Teil haben wollte. Nachdem Jesus seinen Jüngern auf so demütige Weise gedient hat, forderte er sie dazu auf, dass sie seinem Beispiel folgen sollten (15). Wer hat aufgrund dessen jemandem aus Liebe die Füße gewaschen?
Unser heutiger Abschnitt ist nicht nur eine direkte Fortsetzung dieses Textes, sondern er ist auch inhaltliche eine Vertiefung und gewaltige Steigerung. Denn darin wird zum einen das Problem von Judas, das im Vers 2 bereits erwähnt wurde, klar zur Sprache gebracht und im Licht von Jesu Liebe erleuchtet. Zum andern wird auch das Problem von Petrus noch klarer verständlich gemacht. Vor allem aber gibt Jesus hier seinen Jüngern und damit auch uns das neue Gebot, dass wir uns untereinander lieben sollen, wie er uns geliebt hat (33.34). Nachdem Jesus im ersten Teil ein Beispiel für praktischen Liebesdienst gezeigt und dazu aufgefordert hat, seinem Beispiel zu folgen, steigert er seine Aufforderung zum Gebot der Liebe, wobei er uns gleichzeitig die Grundlage und den Maßstab gibt, mit dem wir die anderen lieben sollen, nämlich seine Liebe zu uns. Möge Gott uns helfen, Jesu Liebe tief anzunehmen! Möge er uns helfen, Jesu Gebot zu vernehmen und ihm von Herzen zu gehorchen!
Teil 1: Jesus spricht aus Liebe über den Verrat von Judas (18-30)
Nachdem Jesus den Jüngern seine Liebe erwiesen und sie aufgefordert hat, seinem Beispiel zu folgen, sollten eigentlich alle Jünger seine reinigende Liebe annehmen, und alle sollten auch dem Beispiel Jesu folgen und den anderen mit solcher Liebe dienen. Aber Jesus wusste, dass einer der Jünger seine Liebe nie von Herzen angenommen hatte (2). Betrachten wir Vers 18: „Das sage ich nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muss die Schrift erfüllt werden: Der mein Brot isst, tritt mich mit Füßen.“ Jesus hatte die zwölf Jünger erwählt und hatte sie zur Lebensgemeinschaft eingeladen und hatte sie alle bis zum Ende geliebt. Nach außen hin hatten alle seine Berufung angenommen und waren ihm gefolgt. Aber Jesus kennt das Herz von jedem Menschen, und er sieht nicht nur unsere äußeren Taten, sondern auch unser Motive und Einstellungen im Herz. Daher wusste Jesus, dass Judas seine Liebe nicht angenommen hatte, sondern sie mit Füßen treten würde.
Bis dahin hatte Jesus darüber geschwiegen und die Spannung zwischen seiner Liebe und der bösen Absicht von Judas still ertragen. Warum begann er nun darüber zu sprechen? Er sagt im Vers 19: „Jetzt sage ich’s euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin.“ Jesu Motiv, mit den Jüngern über Judas’ böse Absicht zu reden, war seine Liebe zu ihnen. Denn Jesus wusste, dass sein Verrat durch Judas und seine darauf folgende Festnahme die Jünger sehr erschüttern würde und im Glauben anfechten konnte. Jesus kündigte den Jüngern den Verrat von Judas an, damit sie nicht schockiert und in Zweifel an Gottes Souveränität und Liebe geraten würden. Vielmehr sollten sie dadurch im Glauben gestärkt werden. Denn durch Jesu Ankündigung konnten sie dann, wenn es passieren würde, erkennen, dass Jesus wirklich der Sohn Gottes ist, der alle Dinge im Voraus weiß und voraussagen kann. So sorgfältig kümmerte sich Jesus um das Leben und das Wohl seiner Jünger in der Gegenwart und in der Zukunft, weil er sie so sehr liebte.
