So will ich dich lösen
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„Bleib über Nacht hier. Will er dich dann am Morgen lösen,
gut, so mag er’s tun; hat er aber keine Lust, dich zu lösen,
so will ich dich lösen, so wahr der Herr lebt.
Schlaf bis zum Morgen!“ (13)
Vor zwei Wochen haben wir gesehen, wie Rut aus Liebe zu ihrer Schwiegermutter Noomi und aus persönlichem Glauben an den Gott ihrer Schwiegermutter die feste Entscheidung traf, mit dieser nach Bethlehem zu gehen, obwohl sie dort eigentlich keine Existenzgrundlage hatte.
Letzte Woche haben wir erfahren, wie sie die Frucht ihrer Entscheidung trug, indem sie hart arbeitete, um ihre Schwiegermutter zu versorgen. Dabei erfuhr sie den Segen Gottes, der sie gerade auf das Feld des gütigen und großzügigen Großgrundbesitzers Boas führte.
Doch damit war Gottes Segen für Rut noch lange nicht zu Ende. Gott wollte ihr viel mehr geben als nur die materielle Sicherung des Lebensunterhaltes für sich und ihre Schwiegermutter. Gott hatte einen großartigen Plan für Ruts Leben. Und durch sie wollte er auch Noomi segnen und trösten. Es war aber nicht Rut, die dies erkannte, sondern ihre Schwiegermutter. Wir wollen heute betrachten, wie Noomi Rut half – und wie Rut sich auch helfen ließ -, die Gnade Gottes in Anspruch zu nehmen und den Plan Gottes für ihr Leben zu verwirklichen. Dabei werden wir auch sehen, mit welcher Bereitschaft Boas seine Aufgabe als Löser annahm.
Noomi war bestimmt sehr dankbar für die Hingabe ihrer Schwiegertochter, die so fleißig arbeitete, um für sie zu sorgen. Doch Noomi wollte Rut nicht für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Sie wollte nicht, dass ihre Schwiegertochter um ihretwillen ihr Leben lang am Boden der Gesellschaft hart um ihre Existenz kämpfen musste. Das Leben sollte doch mehr sein als der nackte Kampf ums Überleben. Vor allem war ja Rut aus Glauben an den Gott Israels mit ihr gekommen. Nun sollte sie doch auch die Herrlichkeit des Lebens unter Gottes Segen in vollem Maß erleben. Sie dachte an Rut und wollte, dass diese glücklich wäre. Doch was hätte sie für ihre Schwiegertochter tun können?
Dann hörte sie Ruts Bericht, dass Gott diese auf das Feld von Boas geführt hatte. Wir erinnern uns, wie Noomi damals ausgerufen hatte:
Gesegnet sei er vom HERRN, der seine Barmherzigkeit nicht abgewendet hat von den Lebendigen und von den Toten. Und Noomi sprach zu ihr: Der Mann steht uns nahe; er gehört zu unsern Lösern.
Bis dahin war sie wegen der Schicksalsschläge, die sie erlitten hatte, mehr oder weniger verbittert gewesen. Doch nun brach sie in Jubel aus, weil sie entdeckte, dass Gott seine Barmherzigkeit nicht von ihnen abgewendet hatte, ganz im Gegenteil. Sie konnte wahrnehmen, dass Gott Rut mit voller Absicht auf Boas‘ Feld geführt hatte, weil er für Rut eine großartige Zukunftsperspektive hatte. Gott wollte Rut nicht nur zum Teil seines Volkes machen, sondern sie auch für sein Werk gebrauchen, Noomis Familie fortleben zu lassen, aus der, wie wir wissen, einige Generationen später König David kam und noch etliche Generationen später der Messias. Wie sollte das geschehen?
