Predigt: Lukas 22,14-20

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Das Abendmahl

„Dann nahm er ein Brot, und nachdem er Gott dafür gedankt hatte, brach er es in Stücke und reichte es den Jüngern …“

(Lukas 22,19a)

Von unserem sehr langen Text betrachten wir heute nur einen relativ kurzen Ausschnitt: das Abendmahl. Und vom Abendmahl wiederum gibt es sprichwörtlich ein Wort, auf das ich näher eingehen möchte. Es kommt im heutigen Text zweimal vor, unter anderem in Vers 19: „Dann nahm er ein Brot, und nachdem er Gott dafür gedankt hatte, brach er es in Stücke und reichte es den Jüngern …“ Das Wort ist „Dank“. Jesus sagte Dank. Das griechische Wort hier ist eucharisteo. In der katholischen Kirche wird das Abendmahl „Eucharist“ genannt, was sich davon ableitet.
In diesem Wortstamm stecken drei wichtige Wörter drin. Zum einen das Wort charis, was Gnade bedeutet. Als Nächstes gibt es hier ein Wort, das damit verwandt ist, und zwar chara, was Freude bedeutet. Und natürlich eucharisteo selbst, das Danksagen. Um diese drei Dinge soll es im Abendmahl gehen: Gott bietet uns Gnade an; Gottes Gnade resultiert in unendliche Freude; wir nehmen das Geschenk der Gnade Gottes durch Danksagung an. Dank ist das, was Gnade und Freude miteinander verbindet. Und das sind dann auch die drei Punkte der Predigt: das Abendmahl lehrt uns erstens, welche Gnade Gott uns schenkt, zweitens, welche Freude wir in Gott finden und drittens, der Dank, mit dem wir das annehmen dürfen.