Welches geistliche Prinzip lehrte Jesus seine Jünger, als er sich darum bemühte, ihnen das Problem von Judas zu erklären? Betrachten wir V. 20: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ Jesus lehrte sie das Prinzip, wie man Gott in sein Herz und Leben aufnehmen kann. Viele fragen sich, wie sie Gott in ihr Leben aufnehmen können. Nach dem Wort Jesu können wir Gott aufnehmen, indem wir Jesus aufnehmen. Und wir können Jesus aufnehmen, indem wir diejenigen aufnehmen, die Jesus gesandt hat. Heute wollen die meisten Menschen möglichst unabhängig von anderen leben und wollen auch ohne die Hilfe anderer Gläubiger Gott finden und im Glauben leben lernen. Aber Jesus verweist hier darauf, dass derjenige ihn aufnimmt, der einen Gesandten Jesu aufnimmt. Die Jünger sollten mit entsprechendem Verantwortungsbewusstsein leben und anderen beim Glauben helfen. Judas war äußerlich gesehen Jesus treu nachgefolgt. Aber in Wirklichkeit hatte er Jesus nicht von Herzen aufgenommen. Weil er Jesus nicht aufnahm, gab es in seinem Herzen keinen Raum für Gott. Weil er Gott und Jesus nicht in sein Herz einziehen ließ, war sein Herz leer, und darin sah der Teufel seine Chance und versuchte alles, um in sein leeres Herz zu kommen. Es ist sehr wichtig, dass wir nicht nur äußerlich zum Bibelstudium oder Gottesdienst kommen, sondern dass wir unser Herz öffnen für Jesus und für diejenigen, die er gesandt hat, um uns seine Liebe zu bringen.
Betrachten wir Vers 21: „Als Jesus das gesagt hatte, wurde er betrübt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.“ Aus Liebe zu seinen Jüngern kündigt Jesus nun den Verrat konkret an. Als Jesus an Judas’ Verrat und an seine Konsequenzen dachte, wurde er selbst im Geist betrübt. Die Tatsache, dass Jesus so traurig wurde, als er an Judas und sein Schicksal dachte, zeigt, wie sehr Jesus ihn geliebt hat.
Wie reagierten die Jünger auf Jesu Ankündigung? Betrachten wir weiter den Text. Obwohl Jesus bestimmt bewusst mit ruhiger Stimme gesprochen hat, muss seine Ankündigung, dass einer unter ihnen ihn verraten würde, die Jünger schockiert haben. Sie sahen sich untereinander entsetzt an und bekamen Angst, von wem er wohl redete. In der Parallelstelle im Markusevangelium heißt es, dass sie traurig wurden und einer nach dem andern Jesus fragte: „Bin ich’s?“ (Mk 14,19) Sie waren nicht nur unsicher, wem sie noch vertrauen konnten, sondern auch unsicher, ob sie am Ende selbst diese schlimme Tat begehen würden. Die Jünger hatten drei Jahre lang Jesu Liebe erfahren und auch irgendwie angenommen. Aber ihre Unsicherheit in dieser Situation offenbart, dass sie im Glauben noch sehr instabil waren.
Betrachten wir auch die Verse 23-25. Petrus wollte diese Ungewissheit nicht aushalten, sondern wollte unbedingt wissen, von wem Jesus redete. Weil er aber nicht den Mut hatte, Jesus direkt und vielleicht quer über den Tisch hinweg zu fragen, winkte er Johannes, der direkt neben Jesus war, dass er ihn fragen sollte, wer es wäre.
Wie reagierte Jesus auf diese Frage? Jesus reagierte nicht bloß mit Worten, sondern mit einer sehr symbolischen Geste. Vers 26 berichtet: „Jesus antwortete: Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot.“ Jesus hätte Judas direkt beim Namen nennen und ihn vor allen bloß stellen können. Er hätte ihn dabei zur Rede stellen und ihm zu Recht schwere Vorwürfe machen können. Aber das tat Jesus nicht. Stattdessen gab er ihm ein Stück Brot, das er vorher extra in die Soße tunkte. Auf diese Weise zeigte Jesus seine unveränderliche Liebe zu Judas. Dass Jesus ihm ein Stück Brot gab, hatte dabei eine besondere symbolische Bedeutung, insbesondere da Jesus kurz danach mit den Jüngern das Abendmahl feiern würde. Im Hinblick darauf war das Brot ein Symbol für den Leib Christi. Jesus wollte sich auch für Judas als das Brot des Lebens selbst hingeben. Als Jesus auf diese Weise seine Liebe zu Judas ausdrückte, war das gleichzeitig seine unmissverständliche und ultimative Einladung, zu ihm umzukehren und seine vergebende Liebe anzunehmen.
