Jesus ist der Christus Gottes
„Er aber sprach zu ihnen: Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei? Da antwortete Petrus und sprach: Du bist der Christus Gottes!“
(Lukasevangelium 9,20)
Nach dem schönen Einschulungsgottesdienst in der vergangenen Woche setzen wir diese Woche mit dem Studium des Lukasevangeliums fort. In der letzten Lektion hatten wir die Geschichte betrachtet, in der Jesus mit nur 5 Broten und 2 Fischen eine riesige Volksmenge, Tausende von Menschen ernährt. Aus dem Johannes-Evangelium wissen wir, dass das Volk Jesus nach der Brotvermehrung zum König machen wollte. Doch Jesus ließ das merkwürdigerweise nicht zu. Anstelle sich darüber zu freuen, zog sich Jesus zurück. Später sagte Jesus zu dem Volk: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von dem Brot gegessen habt und satt geworden seid.“ (Joh 6,26) Das Volk hielt Jesus für einen Brotkönig – einen König, der stets für die momentane Wünsche und Probleme zu haben ist, für eine Art Problemlöser oder vielleicht sogar für einen Glücksbringer. Sie baten nicht Jesus, ihr König zu werden, nein sie wollten ihn ergreifen, um ihm zum König zu machen (Joh. 6,15). Jesus sollte ihnen sozusagen zur Verfügung stehen, ein Mittel zum Zweck sein. Er sollte ein König nach ihrer Vorstellung sein. Was war das Problem? Sie hatten Jesus nicht erkannt. Sie hatten durchaus eine hohe Meinung von Jesus, sie hielten Jesus für einen Propheten, zumeist sogar für einen großen Propheten wie Elia oder Johannes den Täufer, aber hatten Jesus nicht als den Christus erkannt. Unser Bild von Jesus hat gravierende Auswirkung auf das, was wir von Jesus erwarten und wie wir leben. So gesehen befasst sich der heutige mit sehr wichtigen Fragen. Er gibt Antwort auf:
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Was ist die Identität Jesu?
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Was ist das Werk Jesu?
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Welche Auswirkung hat das auf unser Leben, wenn wir verstanden haben, was Jesu Identität und Werk sind?
1. Die Identität Jesu (V. 18 – 20)
Was das Volk über Jesus dachte, wurde offenbar, als Jesus seine Jünger fragte: „Für wen halten mich die Leute?“ Aber wozu eigentlich diese Frage? Einmal kritisierte Pippi Langstrumpf ihren Lehrer, weil er ständig Fragen stellte, deren Antwort er doch sowieso weiß. So auch hier, Jesus wusste mit Sicherheit, was das Volk über ihn denkt. Jesus war ständig unter Leuten gewesen. Jesus war auf keine Meinungsumfrage angewiesen, zumal er wusste, was im Herzen des Menschen war. Als Jesus seine Jünger nach der Meinung des Volkes fragte, ging es ihm letztendlich darum, dass die Jünger darüber reflektieren und Position beziehen: „Was denken die meisten über Jesus? Sehe ich das auch so oder anders?“ Darüber nachzudenken, sollte den Jüngern helfen, sich von der allgemeinen, oberflächlichen Volksmeinung abzugrenzen. Die Frage: „Für wen halten mich die Leute?