Predigt: Lukas 17,1 – 19

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Von der geistlichen Verantwortung füreinander

„Hütet euch! Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht; und wenn er es bereut, vergib ihm.“

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Wir haben uns letzte Woche mit dem Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus beschäftigt. Der arme Lazarus lebte vor der Tür des reichen Mannes, weil es der Reichen Pflicht war, sich um die Armen zu kümmern. Doch der reiche Mann ging seiner Pflicht überhaupt nicht nach. Er kümmerte sich gar nicht um Lazarus, sodass Lazarus sich wünschte, wenigstens die Essensreste zu bekommen, die vom Tisch des Reichen fallen. Während der reiche Mann in Saus und Braus lebte, ließ er Lazarus vor seiner Haustür verrecken. Die Hunde leckten an Lazarus Wunden, während er in Purpur und herrlichen Leinen gekleidet war. Was für eine Gleichgültigkeit! Der reiche Mann übernahm überhaupt keine Verantwortung für Lazarus. Wie schrecklich dieses Verhalten von dem reichen Mann auch ist, es ist in der Welt etwas völlig Normales. Immer wieder hört man den Satz: „Das ist nicht mein Problem!“ oder „Ich hab damit nichts zu tun!“, wenn es um die Not des anderen geht. Dass die Menschen nicht füreinander Verantwortung übernehmen wollen, ist nichts anderes als eine natürliche Folge der Sünde. Schon Kain sagte: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ (1. Mose 4.9b) Die Antwort auf diese Frage ist: Ja! Du sollst der Hüter deines Bruders sein. Gottes Wille ist es, dass die Brüder bzw. Schwestern in der Gemeinde Verantwortung füreinander übernehmen. Wie können wir das tun? Eine Antwort hierauf bekommen wir in Mt. 17, wo Jesus verschiedene Anweisungen für das Leben der Jünger untereinander gibt. Wir werden uns mit dem Text anhand von drei Fragen auseinandersetzen: Erstens, wie sollen wir mit unserer eigenen Sünde umgehen? Zweitens, wie sollen wir mit der Sünde des anderen umgehen? und drittens, wie sollen wir mit der Gnade Gottes umgehen?

Teil I: Der strenge Umgang mit sich selbst (V. 1 – 3a)

Geistliche Verantwortung für den anderen in der Gemeinde beginnt damit, dass man Verantwortung dafür übernimmt, wie man sein Glaubensleben führt. Denn je nachdem, wie wir unser Glaubensleben führen, hat es entweder guten oder schlechten Einfluss auf das geistliche Leben des anderen. Welche ernsthafte Mahnung gibt der Herr Jesus daher seinen Jüngern? Betrachten wir die Verse 1-2: Er sprach aber zu seinen Jüngern: Es ist unmöglich, dass keine Verführungen kommen; aber weh dem, durch den sie kommen! Jesus meint es ernst: „Weh dem, durch den Verführungen kommen!“ Die Ernsthaftigkeit und Schärfe dieser Mahnung wird umso klarer, wenn man drei Dinge berücksichtigt: Erstens, Jesus sagt diese Mahnung zu Jüngern, also zu uns. Zweitens relativiert die Tatsache, dass Verführungen kommen müssen, nicht die Schuld dessen, der verführt. Wegen des aufgrund der Sünde verdorbenen Wesen der Menschen und wegen des mächtigen verführerischen Einflusses des Satans ist es unmöglich, dass keine Verführungen vorkommen. Dennoch weh dem, durch den diese Verführungen kommen. Drittens, ist mit dem Wort „Verführung“ nicht nur das grobe Verführen gemeint, wie etwa das Verleiten zum Unglauben. Für das Wort „Verführung“ hier steht im Griechischen ein Wort, das Anstoß (zur Sünde) meint. Die Mahnung Jesu bedeutet nicht etwa: „Weh dem, der andere vom Glauben abbringt.“ Nein, die Mahnung Jesu ist viel sensibler. Sie bedeutet: „Weh bereits dem, der Anstoß zur Sünde gibt.“