Doch wie reagierte Judas? Vers 27 sagt: „Und als der den Bissen nahm, fuhr der Satan in ihn.“ Judas hätte seine böse Absicht nun wirklich aufgeben und die Liebe Jesu endlich annehmen sollen. Aber selbst als Jesu Liebe zu ihm so deutlich wurde, der ihm auch den Verrat verzeihen wollte, weigerte er sich, seine Haltung zu ändern und Jesu Liebe anzunehmen. Er verachtete Jesu Liebe, indem er einfach das Brot nahm, aber Jesu Liebe erneut ignorierte. Als er sein Herz erneut für Jesus verschloss, war es offen für den Versucher, und der Satan fuhr in ihn. Judas nahm den Bissen und ging hinaus in die Nacht und Finsternis der Sünde.
Judas’ Fall konfrontiert uns mit einer dringenden Frage. Wie konnte es passieren, dass ein Mensch, der jahrelang nahe bei Jesus war, schließlich doch in die finstere Sünde ging? Wir können verschiedene Probleme bei Judas sehen. Die Stelle in Kap. 12 über Judas Verhalten bei der Salbung Jesu durch die Frau in Betanien sagt deutlich, dass Judas Geld sehr liebte, sodass er dort auch als Dieb bezeichnet wird und keinerlei Verständnis dafür aufbringen konnte, dass die Frau ihr wertvolles Salböl für Jesus hingab (12,4-6). Aber wir können nicht sagen, dass seine Habgier Judas zwingend zum Abfall von Jesus geführt hat. Der Zöllner Matthäus zum Beispiel war früher bestimmt auch habgierig, sonst wäre er kein Zöllner geworden, aber er überwand seine Habgier offensichtlich, sodass er später das Matthäusevangelium schreiben konnte. Aber Judas kam mit seinem Sündenproblem nicht zu Jesus. Wir haben in diesem Kapitel gesehen, dass Judas Jesu Liebe nicht annahm, sondern bis zum Ende ablehnte (13,27). Da Judas Jesu gesehen war Judas im schlechtesten Sinn des Wortes ein Individualist. Er ging nicht wirklich eine Gemeinschaft mit Jesus und mit den anderen Jüngern ein. Obwohl er äußerlich alles mitmachte, behielt er in Wirklichkeit immer seine eigene Art und seine eigenen Vorstellungen und Pläne. Obwohl er so oft Jesu Liebe vor Augen geführt bekam, ließ er sich nie wirklich darauf ein, sondern blieb immer für sich selbst und hegte weiter seine eigenen Gedanken, Ziele und Wünsche. Dadurch wurde er für den Satan angreifbar und verführbar. Es ist auch für uns nicht nebensächlich, sondern lebenswichtig, dass wir Jesu Liebe annehmen und vom Herzen die Gemeinschaft mit ihm eingehen und auch die Gemeinschaft mit seinen Kindern. Judas wollte im Leben allein zurecht kommen, ohne auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Er wollte auch mit seiner Sünde selbst fertig werden, und meinte, dass er Jesu Liebe und reinigende Gnade nicht unbedingt brauchte. Aber das gelang ihm nicht.
Welche Bedeutung hatte Judas’ Verrat in Bezug auf den Tod Jesu? Manche sagen, dass Judas gar keine andere Wahl gehabt hätte, als Jesus zu verraten, da es eines Verräters bedurfte. Aber diese Sichtweise ist nicht richtig. Jesus sagt in Mk 14,21: „ Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.“ Niemand hat Judas dazu gezwungen, Jesus zu verraten, sondern es war seine eigene Wahl, und dieses Wort sagt, dass Judas auch die volle Verantwortung dafür tragen musste. Gott gebrauchte zwar Judas’ Verrat, um die Schrift zu erfüllen; aber Gott brauchte ihn nicht. Judas trug die volle Verantwortung für seinen Verrat an der Liebe und Gnade Jesu.
