Predigt: Lukas 15,1-32

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Gottes Liebe zu den Verlorenen

„Ich sage euch: So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, ⟨mehr⟩ als über neunundneunzig Gerechte, die die Buße nicht nötig haben“

(Lukas 15,7 [Elb])

Der heutige Text aus Lk. 15 hat eine so gnädige Einleitung, dass ich keine eigene Einleitung zu suchen brauche. Es beginnt mit den Worten: Es nahten sich aber zu ihm alle Zöllner und Sünder, ihn zu hören. Ausgerechnet Zöllner und andere stadtbekannte Sünder kamen gerne in die Nähe von Jesus. Ein Magnet zieht Eisen an, aber Jesus zog Sünder an. Das sagt sehr viel über die Person Jesu aus. Jesus ist von der Person her jemand, bei dem man sich willkommen fühlte, egal wie schlecht man war. Das war so offensichtlich, dass selbst die Feinde Jesu sagten: Dieser nimmt Sünder auf! Ihre Beobachtung war völlig korrekt. Doch anstelle sich darüber zu freuen, murrten sie. Sie konnten das einfach nicht verstehen. Wie kann einer mit Sündern Gemeinschaft haben und gleichzeitig behaupten, er sei von Gott gesandt. Ein Mann Gottes müsste sich doch gerade von Sündern fernhalten. Wie passt denn das zusammen? Einmal sagte Jesus: „Ihr kennt weder mich noch meinen Vater“ (Joh. 8,19). Ihr Problem war, dass sie Gott und sein Herz für die Sünder nicht kannten. Daher war auch ihr Umgang mit Sündern verkehrt. Dies gab Jesus Anlass, ihnen anhand von drei Gleichnissen das Herz Gottes gegenüber den Sündern zu lehren. Wenn wir das Herz Gottes gegenüber den Sündern gut verstehen, werden wir sowohl mit der eigenen Sünde als auch mit der Sünde der anderen richtig umgehen. Daher möchte ich den heutigen Text anhand dieser drei Fragen mit euch betrachten:

1. Wie ist Gott gegenüber dem verirrten Sünder eingestellt?
2. Wie empfängt Gott den Sünder, der zu ihm umkehrt?
3. Was sollte unsere Reaktion darauf sein?

Teil 1: Gottes Einstellung gegenüber dem verirrten Sünder
Alle drei Gleichnisse geben eine Antwort auf die Frage, wie Gott gegenüber dem irrenden Sünder eingestellt ist. Alle drei Gleichnisse sprechen von einem „verloren und gefunden werden“. Einen Menschen, der sich geistlich auf Abwege befindet, empfindet Gott als verloren. Etwas zu verlieren, kann sehr schmerzhaft sein, insbesondere wenn das, was wir verloren haben, sehr wertvoll ist. In dem ersten Gleichnis lässt der Hirte 99 Schafe in der Wüste zurück, um das eine verlorene Schaf zu finden. Das zeigt, wie kostbar für Gott jedes einzelne Schaf seiner Herde ist. Wenn ein Mensch sich von Gott entfernt, dann ist das für Gott so, wie wenn man eine kostbare Sache verloren hat. Wie schlimm ist es doch, wenn man seinen Geldbeutel irgendwo liegen lässt. Was tut man, wenn man etwas Wertvolles verloren hat? Man sucht es! Und eben das tut Gott. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf macht in Vers 3 deutlich, dass Gott dem Sünder nachgeht. Anstatt zu sagen: „Selbst schuld“, läuft Gott dem Sünder hinterher. Gott geht dem Sünder nicht nur ein bisschen nach, sondern solange, bis er es findet. Dasselbe gilt auch, wenn man bereits gläubig ist, aber eines Tages Irrwege einschlägt. Gott geht uns nach, um uns wieder auf den rechten Pfad zu bringen.