“ war eine Art Vorbereitung auf die eigentliche Frage, die Jesus seine Jünger stellen wollte. Diese Frage lautete: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Direkt nach seinem Gebet thematisiert Jesus die Frage nach seiner Identität. Offenbar hatte Jesus dafür gebetet, dass Seine Jünger Ihn erkennen, als der, der Er ist. Das zeigt, dass es Jesus wichtig ist, dass seine Jünger wissen, wer Er ist. Das Volk hatte schon ziemlich viel von Jesus gehalten, nämlich für einen bedeutsamen Mann Gottes. Er war in ihren Augen durchaus ein guter, vorbildlicher Mann gewesen. Aber Jesus war damit nicht zufrieden gewesen. Jesus bohrte nach mit der Frage: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Das Bekenntnis von Petrus verrät, wer Jesus in Wirklichkeit ist und als wen Jesus erkannt werden möchte. Petrus erkannte und bekannte, dass Jesus der „Christus Gottes“ ist. Jesus ist der Auserwählte und Gesalbte Gottes (= lat.: Christus). Im AT wurden Menschen gesalbt, wenn sie von Gott eine besondere Berufung erhielten – Priester, Propheten und Könige wurden gesalbt. Es gab also viele Gesalbte, aber Jesus ist der Gesalbte Gottes. Gott hatte Jesus für eine Sache berufen und bestimmt, die nur Er allein ausführen konnte. Jesus wurde dazu gesalbt, die Menschheit zu retten, und zwar aus der Macht von Sünde, Tod und Teufel. Jesus wurde dazu gesalbt, den Menschen das ewige Leben zu schenken. Jesus wurde dazu gesalbt, das Reich Gottes auf Erden aufzurichten. Alle Knie werden sich einst vor dem Herrn Jesus beugen (vgl. Phil. 2,10). Jesus ist derjenige, von dem Gott durch seine Propheten immer wieder gesprochen hatte. Er ist nicht nur ein großer Prophet, sondern der Fokus aller Propheten.
Und noch eine Sache: Jesus ist der Christus Gottes, nicht der Christus des Volkes. Er wurde nicht von Menschen, sondern von Gott gesalbt. Warum ist das wichtig? Wäre Jesus der Christus des Volkes, dann wäre er ein Christus nach menschlicher Vorstellung. Er wäre tatsächlich ein Brotkönig, ein Problemlöser. Denn nur solch einen würde die Welt zu ihrem Christus salben. Jesus aber ist der Christus Gottes. Er ist der Christus, ganz so wie es Gottes Vorstellung und Gottes Willen entspricht. Als der Christus Gottes ist er nicht einfach nur ein Problemlöser, sondern Retter, Retter aus der Verlorenheit. Als der Christus Gottes ist er nicht einfach nur ein guter Mensch, nur ein moralisches Vorbild für unser Leben, sondern der Herr und Inhalt unseres Lebens.
Jesus möchte für einem jeden von uns als der Christus Gottes gelten, und zwar nicht nur zu Beginn unseres Glaubenslebens, sondern allezeit. Tiefer und tiefer möchte er von uns als der Christus Gottes erkannt werden. Als der Christus Gottes bringt Jesus Rettung, Frieden, Freude und Hoffnung in unser Leben hinein. Daher möchte er für dich und mich der Christus Gottes sein. Man kann an dieser Stelle einwenden: „Ja, das weiß ich schon lange, dass Jesus der Christus Gottes ist. Das ist für mich nichts Neues.“ Petrus hatte auch Jesus als den Christus Gottes erkannt. Doch als Jesus von seinen Leiden sprach, wunderte er sich. Er hatte nicht verstanden, was es in letzter Konsequenz heißt, dass Jesus der Christus Gottes ist. Ebenso kann es auch bei uns sein – wir wissen und glauben, dass Jesus der Christus Gottes ist. Doch wie tief sitzt diese Erkenntnis in unsere Herzen? In der weiteren Betrachtung des Textes wird deutlich, was es heißt, Jesus als den Christus Gottes im Herzen verstanden zu haben.
