Der König und die Zwölf
„Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte zwölf aus; sie nannte er auch Apostel.“
(Lukasevangelium 6,13)
Das Ereignis, um das es geht, ist extrem schnell nacherzählt. Die Konflikte zwischen Jesus und den religiösen Leitern hatten sich in den letzten Tagen und Wochen verschärft. Jesus ging auf einen Berg und verbrachte die ganze Nacht auf dem Berg im Gebet. Nach diesem Gebetsmarathon wählt Jesus unter seinen Jüngern 12 Männer aus, die er Apostel nennt. Und das war’s. Dieses Ereignis wird in allen drei synoptischen Evangelien erwähnt. Ohne Zweifel war es ein sehr wichtiges Ereignis. Frage ist dann natürlich: Was genau war daran wichtig? Und warum?
Ich finde, dass dieses Ereignis aus mindestens drei Gründen wichtig ist. Wir können diese Gründe mit folgenden Worten zusammenfassen: Erfüllung, Offenbarung und Auswirkungen. Mit dem Einsetzen der zwölf Apostel erfüllt sich hier etwas; gleichzeitig offenbart es auch etwas, und es hat Auswirkungen bis in unsere Zeit. Und das sind die drei Punkte, über die wir nachdenken wollen.
1. Die Erfüllung
Viele Menschen, die diesen Text lesen, betrachten es als eine wichtige Zäsur in Jesu Leben. Manche betrachten es als den Anfang von Jesu Jüngerschaft. Vielleicht haben manche oder viele von uns den Text so ähnlich gelesen. In unserer Gemeinde sehen wir es als unsere Aufgabe an, Jesus nachzuahmen und ebenfalls Jünger zu machen, genauso wie Jesus es getan hatte. Jesus betete die ganze Nacht hindurch: vielleicht sollten wir dann ebenfalls wesentlich mehr Zeit im Gebet verbringen. Das hat alles seine Richtigkeit. Es ist absolut rechtens, dass wir uns dieses Anliegen zu Herzen nehmen und dafür beten.
Es ist nur so, dass ich nicht glaube, dass dieser Text heute davon handelt. Zum einen ist es so, dass Jesus zusätzlich zu den 12 Aposteln noch andere Jünger hatte. Fakt ist, dass Jesus ganz viele Nachfolger hatte, die nicht zu den Zwölfen dazu gehörten. In Lukas 10 ist von 72 Jüngern die Rede, die Jesus aussendet. Apostelgeschichte 1 spricht von einer Gemeinschaft von 120 Menschen, und das waren nur diejenigen, die sich nach Jesu Tod und Auferstehung in Jerusalem aufgehalten hatten. 1. Korinther 15 spricht von 500 Brüdern. Und das waren natürlich nur die Männer. Es gab auch zahlreiche Frauen, die Jesus nachgefolgt sind. Jesus hatte also wesentlich mehr Jünger als die Zwölf.
Ich würde sogar einen Schritt weitergehen und argumentieren, dass die zwölf Apostel noch nicht einmal die wichtigsten Jünger waren. Von Jakobus, den Sohn des Alphäus, Judas, den Sohn des Jakobus, Bartholomäus wissen wir praktisch gar nichts außer ihren Namen. Auf der anderen Seite bekehrte sich später Jakobus, der leibliche Bruder von Jesus, und wurde zu einer führenden Person in der frühen Kirche. Es gab also durchaus andere Jünger, die prominenter waren als etliche von den Zwölfen. Die Zwölf waren also nicht der Anfang der Jüngerschaft und sie waren schon gar nicht die einzigen Jünger.
Noch eine interessante Beobachtung: zusätzlich zu den zwölf Aposteln gab es eine ganze Reihe von weiteren Menschen, die ebenfalls das Amt eines Apostels hatten. Paulus ist natürlich der Bekannteste von ihnen. Aber es gab noch viel mehr. In Römer 16,7 heißt es z.B.: „Grüßt Andronikus und Junia, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie ragen heraus unter den Aposteln und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt.“ Unter vielen Aposteln waren Andronikus und Junia besondere, herausragende Apostel. (Übrigens, Junia war eine Frau. D.h., auch Frauen hatten in der frühen Gemeinde wichtige leitende Funktionen inne). Aber hier in diesem Fall ging es Jesus nicht einfach um irgendwelche Apostel. Es ging Jesus um DIE Apostel. Und die Apostel waren nur zwölf an der Zahl. Warum zwölf?