Sicherlich ist es kein Zufall, dass Jesus uns mit Schafen vergleicht. Schafe sind recht unselbstständig. Ohne die Leitung des Hirten würden sie niemals zur richtigen Weide finden. Sie würden sich verlaufen und schließlich umkommen. Denn es kann sich nicht im Geringsten verteidigen und ermüdet leicht. Geistlich gesehen sind wir so unselbstständig wie Schafe. Wir bleiben weder von uns selbst aus auf den rechten Pfad noch finden wir von uns selbst wieder auf den rechten Pfad zurück. Gott weiß das. Gott weiß, dass wir ohne seine Hilfe nicht zurechtkommen. Gott weiß, dass wir voll und ganz auf ihn angewiesen sind. Deswegen geht Gott dem Sünder nach, bis er ihn findet. Wie sehr Gott um den Sünder bemüht ist, kommt auch sehr in dem Gleichnis von den 10 Silbergroschen zum Ausdruck. Es hat eine ähnliche Botschaft wie das Gleichnis vom verlorenen Sohn, geht aber mehr auf das Suchen ein. Hier ist von einer Frau die Rede, die das ganze Haus aufräumt, um eines ihrer 10 Silbergroschen zu finden. Sie sucht mit aller Sorgfalt und hört nicht auf, bis sie es findet. Gott sucht den Sünder mit alle, Fleiß! Er unternimmt dies und jenes, um uns zu finden bzw. um uns wieder zu sich zurückzubringen. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn stellt mehr die Umkehr des Sohnes als das Suchen Gottes in den Vordergrund. Deswegen sieht es nicht so aus, dass Gott in diesem Gleichnis den Sünder nachgeht und sucht. Es erweckt eher vom Gegenteil den Eindruck. Er gibt dem jungen Sohn die Habe und lässt ihn gehen. Doch beim näheren Hinschauen sehen wir, dass Gott auch hier den Sünder sucht. Im Vers 14 erfahren wir, dass es zu einer gewaltigen Hungersnot im Land kam. Auffallend ist, dass die Hungersnot erst dann eintrat, als der junge Mann all sein Erbe verprasst hatte. Sonst hätte ihn die Hungersnot wohl gar nicht so viel ausgemacht. Aus Vers 17 wissen wir, dass gerade der Hunger es war, der diesen jungen Mann zur Besinnung gebracht hatte. Dass die Hungersnot genau dann eintrat, als er alles verzehrt hatte, war kein Zufall, sondern kam von Gott. In Amos 3,6 steht: „Geschieht etwa ein Unglück in der Stadt, und der HERR hat es nicht bewirkt?“ Gott gebraucht auch Nöte und Probleme, um uns zu sich zurückzubringen. In so einem Fall sind sie nicht ein Gericht Gottes, sondern ein Weckruf Gottes, um den, der auf Abwege ist, zur Umkehr zu bewegen. Im Vers 20 erfahren wir: Als der jüngere Sohn zurückkehrte, sah ihn der Vater schon von Weitem. Warum? Vermutlich hat der Vater jeden Tag Ausschau gehalten, in der Hoffnung, seinen Sohn wiederzusehen. Beim Sündenfall fragte Gott: „Wo bist du?“ (1. Mo 3,9). Schon immer war es so, dass Gott den Sünder suchte.
Als der Vater seinen Sohn sah, war das erste, was in ihm aufkam, Mitleid. In der englischen Übersetzung steht: „was filled with compassion“ (NIV). Wir können uns gut vorstellen, dass der jüngere Sohn in einem ziemlich verwahrlosten Zustand zum Vater zurückgekehrt war. Wenn er nicht einmal Geld hatte, um sich satt zu kriegen, wenn er so arm war, dass er Appetit auf Schweinefutter bekam, dann muss er sich in einem sehr verwahrlosten Zustand befunden haben. Ich glaube, vielen Menschen ist es gar nicht so bewusst, dass Gott mit Menschen, die in Sünde leben, Mitleid hat. Er sieht, wie sehr sie aufgrund ihrer Sünde geistlich verwahrlost sind, wie sehr sie sich dadurch ruinieren. Und eben das ruft in ihm tiefen Mitleid aus.