Als Judas hinausgegangen war, war klar, dass es nur noch eine Frage von ganz wenigen Stunden war, dass Jesu furchtbares Leiden und Sterben beginnen würde. Doch wie betrachtete Jesus das ihm bevorstehende Leiden und Sterben? Betrachten wir Verse 31 und 32: „Als Judas nun hinausgegangen war, spricht Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm. Ist Gott verherrlicht in ihm, so wird Gott ihn auch verherrlichen in sich und wird ihn bald verherrlichen.“ In diesen Versen kommt fünf Mal das Wort „verherrlichen“ vor. Jesus betrachtete sein Leiden und Sterben am Kreuz als etwas, durch das er Gott verherrlichen würde und durch das er selbst verherrlicht wurde. Was lernen wir hier von Jesus? Obwohl Jesus unsägliche Qualen und Leiden und der Tod am Kreuz bevorstanden, verkündete Jesus seine Verherrlichung und Gottes Verherrlichung. Das zeigt seine Sichtweise, dass Jesus zur Verherrlichung Gottes gelebt hat und alles unter dem Aspekt betrachtete, inwiefern Gott dadurch verherrlicht wurde. Daher betrachtete er auch sein Leiden und Sterben nicht vom ichbezogenen Standpunkt aus, sondern inwiefern es Gott und seinen Sohn verherrlichen würde. Wie konnte der qualvolle Tod Jesu am Kreuz zu seiner Verherrlichung und zur Verherrlichung Gottes dienen? Wenn wir bloß an die Leiden denken, können wir das nicht verstehen. Aber wenn wir es aus der Sicht des Erlösungswerkes Gottes sehen, das gerade dadurch erfüllt wurde, können wir es als Verherrlichung verstehen. Jesus wurde verherrlicht, weil er Gott vollkommen gehorcht hat und dadurch Gottes Heilswerk vollbracht und die Erlösung für die ganze Welt gebracht hat. Jesus hat auch Gott verherrlicht, indem er ihn als den offenbart, dem man bis zum Tod gehorchen muss, und indem er Gottes Heilswerk vollendet hat. Möge Gott uns helfen, wie er immer für die Verherrlichung Gottes zu leben. Möge er uns vor allem helfen, für Jesu Liebe unser Herz zu öffnen und seine reinigende Liebe immer anzunehmen, anstatt wie Judas aus falschem Stolz oder irgendeinem anderen Grund ohne seine Hilfe leben zu wollen und zu scheitern!
Teil 2: Jesus gibt seinen Jüngern das neue Gebot der Liebe (31-35)
Was tat Jesus, als er wusste, dass er in wenigen Stunden die Jünger verlassen musste? Aus seiner Liebe zu ihnen tat Jesus sein Bestes, um sie auf die kommende Zeit vorzubereiten. Zum einen kündigte er ihnen seinen Weggang an. So sagte er ihnen im Vers 33: „Liebe Kinder, ich bin noch eine kleine Weile bei euch. Ihr werdet mich suchen. Und wie ich zu den Juden sagte, sage ich jetzt auch zu euch: Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.“ Hier weist Jesus die Jünger auf seinen bevorstehenden Tod und darüber hinaus auch auf seine Auferstehung hin. Die Jünger sollten nicht überrascht sein, sondern wissen, dass alles im Ratschluss Gottes geplant war und danach geschah.
Welches Gebot gab Jesus den Jüngern, das sie von nun an unbedingt beherzigen sollten? Lesen wir die Verse 34 und 35: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Jesus gibt hier den Jüngern das neue Gebot. Inwiefern ist es ein neues Gebot? Schon im Alten Testament hat Gott seinem Volk die Liebe zum Nächsten geboten. Dort heißt es: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3.Mose 19,18). Die Israeliten sollten einander in dem großen Maße lieben, wie sie sich selbst liebten. Jesus hat mit dem neuen Gebot dieses Gebot nicht aufgehoben, sondern hat es noch gesteigert, indem er dem Gebot der Liebe einen neuen Maßstab gegeben hat. Als Jünger Jesu sollen wir einander gerade so und in dem Maße lieben, wie er uns geliebt hat. Wir sollen also Jesu vollkommene, selbstlose, bedingungslose und hingebungsvolle Liebe zum Maßstab nehmen und gerade damit uns untereinander lieben. Jesus beschreibt damit das Bild, das wir in uns tragen sollen, nämlich das Bild Jesu, der so vollkommen geliebt hat. Wir sollen dieses Bild erlangen, indem wir selbst seine Liebe tief annehmen und von ihm lernen, die anderen Menschen so hingebungsvoll und bedingungslos zu lieben. Mit dem neuen Gebot bringt Jesus auch seinen Wunsch zum Ausdruck, dass die Gemeinschaft seiner Jünger voller Liebe sein soll, von der wahren Liebe erfüllt und geprägt. Gerade dadurch werden die ungläubigen Menschen, die mit der Gemeinde in Berührung kommen, erkennen, dass wir seine Jünger sind, und den Wunsch bekommen, ihn kennen zu lernen – wenn wir Liebe untereinander haben.
