Predigt: Lukas 16,19-31

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Lazarus und der Reiche

„Es geschah aber: Der Arme starb und wurde von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben.“

(Lukas 16,22)

Das Gleichnis von dem Reichen und dem armen Lazarus ist ein Text, über den man eigentlich zweimal predigen sollte. Es gibt zwei Themen, von denen wir heute nur eines beleuchten können. Das erste Thema ist der Umgang mit Geld. Dieses Gleichnis steht im Kontext von verschiedenen Gesprächen und Diskussionen, die sich um das Thema Geld drehen. Und auch in unserem Text geht es darum. Das andere große Thema ist die Hölle. Was geschieht, nachdem wir sterben? Ist mit dem Tod alles vorbei, oder kommt da noch etwas?
Wir beschäftigen uns heute vor allem mit dem zweiten Thema. Der Grund dafür ist, weil es ein schwieriges und auch extrem unbequemes Thema ist, über das wir nicht so oft sprechen. Gleichzeitig ist es ein sehr wichtiges Thema. Und vielleicht wird über dieses Thema nicht so häufig gepredigt, weil es auch leicht missverstanden werden kann. Oder anders gesagt: es gibt verschiedene Meinungen zu diesem Thema. Ich will heute das weitergeben, was ich aufgrund von dem Text verstanden habe.
Die drei Teile der Predigt sind: erstens, heute; zweitens, morgen; drittens, heute. Das ist die Kurzform, damit ihr euch gut erinnern könnt. Die längere Form: erstens, die Identität, die wir heute bauen; zweitens, was davon morgen standhalten wird; drittens, was Gott uns heute anbietet.

1. Die Identität, die wir heute bauen
Zwei Personen werden uns im Gleichnis vorgestellt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Vers 19: „Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Fest feierte.“ Die Beschreibungen, die Jesus hier erwähnt, klingen in unseren Ohren vielleicht etwas fremd. Wir würden heute Reichtum vielleicht eher darüber definieren, welche Immobilien eine Person wo besitzt; oder wie viel Geld sich auf dem Konto befindet. Als der Republikaner Mitt Romney sich um die amerikanische Präsidentschaft beworben hatte, haben sich viele Menschen über ihn lustig gemacht, weil er unglaublich reich ist und aufgrund dessen unglaublich weltfremd ist und die Nöte der „normalen“ Menschen nicht verstehen kann. In einem Artikel hieß es, dass viele Leute sagten, dass er ein ungeeigneter Kandidat ist, weil es in seinem Haus einen Aufzug gibt, damit er mehrere Autos in seiner Garage unterbringen kann: wie abgehoben! Der Autor sagte dazu, dass diese Behauptung unfair ist, weil Romney viele Häuser besitzt und es nicht in allen seinen Häusern einen solchen Aufzug gibt. Wir verstehen alle: so jemand ist wirklich sehr reich.
Der Mann, den Jesus uns vorstellt, war auch sehr reich. Er kleidete sich in Purpur und feine Leinen. Purpur war der teuerste Farbstoff der Antike. Dieser Farbstoff war so exklusiv und so aufwändig in der Herstellung, dass es eigentlich nur den allerhöchsten politischen Ebenen erlaubt war. Es war die Kleidung des Kaisers. Aber Geld regierte auch damals schon die Welt. Und wer es sich leisten konnte, weil er viel zu viel Geld hatte, trug diesen Stoff, um allen Menschen anzuzeigen, wie reich man war. Dann trug er auch noch feinen Leinen. Falls ihr euch fragt, was das ist: Das ist Unterwäsche. Kleidung war damals extrem teuer, und die meisten Menschen trugen keine Unterwäsche. Der Reiche trug aber Unterwäsche, und nicht nur irgendwelche Unterwäsche: feinste Leinen. Was Jesus hier sagte, war, dass selbst die Unterhose des Reichen war sündhaft teuer.