Elimelech hatte wohl, als er nach Moab umsiedelte, seinen Grundbesitz verkauft. Im mosaischen Gesetz hatte Gott jedoch die Vorsehung getroffen, dass man sein Land wieder auslösen konnte. Wenn aber der ehemalige Eigentümer nicht vermögend genug war, konnte ein naher Verwandter es für ihn erwerben. Im Fall von Noomis Familie war jedoch niemand da, für den man es hätte zurückkaufen können, denn Noomis Mann und Söhne waren ja alle tot, und Enkel waren keine da. In einer solchen Situation konnte der Verwandte, der als Löser fungierte, das Land erwerben, wenn er zugleich die Witwe heiratete und den ersten Sohn als Nachkommen des Verstorbenen betrachtete, für den das erworbene Land als Erbe bewahrt und verwaltet wurde. In der Tat hatte eine kinderlose Witwe sogar einen Anspruch gegen den nächsten Verwandten, von ihm gelöst zu werden, wenn dieser finanziell dazu in der Lage war. Gott wollte, dass Rut diesen Anspruch nutzen sollte. Das war es, was Noomi erkannte, als sie hörte, dass Boas Rut auf seinem Feld willkommen geheißen hatte.
Gottes wunderbarer Plan für Rut muss für Noomi ebenso überraschend wie offensichtlich gewesen sein. Boas gehörte zu den Lösern von Noomis Familie. Boas weist später darauf hin, dass es noch einen anderen, enger mit Noomis Mann verwandten Löser gab. Noomi muss das auch gewusst haben. Doch wenn Gott den anderen Verwandten vorgesehen hätte, Rut zu lösen, hätte er sie auf dessen Feld geschickt. Gott hatte aber seine Wahl offenbart, indem er Rut gerade auf Boas‘ Feld geführt hatte. Boas war auch vermögend genug, um Elimelechs Land zu kaufen. Und er war ein rechtschaffener und frommer Mann, sodass Noomi annehmen durfte, dass er auch bereit sein würde, die Aufgabe des Lösers zu übernehmen. Noomi muss dieses Anliegen Gottes, dass Rut und Boas zusammenfinden sollten, einige Wochen lang in ihrem Herzen bewegt haben, denn inzwischen war ja nicht nur die Gersten-, sondern auch die Weizenernte zu Ende. Sie muss viel gebetet und überlegt haben, wie man die Sache am besten angehen sollte. Doch Gott zeigte ihr nicht nur sein Ziel für Rut, sondern auch den Weg, dieses Ziel zu erreichen. Schließlich wurde sie aktiv und sprach mit Rut, die bis dahin keine Idee gehabt hatte, dass es überhaupt von weitergehender Bedeutung war, dass Gott sie gerade auf das Feld von Boas geführt hatte. Sie hatte einfach Tag für Tag treu Ähren gelesen und war froh gewesen, dass sie für Noomi sorgen konnte.
Noomi übereilte nichts. Erst als sie sich des Willens Gottes sicher war, sprach Noomi Rut an. Was sagte sie zu ihr? Betrachten wir Vers 1:
1 Und Noomi, ihre Schwiegermutter, sprach zu ihr: Meine Tochter, ich will dir eine Ruhestatt suchen, dass dir’s wohlgehe.
Hier zeigt sich, dass Noomi wirklich das Herz Gottes für Rut hatte. Wie Gott nach der Schöpfung gesagt hatte: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei …“, bevor Adam sich überhaupt einsam gefühlt hatte, sah Noomi Ruts Bedürfnis nach einer Ruhestatt, nach einem Heim, und Gottes Willen, ihr eine solche Ruhestatt zu geben. Wie wir aber schon gesehen haben, hatte Gott einen Plan, der weit über Ruts persönliches Glück hinausging.
Welche Orientierung gab Noomi Rut weiter? Sehen wir uns die Verse 2-4 an:
2 Siehe, Boas, unser Verwandter, bei dessen Mägden du gewesen bist, worfelt diese Nacht Gerste auf seiner Tenne. 3 So bade dich und salbe dich und lege dein Kleid an und geh hinab auf die Tenne. Gib dich dem Mann nicht zu erkennen, bis er gegessen und getrunken hat. 4 Wenn er sich dann schlafen legt, so merke dir die Stelle, wo er sich hinlegt, und geh hin und decke zu seinen Füßen auf und leg dich hin, so wird er dir sagen, was du tun sollst.