Wenn man von der Situation der Jünger ausgeht, von der Spannung, in der sie sich befunden haben, von ihrer Traurigkeit wegen dem bevorstehenden Weggang Jesu, von ihrer Unsicherheit und Verwirrung nach der Ankündigung des Verrats, kommt das neue Gebot scheinbar unpassend vor. Aber von Jesus aus ist es ganz folgerichtig. Es war die ganze Zeit schon sein Wille, dass die Seinen einander lieb haben, wie er sie geliebt hat. Dieses neue Gebot ist notwendig, weil es der ultimative Wille Jesu für die Seinen ist, dass sie einander so bedingungslos und hingebungsvoll lieben sollen, und es ist notwendig, dass sie bzw. wir ihm gehorchen, damit wir wirklich seine Jünger werden, damit wir ihm an diesem wichtigsten Punkt ähnlich werden, unser Wesen und unsere Lebensweise. Wenn wir unsere Brüder nicht lieben würden, wären wir von Jesu Wesen meilenweit entfernt, egal, was wir sonst tun. Wenn wir unsere Brüder nicht lieben, dann versagen wir in dem zentralen und wichtigsten Anliegen Gottes für uns.
Wie wir wohl wissen, ist es tatsächlich aber nicht leicht, Jesu Gebot zu gehorchen. Wir lieben von Natur aus uns selbst und höchstens diejenigen, die uns nahe stehen, die uns sympathisch sind und von denen wir uns wünschen, gleichfalls Freundlichkeit oder Liebe zurückzubekommen. Es kann leicht passieren, dass wir uns an unsere Armut an Liebe gewöhnen und sie für normal halten. Auch wenn wir unseren Mangel an Liebe erkennen, haben wir viele Gründe, warum wir angeblich nicht mehr Liebe aufbringen können, warum wir diesen oder jenen zurzeit nicht aktiv lieben können. Wir haben viel Verständnis für uns selbst und unsere Armut an Liebe. Aber Jesus hat uns nicht einen Vorschlag oder eine Empfehlung, sondern das neue Gebot gegeben, dass wir einander lieben sollen, wie er uns geliebt hat: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.“ Wir sollen einander lieben, wie er uns geliebt hat; das heißt, dass wir auch diejenigen bedingungslos annehmen und aktiv und hingebungsvoll lieben sollen, die uns nicht auf Anhieb sympathisch sind oder von denen wir scheinbar nichts zurückerwarten können. Wie können wir über unsere natürliche Liebe hinaus dem neuen Gebot Jesu gehorchen? Die Antwort darauf hat Jesus in dem Gebot selbst mitgegeben. Die Worte „wie ich euch geliebt habe“ verweisen auf die Grundlage und Kraftquelle für unsere Liebe zu den Brüdern, nämlich auf die vollkommene Liebe Jesu zu uns. Wir sollen diese seine Liebe zu uns täglich annehmen und uns davon reinigen und erfüllen lassen und sollen gerade diese Liebe an unsere Nächsten in der Familie und in der Gemeinde weitergeben, und zwar unabhängig davon, wie sie sich uns gegenüber verhalten bzw. wie liebenswürdig sie uns vorkommen. Jesus will dadurch unser Wesen dem Seinen ähnlich machen. Wir sollen werden wie er. Jesus will dass dadurch unsere Gemeinschaft von Liebe erfüllt und geprägt wird, sodass jeder die Liebe erfährt und in der Liebe geistlich gut wachsen und sich entwickeln und zu einem gesunden und großartigen Mann bzw. Frau des Glaubens werden kann. Dadurch dass wir dem neuen Gebot gehorchen, soll auch jedermann erkennen, dass wir seine Jünger sind, und den Wunsch bekommen, diese Liebe und ihre Quelle, Jesus selbst, zu erfahren.