N.T. Wright gebrauchte folgende Illustration. Stellen wir uns vor, wir gehen auf einen Bolzplatz, wo eine Horde von Teenagern gerade kicken. Und stellen wir uns vor, ein Trainer wie Jürgen Klopp taucht plötzlich auf. Er wählt unter den Jugendlichen elf Sportler aus. Jeder von uns würde verstehen, was das zu bedeuten hat. Ganz klar, er stellt eine Fußball-Mannschaft zusammen. Und genauso klar musste für die Menschen damals glasklar gewesen sein, was Jesus hier tut. Die zwölf Jünger entsprechen den zwölf Stämmen vom Volk Israel. Mit anderen Worten, Jesus ist dabei, ein neues Volk Israel aufzustellen. Nichts weniger als das.
Vielleicht fallen uns dann auch die Parallelen auf. Frage: wann war die Geburtsstunde vom Volk Israel? Man kann natürlich verschiedene Antworten darauf geben: das erste Passa, als sie aus Ägypten ausgezogen waren, der Durchzug durch das Rote Meer. Aber was ein Volk auszeichnet, ist eine gemeinsame Identität. Und das geschieht eigentlich erst in Exodus 19 und 20. Mose steigt auf den Berg Horeb. Niemand sonst kann ihm folgen. Mose verbringt Zeit alleine mit Gott. Dort auf dem Berg empfängt Mose die Zehn Gebote. Dort am Berg schließt Gott einen Bund mit dem Volk Israel. Und dort am Berg wurde aus einem Haufen von weggelaufenen Ex-Sklaven das Volk Israel.
Hier im Text ist wieder von einem Berg die Rede. Und hier ist ein anderer Mose, der auf den Berg steigt und alleine Zeit mit Gott verbringt. Jesu Gebet auf dem Berg war natürlich ein Musterbeispiel für geistliche Disziplin. Aber es war gleichzeitig auch mehr als das. Es war die Erfüllung von Prophetie aus dem AT. In 5. Mose 18,15.16 heißt es: „Einen Propheten wie mich wird dir der HERR, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören. Der HERR wird ihn als Erfüllung von allem erstehen lassen, worum du am Horeb, am Tag der Versammlung, den HERRN, deinen Gott, gebeten hast, als du sagtest: Ich kann die donnernde Stimme des HERRN, meines Gottes, nicht noch einmal hören und dieses große Feuer nicht noch einmal sehen, ohne dass ich sterbe.“ Jesus erfüllt diese Prophezeiung. Er ist der Prophet aus der Mitte der Brüder. Er ist der neue Mose und gleichzeitig der wahre Mose. Der alte Mose ist ein Schatten von Jesus.
Einige von den gewaltigen Implikationen: Die Einsetzung von den Zwölfen bestätigt Jesu Ansprüche als König. Earl Ellis hat die Beobachtung gemacht, dass Lukas ab Kapitel 6,12 seine Aufmerksamkeit auf das Reich Gottes lenkt. Das Wort „Reich“ kam vorher in Lukas nur einmal vor (Lukas 4,43). In den nächsten Abschnitten kommt es siebenmal vor. D.h. Jesus gründet nicht nur ein neues Israel. Er erhebt den Anspruch, dass er der wahre König Israels ist.
Noch eine Konsequenz: in 2. Mose 19,5 sagt Gott dem Volk Israel, dass sie ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein sollten. Königreich von Priestern bedeutet nicht, dass jeder im Volk ein Priester ist. Es gab den amtierenden Hohepriester, weitere Priester und die Leviten. Es bedeutet, dass Gott der König von Israel ist und dass das Priestertum ein zentraler Bestandteil ihrer nationalen Identität ist. Aber in Jesu Reich sieht es anders aus. Jesus ist König und Priester zugleich. Und wir haben Teil an seinem Priestertum und werden von ihm als Priesterschaft mit eingesetzt. 1. Petrus 2,9 sagt: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat.“
Frage war, was sich erfüllt hat? Die Antwort ist, durch die Einsetzung der Zwölf hat Jesus ein neues Israel eingesetzt.
2. Die Offenbarung
Die Berufung der Zwölf offenbart das Wesen von Gottes Königreich, vor allem die Gnade. Gnade ist Gottes unverdiente Güte, die er uns erweist. Diese unverdiente Güte sehen wir praktisch an jeder Stelle.
Wir sehen die Gnade an der Tatsache, wen Jesus für die Aufgabe berief. Es waren die absoluten Nobodys. Es ist das genaue Gegenteil von dem, was wir tun würden. Stellen wir uns vor, wir wollen ein Sport-Team zusammenstellen. Vielleicht haben manche von uns düstere Erinnerungen an die Schulzeit. Die Team-Captains wählen nacheinander die sportlichsten, ausdauerndsten Kinder; danach die mittelguten. Zurück bleiben zwei Arten von Kindern: die mit der dicksten Brille oder die mit dem dicksten Bauch.