Noomis Vorschlag erscheint ziemlich unkonventionell, aber irgendwie auch genial. Kein Wunder: Er kam ja direkt aus dem Geist Gottes, der Noomi einen Überblick über diese Angelegenheit gegeben hatte, sodass sie wusste, was zu tun war. Wir werden sehen, dass dieser Plan, den Gott Noomi ins Herz gab, absolut unfehlbar war. Es trat alles genau so ein, wie sie Rut gesagt hatte.
Zunächst musste der richtige Zeitpunkt für das Gespräch mit Boas gefunden werden. Noomi wusste aus Erfahrung oder hatte von den anderen Frauen in Bethlehem gehört, dass Boas an diesem Abend auf seiner Tenne Gerste worfeln würde. Das geerntete Getreide musste zuerst gedroschen werden, d.h. die Getreidekörner wurden aus den Halmen geschlagen. Danach wurde das Getreide geworfelt, d.h. im Prinzip gereinigt. Man warf es in die Luft, damit der Wind die Spreu wegblasen konnte. Das geschah auf einer Tenne, einer festen, ebenen Fläche, die leicht erhöht lag. Man sagt, dass der Wind abends dafür am besten war. Boas würde danach nicht, wie die anderen, nach Hause gehen, sondern auf der Tenne übernachten, um sein Getreide zu bewachen. Gott zeigte Noomi, dass dies die goldene Gelegenheit sein würde, Boas gegenüber Ruts Recht auf Lösung geltend zu machen.
Nun hätte Noomi selbst mit Boas sprechen können. Wenn es um Eheanbahnung ging, war das bei den Juden eigentlich Sache der Eltern. Bei der sogenannten Schwagerehe war es jedoch anders. Da sollte die kinderlose Witwe selbst zum Löser gehen und ihr Anliegen vorbringen. Daher handelte Noomi nicht selbst, sondern half Rut, ihr Recht selbst in Anspruch zu nehmen. Man könnte aber auch sagen: Die Gnade Gottes in Anspruch zu nehmen, denn diese war die Wurzel dieser Regelungen des Gesetzes.
Die Orientierung, die Gott Rut durch Noomi gab, war sehr detailliert. Rut sollte sich vorbereiten, indem sie sich pflegte und ihre Witwenkleidung gegen ein schönes Überkleid austauschte. Boas war eigentlich nicht verpflichtet, Rut zu lösen, denn er war nicht der nächste Verwandte. Rut musste also sein Herz gewinnen und seine Bereitschaft wecken, die Aufgabe als Löser zu übernehmen. Eine angenehme äußere Erscheinung würde dabei sicher nicht schaden. Die Vorbereitung war aber auch oder vielleicht vor allem für Rut selbst nötig. Rut sollte bewusst ihre Witwenkleidung ablegen, und sich bereit machen, sich auf eine neue Verbindung einzulassen.
Dann sollte sie zur Tenne hinabgehen, sich aber zunächst verbergen. Die Erntehelfer würden noch gemeinsam zu Abend essen und dann nach Hause gehen. Danach würde Boas sich bald schlafen legen. Rut sollte sich merken, wo er sich hingelegt hatte, dorthin gehen, seine Decke am Fußende hochheben und sich zu seinen Füßen hinlegen. Bestimmt würde Boas aufwachen, und dann sollte Rut tun, was er ihr sagen würde.