2. Das Werk des Christus (V. 21 – 22)
Fast unmittelbar nach der Offenbarung seiner Identität spricht Jesus von dem Werk, das er bald tun würde. Angenommen wir hätten nie etwas vom Werk Christi erfahren und stünden kurz vor dem Augenblick, wo es uns Jesus verraten will. Was würden wir erwarten? Ich denke, die meisten wohl spektakuläre Dinge, heldenhafte Taten, Befreiung aus schlechten Verhältnissen, Wohlstand usw. Von einem, den man als den Christus Gottes sieht, würde man wohl eher solche Dinge erwarten. Wie wäre es, wenn man dann die Worte in V. 22 hört? Ich wäre zutiefst schockiert! Und so ging es den Jüngern damals auch. Das, was Jesus hier in V.22 ankündigt, ist alles andere als selbstverständlich. Die Worte, die Jesus in Vers 22 gebraucht, sind bis auf den letzten Teil ziemlich, ja äußerst negativ: viel Leiden, tiefe, ja leidenschaftliche Ablehnung und schließlich Mord. Ausgerechnet der Christus Gottes sollte das alles durchmachen! Müsste es nicht anders sein? Nein, Jesus sagt: „der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden…“ Nicht obwohl er der Christus Gottes ist, sondern gerade weil er der Christus Gottes ist, musste er viel leiden, tiefste Ablehnung erfahren und schließlich sogar ermordet werden. Nur so konnte er seine Bestimmung als den Christus Gottes erfüllen. Nur so konnte er uns die Rettung von den Sünden bringen, nur so konnte er uns Frieden, Freude und Hoffnung schaffen. Jesus machte viel Leiden durch, damit wir vor den unendlichen Leiden verschont werden. Jesus wurde zutiefst verworfen, damit wir bei Gott tiefe Annahme finden. Jesus wurde getötet, damit wir das Leben haben. Jesu Leiden, seine tiefste Ablehnung und sein Tod sind unzertrennbar mit seiner Identität als der Christus Gottes verbunden.
Zu Jesu Werk gehört aber auch seine Auferstehung am dritten Tag, wie es in Röm. 4,25 heißt:
ihn, der um unserer Übertretungen willen dahingegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt worden ist.
Jesu Werk begann mit Leiden, tiefster Ablehnung, endete aber in großer Herrlichkeit. Als Jesus in der Wüste vom Teufel versucht wurde, bot ihm der Teufel an, ihm in einem Nu alle Reiche der Welt zu geben. Doch Jesus lehnte diesen unmittelbaren Weg zur Herrlichkeit ab. Die Art und Weise, wie Jesus zur Herrlichkeit gelangte, geschah durch Leiden, Ablehnung und Tod.
Soweit Jesu Identität und Werk. Wie verändert diese Wahrheit unser Leben, wenn wir sie im Herzen verstanden haben?
3. Die Nachfolge Christi (V. 23 – 36)
Nachdem Jesus von seinem Werk sprach, spricht er von Seiner Nachfolge. Je mehr wir die Verse 23 und 24 betrachten, desto mehr fällt auf, wie sehr die Nachfolge mit der Identität und dem Werk Christi zusammenhängen. Lasst uns einmal die Verse im Einzelnen betrachten: Die Nachfolge Christi ist von zwei Dingen charakterisiert: Sich selbst verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen. Was bedeutet das? Sich selbst verleugnen, heißt so leben, dass man nicht mehr um sich selbst bekümmert ist. Von Natur aus ist man stets um sein eigenes Wohl bekümmert – die einen mehr, die andere weniger. Natürlich gibt es da unterschiedliche Ausmaße, aber doch ist in jedem von uns die Eigenliebe tief verankert. Woher kommen denn das viele Sorgenmachen, die vielen Ängste, Stress usw.? Sie sind doch oft nur ein Resultat unserer Eigenliebe. Dasselbe gilt auch für die Begierden – sei es die Begierde nach Ruhm und Anerkennung, oder die Begierde nach Wohlstand oder was auch immer für eine Begierde- sie sind doch immer ein Ausdruck der Eigenliebe. Es gibt ja das Sprichwort: „Alle denken an sich. Nur ich denke an mich.“ Doch Selbstverleugnung ist genau das Gegenteil: Man ist nicht mehr um sich selbst besorgt. Selbstverleugnung heißt nicht, dass man sich nicht mehr um sich kümmert, sondern dass man nicht mehr um sich bekümmert ist, dass man sich nicht mehr um sich selbst dreht; dass man nicht das eigene Wohl, sondern das Wohl des anderen sucht.