Teil 3: Jesus kündigt aus seiner Liebe Petrus seine Verleugnung an (36-38)
Betrachten wir das Gespräch zwischen Jesus und Petrus in den Versen 36-38. Jesus hatte gesagt, dass die Jünger diesmal nicht hinkommen konnten, wo Jesus hingehen würde (33). Petrus liebte Jesus und wollte gerne bei ihm bleiben. Daher fragte er Jesus nun: „Herr, wo gehst du hin?“ Als Jesus ihm antwortete, dass er dieses Mal nicht mitgehen konnte, wollte Petrus das nicht akzeptieren. Er sagte: „Herr, warum kann ich dir diesmal nicht folgen? Ich will mein Leben für dich lassen“ (37). Petrus’ Antwort zeigt hier zum einen seinen großen Wunsch, immer bei Jesus zu bleiben. Das war positiv. Aber es war nicht positiv, dass Petrus ähnlich wie bei der Fußwaschung auch hier nicht bereit war, zu akzeptieren, was Jesus ihm sagte. Jesus kannte ihn und welchen Weg er selbst gehen musste. Aus seinem Wissen heraus sagte er, dass Petrus nicht mit ihm gehen konnte. Aber Petrus meinte, dass er sich doch kennt und dass er alles tun würde für Jesus, wenn nötig sogar mit ihm sterben. Welches Problem von Petrus wird hier klar erkennbar? Petrus kannte sich nicht selbst. Er wusste nicht, wer er selbst war, wie schwach er in Wirklichkeit war und auf was für einer schwachen Grundlage sein Glaube und sein guter Wunsch basierten. Er hatte ein Bild von sich selbst, das mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmte. Jesu sagte ihm, dass er ihn noch ehe der Hahn krähen würde, drei Mal verleugnen würde. Jesus sagte ihm das, weil er Petrus liebte und wollte, dass Petrus sich selbst erkennen und von seinem Selbstvertrauen umkehren und ernsthaft Gottes Hilfe suchen würde. Doch wie wir vom weiteren Verlauf wissen, nahm Petrus diese Gelegenheit leider nicht wahr, sodass er eine bittere Erfahrung machen musste; erst dann lernte er, wer er in Wirklichkeit war. So gesehen war Petrus auch ein Individualist, der sich unabhängig von Jesus für stark hielt und der seine eigenen Gedanken festhielt, auch wenn Jesus ihm etwas anderes sagte.
Wenn wir Judas und Petrus in diesem Text vergleichen, haben sie manche Ähnlichkeiten. Beide hatten starke eigene Gedanken und Vorstellungen. Beide waren Individualisten mit der Neigung, die eigenen Gedanken und Vorstellungen festzuhalten und danach zu leben, und waren darin oft unzugänglich für Jesu Wort. Beide wussten nicht, wie schwach sie selbst waren, und führten ihr Leben in großem Maße aus dem Selbstvertrauen. Beide haben die Liebe Jesu nicht oder nicht vollständig angenommen und darauf ihr Leben gebaut.
Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied. Petrus hat sich grundsätzlich entschieden, Jesu Liebe und seinen Willen anzunehmen und danach zu leben. Er scheiterte zwar immer wieder daran, weil seine eigenen Vorstellungen und Gedanken oft so stark waren, dass er Jesu Worte nicht annehmen und ihnen nicht oder nicht sofort gehorchen konnte. Manchmal dauerte es eine ganze Weile, bis er seine falschen Gedanken einsah, und Jesus hatte einige Mühe mit ihm, wie wir letztes Mal gesehen haben. Aber wenn er seine Meinung als verkehrt einsah, beharrte er nicht weiter darauf, sondern änderte seine Einstellung und bemühte sich, das, was von Jesus kam, zu beherzigen. Das konnte er tun, weil er auf Jesu Liebe zu ihm vertraute und glaubte, dass Jesus ihm seine Verfehlungen vergab.