1. Die Gnade
Das Abendmahl, das Jesus mit den Jüngern feierte, war zuallererst ein Passahmahl. Es war das wichtigste Fest im jüdischen Kalender. Beim Passahfest erinnerten sich die Juden daran, wie Gott das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten errettet hatte. Es war die Geschichte, wie Gott ein Weltreich in die Knie gezwungen hatte, die Geschichte vom Exodus. Er war die Geschichte schlechthin von Rettung und Befreiung. Wir finden in Vers 14 einen kleinen Hinweis, wie weitreichend die Implikation dieser Geschichte war. In Vers 14 lesen wir, dass Jesus sich mit den Jüngern zu Tisch setzte. Vielleicht kommt uns das berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci in den Sinn, auf dem Jesus und die Jünger an einem weiß gedeckten Tisch sitzen. Aber Jesus und die Jünger saßen nicht am Tisch. Sie lagen am Tisch. Zu Tisch zu liegen war an normalen Tagen den Reichen und den Herren vorbehalten. Die Armen und die Sklaven saßen normalerweise. Aber beim Passahmahl galten andere Regeln. In der Mischna wurde vorgegeben, dass selbst die Ärmsten in Israel nicht essen durften, bevor sie nicht zu Tisch lagen. An diesem Abend zählten alle zu den Reichen und Mächtigen und Freien. Es war eine Erinnerung daran, dass Gottes Befreiung für das ganze Volk war.
Aber was Jesus hier beim Abendmahl tut, ist absolut erstaunlich. Zum einen wurde das Passahfest im Kreis der Familie gefeiert. Jesus feiert dieses Fest im Kreis der Jünger. Er erhebt jeden seiner Jünger in den Rang seiner Familie. Jeder von seinen Jüngern ist Jesu Freund und Jesu Bruder. Zum anderen war es so, dass beim Passahfest die Geschichte von Gottes Rettung nacherzählt wurde. Es gehört zum Ritual, das eines der Kinder den Vater fragte, warum dieser Abend anders war als die anderen Abende im Jahr. Und dann würde der Vater erzählen, wie Gott das Volk Israel rettete. Beim Abendmahl ist es Jesus, der die Geschichte erzählt. Aber es ist eine neue Geschichte, mit einer neuen Tragweite, mit einem neuen Bund.
In allen drei synoptischen Evangelien wird davon berichtet, wie Jesus das Passahmahl abhält. Ein Passahmahl bestand aus ungesäuerten Broten, bitteren Kräutern und einem Lamm, das im Ganzen über dem Feuern geröstet wurde. Keines der synoptischen Evangelien erwähnt irgendetwas von einem Lamm. Wo war das Lamm? Tim Keller drückte es folgendermaßen aus: „Das Lamm war nicht auf dem Tisch. Es war am Tisch zusammen mit den Jüngern.“ Jesus ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt getragen hat. Jesus ist das Lamm, das für uns geschlachtet wurde. Er ist das Lamm, dessen Blut für uns vergossen wurde. Sein Leib wurde zerbrochen, damit wir essen können. Sein Blut wurde vergossen, damit wir trinken können.
Jesus gibt dem Passahfest nicht einfach eine neue Bedeutung. Er zeigt uns, dass er selbst die Erfüllung des Passahfests ist. Er ist derjenige, auf den das Passahfest hinweist. Mose, der Auszug aus Ägypten, der Bund am Berg Sinai, selbst alle Gesetze und Gebote des alten Testaments sind nur ein Schatten. Jesus ist derjenige, der den Schatten geworfen hat. Er ist die Realität. Er ist der wahre Retter, der den wahren Exodus anführt und das neue Gottesvolk regiert. Jesus ist die Gnade Gottes.
Was hat das Ganze mit uns zu tun? Und die Antwort ist: alles. Hier sind ein paar Beispiele. Welche Geschichte hast du von deinem Leben zu erzählen? Wie wäre deine Geschichte ohne Jesus? Vielleicht ist deine Geschichte, dass du dich fühlst wie bestellt und nicht abgeholt; dass du dir nicht sicher bist, ob du überhaupt gewollt bist; dass du keinen höheren Sinn in deinem Leben siehst; vielleicht fühlst du dich insgesamt orientierungslos; der Philosoph Martin Heidegger hatte davon gesprochen, dass wir in diese Welt hineingeworfen sind. Aber wenn Jesus in unser Leben eintritt, dann wird alles anders. In Jesus begegnen wir einem Gott, der uns gewollt hat und der sich über uns freut. Wir wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen werden. Unser Leben hat einen Sinn, es hat eine Richtung. Unsere Geschichte ist Teil von Jesu großer Rettungsgeschichte.
Oder ein anderes Beispiel: Wir alle wissen, dass unser Leben nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte. Wir verhalten uns zutiefst egoistisch und selbstzentriert. Wir schauen auf die Fehler unserer Mitmenschen und verachten und verurteilen sie; aber gleichzeitig tun wir ständig dasselbe, was wir in anderen Menschen nicht ausstehen können. Wir haben einen moralischen Standard, aber halten uns nicht wirklich daran. Wir werden noch nicht einmal unserem eigenen Standard gerecht geschweige dem Standard Gottes. In jedem von uns ist eine Bosheit, deren Potential beängstigend ist. In jedem von uns ist eine Finsternis, die unergründlich tief ist. Die Bibel nennt es Sünde. Die Bibel sagt, dass alle Menschen, die in ihrer Sünde leben, Sklaven der Sünde sind. Aber Jesus lässt uns nicht daran zugrunde gehen. Er bietet uns echte Rettung an. Jesu wahrer Exodus führt heraus aus dieser Sklaverei. Er vergibt uns alle unsere Schuld. Er macht uns frei von der Bosheit, die in unserem Innern ist.
Ein letztes Beispiel: Jeder von uns sehnt sich danach angenommen zu sein; dazu zu gehören. Wir wollen aber nicht einfach zu irgendjemandem gehören; wir wollen nicht Teil der Loser-Clique sein; wir wollen bei den Coolen dazu gehören, zu denen die schlau sind und gut aussehen; wir wollen zu denen dazu gehören, die wir bewundern und vergöttern. Warum? Weil uns das validiert; weil wir dann denken, dass unser Leben einen Wert hat; dass auch wir es geschafft haben. In Jesus Christus finden wir die wahre Annahme. Wir finden in ihm die einzige Liebe, die wirklich zählt: der Schöpfergott, der eine wahre Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, der in Ewigkeit regiert, er liebt uns. Er hat uns angenommen als seine Kinder. Wenn wir auch hier auf Erden zu niemandem dazu gehören, wir dürfen zu Gott gehören. Und diese Tatsache erfüllt unsere Existenz mit einer unendlichen Würde.
Das ist die Gnade, die Gott uns in Jesus anbietet.