Stellt da aber Jesus nicht einen zu hohen Maßstab, verlangt da Jesus nicht viel zu viel von einem? Selbstverleugnung ist eine natürliche Konsequenz aus der Erkenntnis der Identität und des Werkes Christi. Wenn ich wirklich glaube, dass Jesus mich so sehr geliebt hat, dass er für mich die allergrößten Leiden erlitt, dass Jesus mich so sehr geliebt hat, dass er die tiefste Ablehnung auf sich nahm, dass er mich so sehr geliebt hat, dass er sich für mich ermorden ließ, wie kann ich dann noch um mich selbst besorgt sein? Im Zusammenhang vom Werk Christi spricht man oft von Erlösung. Bei Erlösung denkt man zumeist an die Erlösung von der Verdammnis. Aber mit Erlösung ist viel mehr als das gemeint. Jesu Liebe, die Er uns mit Seinem Werk erwies, löst uns von unserer Ichhaftigkeit und Eigenliebe los. Die Kehrseite von Selbstverleugnung ist nichts anderes als innere Freiheit. Und die Kehrseite von Eigenliebe ist nicht Glück, sondern Sorgen, Ängste und Stress usw.
Das zweite Element der Nachfolge ist, das Kreuz täglich auf sich zu nehmen. Wie die Selbstverleugnung ergibt sich auch das tägliche Tragen des Kreuzes ganz natürlich aus der Identität und dem Werk Christi. Im Vers 23 sagt Jesus: Wenn jemand mir nachkommen will… (Elb.-Übersetzung). Wenn man jemandem nachgeht, dann geschieht einem auch all das, was dem geschieht, dem man nachgeht. Daher ist es eine ganz natürliche Konsequenz des Kreuzes Christi, dass auch wir das Kreuz tragen. Wie das Werk Christi durch Leiden zur Herrlichkeit führte, so geht auch der Weg der Jünger durch Leiden zur Herrlichkeit. In Apg. 14,22b heißt es daher: Wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen.
Was meint aber Jesus mit dem täglichen Tragen des Kreuzes konkret? Das ist ja ein Bild, was Jesus hier verwendet. Die damaligen Zuhörer von Jesus hatten mit dem Kreuz ganz andere Assoziationen als wir es heute haben. In einem Kommentar heißt es, dass man mit dem Kreuz die schimpflichste Todesstrafe verband (vgl. RIENECKER 1959: 2391). Die zum Tode Verurteilten mussten ihr Kreuz zur Hinrichtungsstätte tragen. Dabei hatten sie sich schon damit abgefunden, dass sie sterben werden. Eben zu dieser Haltung verpflichtet Jesus auch diejenigen, die ihm nachfolgen wollen. Sie sollten sich selbst, ihr altes Ich als gestorben erachten. Paulus beschreibt die Kreuzigung des alten Ichs bei den Gläubigen als eine bereits geschehene Tatsache. So schreibt er im Römerbrief: Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist (6,6a). Es geht bei der Nachfolge nicht darum, es zu versuchen Jesus nachzufolgen, sondern täglich neu zu entscheiden, zu sterben; d.h. täglich neu sich, also den alten Menschen mit seinen ichhaften Ansprüchen, als gestorben zu erachten. Übrigens sagt Jesus nicht: „und nehme mein Kreuz auf sich“, sondern „sein Kreuz auf sich täglich“. Jesus verlangt nicht, sein Kreuz auf sich zu nehmen. Das wäre viel zu schwer für uns. Wir würden darunter zusammenbrechen. Die Berufung und Aufgaben, die Gott uns gegeben hat, sowie die Lasten und Leiden, die in unser Leben eintreten , übersteigen nicht unserem geistlichen „Vermögen“, nicht der Größe unseres Glaubens. Denn in 1. Kor. 10,13 steht: „Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, dass ihr über euer Vermögen versucht werdet, sondern mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen wird, sodass ihr sie ertragen könnt.“ Das Kreuz von Paulus klingt so:
24 Von Juden habe ich fünfmal vierzig ⟨Schläge⟩ weniger einen bekommen. 25 Dreimal bin ich mit Ruten geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten; einen Tag und eine Nacht habe ich in Seenot zugebracht; 26 oft auf Reisen, in Gefahren von Flüssen, in Gefahren von Räubern, in Gefahren von ⟨meinem⟩ Volk, in Gefahren von den Nationen, in Gefahren in der Stadt, in Gefahren in der Wüste, in Gefahren auf dem Meer, in Gefahren unter falschen Brüdern; 27 in Mühe und Beschwerde, in Wachen oft, in Hunger und Durst, in Fasten oft, in Kälte und Blöße (2. Kor. 11,24-27).