Was meint Jesus aber damit, wenn Er seine Jünger davor warnt, anderen Anstoß zur Sünde zu geben? Innerhalb des Jüngerkreises gibt es zum einen Große zum anderen Kleine im Glauben. Die Großen im Glauben sind den anderen an Reife des Glaubens, an Begabung und Aufgaben voraus. Die Kleinen im Glauben sind zum einen Jünger, die noch sehr jung im Glauben sind, zum anderen aber auch Kinder, die aufgrund der Erziehung der Eltern zumeist schon einen gewissen Glauben haben. Die geistlich reiferen Jünger haben großen Einfluss auf das Glaubensleben der Kleinen im Glauben. Sie können ihnen sehr leicht Anlass zur Sünde geben. In Römer 14 erfahren wir ein treffendes Beispiel hierfür. In diesem Kapitel geht es um die Annahme des Schwachen im Glauben. In der Römer-Gemeinde gab es Schwache im Glauben, die ein schlechtes Gewissen hatten, wenn sie bestimmte Dinge aßen. Die mit reiferem Glauben sahen darin kein Problem, weil der Herr alle Speise für rein erklärte. Dies konnte aber die Schwachen im Glauben dazu veranlassen, auch alles zu essen, allerdings mit einem schlechten Gewissen. Auf diese Weise könnten die einen den anderen Anstoß zur Sünde geben. Deswegen ermahnt Paulus im Vers 13b: …richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite. Im Vers 15 und 20 formuliert Paulus seine Mahnung sogar noch ernsthafter. Im V. 15 heißt es: „Bringe nicht durch deine Speise den ins Verderben, für den Christus gestorben ist.“ Im Vers 20 heißt es: „Zerstöre nicht um der Speise willen Gottes Werk.“ Bemerkenswert an dieser Stelle ist, dass man sogar durch etwas, was an sich keine Sünde ist, Anstoß zur Sünde geben bzw. zum Verderben seines Bruders führen kann. Dieses Beispiel aus dem Römer-Brief zeigt, wie sensibel man die Mahnung Jesu verstehen soll.

Wodurch kann man noch Anstoß zur Sünde geben? Man kann den Kleinen im Glauben auch „sehr leicht durch Lieblosigkeit, Rücksichtslosigkeit, Hochmut, Nichtbeachtung, Kühle und Kälte im Benehmen, falschen Eifer einen Anstoß geben“ (RIENECKER, F. 1959: 400)1, sodass sie in ihrem Glaubensleben geschädigt oder geradezu in Unglaube gestürzt werden können. Ein Beispiel hierzu: Vor einigen Wochen beschäftigte ich mich das erste Mal mit dieser ernsten Warnung Jesu. Als ich danach mit meinem Mitbewohner zu Tisch saß, tadelte er mich sehr scharf. Er sagte, dass ich zwei Gesichter hätte. Zum einen würde ich mit Charisma im Hauskreis lehren. Zum anderen würde ich mich in mein Zimmer verkriechen, sobald der Hauskreis zu Ende ist. Ich musste ihm Recht geben und bekennen, dass das nicht richtig sei, um ihm nicht zum Ärgernis zu werden bzw. ihm ein Anstoß zur Sünde zu geben.

Was könnte es noch bedeuten, jemandem Anstoß zur Sünde zu geben? Wie oben bereits erwähnt, kann es sich bei den Kleinen im Glauben auch um Kinder handeln. Wenn gläubige Eltern etwas tun oder unterlassen, was für den Glauben ihrer Kinder schädlich ist, dann werden sie ihrem Kind zu einem geistlichen Ärgerniss. Ein Beispiel: Noch haben wir die Freiheit, unsere Kinder in ein christliches Kindergarten oder christliche Schule zu schicken. Aber stattdessen bevorzugen es viele gläubige Eltern ihre Kinder in staatliche Kindergärten und Schulen zu schicken. Sie liefern ihre Kinder der Erziehung von Ungläubigen aus. Wie lange bleibt ein Kind gewöhnlich in der Schule? Sagen wir einmal im Durchschnitt mindestens 5 Zeitstunden. Jeden Tag wird das Kind mindestens 5 Stunden dem erzieherischen Einfluss von ungläubigen Lehrern ausgesetzt. Dass sich dies nicht schädlich auf den Glauben der Kinder auswirkt, ist undenkbar. Ich glaube, dass der Herr zu den Eltern von solchen Kindern am liebsten sagen würde: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht(Lk. 18.16b) Dasselbe gilt auch für die Auswahl der Betreuuer für die Kleinkinder. Es kann nicht Gottes Wille sein, dass man sein Kleinkind von einer ungläubigen Person betreuen lässt. Nach dem wir die einzelnen Bestandteile der Mahnung Jesu genauer unter die Lupe genommen haben, können wir die Mahnung Jesu erst so richtig verstehen. Sinngemäß bedeutet sie: „Wenn jemand unter den Jüngern irgendetwas tut oder unterlässt, was einem Jungen im Glauben Anstoß zur Sünde gibt, dann: Wehe diesem Jünger.“