2. Freude
Zweimal spricht Jesus im Text von einem Ereignis, das noch in der Zukunft liegt. In Vers 16 sagt er: „Denn ich sage euch jetzt, ich werde es nicht wieder essen, bis es sich im Reich Gottes erfüllt.“ Was würde sich erfüllen? In Vers 18 sagt Jesus: „Denn ich werde keinen Wein mehr trinken, bis das Reich Gottes gekommen ist.“ Jesus spricht von einer Zeit, in der Gottes Reich vollständig angebrochen ist. Er spricht von der Zeit, wenn die Toten auferstanden sind, und wenn das große messianische Fest beginnt. Natürlich wird das eine Zeit ungetrübter Freude sein.
Diese Zeit ist noch nicht jetzt. Denn in Vers 19 spricht Jesus: „Tut das zur Erinnerung an mich.“ Jesus setzt hier die Institution des Abendmahls ein. Seine Jünger sollten das Abendmahl feiern als eine Erinnerung an den neuen Bund. Bis wann? Bis Jesus zurückkehrt. Was sagt Jesus dann über das Zeitalter der Gemeinde aus? Wie sieht Jesus unsere Zeit? In was für einer Zeit leben wir? Wir leben in einer Zwischenzeit. Wir leben in einer Zeit, in der das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist, aber bevor es in Fülle und Vollständigkeit unter uns realisiert ist. Wir leben in einer Zeit nach Jesu Tod und Auferstehung und Himmelfahrt, den zentralen Ereignissen in der ganzen Menschheitsgeschichte, aber bevor er in den Wolken der Herrlichkeit zurückkehrt. Wir leben in einer Zeit, nachdem Jesus die Mächte der Finsternis geschlagen hat, aber bevor diese Mächte kapituliert haben. Wir leben in einer Zeit, in welcher der Krieg bereits entschieden wurde, aber bevor der Krieg beendet wurde. Wir leben in einer Zeit des „schon jetzt“ und des „noch nicht“. Wir leben in einer Zeit nach dem wunderbaren Exodus aus Ägypten aber bevor wir ins verheißene Land eingezogen sind. Mit anderen Worten, wir leben in der Wüste.
Pastor Uwe Schäfer erzählte von einem Mann der Krebs hatte. Es wurde für ihn gebetet und wie durch ein Wunder wurde er geheilt. Als er beim Arzt war, gab er ihm Zeugnis: „Für mich wurde viel gebetet. Ich glaube daran, dass Gott mich durch ein Wunder geheilt hat.“ Der Arzt sagte zu ihm: „Das dürfen Sie gerne glauben. Ihr Krankheitsverlauf ist absolut erstaunlich.“ Er sollte dann in der Gemeinde Zeugnis davon geben, wie Gott ihn von dieser tödlichen Krankheit gerettet hatte. An dem Sonntag, als er davon berichten sollte, suchte Uwe Schäfer vor dem Gottesdienst nach ihm, aber konnte ihn nicht finden. Er fand seine Ehefrau. Sie sagte dann: „Ich befürchte, dass wir das Zeugnis verschieben müssen. Mein Mann liegt zu Hause im Bett und ist krank. Die ganze Familie hat sich einen Magen-Darm-Virus eingefangen.“ Als Uwe Schäfer das hörte, musste er lachen. Vielleicht ist das eine Art Sinnbild für diese Welt: nur deshalb, weil wir vielleicht von Krebs geheilt wurden, heißt es nicht, dass wir nicht mit einer Grippe im Bett liegen können.
Und das hat Implikationen für unsere Freude. Gott bietet uns in Jesus Christus eine Freude an, welche die Welt nicht kennt. In der Welt ist Trauer zentral und Freude peripher, weil das Leben kurz, bedeutungslos und vergänglich ist. Im christlichen Leben ist Freude zentral und Trauer peripher: Die zentralen Fragen unseres Lebens sind in Christus geklärt, wir sind in Gottes Hand und werden ewig mit ihm leben. Aber periphere Trauer heißt eben auch, dass ein Rest an Traurigkeit in unserem Leben bleibt. Solange diese Welt besteht, wird es Leid geben und Traurigkeit und Schmerz und der Schatten des Todes. Unsere Freude hier auf Erden wird immer ein wenig getrübt sein; es bleibt ein Sorgenfältchen; es bleibt eine Träne in unseren Augen.
Die Frage ist trotzdem, wie wir ein Leben der Freude im Hier und Jetzt haben können.