Dieses Kreuz kann ich nicht tragen und Gott sei Dank muss ich es auch nicht tragen – eben weil ich nicht das geistliche „Vermögen“ dazu habe. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Wann immer Gott uns eine bestimmte Aufgabe, eine Last, ein bestimmtes Leid usw. auferlegt, ist es nicht zu schwer für uns. Wir können es tragen. Außerdem müssen wir es nicht allein tragen. In Mt. 11,30 sagt Jesus: „denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ Ein Joch wurde nicht allein getragen. Jesus trägt das Kreuz mit uns, indem er uns die Kraft dazu gibt, es zu tragen. Jesus ist ja unser Retter und damit auch unser Helfer. Auch beim täglichen Tragen des Kreuzes möchte Jesus der Christus Gottes für uns sein! Das tägliche Tragen des Kreuzes wird besonders schwer, wenn man es halbherzig tut. Wer hingegen sein altes Ich mit all seinen Forderungen als gestorben erachtet, hat es einfacher, das Kreuz zu tragen.
Im Vers 24 bringt es Jesus auf dem Punkt, um was es bei der Nachfolge eigentlich geht. Es geht um unser Leben, um unser ganzes Leben! In den Evangelien wird diese Wahrheit, die Jesus in Vers 24 ausspricht, an drei anderen Stellen in einem jeweils anderen Kontext wiederholt (vgl. Lk. 17,33; Jo 12,25; Mt. 10,39). Dies unterstreicht umso mehr, wie wichtig und wahr dieses Wort Jesu ist. Doch was bedeutet es? Sein Leben erhalten wollen bedeutet, dass man nicht bereit ist, sein Leben in die Hände Gottes loszulassen; dass man Gott nicht erlauben möchte sein Leben tiefgreifend zu verändern; dass man es so erhalten möchte, wie es ist, und man lediglich danach trachtet, es zu verschönern und weiterzuentwickeln. Aber gerade dadurch wird man das eigentliche Leben verpassen, es verlieren, spätestens in der Ewigkeit. Bei vielen zeigt sich dies aber auch schon hier auf der Erde, indem sie eine innere Leere verspüren, unglücklich und unzufrieden sind, voller Sorgen und Ängste sind, allerlei Lasten mit sich tragen, nicht wahrhaft leben können, sondern eher nur existieren.
Wer hingegen sein Leben für Jesus aufopfert, also nicht für sich, sondern für Jesus und die anderen lebt, erfährt, dass solch ein Leben viel gesegneter ist – es erfüllt das Leben mit Frieden und Freude im Heiligen Geist, wie es in Röm. 14, 17 heißt: „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist.“ Christen, die das zu wenig erfahren, leben nicht ganz, nur teilweise unter der Herrschaft Gottes, sodass diese Freude und Frieden nur ansatzweise zum Durchbruch kommen kann.
Nach der Elberfelder-Übersetzung lautet Vers 24 so: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten.“ Auch in der Schlachter-Übersetzung und NIV wird das Wort „retten“ anstelle „erhalten“ gebraucht. Sein Leben erhalten wollen, kommt daher, dass man sein eigener Retter sein will. Es kann sein, dass man an Jesus als seinen Retter glaubt, ihn aber im alltäglichen Leben unbewusst als Retter ablehnt. Jedes Mal, wenn wir versuchen, unser Leben auf eigene Weise auf die Reihe zu bekommen, spielen wir unseren eigenen Retter. Dies zeigt sich besonders in Not- und Stresssituationen. Gestern beim Bibelstudium habe ich davon erzählt, wie ich zur Zeit meiner Ausbildung ständig versuchte, mein eigener Retter zu sein. Ich fürchtete mich von der Missachtung meiner Vorgesetzten. Das war sozusagen mein Tod. Meine Rettungsmaßnahme war, immer wieder die Nächte durcharbeiten. Einmal arbeitete ich drei Nächte hintereinander durch, um einen möglichst guten Unterricht vorzubereiten. Das war sozusagen eine Rettungsmaßnahme von mir, um meinem persönlichen Tod zu entkommen.