Oder ein anderes Beispiel: eine der Erfindungen, die das Verhalten von Milliarden von Menschen verändert hat, war das Smartphone. Vor einigen Jahren war in der NY Times ein hervorragender Artikel mit dem Titel: „Und Steve sprach: Es werde ein iPhone.“ In diesem Artikel wird auf sehr lebhafte Weise beschrieben, wie Apple das iPhone entwickelte. Es geschah unter größter Geheimhaltung, so dass selbst die Mitarbeiter des Unternehmens, die nicht daran arbeiteten, praktisch nichts davon wussten. Vor allen Dingen bestand Steve Jobs darauf, dass niemand von außerhalb dafür eingestellt werden durfte. Auf der anderen Seite durften die entsprechenden Abteilungsleiter intern die besten und talentiertesten Mitarbeiter dafür rekrutieren. Nach und nach wurden diejenigen, die intern als „Rockstars“ bekannt waren, dafür eingezogen. Wenn wir die Welt verändern wollen, dann suchen wir uns natürlich die Rockstars.
Aber Jesus scheint geradezu das Gegenteil zu machen. Jesus wählt Männer, die wirklich nichts auf dem Lebenslauf stehen hatten. Er suchte sich diejenigen, die nach dem Schulabbruch eine Lehre gemacht hatten. Eine Stelle, die uns das nochmals vor Augen führt, ist Apostelgeschichte 4,13: „Als sie den Freimut des Petrus und des Johannes sahen und merkten, dass es ungebildete und einfache Leute waren, wunderten sie sich.“ Woran hatten die religiösen Leiter gemerkt, dass die Jünger ungebildete, einfache Leute waren? Ihrem Akzent? Weil sie in ihre Rede mit den Worten „Ey Digga“ begannen? In der Liste der Zwölf war praktisch niemand dabei, der sich mit Ruhm bekleckert hatte. Die Tatsache, dass sie zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte wurden, war nichts anderes als Gnade.
Wir sehen die Gnade Gottes auch in der Vielfalt der Jünger. Der krasseste Kontrast bilden Matthäus, der ehemalige Zöllner und Simon, der ehemalige Terrorist. Wir können den Konflikt kaum überbetonen. Zöllner waren die Rechtsradikalen, die nicht davor zurückschreckten, ihr eigenes Volk auszunehmen. Zeloten waren die Linksradikalen, die bevorzugt Zöllner umbrachten. Beide wurden Jünger Jesu. Frage ist: wie können so radikal unterschiedliche Menschen trotzdem zusammenkommen und Freunde und Brüder werden? Die Antwort ist Gnade.
Hier ist das, was ich meine: wir alle bauen eine Identität. Jeder von uns tut das, und meistens sind wir uns dessen nicht bewusst. Teil der Identität ist sehr häufig auch, wo wir uns auf dem politischen Meinungsspektrum befinden; welcher Gemeinde wir angehören; mit welchem theologischen Lager wir sympathisieren. Jesu Gnade sagt uns nicht, dass diese Differenzen unwichtig sind. Themen wie Abtreibung, Rassismus, soziale Gerechtigkeit, Politik, Wissenschaft, Gesundheitsthemen sind wichtig. Aber sie sind nicht mehr essenziell. Nehmen wir nur ein Beispiel: Corona-Impfungen. Ich verstehe, dass das vor allem vergangenes Jahr ein extrem kontroverses Thema war. Vielleicht wird das wieder im Herbst und Winter dieses Jahr relevant. Es ist ein Thema, das Relevanz für unser Wohlergehen und unsere Gesundheit hat. In vielen Fällen hatte das sogar Auswirkungen auf Leben und Tod. Leben und Tod: in diesem Fall fragt man sich, was wichtiger sein könnte. So wichtig dieses Thema ist, es ist nicht essenziell. Was mehr zählt, ist die Herrschaft Jesu; die Tatsache, dass er regiert und dass er der König ist. Unsere Identität beruht nicht darauf, ob wir geimpft sind oder nicht. Unsere Identität baut darauf auf, was Jesus für uns getan: sein Tod am Kreuz für uns und seine Auferstehung. Und das ist alles Gnade. Eine Gemeinde, die in dieser Gnade steht, hat Platz für die diversesten Menschen.