Wie ernst meint es der Herr mit dem „Wehe“-Wort? Betrachten wir Vers 2: Es wäre besser für ihn, dass man einen Mühlstein an seinen Hals hängte und würfe ihn ins Meer, als dass er einen dieser Kleinen zum Abfall verführt. Jesus spricht hier von einer Strafe, die in vielen alten Völkern praktiziert wurde. An denjenigen, der zur Strafe des Ertrinkens verurteilt wurde, wurde ein schwerer Stein an den Hals gehängt. Auf diese Weise wollte man sicher gehen, dass der Verurteilte untersinkt. Ein Mühlstein war ein sehr schwerer Stein. Er wog mehrere Hunderte von Kilo. Mit solch einem schweren Stein ist das Ertrinken garantiert, naja zumindest fast. Es könnte ja sein, dass der Sträfling das Glück hat, dass er versehentlich in seichtes Wasser geworfen wird und es daher irgendwie doch schafft zu überleben. Hieran hat Jesus auch gedacht. Deswegen beschreibt Jesus in der Parallelstelle aus Mt. 18 zusätzlich die Stelle, wo der Sträfling hineingeworfen wird. Er berschreibt diese Stelle im Meer mit den Worten: „wo es am tiefsten ist.“ Also, nicht, da wo es einigermaßen tief im Meer ist, sondern genau da, wo es im Meer am tiefsten ist, sodass nicht einmal ein anderer Mensch zu Hilfe kommen kann. Nun ist das Ertrinken 100%tig garantiert. Wie schrecklich muss solch eine Strafe sein? Schon allein deswegen, weil man nicht sogleich stirbt, sondern allmählich erstickt.…………………………………….……………………………………………………………………………………………………..

Was will der Herr mit diesem Wort vom Mühlstein sagen? Es ist besser für einen Jünger -wenn auch leidvoll- tot zu sein, als dass es hernach dazu kommt, einem Junggläubigen Anstoß zur Sünde zu geben. Warum ist das für jenen Jünger besser? Es ist besser für ihn, weil die Schuld von jemandem, der einem Jungen im Glauben Anstoß zur Sünde gibt, größer ist als die Schuld von jemandem, der es verdient hat, mit einem Mühlstein ins Wasser geworfen zu werden. Oder anders ausgedrückt: Es ist besser für ihn, weil die Strafe für jemanden, der einem Jungen im Glauben Anstoß zur Sünde gibt, größer ist als die Strafe, mit einem Mühlstein ins Wasser geworfen zu werden. Kurz gesagt: Wer das tut, wovor Jesus hier warnt, ladet eine ungeheure Schuld auf sich und damit auch eine ungeheure große Strafe.

Wenn man schon durch Dinge, die an sich keine Sünde sind, Anstoß erregen kann, wieviel mehr dann durch eine klare Sünde. Sie richtet nicht nur bei einem selbst geistlichen Schaden an, sondern auch bei den Geschwistern im Glauben. Was soll man daher machen, wenn man einen Bruder sündigen sieht?