Wir alle fürchten bestimmte Situationen, bei denen wir hoffen, dass sie niemals in unserem Leben eintreten würden. Es sind Situationen, wo man meint: „Wenn das passiert, dann wäre das mein Ende“, „Wenn das passiert, dann wäre das eine Katastrophe“, „Wenn dies und das passiert, dann ist mein Leben nicht mehr lebenswert“ usw. Das kann z.B. das Durchfallen bei einer wichtigen Prüfung sein. Für viele Kinder in der Schule ist es der Tod, zum Außenseiter der Klasse zu werden. Für Erwachsene kann es sehr schlimm sein, die Anerkennung ihres Chefs zu verlieren. Für andere wiederum ist es die größte Furcht, wenn ihr Geschäft nicht mehr läuft. Für manche ist es der Tod, wenn sie in dem sozialen Umfeld, wo sie ihren Platz und Anerkennung gefunden haben, ihr Gesicht verlieren und Ausgrenzung erfahren. Wenn man auch nur annähernd in die Nähe von solchen Situationen kommt, die für uns der Tod sind, ergreift man bestimmte Rettungsmaßnahmen – zum Beispiel, dass man immer lügt, sobald es brenzlig wird; dass man betrügt, um sein Geschäft am Laufen zu halten; dass man sich ständig rechtfertig, um sein Gesicht zu wahren usw. Indem man sündhafte Rettungsstrategien benutzt, lässt man in dem Moment nicht Jesus seinen Retter sein. Zu Beginn der Predigt haben wir erfahren, dass Jesus für einem jeden von uns als der Christus Gottes angesehen möchte. Dies ist nicht nur für unsere Bekehrung von Relevanz, sondern inmitten unseres Alltags soll es mehr und mehr zur Realität werden, dass Jesus unserer Retter ist. Wer es verinnerlicht hat, dass Jesus der Christus Gottes ist, der hört damit auf, sich ständig selbst zu retten. Er lässt Jesus inmitten seines Alltags Retter sein. Je mehr wir erlauben, Jesus unser Retter inmitten des Alltags sein, desto mehr werden wir es verinnerlichen, dass Jesus für uns der Christus Gottes ist.
Noch einmal zurück zu Vers 22. So wie sich Jesus im Vers 22 beschreibt, wirkt rein menschlich betrachtet sehr armselig. Ohne die Betrachtung des Glaubens sieht man da kaum Herrlichkeit, abgesehen in der Auferstehung, die aber zu dem Zeitpunkt für die Jünger sehr abstrakt gewesen sein muss. Setzen wir uns einmal in die Jünger hinein: Warum sollten sie sich für einen selbstverleugnen, der bald ermordet werden würde? Warum sollten sie ihr Leben für einen lassen, der von der gesellschaftlichen Elite verworfen werden würde? Für einen sozialen Außenseiter, der ermordet werden wird, lässt man eigentlich ungern sein Leben. Was die Jünger brauchten, war ein Bild von Jesu Herrlichkeit. In den Versen 28 und 29 erfahren wir, dass Jesus solch ein Bild seinen Jüngern gibt (zumindest drei von seinen vertrautesten Jüngern, die ihre Erfahrung aber später den anderen Jüngern mitteilten).