Noch zwei weitere Details sehen wir. Das eine Detail: der Arme lag vor seinen Toren. Die meisten von uns haben eine Wohnungstür, z. B. an unserer Mietwohnung, aber wir haben kein Tor. Tor deutet darauf hin, dass der Reiche ein großes Anwesen hatte, eine Luxus-Villa mit entsprechenden Eingangsbereichen. Und das andere Detail: er feierte Tag für Tag rauschende Feste. Jesus ist sicherlich der Letzte, der etwas gegen große Feste einzuwenden hätte. Im Gleichnis von den verlorenen Söhnen wird bei der Rückkehr des jüngeren Bruders ein großes Fest gefeiert. Das Himmelreich wird mit einem großen Fest verglichen. Feste sind an und für sich eine schöne Sache. Aber das, was Jesus im Gleichnis beschreibt, geht über alles Erträgliche hinaus. Das Leben des Reichen war eine einzige, exzessive Party-Meile. Jeden Tag war er damit beschäftigt, es so richtig krachen zu lassen, mit Champagner und Kaviar.
Vers 20: „Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war. Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.“ Der Kontrast könnte nicht krasser sein. Lazarus war sprichwörtlich bettelarm. Er lag vor dem Tor. Der Urtext deutet an, dass er sich diesen Platz nicht unbedingt selbst ausgesucht hatte: er wurde dort hingelegt. Und das ist ein Hinweis darauf, dass er wahrscheinlich gelähmt war. Als ein Mensch mit einer körperlichen Behinderung konnte er nicht arbeiten. Er war auf das Betteln angewiesen. Lazarus war nicht nur arm, er war nicht nur gelähmt, er war auch krank. Sein Körper war mit Geschwüren bedeckt. Er musste erbärmlich ausgesehen haben. Lazarus war nicht nur arm, er war nicht nur gelähmt, und er war nicht nur sehr krank, er wurde auch noch von Hunden geleckt. Die Ausleger sind sich nicht einig, ob das jetzt eher positiv oder negativ zu verstehen ist. Wir kennen Hunde als die loyalsten und treuesten Freunde des Menschen. Aber im antiken Palästina waren Hunde in der Regel herrenlose Streuner. Und ich denke, dass Jesus meinte, dass die Hunde eher zu seiner Misere und zu seinem Leid beigetragen haben als umgekehrt.
Das also sind die Protagonisten: extrem reich und extrem arm. Falls wir jetzt denken, dass der Grund weshalb der Reiche in die Hölle kam, sein Reichtum war, und dass der Grund, weshalb Lazarus in den Himmel kam, sein Elend und seine Armut waren, dann irren wir uns gewaltig. Bei dieser Geschichte geht es nicht einfach um eine Umkehrung des Schicksals. Überhaupt nicht. Worum geht es dann? Wir finden einen ganz wesentlichen Hinweis in der Tatsache, dass der Arme einen Namen hat, der Reiche hingegen nicht. Tatsächlich ist es das einzige Gleichnis, in dem Jesus einem der Charaktere einen Namen gibt. Der Arme heißt Lazarus. Lazarus bedeutet „Gott hat geholfen.“ Der Reiche ist einfach nur das: der Reiche, sonst nichts.
Wenn Lazarus bedeutet, dass Gott geholfen hat, dann stellt sich uns die Frage: Wer oder was ist deine Hilfe in deinem Leben? Wer oder was ist der Fels, auf den du dein Leben baust? Wer oder was ist das, das dir einen Namen gibt? Oder anders gefragt: Welche Identität baust du in deinem Leben heute?
Eine Sache, die sich in den letzten 2.000 Jahren nicht geändert hat, ist, dass Menschen Geld lieben. Praktisch alle Menschen in unserer Gesellschaft würden folgendem zustimmen: tiefgehende und liebevolle Beziehungen zu haben, ist viel wertvoller und besser als alles Geld der Welt. Wenn wir Menschen sehen, die ganz klar dazu stehen, dass ihnen Geld wichtiger als Freunde und Familie sind, dann würden wir sie als „oberflächlich“ charakterisieren. Aber, wenn wir dem allem zustimmen würden, warum machen wir so viele Überstunden für die Arbeit aber sind nicht bereit, die gleichen Überstunden in unsere Beziehungen zu investieren? Und warum sind wir eher gewillt, uns den Stress auf der Arbeit zu geben, aber nicht den Stress, den echte Beziehungsarbeit erfordert? Der Grund könnte sein, weil wir heimlich doch mehr auf Geld stehen, als wir es zugeben wollen. Vielleicht sind wir doch etwas geldgeiler als uns lieb ist. Und wenn dem so ist, dann ist Geld unsere „Hilfe“; Geld ist das, auf das wir vertrauen; Geld wird zu unserer Identität.