Das dritte Beispiel für die Gnade Jesus ist die Tatsache, dass sich unter den Jüngern ein Mann namens Judas Iskariot befindet. Vers 16 sagt: „Judas Iskariot, der zum Verräter wurde.“ Der Name Judas ist geradezu ein Sinnbild und Synonym eines Verräters geworden. Keine christlichen Eltern würden auf die Idee kommen, ihr Kind Judas zu nennen, genauso wie kein vernünftiger Deutscher sein Kind Adolf nennen würde. Und doch war Judas einer der zwölf Apostel. Wenn jemand die fiese Frage stellen würde: warum hat Jesus, der doch alle Dinge wissen musste, so jemand wie Judas als Jünger berufen? Das ist eine wirklich schwierige Frage.
Es gibt unterschiedliche Antworten auf diese Frage. Um ehrlich zu sein, hat keine von den Antworten mich völlig überzeugt. Manche argumentieren, dass Jesus Judas erwählt hat, damit Judas das tun kann, wozu er vorherbestimmt war, nämlich Jesus zu verraten und Jesu gewaltsamen Tod in die Wege zu leiten; oder dass Judas als ein warnendes Beispiel mit aufgenommen wurde. Es würde bedeuten, dass Judas nichts weiter als eine Marionette war und dass sein freier Wille nichts zählte. Und es klingt nicht besonders liebevoll, dass Jesus eine Person nur deshalb auserwählt, um dadurch seine menschliche Bosheit und das Gericht zu offenbaren.
Hier ist das, was ich persönlich glaube. Ich glaube, dass Jesus Judas gewählt hatte, weil Jesus ihn liebte. Ich glaube daran, dass die Gnade Jesu so stark war, dass er inmitten von Judas vielen Sünden doch einen Menschen sehen konnte, der Gottes Bild in sich trug und deshalb Würde hatte. Ich glaube, dass Jesus sich auch über ihn gefreut hat und dass er die dreijährige Gemeinschaft mit Judas genossen hat. Und ich glaube Folgendes: dass Jesus zeigen wollte, dass es keine Verschwendung ist, auch die Menschen zu lieben und ihnen Gutes zu tun, die absolut hoffnungslos verloren scheinen; oder anders gesagt, dass seine Liebe so verschwenderisch groß ist, dass sie wirklich alle Menschen erfasst, ob sie sich von ihm retten lassen oder nicht; und dass Jesus uns keine Ausreden erlaubt, nicht liebevoll zu sein. Ich glaube deshalb, dass auch die Wahl von Judas Jesu Gnade offenbart.
3. Die Auswirkungen
Die Auswirkungen waren damals absolut unvorstellbar. Jesus fing eine Bewegung an, welche die Welt so radikal veränderte, dass die Folgen dessen 2.000 Jahre immer noch anhalten. Nicht nur das, jeden Tag wächst das neue Israel, das Jesus initiiert hat. Die Bewegung hat nicht aufgehört. Das einzige Bild, das mir dazu einfällt, ist der Urknall. Ein christlicher Physiker hat herausgefunden, dass wir in einem Universum leben, das seit dem Urknall expandiert. Das interessante ist, dass sich die Expansion des Universums nicht verlangsamt. Das Gegenteil ist der Fall. Es expandiert immer schneller. Die Einsetzung der Zwölf, und die Gründung des neuen Israels, war wie ein Big Bang. Und Jesu Reich wächst immer schneller. Im letzten Jahrhundert sind mehr Menschen zum Glauben an Jesus gekommen als in allen Jahrhunderten zuvor. So wächst das Reich Jesu. Das ist eine der Auswirkungen.
Was bedeutet es dann für uns? Es gibt ein Gemeindemotto, das, wie ich finde, die Einsetzung der Zwölf sehr gut versinnbildlicht. Es lautet: Jeder ist willkommen; niemand ist perfekt; alles ist möglich. In den letzten Minuten dieser Predigt möchte ich darüber sprechen.
Wir haben die Gnade Jesu gesehen, die bei der Berufung der Zwölf offenbar wird. Und eine Konsequenz und Folge dessen ist ganz klar, dass alle willkommen sind. Jeder, der will, darf Teil sein, von Jesu neuer Welt und seinem Königreich. Und nicht nur das: du bist eingeladen. Jeder von uns ist eingeladen. Jesus heißt dich willkommen. Du darfst kommen, so wie du bist. Das bringt uns zum nächsten Punkt.