Teil II: Der Umgang mit der Sünde des anderen (V. 3b-4)

Welche ernste Mahnung gibt der Herr? Betrachten wir Vers 3a: Hütet euch! „Hütet euch“ kann auch so übersetzt werden: „Habt Acht auf euch selbst“. Der Herr ermahnt hier zur gegenseitigen Verantwortung füreinander. Wie soll das konkret geschehen? Lesen wir das Leitwort Vers 3b: Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht, und wenn er es bereut, vergib ihm. Bei dieser Anweisung Jesu stellen sich einem zwei Fragen: Erstens, was bedeutet es, dass ein Bruder sündigt? Zweitens, was bedeutet es, jemanden zurechtzuweisen? In der Parallelstelle aus Mt. 18 heißt es: Sündigt aber dein Bruder an dir… (Mt. 18.15) Mit dem Sündigen des Bruders meint Jesus also in erster Linie, dass ein Bruder dem anderen Unrecht tut. Dieses Verständnis wird auch dadurch bestätigt, dass Jesus unmittelbar danach von der Vergebung spricht. Wenn also einem Christen von einem anderen Unrecht geschieht, dann sollte er den anderen zurechtweisen. Was bedeutet aber Zurechtweisung? Das griechische Wort bedeutet wörtlich „vorhalten“. Zurechtweisen bedeutet jemandem sein Fehlverhalten vorhalten; ihm zeigen, dass er verkehrt gehandelt hat: ihm helfen, dass er seine Sünde erkennt. Es handelt sich bei Zurechtweisung um „ein Zurechthelfen in aller Liebe und Langmut“ (ebd.: 401)1.

Ich glaube, dass Zurechtweisung alles andere als einfach ist. Man kann beim Zurechtweisen so viele Fehler machen. Ein Fehler, den man in Bezug auf Zurechtweisung machen kann, ist einfach der, dass man die Zurechtweisung unterlässt. Das passiert sehr oft, aus verschiedenen Gründen: Zum Teil aus Menschenfurcht oder weil man nicht zeigen will, dass man verletzbar ist, zum Teil auch aus Bequemlichkeit, zum Teil aber auch deswegen, weil man denkt, es sei geistlich bzw. demütig, wenn man einfach über die Sünde des Bruders hinwegsieht. Aber wenn man so darüber denkt, dann hat man nicht verstanden, dass die Zurechtweisung nicht um seinetwillen, sondern um des anderen willen geschieht. Unterlassene Zurechtweisung ist letztendlich ein Ausdruck von Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen. „Echte Bruderliebe sagt die Wahrheit“ (ebd.)1. Von einem Dulden und Schweigen ist keine Rede.

Welchen Fehler kann man in Bezug auf Zurechtweisung noch machen? Angenommen, jemand sagt zu dir ein böses Wort. Was tut man da in der Regel? Man weist zurecht, aber wie? Man tut es aus einem verletzten Herzen heraus. Man möchte Genugtuung erlangen oder den Schuldigen demütigen. Da wird aus dem eigentlichen Zurechtweisen ein Richten oder Anklagen. Solange man nicht frei von Groll ist, ist es schwierig, jemanden in rechter Weise zurechtzuweisen. Deswegen ist es wichtig, dem Bruder schon vorher im Herzen zu vergeben. Wahre Zurechtweisung dient dazu, dem Bruder geistlich zu helfen. Sie soll ihn durch Reue wieder geistlich herstellen. Was muss der Reue des Bruders unbedingt folgen? Betrachten wir noch einmal Vers 3: Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht, und wenn er es bereut, vergib ihm. Wenn die Zurechtweisung des schuldigen Bruders „zum demütigen Schuldbekenntnis führt, darf die Vergebung nicht vorenthalten werden“ (ebd.)1. Der Bruder, dem Unrecht angetan wurde, soll dem anderen vergeben, wenn auch noch so groß das Vergehen war. Nicht nur das? Jesus sagt: Und wenn er siebenmal am Tag an dir sündigen würde und siebenmal wieder zu dir käme und spräche: Es reut mich!, so sollst du ihm vergeben. Nach talmudischer Satzung kann nur dreimal, nicht öfter vergeben werden“ (ebd.: 402)1. Jesus aber sagt: „Siebenmal.“ Das ist natürlich eine Redewendung. Jesus meint eigentlich: unzählige Male. Dabei sagt Jesus sagt nicht nicht nur „siebenmal“, sondern „siebenmal am Tag.“ Es ist ein Unterschied, ob mir ein Bruder innerhalb eines Jahres siebenmal Unrecht tut, oder innerhalb eines Tages. Im ersten Fall ist es leichter zu vergeben als im zweiten Fall. Aber Jesus will, dass wir einem vergeben, selbst wenn er sich innerhalb eines kurzen Zeitraums an uns unzählige Male versündigt, sofern er es natürlich bereut.