Noomi war wirklich eine hervorragende Hirtin für Rut, die ja menschlich und geistlich jung war und Führung und Begleitung auf ihrem Glaubensweg brauchte. Mit geistlicher Liebe kam Noomi Ruts Anliegen, eine Ruhestatt zu finden, zuvor und machte es zu ihrem eigenen Anliegen. Sie konnte viel früher als Rut merken, wohin die Führung Gottes ging. Sie betete viel, und zwar so lange, bis sie von Gott ein klares Bild bekam, was sie Rut raten sollte. Sie behielt aber alles in ihrem Herzen, bis die richtige Zeit gekommen war. Als sie dann endlich mit Rut darüber sprach, machte sie deutlich, dass sie sie durch Orientierung unterstütze, aber dass Rut selbst handeln musste. Die Anweisungen, die sie Rut gab, waren so präzise, dass Rut Schritt für Schritt folgen konnte. Allerdings ging die Orientierung nicht weiter als bis zu dem Punkt, dass Rut mit Boas sprechen musste. Noomi bereitete sozusagen die Grundlagen vor, damit Rut danach eigenständig die Situation weiter gestalten konnte.
Ich bin von Noomis geistlicher Qualität als Hirtin wirklich beeindruckt. Ihre Herangehensweise gibt mir ein großes Vorbild für mein eigenes Hirtenleben. Ihr Herzenseinsatz und ihre geistliche Weisheit sind die Punkte, die ich vor allem von ihr lernen möchte.
Wie reagierte Rut auf die Orientierung ihrer Schwiegermutter? Betrachten wir die Verse 5 und 6:
5 Sie sprach zu ihr: Alles, was du mir sagst, will ich tun. 6 Sie ging hinab zur Tenne und tat alles, was ihre Schwiegermutter ihr geboten hatte.
Bemerkenswert ist, dass sie sofort die Entscheidung traf, zu tun, was Noomi geboten hatte. Wie hätten wir uns wohl an ihrer Stelle verhalten? Hätten wir nicht zuerst gründlich überlegt, ob Noomis Vorschlag wirklich sinnvoll und vernünftig ist? Hätten wir uns nicht zurückgezogen, um uns erst mal Klarheit zu verschaffen, ob wir das wirklich tun wollen? Hätten wir nicht Chancen und Risiken abgewogen? Hätten wir nicht vielleicht Noomis Vorschlag relativiert oder entsprechend unserem eigenen Lebensplan umgedeutet? Aber Rut nahm Noomis Plan sofort ohne Wenn und Aber an und ordnete sich Noomis Orientierung unter. Ohne Zweifel, ohne Zögern, ohne Widerspruch und sogar ohne Rückfrage gehorchte sie und war bereit, sich auf ein Unternehmen mit ungewissem Ausgang einzulassen. Und das entsprach damals genauso wenig dem Zeitgeist wie heute. Es war ja die Richterzeit, in der jeder tat, was ihn Recht dünkte, in der jeder selbst über sein Leben bestimmte und tat, was er wollte.
Wie konnte Rut so gehorchen, während die Menschen damals, wie auch wir heute, nach Autonomie und Selbstbestimmung strebten? Welche Grundhaltung stand hinter Ruts Gehorsam? Ihr Gehorsam kam aus ihrer Liebe zu ihrer Schwiegermutter und aus ihrer unlösbaren Beziehung zu ihr. Wir erinnern uns an die Entscheidung von Rut in Kap. 1, Verse 16 und 17:
Rede mir nicht ein, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.
Sie hatte ihr Leben an Noomi gebunden. Sie hatte es zu ihrem Ziel gemacht, treu bei ihr zu bleiben und ihr zu dienen, zumal Noomi für sie sozusagen das Bindeglied zu Gott bzw. die Mittlerin zwischen Gott und ihr war. Dabei war Rut ganz frei von sich selbst. Sie schaute nicht auf sich, sondern auf Noomi und erkannte deren Liebe zu ihr und deren guten Willen für sie. Ob sie die einzelnen Schritte, die sie unternehmen sollte, im Einzelnen verstanden hat, ist ungewiss. Aber das war auch nicht wichtig für sie. Weil sie reine Liebe zu Noomi hatte und nicht berechnete, konnte sie einfach tun, was Noomi sagte.