Anderes Beispiel: hier in diesem Raum befinden sich viele attraktive, schöne Menschen. Und vielleicht ist ein Teil deiner Identität, dass du der Gutaussehende und der sportliche Typ bist, oder die Hübsche, die Schöne. Vielleicht ist die Tatsache, ob du einen guten oder schlechten Tag hattest, davon abhängig, welche Komplimente zu bekommen hast; wie viele oder wer dich auf Instagram ge-liked hat; wer sich von dir angezogen fühlt und wer mit dir befreundet sein will. In diesem Fall ist Schönheit deine Hilfe. Oder, vielleicht ist Teil deiner Identität, dass du der oder die Smarte bist; dass du talentiert bist; dass du die Schule und die Uni mit links meisterst; dass alle die Hausaufgaben bei dir abschreiben oder sich von dir erklären lassen wollen, wie die physikalische Formel funktioniert, weil du so schlau bist. Dann ist deine Intelligenz deine Hilfe.
Vielleicht bauen wir Identität durch Beziehungen. Vielleicht machen wir die Tatsache, wer wir sind, davon abhängig, mit wem wir verheiratet sind; oder etwas wahrscheinlicher, wie unsere Kinder geraten. Die Identität, die wir in diesem Fall bauen, ist, eine hervorragende Mutter zu sein, ein überragender Papa zu sein.
Und wisst ihr was: gegen alles ist erst einmal nichts einzuwenden! Wenn du einen tollen Job hast, ist das auf sicherlich ein Segen. Wenn du intelligent bist, gut für dich! Wenn du ein tolles Aussehen hast, dann God bless you! Wenn du ein guter Ehepartner bist, eine gute Mutter oder guter Vater bist, ist das eine wundervolle Sache. Aber hier ist das, was der Text sagt: wenn es das einzige ist, wofür zu lebst, wenn es deine primäre Identität ist, wenn es außer dem nichts in deinem Leben gibt, dann bist du ein Namenloser. Wenn Gott nicht derjenige ist, der dein Helfer ist, bist du am Ende des Tages ein Niemand. Lazarus hatte nichts, gar nichts, keine Freunde und keine Familie und noch nicht einmal Gesundheit. Aber er hatte einen Namen. Er war ein Jemand, weil Gott seine Hilfe war.

2. Welche Identität morgen standhalten wird
Beide sterben. Die Beerdigungen sahen natürlich ganz anders aus. Der Reiche wurde begraben. Sein Grab allein war größer als ein Einfamilienhaus. Der Arme hingegen lag einfach tot auf der Straße. Aber er wird von Engeln in Abrahams Schoß getragen. Wir lesen dann in Vers 23: „In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von Weitem Abraham und Lazarus in seinem Schoß.“
Aufgrund von diesen und anderen Versen hat sich unter vielen Christen eine bestimmte Vorstellung von Hölle durchgesetzt. Ich nenne es mal eine „mittelalterliche“ Vorstellung von Hölle, in der Menschen in alle Ewigkeit im Feuer rösten und Gott anflehen: „bitte, bitte, lass uns hier raus!“ und Gott der sich an den unendlichen Qualen erfreut. Ist das damit gemeint? Tim Keller hatte erzählt, dass wenn er gefragt wird, was es mit der Hölle auf sich hat, er in der Regel antwortet: „Eine Sache, die ich bezüglich der Hölle glaube, ist, dass das biblische Bild des Höllenfeuers wahrscheinlich metaphorisch gemeint ist.“ Erleichterung! Danach sagt er folgendes: „Ich glaube, dass es eine Metapher für etwas ist, das unendlich viel schlimmer ist als Feuer.“