Wie soll man aber wissen, ob die Reue echt ist? Wenn mir ein Bruder siebenmal am Tag Unrecht tut, dann würde ich schon beim zweiten Mal daran zweifeln, ob seine Reue echt ist. Woher soll man also wissen, ob er es ernst meint? Jesus sagt: …und siebenmal wieder zu dir käme und spräche: Es reut mich! Im Zweifelsfall sollte man sich damit begnügen, dass der Bruder seine Reue bekennt. Wir können nicht in das Herz des anderen schauen. Deswegen müssen wir uns begnügen mit dem, was bekannt wird. Aber man könnte ja einwenden: „Ein Bruder der einem anderen Bruder siebenmal am Tag Unrecht tut, kann es doch mit seiner Reue gar nicht ernst meinen!“ Nicht unbedingt: Jesus weiß, dass jeder von uns Schwächen hat. Angenommen ein Bruder ist von seiner Natur her tempramentvoll. Schon ein kleiner Funke reicht, um ihn zum Explodieren zu bringen. Obwohl er es nicht will, regt er sich schon über die leichtesten Dinge auf, aber eigentlich will er es gar nicht. So bereut er es jedesmal, nachdem er seinen Zorn freien Lauf gelassen hat. Nach jedem Gewitter und Regen, bricht in ihm wieder der Sonnenschein durch. Was soll man mit so einem Bruder machen? Man soll ihm vergeben.

Zusamenfassend lässt sich also sagen: Wir sollen einander vergeben, und zwar unabhängig davon, wie groß das Vergehen ist, unabhängig davon, wie oft sich das Vergehen wiederholt und unabhängig davon, ob wir uns ganz sicher sind oder nicht, ob derjenige wirklich bereut oder nicht (es sei denn es ist offensichtlich).

In Bezug darauf, wie wir mit der Sünde des anderen umgehen sollen, lehrt uns der Herr also zwei Dinge: Erstens zurechtweisen, zweitens vergeben. Man könnte auch sagen: Begegne der Sünde deines Bruders mit voller Wahrheit und mit voller Gnade. Weise mit voller Wahrheit zurecht, miit voller Gnade vergebe. Leichter gesagt als getan. Wie können wir das tun, was der Herr hier von uns fordert?

Teil III: Der rechte Umgang mit Gottes Gnade (V. 5–19)

Die ernste Warnung Jesu, jemanden zum Abfall zu verführen, war schon nicht so einfach zu verdauen. Doch dann kam auch noch seine Forderung, jemandem unzählige Male zu vergeben. Was Jesus in diesen vier Versen lehrt und fordert ist wirklich radikal, ja geradezu krass. Wie reagierten die Jünger auf diese radikalen Worte Jesu? Betrachten wir Vers 5: Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Die Jünger baten Jesus, ihren Glauben zu vergrößern. Warum das? Sie dachten, dass nur solche, die einen besonders großen Glauben haben, das praktizieren können, was Jesus eben gerade gelehrt hatte. Man müsse ein besonderer Geistlicher sein, um jemanden unzählige Male vergeben zu können. Hatten sie mit dieser Ansicht Recht? Betrachten wir Vers 6: Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen. Jesus erklärt: Selbst wenn der Glaube der Jünger nur so groß wäre wie ein Senfkorn, also selbst wenn der Glaube der Jünger nur 1mm groß wäre, könnten sie mit nur einem Wort, ein Maulbeerbaum vom Land ins Meer versetzen. Was will Jesus den Jüngern damit sagen? Die Jünger hatten Jesus anlässlich Seiner radikalen Forderungen um mehr Glauben gebeten. Jesus will aber sagen, es kommt nicht darauf an, ob sie großen oder kleinen Glauben haben. Es kommt darauf an, ob sie überhaupt (echten) Glauben haben oder nicht. Hudson Taylor sagte einmal: „Wir brauchen nicht einen großen Glauben, sondern Glauben an einen großen Gott.“ Mit anderen Worten: Weil Gott so unglaublich groß ist, reicht schon ein winziger echter Glaube an Ihn aus, um große Dinge zu vollbringen. Wenn Glaube von der Größe eines Senfkorns in der Lage ist, einen Maulbeerbaum auszureißen und ins Meer zu werfen, dann kann er auch unseren Stolz, der uns davon abhält, unserem Bruder zu vergeben, aus unserem Herzen ausreißen und hinauswerfen.