Er nahm diese Jünger mit auf einem Berg, um zu beten. Während er betete, veränderte sich sein Aussehen. Sein Gesicht strahlte in einem hellen Licht, Matthäus schreibt, dass es so hell leuchtete wie die Sonne (Mt. 17,2). Jesu Gewand wurde strahlend weiß, und zwar so weiß, wie kein Walker auf der Erde es weiß machen konnte (vgl. Mk. 9,3). Jesus erschien in einem außerordentlichen Lichtglanz. Im Vers 31 erfahren wir, dass Mose und Elia mit Jesus über seinen Ausgang in Jerusalem sprachen – mit anderen Worten: sie sprachen mit Jesus über seinen Tod am Kreuz. Drei Männer in Herrlichkeit sprechen über den Kreuzestod – das macht deutlich, dass Jesu Tod am Kreuz und Jesu Herrlichkeit keine gegensätzlichen Dinge sind, sondern zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Menschlich betrachtet ist das Kreuz Jesu armselig, doch im Glauben betrachtet, ist es voller Herrlichkeit, weil nichts mehr Gottes Güte, Liebe und Heiligkeit offenbart als der Kreuzestod Jesu. Im Vers 33 erfahren wir, dass Petrus gerne auf dem Berg bleiben wollte. Er schlug vor, dort zu wohnen. Dies lag nicht daran, dass die Landschaft auf dem Berg so schön war, sondern an Jesu Herrlichkeit. Jesu Herrlichkeit war so schön, dass er in ihrer Gegenwart bleiben wollte. Vers 35 berichtet davon, dass Gott vom Himmel Zeugnis von Jesus ablegt mit den Worten: „Dieser ist mein auserwählter Sohn, ihn hört!“ Die Herrlichkeit, die die Jünger sahen, war die Herrlichkeit des Sohnes Gottes. So bezeugt Johannes später: „wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Joh. 1,14)“ Was lernen wir also daraus? Weil Jesus voller Herrlichkeit ist, ist er es wert, sich für ihn selbst zu verleugnen und sein Kreuz auf sich zu nehmen. Weil Jesus der geliebte und auserwählte Sohn Gottes ist, ist er es wert, sein Leben für ihn zu lassen. In den letzten Tagen hatte mich der Tod zweier Persönlichkeiten beschäftigt, einmal der Tod von Gorbatschow, aber noch viel mehr der Tod von Queen Elizabeth. Ich finde es faszinierend, dass Menschen bereit sind, bis zu 30 Stunden in einer kilometerlangen Schlange zu warten, um sich von der Queen in ihrem Sarg zu verabschieden. Für etwas, was man für besonders, wertvoll oder herrlich erachtet, sind Menschen gewöhnlich bereit, immens viel zu investieren. Wenn wir ein klares Bild von der Herrlichkeit Jesu haben, dann werden wir auch die Bereitschaft haben, uns selbst zu verleugnen, das Kreuz zu tragen und unser Leben für ihn zu lassen. Lasst uns allezeit auf das Kreuz schauen, sodass wir Jesu Herrlichkeit stets vor Augen haben. Es ist auch gut dafür zu beten, dass Gott uns anhand seines Wortes durch Seinen Heiligen Geist immer wieder aufs Neue und immer klarer die Herrlichkeit Jesu zeigt, sodass wir sie allezeit vor Augen haben. Wir können hierzu auch die Gebete von Paulus aus dem Epheserbrief beten:
15 Deshalb höre auch ich, nachdem ich von eurem Glauben an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen gehört habe, nicht auf, 16 für euch zu danken, und ich gedenke euer in meinen Gebeten, 17 dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe ⟨den⟩ Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst. 18 Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung, was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen 19 und was die überragende Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, ist, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke (Eph. 1,15-19).
14 Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, 15 von dem jede Vaterschaft[15] in den Himmeln und auf Erden benannt wird: 16 Er gebe euch nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen; 17 dass der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohnt und ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid, 18 damit ihr imstande seid, mit allen Heiligen völlig zu erfassen, was die Breite und Länge und Höhe und Tiefe ist, 19 und zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, damit ihr erfüllt werdet zur ganzen Fülle Gottes (Eph. 3,14-19).
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1RIENECKER, F. (1959): Das Evangelium des Lukas. Erklärt von Fritz Rienecker. In: Wuppertaler Studienbibel, S. 1-555. SCM R. BROCKHAUS.
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