Genau darin unterscheidet sich Petrus von Judas. Judas hatte auch Jesu Berufung zur Nachfolge angenommen und war ihm lange Zeit nachgefolgt. Aber Judas’ Umgang mit seiner Sünder und sein Verhalten hier, als seine Sünde ganz offen aufgedeckt wurde, zeigt, dass ihm das persönliche Vertrauen auf Jesu Liebe und die Bereitschaft, darauf sein Leben zu bauen, fehlte. Dies wird im heutigen Text sehr deutlich. Denn allerspätestens als Jesus vor allen Judas’ böse Absicht, ihn zu verraten, deutlich machte und ihm dabei gleichzeitig seine Liebe und Vergebungsbereitschaft demonstrierte, muss Judas seine Absicht als verkehrt und böse erkannt haben – spätestens dann. Selbst jemand, der noch nie die Bibel gelesen hat, kann die Absicht, einen Freund zu verraten, als verkehrt erkennen, sogar schon ein kleines Kind. Doch obwohl Judas seine falsche Haltung erkannte, war er nicht bereit, vor Jesus seine Sünde zuzugeben und Jesu vergebende Liebe anzunehmen. Judas war wirklich im schlechtesten Sinne ein Individualist, der um jeden Preis allein zurechtkommen wollte und die Liebe und Hilfe Jesu bis zum Ende stur ablehnte. Dies zeigt, dass sein Problem nicht ein Unvermögen war, sondern dass ihm der Wille fehlte, Jesu Liebe anzunehmen und sein Leben auf diese Grundlage sein Leben zu bauen. Anders gesagt weigerte sich Judas willentlich, Jesu Liebe anzunehmen und Jesus in sein Herz und Leben hineinzulassen.
Was bedeutet das für uns? Jeder Mensch hat ein eigenes Bild von sich selbst. Jeder hat seine eigenen Gedanken und eine gewisse Neigung, sie festzuhalten und danach zu leben. (Manchen fällt es leichter, ihre eigenen Gedanken vor dem Wort Gottes zu korrigieren, bei anderen dauert es länger.) Aber es ist wichtig, dass wir lernen, immer dann, wenn Gott durch sein Wort zu uns spricht, uns belehren lassen und dass wir dann unsere Gedanken und Vorstellungen korrigieren. Vor allem ist es wichtig, dass wir auf Jesu Liebe zu uns von Herzen vertrauen und aufgrund dessen immer, wenn wir in falsche Gedanken oder auf falsche Wege geraten sind, umkehren und so unser Leben auf seine vergebende Liebe bauen. Möge Gott jedem von uns dabei helfen!
Lesen wir noch einmal die Leitverse 34 und 35: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Im heutigen Text können wir lernen, dass das Glaubensleben im Grunde bedeutet, die Liebe Jesu anzunehmen und diese Liebe anderen gegenüber auszuüben. In der letzten Lektion hat Jesus gelehrt, dass wir als seine Jünger seinem Beispiel folgen sollen. Aber dabei geht es ihm nicht um das bloße Verrichten von Tätigkeiten nach dem Motto „Jeden Tag eine gute Tat“. Vielmehr hat Jesus durch das neue Gebot klar gemacht, dass es um die Liebe geht, dass wir die Liebe Jesu persönlich empfangen sollen und dass wir mit dieser Liebe und aus der Kraft dieser Liebe die anderen lieben sollen. Als Christen sollen wir täglich Jesu Liebe empfangen und sie ausüben, vor allem an den Glaubensgeschwistern, wobei Jesu Liebe selbst die Grundlage und der Maßstab ist. Dadurch sollen wir jeder ein Mensch voller Liebe werden, der dem Bild Jesu immer mehr entspricht. Dadurch soll unsere Gemeinde eine Gemeinschaft der Liebe werden, in der jeder durch die gegenseitige Liebe den Raum, den Schutz und die Hilfe findet, in der er oder sie sich geistlich gut entwickeln und für Gottes Ehre leben kann. Nicht zu letzt soll durch unsere gegenseitige Liebe jeder, der mit unserer Gemeinschaft in Berührung kommt, erkennen, dass wir Jesu Jünger sind, und den starken Wunsch bekommen, Jesu Liebe und ihn selbst kennen zu lernen. Möge Gott uns helfen, Jesu Liebe täglich tief anzunehmen und nach dem neuen Gebot einander so bedingungslos und herzlich zu lieben, wie er uns geliebt hat!
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