Die Haltung, die sie aufbrachte, ist kennzeichnend für Menschen des Glaubens. Als Abraham von Gott aufgefordert wurde, sein Vaterland zu verlassen und in ein Land zu ziehen, das Gott ihm zeigen würde, gehorchte er, obwohl er nicht wusste, wo er hinkäme. Wegen seines Glaubensgehorsams konnte Gott ihn zum Vater vieler Völker machen. Als Maria vom Engel Gabriel hörte, dass Gott sie als Mutter des Christus auserwählt hatte, sagte sie sogleich: „Siehe, ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe, wie du gesagt hast“, obwohl sie dafür ihre eigenen Lebenspläne aufgeben musste. Dadurch wurde sie zur wohl privilegiertesten Frau in Gottes Erlösungsgeschichte. Als Jesus zu seinen ersten Jüngern sagte: „Folge mir nach!“, standen sie sofort auf und gingen mit ihm, obwohl sie ihre Boote bzw. ihren Zolltisch zurücklassen mussten. Gott machte sie zu den größten Lehrern der Menschheit. Sie alle schauten nicht auf sich selbst, sondern auf Gott bzw. Jesus, und gehorchten ohne zu berechnen.
Als ich über Ruts Gehorsam nachdachte, fiel es mir zuerst sehr schwer, einen Zugang zu ihrer Person zu finden. Das lag wohl daran, dass ich selbst so ganz anders bin. Ich will meine Entscheidungen selbst treffen. Ich kann schon einen Rat oder Vorschlag annehmen, aber nur, wenn ich auch selbst davon überzeugt bin. Den Schlüssel zum Verständnis hat mir unabsichtlich M. Peter gegeben, indem er beim Bibelstudium unseres Kreises auf die Parallele zwischen Rut und Maria hinwies. In der Adventszeit vor einem Jahr hatte ich ja Gelegenheit gehabt, über die Ankündigung der Geburt Jesu zu predigen. Also frischte ich meine Erinnerung an das, was ich damals gelernt hatte, auf, indem ich meine Predigt zu Lk 1 herauskramte. Und wirklich: Was ich damals über Maria erkannt hatte, passt genauso auf Rut. Und als ich noch weitere Personen fand, die auf Gottes Wort hin spontan gehorcht haben, wurde mir klar, dass es um die generelle Haltung des Glaubens geht: Nicht ich, sondern Gott und die Mitmenschen. Nicht meine Gedanken, sondern Gottes Gedanken. Nicht meine eigenen Pläne, sondern Gottes Wille. Ich bemühe mich seit langem, diese Haltung zu lernen, aber wegen meiner sündigen, menschlichen Natur falle ich immer wieder in meine humanistische Gesinnung zurück. Über den Glauben und die Entscheidung von Rut nachzudenken, hat mich aber sehr ermutigt, diesen Kampf, eine geistliche Gesinnung aufzubringen, weiter zu führen. In diesem Jahr habe ich Mt 6,33 als Jahresleitwort: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Ich will auf Gott schauen und meine Gesinnung seiner Herrschaft unterordnen. Dadurch werde ich nicht nur frei von mir selbst, sondern darf auch aus seinem Segen leben.
Doch kehren wir zu unserer Geschichte zurück. Betrachten wir die Verse 7 und 8:
7 Und als Boas gegessen und getrunken hatte, ward sein Herz guter Dinge und er ging hin und legte sich hinter einen Kornhaufen. Und sie kam leise und deckte zu seinen Füßen auf und legte sich hin. 8 Als es nun Mitternacht ward, erschrak der Mann und beugte sich vor; und siehe, eine Frau lag zu seinen Füßen.
Alles lief nach Plan. Nach dem Abendessen legte sich Boas hinter einem Kornhaufen schlafen. Rut schlich herzu, hob Boas‘ Decke am Fußende hoch und legte sich hin. Um Mitternacht erwachte Boas und stellte zu seiner großen Überraschung fest, dass eine Frau zu seinen Füßen lag. Verblüfft fragte er sie:
Wer bist du?