Hölle ist ein schwieriges Thema. Die zentrale Frage ist: wie vereinbaren wir die Existenz der Hölle (ein Ort ewiger, fortwährender Qual) mit einem Gott der Liebe? Wie bringen wir beides zusammen? Die Bibel sagt, dass Gott die Liebe ist. Gott ist die Liebe, nicht der Zorn. Das heißt, wenn Gott die Liebe ist, dann sollten wir alle anderen Eigenschaften Gottes, und dazu gehört auch sein Zorn, im Kontext seiner Liebe betrachten. Alles, was er sagt und alles, was er tut, ist Ausdruck seiner sich selbst opfernden agape Liebe. Inwiefern wäre dann die Hölle ein „Ausdruck seiner Liebe“? Hinzu kommt, dass es Bibelstellen gibt, die sagen: „Denn sein Zorn dauert nur einen Augenblick, doch seine Güte ein Leben lang.“ Wenn die Hölle ein ewiger Ort unendlichen Leidens ist, würde das nicht bedeuten, dass Gottes Güte nur kurz andauert, sein Zorn aber ewig ist? Noch einmal: wenn die Hölle dir keine Kopfschmerzen bereitet, dann liegt es vielleicht daran, dass du die Liebe und Barmherzigkeit Gottes nicht ernst genug nimmst.
Der Text gibt uns einige aufschlussreiche Hinweise, wie Hölle nicht zu verstehen ist. In Vers 24 sagt der Reiche: „Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir und schick Lazarus; er soll die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer.“ Was uns hier auffällt ist, dass der Reiche nicht danach fragt, aus der Hölle herauszukommen. Er sagt nicht: „Hol mich hier raus!“ Anstatt darum zu bitten, herausgeholt zu werden, bittet er darum, dass Lazarus mit in die Hölle kommen sollte. Was uns hier auch auffällt: Seine Bitte hat die gleiche Arroganz an sich, die er Zeit seines Lebens hatte. Noch immer denkt er, dass er über Lazarus steht; dass er das Recht hat, ihn nach seinem Belieben herumzukommandieren; dass Lazarus nichts weiter ist, als sein persönlicher Diener und Lakai.
Als Abraham diese Bitte abweist und erklärt, dass zwischen ihnen ein unüberwindlicher Abgrund ist, sagt der Reiche: „Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.“ Er sagt praktisch: „eigentlich ist es gar nicht mein Fehler, dass ich hier gelandet bin. Hätte man mich anständig gewarnt, dann wäre das alles nicht passiert. Ganz klar: es ist die Schuld der anderen.“ Wir sehen weder Einsicht noch Reue. Er ist sich keine Schuld bewusst. Weil er seine Sünde nicht einsehen kann, kann er auch nicht um Vergebung bitten. Die Hölle ist verschlossen, es gibt kein Herauskommen. Aber sie ist nicht von außen, sondern von innen verschlossen.
Was bedeutet dann das Feuer der Hölle? Feuer hat etwas Verzehrendes. Feuer vernichtet alles, was oxidiert werden kann. Wenn ein Haus ausbrennt, frisst das Feuer alles, was brennbar ist: die Möbel und die Einrichtung, der Dachstuhl, wenn er aus Holz ist. Was übrig bleibt ist das Gemäuer aus Stein. Und das ist es, was mit uns geschieht, wenn wir sterben. Das Feuer verzehrt alles in uns und an uns, das brennbar ist. Was bleibt dann noch von uns übrig? Was hält dem Feuer stand?