3. Dank
Wir haben gesagt, dass Gottes Gnade die Grundlage ist, auf der wir stehen, basierend auf der Tatsache, was Gott für uns in unserer Vergangenheit getan hat. Und wir haben gesehen, dass Freude etwas ist, was der Ewigkeit Gottes entspringt und in unserer Zukunft liegt, wenn das Reich Gottes erfüllt ist. Wie können wir diese beiden Pole im Hier und Jetzt zusammenhalten? Und die Antwort ist: Dankbarkeit. Inmitten der Stunde größter Finsternis, kurz bevor Jesus qualvoll sterben würde, nahm Jesus das Brot, dankte, brach es und gab es seinen Jüngern. Jesus zeigt uns, wie man in einer gefallenen Welt, inmitten der größten Anfechtung und Not, Dankbarkeit praktiziert. Lasst es mich nochmals anders sagen: wenn wir ein Leben der Freude Gottes haben wollen, müssen wir ein Leben der Dankbarkeit kultivieren. Dankbarkeit muss im Garten unseres Herzens wachsen, und wir müssen diese Pflanze hegen und pflegen. Ohne Dankbarkeit werden wir niemals Freude haben können, egal was wir sonst im Leben haben.
Zwei Anwendungen zum Schluss. Zum einen sehen wir, um uns an sein Evangelium zu erinnern, gab Jesus uns kein abstraktes, theologisches Konstrukt hinterlässt; kein hochkompliziertes, religiöses Ritual. Jesus hinterlässt uns eine Mahlzeit: gebrochenes Brot und ein Kelch mit Wein. Einfacher geht es nicht. Und es ist so alltäglich, selbst zwei Jahrtausende später. Es ist so alltagstauglich.
Was lehrt das über Dankbarkeit? Sehr viel. Es zeigt uns, dass wir in den kleinen Situationen des Alltags, Dankbarkeit praktizieren können. Jeden Tag werden wir mit kleinen und großen Geschenken Gottes überhäuft, für die wir danken dürfen: jeder Bissen, den wir essen dürfen, jeder Schluck, den wir trinken dürfen (wir haben praktisch das beste Wasser, das es gibt, direkt auch dem Wasserhahn), jeder Atemzug, den wir atmen können. Dieser ganze Reichtum, ist ein kleiner Hinweis auf den wahren Reichtum, den wir in Jesus haben; auf Gottes Werk der Erlösung. Jeder von uns ist eingeladen zu einem Leben der Dankbarkeit. Letztes Jahr hatte ich die Challenge ausgegeben, 1.000 Dankanliegen zu finden. Ich weiß nicht, wer sich darauf eingelassen hat. Aber diejenigen, die sich daran versucht haben, werden bestätigen können, wie gesund und bereichernd es ist.
Zum anderen finden wir als Gemeinde einen Hinweis darauf, wie wir das Abendmahl feiern dürfen. Um es vorwegzunehmen: ja, das Abendmahl ist eine ernste Angelegenheit; und nein, wir sollten das Abendmahl nicht auf die leichte Schulter nehmen. Gleichzeitig muss das Abendmahl alle drei Dinge reflektieren, die wir heute gelernt haben: Gnade, Freude und Danksagung. Es sollte nicht so ernst sein, dass es bedrückend ist; es sollte nicht so zentnerschwer gemacht werden, dass es alle Freude wegnimmt. Es geht beim Abendmahl um die Freude Gottes.
Ich habe die Geschichte schon öfters erzählt. In Boston gibt es einen Pastor namens Mark Bukker. Bevor er zur Park Street Gemeinde als Pastor berufen wurde, war er in einer anglikanischen Gemeinde. Es hatte einen einfachen Grund, weshalb er den Anglikanern beigetreten war: Sie zelebrieren das Abendmahl an jedem Sonntag. Er liebte das Abendmahl. Seine Freude am Abendmahl war so offensichtlich; er tanzte schon fast, während er das Brot und den Wein vorbereitete. Die Gottesdienstbesucher bekamen ihr Brot. Ich war von der Zeremonie so bewegt, dass ich mein Brot sofort aß. Was ich nicht gesehen hatte, war, dass wir mit dem Brot nach vorne gehen sollten, um es in den Kelch mit Wein einzutunken, um es gemeinsam mit dem Wein einzunehmen. Ich stand schließlich vor dem Kelch und hatte kein Brot mehr. Der Bruder mit dem Kelch in der Hand hat nicht schlecht gestaunt, als ich den ganzen Kelch genommen hatte, um daraus einen Schluck zu trinken.
Mit welcher Haltung wollen wir das Abendmahl einnehmen?

 

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