Was hat es aber mit diesem senfkorngroßen Glauben auf sich? Was können wir uns unter diesem winzigen Glauben vorstellen? Dieser winzige Glaube ist nichts anderes als der Glaube, den du und ich hatten, als wir errettet wurden. Es ist der Glaube an den Opfertod Jesu. Am Kreuz bezahlte der Herr Jesus für alle Sünden, ob groß oder klein, ob vergangen oder gegenwärtig oder zukünftig, für alle Sünden. Er beglich eine ungeheure Schuld. Wie groß diese Schuld sein muss, wird uns schon allein dadurch klar, wenn wir daran denken, wie oft wir wohl schon einem Kleinen im Glauben Anstoß zur Sünde gegeben haben müssen. Schon einmal ist unglaublich schlimm. Aber ich denke, ich habe es nicht nur einmal gemacht. Daher werden wir mit tiefer Dankbarkeit erfüllt, wenn wir daran glauben, dass der Herr eine ungeheuer große Schuld beglichen hat. Der Glaube an das Kreuz reicht völlig aus, um den Stolz und Hochmut aus unserem Herzen zu reißen und es stattdessen mit tiefer Dankbarkeit zu erfüllen. Durch die Dankbarkeit für die Vergebung können wir dann auch andere, wenn auch unzählige Male vergeben, zumal die Schuld, die andere an uns haben, überhaupt nicht ins Gewicht fällt im Vergleich zu der Schuld, die der Herr beglichen hat.

Wenn wir also Schwierigkeiten damit haben, jemandem zu vergeben, dann liegt es nicht daran, dass wir einen zu kleinen Glauben haben. Vielmehr sollten wir dafür Buße tun, dass wir gerade gar keinen Glauben haben. Wenn wir sagen: „Ja, ich muss erst einmal einen größeren Glauben haben“, dann ist das eigentlich nur eine Ausrede dafür, dass man nicht bereit ist, Buße zu tun. Der rechte Umgang mit der Gnade Jesu am Kreuz wirkt sich dadurch aus, dass wir anderen, wenn auch unzählige Male vergeben können.

Wie wirkt sich der rechte Umgang mit der Gnade Gottes noch aus? Betrachten wir die Verse 7-9. Unmittelbar nach dem Wort vom Maulbeerbaum erzählt der Herr seinen Jüngern ein Gleichnis. Es handelt um einen leibeigenen Sklaven, der den ganzen Tag gepflügt oder gehütet hat. Wenn er vom Feld nach Hause kommt, am Ende eines langen Tages, dann bittet ihn der Herr nicht zu Tisch. Stattdessen wird er ihm befehlen, seine Schürze umzubinden und das Abendessen zu bereiten. Der leibeigene Sklave bleibt bis zuletzt für seinen Gebieter geschürzt und dienstbereit. Beim Essen und Trinken kommt zuerst der Herr, dann der Knecht. Erst nachdem er das getan hat, darf der Sklave essen und trinken. Der Herr dankt dem Sklaven für nichts. Das wird vom Sklaven erwartet. Schließlich gehört ein Sklave seinem Herrn und seine erste Pflicht ist Gehorsam (vgl. MACDONALD, W.)2 Was will der Herr mit diesem Gleichnis sagen? Betrachten wir Vers 10a: So auch ihr! Wie der Sklave aus dem Gleichnis so sind auch die Jünger Leibeigene. Ihr Herr ist Jesus. Wie der Sklave aus dem Gleichnis waren auch die Jünger sehr fleißig im Dienst für ihren Herrn gewesen. Sie hatten um Jesu willen alles verlassen gehabt und sind Ihm überall nachgefolgt, wohin Er auch ging. Sie ließen sich von Ihm aussenden und wirkten durch Wort und Wunder in Seinem Namen. Durch sie kamen sehr viele Menschen zum Glauben. Hatten sie nun deswegen Grund, stolz zu sein? Hatten sie deswegen einen Anspruch darauf, von Jesus Lob und Dank zu empfangen? Lesen wir einmal den ganzen Vers 10 zusammen: So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Die Antwort ist: Nein! Obwohl die Apostel mit aller Hingabe Jesus gedient haben, hatten sie überhaupt kein Recht dazu, sich zu rühmen. Geradeso wie der Sklave aus dem Gleichnis hatten sie überhaupt keinen Anspruch darauf, von dem Herrn Lob und Dank zu empfangen.