C.S. Lewis hat die Hölle folgendermaßen beschrieben: „Nach all unseren Erfahrungen bedeutet […] die Zerstörung einer Sache das Entstehen von etwas anderem. Wenn du ein Holzscheit verbrennst, entstehen Gase, Hitze und Asche. Ein es-war-einmal ein Holzscheit bedeutet, jetzt diese drei Dinge zu sein. Wenn Seelen zerstört werden können, muss es dann nicht auch den Zustand geben, eines es-war-einmal eine menschliche Seele? […] In den Himmel zu kommen bedeutet, menschlicher zu werden, als man es auf der Erde je sein konnte; in die Hölle zu kommen bedeutet, aus der Menschheit verbannt zu werden. Was in die Hölle geworfen wird (oder sich selbst wirft), ist kein Mensch: Es ist das, was vom Menschsein übriggeblieben ist. Ein vollständiger Mensch zu sein bedeutet, dass die Leidenschaften dem Willen gehorsam sind und der Wille sich Gott hingibt: Ein Mensch gewesen zu sein – ein Ex-Mensch oder verdammter Geist zu sein – würde vermutlich bedeuten, aus einem Willen zu bestehen, der völlig selbstzentriert ist, und aus Leidenschaften, die vom Willen völlig unkontrolliert sind.“
Das, was uns zutiefst unglücklich macht, ist die tiefe Selbstsucht und Selbstzentriertheit in uns selbst, oder anders gesagt, unsere eigene Sünde. D. h., in jedem von uns ist die Veranlagung zur Hölle bereits vorhanden: das, was uns in alle Ewigkeiten leiden lässt, wenn es nicht mitsamt der bitteren Wurzel entfernt wird. Hölle ist der Ort, an dem Gott zu den Menschen, die sich seinem Willen verweigern, spricht „euer Wille geschehe“. Dallas Willard hat mal gesagt, dass er glaubt, dass Gott jeden Menschen in den Himmel lässt, der es dort aushält. Hölle ist der Ort der Menschen, die es nicht bei Gott aushalten. Und es ist der Ort der ewigen Verlorenheit, an dem Gott uns in Ruhe lässt.
Wenn dem so ist, dann ist die Frage, was uns davon retten kann.

3. Was Gott uns heute anbietet
Der Reiche bittet Abraham darum, dass seine Familienmitglieder gewarnt werden. Hier hat unsere Geschichte ein unerwartetes Element. Wir müssen verstehen, dass Jesus nicht der erste war, der ein solches Gleichnis erzählt hat mit dem vertauschten Schicksal nach dem Tod. Diese Art von Geschichten waren ziemlich verbreitet. N.T. Wright schreibt in seinem Kommentar: „Tatsächlich waren Geschichten dieser Art so bekannt, dass wir sehen können, wie Jesus von dem erwarteten Muster abweicht, das seine Zuhörer erwarten würden. Wenn jemand um Erlaubnis bittet, den Menschen, die noch auf der Erde leben, eine Nachricht zu schicken, wird dieser Bitte in der Regel stattgegeben. Aber nicht hier.“ Zweimal lehnt Abraham die Bitte ganz klar ab. In Vers 31 sagt er: „Wenn sie nicht auf Mose und die Propheten hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“
Die Ironie von diesem Gleichnis ist folgende: die Zeitgenossen von Jesus hatten das ganze AT, und sie bekamen sprichwörtlich mit, wie die Toten auferstanden. Jesus hatte während seiner Wanderjahre einige Menschen auferweckt. Zuletzt starb Jesus selbst am Kreuz und überwand den Tod. Jesus ist der Lazarus, der von Krankheit und Leid geschlagen war; er ist der Lazarus, der so arm war, dass selbst das Grab, in das er gelegt wurde, geliehen war; und er ist der Lazarus, der von den Toten auferstand. Wer lässt sich von diesem Jesus überzeugen?
Die Tatsache aber, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, zeigt uns eine Identität, die auf einer völlig anderen Grundlage steht als alle anderen Identitäten. Jede Identität, die wir selbst bauen, ist geprägt von Furcht. Hier sind ein paar Beispiele: wenn wie beim Reichen dein Selbst vor allem davon abhängt, wie viel Geld zu hast, dann wird dein Leben von der Furcht davor geprägt sein, das Geld zu verlieren: die nächste Wirtschaftskrise, die Inflation, die dein mühsam Erspartes auffrisst. Wenn du dich vor allem darüber definierst, gute Eltern zu sein, dann ist unser Leben von der Furcht geprägt, die Kinder zu verlieren; und früher oder später verlieren wir die Kinder auf die ein oder andere Art und Weise (weil sie wegziehen, weil sie wegheiraten, weil sie ihren eigenen Weg gehen). Wenn dein Selbstwert davon abhängt, dass du der / die Superattraktive bist, dann wirst du dich von jeder Person bedroht fühlen, die schöner ist als du; und du wirst dich ständig mit anderen vergleichen, und dich fragen, was die anderen haben, was du nicht hast. (Übrigens, sich ständig mit anderen zu vergleichen ist ein Rezept für Unglücklichsein). Jede Identität, die wir bauen, ist geprägt von der ständigen Angst, zu verlieren oder zu kurz zu kommen oder etwas Großartiges zu verpassen.