Was antwortete Rut darauf? Betrachten wir Vers 9b:
Sie antwortete: Ich bin Rut, deine Magd. Breite den Zipfel deines Gewandes über deine Magd, denn du bist der Löser.
Rut nahm all ihren Glaubensmut zusammen und machte Boas praktisch direkt einen Heiratsantrag. Sie hätte von sich aus nie den Gedanken gehabt, Boas heiraten zu wollen. Aber als Noomi ihr diesen Vorschlag machte, nahm sie ihn an. Sie machte Noomis Anliegen zu ihren eigenen Anliegen und setzte sich ganz aktiv für dessen Verwirklichung ein.
Der Ausdruck, den sie hier gebraucht: „Breite den Zipfel deines Gewandes über deine Magd“, klingt sehr poetisch, und er ist es auch. Doch er war in der damaligen Zeit eine gängige Formel. Der Prophet Hesekiel gebraucht diesen Ausdruck auch einmal in Bezug auf Gott und das Volk Israel. Indem Rut diese Worte gebrauchte, konnte Boas sofort wissen, was sie von ihm wollte. Und indem sie hinzufügte: „Denn du bist der Löser“ konnte kein Missverständnis aufkommen. Er hätte niemals denken können, sie sei aus menschlicher Leidenschaft zu ihm gekommen. Es war für ihn ganz klar, dass sie das Recht auf Lösung nach dem Gesetz in Anspruch nahm und von ihm begehrte, das Gesetz zu erfüllen. Bemerkenswert ist noch, dass Rut sagte, Boas sei DER Löser, während Boas nachher sagen wird, er sei EIN Löser. Für Rut war offensichtlich, dass nicht der näher Verwandte, sondern Boas der Löser war, den Gott ihr gegeben hatte.
Nun war der alles entscheidende Moment gekommen. Ruts und auch Noomis weiteres Schicksal hing von Boas‘ Reaktion ab. Wie würde Boas auf Ruts Bitte antworten? Würde er sie annehmen? Sehen wir uns Vers 10 an:
10 Er aber sprach: Gesegnet seist du vom HERRN, meine Tochter! Du hast deine Liebe jetzt noch besser erzeigt als vorher, dass du nicht den jungen Männern nachgegangen bist, weder den reichen noch den armen.
Boas war sehr bewegt und segnete Rut. Worauf bezieht sich sein Wort: „Du hast deine Liebe jetzt noch besser erzeigt als vorher“? Als er in Kap. 2 Rut auf seinem Feld angetroffen hatte, hatte er ihr ein Segenswort gegeben:
Man hat mir alles angesagt, was du getan hast an deiner Schwiegermutter nach deines Mannes Tod; dass du verlassen hast deinen Vater und deine Mutter und dein Vaterland und zu einem Volk gezogen bist, das du vorher nicht kanntest. Der HERR vergelte dir deine Tat, und dein Lohn möge vollkommen sein bei dem HERRN, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, dass du unter seinen Flügeln Zuflucht hättest.
Dass sie ihre Heimat verlassen und sich Gottes Volk angeschlossen und ihr Leben an ihre Schwiegermutter gebunden hatte, für die sie nun sorgte, das war die Liebe gewesen, die sie vorher erzeigt hatte. Zu dieser Liebe fügte sie nun noch hinzu, dass sie das Herz hatte, die im Prinzip schon ausgestorbene Linie von Elimelech wiederaufleben zu lassen, indem sie sich bereit stellte, sich lösen zu lassen. Ihr erster Sohn würde dann als Noomis Enkel gelten. Boas hatte ihr damals Gottes vollkommenen Lohn gewünscht für ihre Entscheidung, zu Gott zu kommen und unter seinen Flügeln Zuflucht zu suchen. Und nun wollte Gott gerade ihn gebrauchen, um ihr tatsächlich Zuflucht zu gewähren.