Warum nicht? Der Herr gibt hierfür zwei Gründe: Erstens die Jünger sind unnütze Knechte. Warum das? Nicht einmal das, was die Jünger für Gott tun, ist ihr Verdienst. Denn alles, was die Jünger für Gott tun können, bedarf letztendlich der Gnade Gottes. Denn alle Taten der Jünger bleiben unnütze und unfruchtbar, wenn der Herr nicht seinen Segen darauf gibt. Die Jünger sind und bleiben Knechte, die Gott nicht braucht, die aber Ihn brauchen, geradeso wie der leibeigene Sklave auf seinen Herrn angewiesen ist.

Der zweite Grund ist, wie aufopferungsvoll die Jünger auch dem Herrn dienen, sie tun letztendlich nur das, was sie schuldig sind. Ist diese Sichtweise von Jesus nicht seltsam? Wie lässt sich diese Sichtweise rechtfertigen? Wir finden eine Antwort darauf, wenn wir unseren Blick von dem, was die Jünger für Jesus taten, auf das, was Jesus für sie getan hat, lenken. Der Herr Jesus hatte sie von ihrem früheren Herrn erlöst gehabt. Bevor sie Leibeigene des Herrn waren, waren sie Leibeigene eines anderen und zwar unglaublich harten Herren. Sie dienten der Sünde. Die Sünde verdammte sie zu einem sinnlosen und unfreiem Leben. Der Sünde mussten sie dienen, ob sie wollten oder nicht. Dadurch luden sie Schuld um Schuld auf sich. Der Lohn, der sie am Ende erwartete, war nichts anderes als die schreckliche Verdammnis. Doch der Herr Jesus kaufte sie von ihrem schrecklichen Herren ab. Doch nicht mit Geld, sondern mit seinem eigenen Blut. Am Kreuz vergoss der Herr unter grausamen Leiden Sein Blut, um Menschen aus der schrecklichen Herrschaft von Sünde, Tod und Teufel zu erlösen. Ein Blick auf das Kreuz macht klar, dass alles, was die Jünger für Jesus tun, nichts ist im Vergleich zu dem, was der Herr für sie getan hat. Alle Taten der Jünger zusammen verhalten sich im Vergleich zu dem, was der Herr tat, wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das Kreuz entreißt jedem Jünger jegliche Grundlage, stolz auf seinen Dienst für den Herrn zu sein. Selbst Paulus, der wohl wie kaum ein anderer eifrig dem Herrn gedient hat, muss bekennen: Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens (Röm. 3.27). Jesu hingebungsvoller Opfertod am Kreuz löscht in radikaler Weise sowohl jeglichen Verdienstgedanken seitens des Menschen als auch jegliche Verpflichtung und Verbindlichkeit Gottes gegenüber dem Menschen aus. Das Kreuz macht den hingebungsvollen Dienst der Jünger zu einer Selbstverständlichkeit. So wie es selbstverständlich war, wenn ein leibeigener Sklave seinem Herrn dient, so ist es nur recht und billig, wenn die Jünger dem Herrn aufopferungsvoll dienen.

Was können wir aus diesem Gleichnis lernen? Die meisten von uns haben dies und jenes für den Herrn getan, darunter sicherlich auch aufopferungsvolle Dinge. Viele dienen ihrer Aufgabe in der Gemeinde treu. Darüber freut sich Gott sicherlich. Doch gleichzeitig besteht die Gefahr, dass uns unser aufopferunsvoller Dienst für Jesus überheblich machen kann. Um dies zu vermeiden, müssen wir den Blick auf das Kreuz haben, nicht auf unsere Werke. Vom Kreuz aus bekommen wir das rechte Selbstverständnis, das uns vor Gott demütig macht. Dieses Selbstverständnis auf der Grundlage des Kreuzes lehrt uns der Herr in Vers 10b. Sagen wir einmal den Vers 10b (ab „wir“) gemeinsam: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Amen.