Wir haben bisher betrachtet, wie Gott gegenüber denen eingestellt ist, die auf Abwege sind. Wie empfängt Gott sie, wenn sie zu ihm umkehren? Lasst uns das im zweiten Teil der Predigt betrachten.

Teil 2: Gott heißt den umkehrenden Sünder willkommen
Auf die Frage, wie Gott den Sünder, der zu ihm umkehrt, empfängt, geben alle drei Gleichnisse dieselbe Antwort. In dem Gleichnis vom verlorenen Schaf heißt es: „Und wenn er es gefunden hat, so legt er es mit Freuden auf seine Schultern; und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und die Nachbarn zusammen und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir! Denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war“ (Lk. 15,5-6). Das Gleichnis von den verlorenen Drachmen erzählt: „Und wenn sie sie gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und spricht: Freut euch mit mir!“ (9a) Nach der Umkehr des Sohnes sagt der Vater: „… lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.“ (23b-24) Alle drei Gleichnisse sprechen von großer Freude. Diese Freude ist so groß, dass sie nicht für sich behalten werden kann, sondern anderen mitgeteilt wird. Sie ist so groß, dass sich viele andere mit daran freuen. Insbesondere in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn wird die Freude des Vaters sehr anschaulich und bewegend beschrieben. Der junge Sohn hatte sich ja unmöglich gegenüber seinem Vater verhalten. Im Vers 11 erfahren wir, dass er seinen Vater um das Erbe bat. Wobei bitten hier nicht ganz passend ist. Er sagte vielmehr: „Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt!“ Er forderte das Erbteil regelrecht ein. Stell dir mal vor: Du wärst an der Stelle vom Vater. Dein Sohn würde zu dir sagen: „Gib mir das Erbe jetzt schon!“ Das ist so, als ob der Sohn sagen würde: „Vater, ich kann’s nicht abwarten, bis du stirbst.“ Dann zieht der Sohn auch noch weg vom Vater, nicht in die Nachbarschaft vom Vater, sondern weit weg. Wie mag sich das wohl für den Vater angefühlt haben? Sicherlich hatte der Sohn seinen Papa gern gehabt – wie kann man solch einen Papa nicht liebhaben? Aber noch viel lieber hatte er sein Geld bzw. seinen Besitz. Er interessierte sich nicht so sehr für den Vater, sondern viel mehr dafür, was der Vater besitzt und ihm geben kann. Und nun nachdem er alles vermasselt hatte, kam er zurück. Andere Väter wären sicherlich beleidigt gewesen oder würden ihr Sohn zumindest sehr zurückhaltend empfangen. Der Vater aus dem Gleichnis hätte etwa so denken können: „Jetzt, wo er alles verloren hat, kommt er zu mir angekrochen? Jetzt bin ich gut genug für ihn. Vorher hat er mich ja nicht gebraucht! Ich bin gespannt, was er mir zu sagen hat. Der soll nur mal herkommen. Ich warte mal hier. Schließlich kommt ja der Knochen nicht zum Hund, sondern der Hund zum Knochen.“ Aber im Vers 20 erfahren wir, dass sich der Vater aus dem Gleichnis ganz anders verhielt. Schon als der Vater den Sohn von Weitem sah, rannte er auf ihn zu, fiel ihm um den Hals.