Als zweitens, niemand ist vollkommen. Die Zwölf waren alles andere als perfekt. Fast auf jeder Seite in den Evangelien kommen sie als eine Gruppe von Chaoten herüber: schwer von Begriff, unfähig, streitlustig, ängstlich, illoyal usw. Sie waren bei Jesus, nicht deshalb, weil Jesus sie brauchte, sondern weil sie Jesus brauchten. Das Reich Gottes ist allen offen. Und doch braucht es eine Sache: die Erkenntnis, dass wir es brauchen. Jesus ist voller Gnade und Barmherzigkeit. Zu ihm zu kommen, setzt voraus, dass wir sein Geschenk wirklich brauchen. Jesus ist der Arzt. Zu ihm zu kommen, braucht die Einsicht, dass wir krank sind. Jesus ist der Retter. Zu ihm zu kommen, braucht die Einsicht, dass wir verloren sind. In 1. Petrus 5,5b heißt es: „Alle aber begegnet einander in Demut! Denn Gott tritt Stolzen entgegen, Demütigen aber schenkt er seine Gnade.“ Frage: Was sind deine Unvollkommenheiten? Wo sind deine wunden Punkte? Welche Bereiche in deinem Leben und in deinem Herzen hast du, wo du Heilung brauchst? Für was brauchst du Vergebung? Niemand ist vollkommen.
Und schließlich, alles ist möglich. Wenn wir uns der Bewegung Jesu anschließen, dann ist alles möglich. Das, was wir heute für Jesus tun, mag Kreise ziehen, deren Folgen bis in die Ewigkeit anhalten. Es gibt eine Kurzgeschichte von Tolkien, die das illustriert. (Die meisten von uns wissen, dass Tolkien ein christlicher Autor war, der unter anderem »Der Herr der Ringe« geschrieben hat). In der Kurzgeschichte geht um einen Künstler namens Niggle. Er sieht in Gedanken einen Baum, und er ist besessen von diesem Baum und der ganzen Landschaft dahinter. Er beginnt diesen Baum zu malen und fängt mit einem einzigen Blatt an, das von einem Wind erfasst wird. Diese Gemälde wird immer größer, und er weiß, dass das sein Lebenswerk wird. Aber das Problem war, dass er dieses Bild niemals beenden konnte, weil er immer und immer wieder verhindert wurde. Eigentlich war es nur ein Blatt von dem Baum, das wirklich im Detail fertig wurde.
Der Künstler Niggle geht schließlich auf eine Reise, zu der er gezwungen wird. In Wirklichkeit wird er gefangen genommen und lange Zeit zu Zwangsarbeit verurteilt. Das Gemälde, an dem er gemalt hat, wird zerstören bis auf ein einziges Blatt, das in ein Museum kommt. Aber dann brennt das Museum ab. Als Niggle später entlassen wird, macht er eine Zugfahrt. Er steigt aus dem Zug aus und sieht ein Fahrrad mit seinem Namen darauf. Er nimmt das Fahrrad und fährt in die Landschaft. Diese Landschaft kommt ihm sehr bekannt vor. Tolkien schreibt: „[der Grasweg] war grün und dicht, und doch konnte er jeden Halm deutlich sehen. Er schien sich daran zu erinnern, dass er diese Grasfläche schon einmal gesehen oder geträumt hatte. Die Kurven des Landes waren ihm irgendwie vertraut. Ja, der Boden wurde eben, genau wie er es sollte, und jetzt begann er sich selbstverständlich wieder zu erheben. Ein großer grüner Schatten kam zwischen ihn und die Sonne. Niggle blickte auf und fiel von seinem Fahrrad.
Vor ihm stand der Baum, sein Baum, fertig. Fertig: wenn man das von einem Baum sagen konnte, der lebte, dessen Blätter sich öffneten, dessen Äste wuchsen und sich im Wind bogen, den Niggle so oft gefühlt oder geahnt hatte und den er so oft nicht erwischt hatte. Er starrte den Baum an, und langsam hob er seine Arme und öffnete sie weit.“ Später erfährt er dann, wo er sich befindet. Das ganze Land heißt Niggle’s Land. Es ist die Landschaft von seinem Gemälde.
Eine wundervolle Kurzgeschichte, inspiriert vom Reich Gottes. Vielleicht fühlst du dich ähnlich: Du folgst Jesus nach, siehst aber keine Frucht, scheinst in deinem Leben so wenig bewegt zu haben. Vielleicht ist es so, dass dein ganzes Lebenswerk nicht mehr scheint als ein einziges Blatt eines Baumes. Aber wenn du Jesus und seinem Reich angehörst, dann darfst du wissen, dass eines Tages der ganze fertige Baum auf dich wartet.
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