Aber weißt du was? Jesus ist für dich gestorben. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis sprechen wir Woche für Woche, dass Jesus gestorben ist und hinabgestiegen ist, ins Reich der Toten. Jesus ging sprichwörtlich durch die Hölle der Gottverlassenheit. Am Kreuz kam das Feuer der Hölle auf ihn. Warum?
Damit Gott uns in Jesu Tod und in seiner Auferstehung eine Identität anbieten kann, die fundamental anders ist, als alle Identitäten, die wir uns hier auf Erden bauen könnten. Gott macht uns zu seinen Kindern. Er adoptiert uns in seine Familie. Er macht uns zu Königstöchtern und Königssöhnen. Diese Identität ist nicht mehr geprägt von Furcht, weil nichts und niemand uns das wegnehmen kann. Die Identität, die Gott uns zuspricht, ist geprägt von Liebe. 1. Johannes 4,18 sagt: „Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht.“ Oder wie die Neue Genfer Übersetzung hier schreibt: „Wo die Liebe regiert, hat die Angst keinen Platz; Gottes vollkommene Liebe vertreibt jede Angst.“
Wer von dieser Liebe Gottes angerührt wird, wer von dieser Liebe Gottes verändert wird, dessen Herz verwandelt sich mehr und mehr in reines Gold; das Gold der Liebe Gottes, das jedem Feuer standhalten wird.

Jerry Seinfeld hat folgendes gesagt: „Wenn das Leben für mich auf eine wichtige Sache hinausläuft, dann ist es, ständig in Bewegung zu sein. Leben heißt, umzuziehen. Leider bedeutet das, dass wir für den Rest unseres Lebens nach Kisten suchen werden. Wenn du umziehst, besteht deine ganze Welt aus Kisten. Man denkt an nichts anderes mehr. „Kisten, wo sind die Kisten?“ Du läufst die Straße entlang, gehst in Läden rein und raus und fragst: „Gibt es hier Kisten? Hast du irgendwelche Kartons gesehen?“ Das ist alles, woran du denkst. Du könntest auf einer Beerdigung sein, alle um dich herum trauern, weinen, und du schaust dir den Sarg an. „Das ist eine schöne Kiste. […].“ Ich meine, das ist es, was der Tod wirklich ist, – der letzte große Umzug deines Lebens. Der Leichenwagen ist dein Umzugsauto, die Sargträger sind deine engen Freunde, die einzigen, die du wirklich bitten kannst, dir bei so einem großen Umzug zu helfen. Und der Sarg ist die große, perfekte Kiste, nach der du dein ganzes Leben lang gesucht hast.“

C.S. Lewis hat in seinem Buch „The great divorce“ folgendes geschrieben: „Die ganze Schwierigkeit, die Hölle zu verstehen, besteht darin, dass die zu verstehende Sache fast ein Nichts ist. Aber du wirst Erfahrungen gemacht haben … es beginnt mit einer nörgelnden Haltung, und du selbst bist noch davon getrennt: vielleicht kritisierst du das. Und du selbst kannst diese Gemütslage in einer dunklen Stunde wollen, sie annehmen. Du kannst sie auch bereuen und wieder herauskommen. Aber es kann der Tag kommen, an dem du das nicht mehr tun kannst. Dann bist du nicht mehr in der Lage, das Nörgeln zu kritisieren oder gar zu genießen, sondern es bleibt nur noch das Nörgeln selbst, das wie eine Maschine ewig weiterläuft.“

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