Übrigens lehrt das Gleichnis vom Sklaven zwar darüber, welches Recht der Herr Jesus hat, mit uns umzugehen, aber nicht darüber, wie der Herr in Wirklichkeit mit uns umgeht. In Wirklichkeit geht Jesus mit uns nicht so um, wie ein Herr mit seinem Sklaven. Denn obgleich der Herr überhaupt nicht dazu verpflichtet ist, einen vorbildlichen Jünger zu loben, tut er es doch mit den Worten: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht (Mt. 25.21). Obwohl Jesus überhaupt nicht dazu verpflichtet ist, uns zu belohnen, verspricht er doch eine großzügige Belohnung selbst für kleine Dinge, wie etwa für ein Glas Wasser, das einem Gläubigen gegeben wird. Obwohl Jesus das Recht hätte, ein so wie im Gleichnis eiskalter Herr zu sein, ist er doch der allergütigste Herr, der Seine Diener unsagbar lieb hat. Diese Tatsache sollte uns umso demütiger und dankbarer dem Herrn Jesus gegenüber machen!

Wie wichtig es dem Herrn ist, dass wir demütig und dankbar mit seiner Gnade umgehen, sehen wir auch am Beispiel eines Ereignisses, das sich begab, als Jesus auf dem Weg nach Jerusalem war. Um was für ein Ereignis handelt es sich? Betrachten wir die Verse 11-19. Als Jesus in ein Dorf einzog, begegneten ihm zehn aussätzige Männer. Wegen ihrer Krankheit kamen sie nicht näher, sondern riefen aus einiger Entfernung, er möge sie heilen. Jesus belohnte ihren Glauben, indem er sie zu den Priestern schickte, damit sie sich dort zeigten. Das bedeutete, dass sie vom Aussatz geheilt werden würden, sobald sie sich auf dem Weg zu den Priestern machen würden. Die Priester hatten keine Macht die Aussätzigen zu heilen, sondern sie sollten sie lediglich für rein erklären. Die Aussätzigen gehorchten dem Wort des Herrn und machten sich auf zu den Priestern, und während sie hingingen, wurden sie von der Krankheit gereinigt. Alle Zehn hatten Glauben. Um geheilt zu werden, doch nur einer der Zehn kam zurück, um dem Herrn zu danken. Dieser eine war interessanterweise ein Samariter. Der Samariter fiel aufs Angesicht zu Jesu Füßen. Jesus fragte, ob es nicht stimmte, dass zehn gereinigt worden seien, warum aber nur einer zurückgekehrt sei, um zu danken. Wo waren die anderen geblieben? Keiner kam zurück, um Gott die Ehre zu geben. Jesus wandte sich an den Samariter und sagte: „Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.“ Dein Glaube hat dich gerettet, bedeutet, dass der Samariter nicht nur vom Aussatz, sondern auch von der Sünde gereinigt wurde. Äußerlich Hilfe hatten alle erfahren, die Heilung der Seele aber nur einer, nämlich der Dankbare.2 So erfüllt sich Psalm 50,23: Wer Dank opfert, der preiset mich, und da ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes. Die restlichen neun Aussätzigen haben nicht begriffen, dass die Heilung längst nicht alles war, was der Herr ihnen geben wollte. Er wollte ihnen das Heil, die Errettung ihrer Seelen durch die Begegnung mit dem Herrn geben.

Wenn wir dankbar für Gottes Gnade in Jesus Christus sind, dann können wir seine Gnade tiefer verstehen und noch mehr Gnade in unserem Leben erfahren. Wenn wir hingegen undankbar für die bereits empfangene Gnade sind, wie sollten wir dann empfänglich für mehr Gnade sein? Lasst uns daher allezeit für die Gnade Gottes in Jesus Christus dankbar sein!

Lesen wir zum Schluss noch einmal das Leitwort in Vers 3: „Hütet euch! Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht; und wenn er es bereut, vergib ihm.

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1 RIENECKER, F. (1959): Das Evangelium des Lukas. Erklärt von Fritz Rienecker. In: Wuppertaler Studienbibel. S.1 – 555. SCM R. Brockhaus.

2 MACDONALD, W. (2009): Kommentar zum Neuen Testament. S. 306f. CLV-Verlag.

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