Was versprach Boas Rut? Betrachten wir Vers 11:
Nun, meine Tochter, fürchte dich nicht. Alles, was du sagst, will ich dir tun; denn das ganze Volk in meiner Stadt weiß, dass du eine tugendsame Frau bist.
Mit großer Herzenswärme, Freude, Respekt und offenen Armen nahm Boas Rut an. Sie sollte sich keine Sorgen machen, er würde sich um ihr Anliegen kümmern. Ist es nicht interessant, das er fast die gleichen Worte gebrauchte wie Rut, als sie ihrer Schwiegermutter zugesagt hatte, dass sie alles tun würde, was sie ihr gesagt hatte? Auch er musste nicht erst überlegen, sondern traf eine spontane Entscheidung. Und die Charakterisierung Ruts als „tugendsam“ entspricht im hebräischen Original der Bezeichnung „angesehen“, die in Kap. 2, V. 1 für Boas gebraucht wird. Auf großartige Weise hatte Gott zwei Menschen zusammengeführt, die in ihrem Charakter und in ihrer geistlichen Haltung so sehr übereinstimmten.
Es gab aber ein Problem, das der Führung Gottes noch im Wege stand. Betrachten wir die Verse 12 und 13:
12 Ja, es ist wahr, dass ich ein Löser bin; aber es ist noch ein Löser da, näher verwandt als ich. 13 Bleib über Nacht hier. Will er dich dann am Morgen lösen, gut, so mag er’s tun; hat er aber keine Lust, dich zu lösen, so will ich dich lösen, so wahr der HERR lebt. Schlaf bis zum Morgen!
Da war ja noch dieser andere Verwandte, der ein vorrangiges Recht hatte, Elimelechs Feld und seine verwitwete Schwiegertochter zu lösen. Boas hätte Rut einfach zu diesem anderen Verwandten schicken können. Doch Boas wollte selbst die Verantwortung übernehmen. Sehr gerne war er bereit, sie zu lösen, obwohl es für ihn eigentlich große Hingabe bedeutete. Wenn er Rut heiratete, würde der erste Sohn als Nachkomme und Erbe von Ruts verstorbenem Mann gelten. Er sollte ihn gut erziehen, aber immer mit dem Bewusstsein, dass er nicht zu seiner, sondern zu Elimelechs Familie gehörte. Das Land, das Boas bekommen würde, indem er Rut löste, durfte er nicht als sein eigenes betrachten, sondern musste es bewahren und verwalten, damit sein erster Sohn es als Familienland von Elimelech besitzen könnte. Seine Bereitschaft, Rut zu lösen, war überhaupt nicht selbstverständlich. Wir wissen aus der Genesis, dass Judas zweiter Sohn sich weigerte, mit Tamar ein Kind zu zeugen, weil er sich seiner Pflicht entziehen wollte. Wir werden nächste Woche sehen, dass auch der andere Verwandte von Noomis Mann seiner Aufgabe nach dem Gesetz nicht nachkommen wollte. Doch Boas dachte nicht an sich und berechnete nicht. Es war ihm eine Ehre, dass Gott ihn auserwählt hatte, für eine tugendsame Frau wie Ruth als Löser zu fungieren. Er machte Ruts Anliegen zu seinem Anliegen und versprach ihr, dass er diese Sache gleich am nächsten Morgen regeln würde.
Wenn wir über Boas nachdenken, stellen wir fest, dass er ein Schatten Jesu Christi im Alten Testament ist. Die heidnische Frau Rut zu den Füßen des Boas ist ein Bild für die Sünder zu den Füßen des wahren Lösers Jesus Christus. Wie Rut Boas bat, sie anzunehmen, dürfen auch wir Sünder zu Jesus kommen und ihn bitten, uns anzunehmen. Er wird gerne bereit sein, den Mantel der Vergebung über uns zu breiten. Wie Boas seine ganze Person einsetzte, um Rut zu lösen und für sich zu gewinnen, gab auch Jesus Christus sein Leben hin, um uns zu erlösen und uns zu seinem Eigentum zu machen.