Schweine galten für die Juden als unrein. Man machte sich selber unrein, wenn man jemanden anfasste, der Umgang mit Schweinen hatte. Selbst wenn er ihm einen Corona-Gruß gegeben hätte, wäre er schon unrein geworden. Aber das war nicht das einzige Problem. Der jüngere Sohn war bestimmt in einem ähnlichen Zustand wie ein Bettler. Er muss sehr unangenehm gerochen haben. Ihn anzufassen bereitete einem bestimmt Ekelgefühle. Normalerweise sucht man das Weite von solchen Menschen. Aber was tat der Vater? Im Vers 20 steht: „Er fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“ Wie eklig der Sohn auch war, wie sehr er auch gestunken haben mag, wie unrein der Sohn auch war, dem Vater war das ganz egal. In dem Moment zählte für ihn nur eins: „Ich habe meinen Sohn wieder!“ Hauptsache der Sohn war wieder da! Voller Freude sagte er: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; und er war verloren und ist wiedergefunden worden.“ (Lk. 15,24)
Spätestens nach der Umarmung hätte der Vater sagen können: „Ich hab’s dir doch gesagt, dass das der falsche Weg ist? Hättest du doch nur gleich auf mich gehört? Was hast du dir dabei eigentlich gedacht? Weißt du nicht, wie viel Sorgen ich mich um dich gemacht habe? Weißt du eigentlich, was du mir angetan hast?“ All das hätte der Vater sagen können, aber er tat es nicht. Was sagte der Vater stattdessen? Sobald der Sohn seine Sünde bekannte, sagte der Vater zu seinen Knechten: „Bringt das beste Festgewand her und zieht es ihm an, und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an die Füße“ (22). Der Vater schenkte dem Sohn ein Festgewand, einen Ring und Schuhe. Sklaven hatten keine Schuhe. Durch diese Geschenke zeigte der Vater, dass er ihn wieder als seinen Sohn aufnimmt. Eigentlich hatte er das gar nicht verdient. Aber der Vater vergab ihm. Er behandelte ihn viel besser, als er es verdient hatte.
Aber das war immer noch nicht alles. In Vers 23 steht: „… und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es; und lasst uns essen und fröhlich sein!“ Obendrein veranstaltete der Vater auch noch eine Feier. „Mein Sohn ist wieder zurück, das muss gefeiert werden. Lasst uns essen und fröhlich sein!“
Die Worte des Vaters sind lauter Güte, lauter Vergebung, lauter Freude. In ihnen hören wir nicht die leistete Spur von Ablehnung. Seine Worte haben 0 % Verdammnis, 0 % Verurteilung, 0 % Zorn, aber 100 % Vergebung. Ist das nicht herrlich?
So wie der Vater gegenüber dem Sohn eingestellt ist, so ist Gott gegenüber jedem Sünder, der zu ihm umkehrt, eingestellt. Manche Menschen kehren nicht um, weil sie falsch über Gott denken: „Gott kann mich wegen meiner Sünden nicht leiden. Gott mag mich nicht, also mag ich ihn auch nicht. Gott ist sauer auf mich. Ich bin auch sauer auf ihn. Gott lehnt mich ab. Ich lehne ihn auch ab.“ Sie verschließen sich gegenüber Gott, weil sie denken, dass Gott sich ihnen verschließt. Aber gerade mit diesen drei Gleichnissen möchte Jesus deutlich machen: Gott ist überhaupt nicht so. Gott ist ganz anders. Gott empfängt den Sünder mit offenen Armen. Obwohl für Gott Sünde widerlich ist, empfängt er doch jeden Sünder mit Liebe und offenen Armen. In allen drei Gleichnissen betont Jesus mehrfach, wie riesig Gott sich über die Umkehr des Sünders freut. Vers 7: „Ich sage euch: So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut“; Vers 10: „So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“ Jesus betont mit Nachdruck die Wahrhaftigkeit seiner Worte mit: „So sage ich euch …“ Jede Umkehr eines Sünders löst im Himmel Freude aus. In Offenbarung 5,11 steht: „Und ich sah: Und ich hörte eine Stimme vieler Engel rings um den Thron her und um die lebendigen Wesen und um die Ältesten; und ihre Zahl war Zehntausende mal Zehntausende und Tausende mal Tausende“.
Demnach gibt es im Himmel Millionen von Engeln. Wenn sich diese alle über die Umkehr eines Sünders freuen, dann muss im Himmel echt was los sein! Gott empfängt den Sünder, der umkehrt, mit einer unglaublich großen Freude.