Boas ließ Rut auf der Tenne übernachten, damit sie nicht schutzlos mitten in der Nacht nach Hause gehen musste. Friedlich schlief sie zu seinen Füßen. Ganz früh am Morgen, als man noch nicht die Hand vor Augen sehen konnte, stand Rut auf, denn Boas wollte ihren guten Ruf nicht gefährden. Er nahm sich aber die Zeit, ihr noch eine Segensgabe für ihre Schwiegermutter mitzugeben. Er bat sie, das Tuch, das sie umhatte, aufzuhalten. Als sie es hinhielt, maß er sechs Maß Gerste hinein – das war doppelt so viel wie sie an jenem ersten Tag auf Boas‘ Feld nach Hause gebracht hatte – und lud ihr’s auf.
Was tat er danach? Betrachten wir Vers 15b:
Und er ging in die Stadt.
Gleich frühmorgens ging er unverzüglich in die Stadt, um möglichst bald das Gespräch mit dem anderen Löser zu suchen und Ruts Angelegenheit zu klären. Er setzte sich von ganzem Herzen für Ruts Anliegen ein.
Was tat Rut inzwischen? Betrachten wir die Verse 16 und 17:
16 Sie aber kam zu ihrer Schwiegermutter. Die sprach: Wie steht’s mit dir, meine Tochter? Und sie sagte ihr alles, was ihr der Mann getan hatte, 17 und sprach: Diese sechs Maß Gerste gab er mir; denn er sagte: Du sollst nicht mit leeren Händen zu deiner Schwiegermutter kommen.
Bestimmt hatte Noomi mit großer Spannung auf Ruts Rückkehr gewartet. Als Rut nach Hause kam, erkundigte sie sich natürlich sofort, wie es gelaufen ist, vor allem, ob Boas Rut angenommen hatte. Rut erzählte ihr alles ganz genau. Dabei betonte sie besonders, dass Boas auch an Noomi gedacht hatte, und zeigte die mitgebrachte Gerste vor.
Was sagte Noomi schließlich? Schauen wir uns Vers 18 an:
18 Sie aber sprach: Warte nun ab, meine Tochter, bis du erfährst, wo es hinauswill; denn der Mann wird nicht ruhen, er bringe es denn heute zu Ende.
Noomi und Rut hatten alles getan, was sie hatten tun können. Nun kam es auf Boas an. Was er nun tat, war entscheidend für das weitere Leben dieser beiden Frauen, denen nichts übrig blieb, als abzuwarten, zu welchem Ende die Angelegenheit kommen würde. Noomi war sicher, dass Boas nicht ruhen würde, bis die Sache einen guten Ausgang gefunden haben würde, und zwar noch heute. Da sie Gottes Plan kannte und dieser bis zu diesem Punkt 1:1 aufgegangen war, hatte sie große Zuversicht, dass es ein Happy End geben würde.
Wir haben heute gesehen, dass Gott einen großen Plan für Ruts Leben hatte, den er ihr durch Noomi offenbart hat. Gott wollte das bittere Schicksal der beiden Witwen wenden und ihrem Leben eine große Bedeutung geben, indem er Rut eine Ruhestatt und Noomi die Wiederherstellung ihrer im Aussterben begriffenen Familie schenkte. Dafür wollte Gott Boas gebrauchen. Wir haben auch über drei Vorbilder des Glaubens nachgedacht, nämlich Noomi, Rut und Boas, die sich alle drei dafür eingesetzt haben, Gottes Plan zur Erfüllung zu bringen. Gott präge uns mit ihrer Gesinnung, sodass wir den Fußtapfen ihres Glaubens nachfolgen können. Lesen wir zum Abschluss noch einmal den Leitvers, Vers 13:
- Bleib über Nacht hier. Will er dich dann am Morgen lösen, gut, so mag er’s tun; hat er aber keine Lust, dich zu lösen, so will ich dich lösen, so wahr der Herr lebt. Schlaf bis zum Morgen!
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