Der Hirte aus dem Gleichnis vom verlorenen Schaf ist so froh, das Schaf wiedergefunden zu haben, dass er es mit Freude nach Hause trägt (s. Vers 5). Weil es nicht von sich selbst aus nach Hause findet, muss der Hirte es tragen. Tragen hat immer mit Mühe zu tun. Aber weil der Hirte so froh darüber ist, sein Schaf wiedergefunden zu haben, ist er sehr gerne bereit, die dafür erforderliche Mühe auf sich zu nehmen. Ebenso auch Gott. Nachdem ein Mensch von Gott gefunden worden ist, ist er erst einmal errettet. Das von Gott gefunden werden entspricht der Errettung. Wenn ein Sünder errettet worden ist, ist er ja noch nicht zu Hause bei Gott im Himmel. Bis dahin kann es noch einen langen Lebensweg haben. Auf dem Weg zu unserem himmlischen Zuhause erleben wir viele Hindernisse. Die Verlockungen der Welt, die Anfechtungen des Teufels und v.a. die eigenen Sünden. Wären wir auf uns allein gestellt, würden wir diese Hindernisse niemals überwinden und würden leicht vom Wege abdriften. Wie ein Schaf bedürfen wir es, von Gott getragen zu werden. Die Überwindung unserer eigenen Schwächen, Sünden und Unvermögen kann Gott viel Mühe und Geduld kosten. Aber weil Gott sich so riesig über die Rettung eines Sünders freut, ist er auch sehr gerne bereit, diese Mühe auf sich zu nehmen, bis er bei ihm zu Hause angekommen ist.
In diesen drei Gleichnissen lernen wir Gottes großartiges, wunderbares Herz für die Sünder kennen. Aber wie gehen wir mit diesen wunderbaren Wahrheiten um? Wie können wir sie anwenden? Was sollte unsere Reaktion darauf sein?

Teil 3: Die Umkehr – unsere Reaktion auf Gottes Liebe zum Sünder
Bevor wir über die Umkehr an sich nachdenken, ist es hilfreich, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, wovon Menschen eigentlich umkehren müssen. Im Groben und Ganzen gibt es zwei Wege, auf denen Menschen geistlich in die Irre gehen können. Zum einen ist es der Weg des jüngeren Sohnes. Zum anderen ist es der Weg des älteren Sohnes. Nehmen wir zunächst einmal den Weg des jüngeren Sohnes unter die Lupe. In den Versen 11 bis 13 erfahren wir, dass der jüngere Sohn von seinem Vater das Erbe forderte. Er interessierte sich nicht so sehr für den Vater, sondern viel mehr dafür, was der Vater besitzt und ihm geben kann. Viele Menschen sind so wie der jüngere Sohn. Sie interessieren sich nicht so sehr für Gott, sondern eher für das, was Gott ihnen geben soll. Gott möchte ihnen im Himmelreich ein großartiges Erbe geben, aber viele sagen: „Nein, ich möchte das Erbe jetzt schon.“, d.h.: „Ich möchte hier schon auf der Erde ein herrliches Leben haben, voller Genuss und Vergnügen.“
Im Vers 13 erfahren wir, dass der junge Mann vom Vater wegzog. Warum eigentlich? War denn der Vater so schlimm? Manchmal hauen Jugendliche von zu Hause ab, weil sie sich von ihren Eltern ungerecht behandeln fühlen. Aber der Vater aus dem Gleichnis ist ein außerordentlich freundlicher Vater, so ein richtig herzlicher Papa. An ihm lag es ganz bestimmt nicht, dass der Sohn wegwollte. Im Vers 13 steht sogar, dass der Sohn in ein fernes Land zog – ganz weit weg vom Vater, als wäre der Vater ein Monster gewesen. Also, warum wollte der Sohn weit weit weg vom Vater? Bestimmt dachte er so: „Ich will so leben wie es mir passt! Hab keine Lust mehr auf die Regeln hier zu Hause! Ich weiß selber, was gut für mich ist! Ich will frei sein! Das ist mein Leben!“ In seinem Kopf war eine Lüge, der er glaubte: „Ein Leben weit weg vom Vater ist viel besser als ein Leben beim Vater.“ Am Ende von Vers 13 erfahren wir, was für ein Leben er haben wollte: ein Leben in Ausschweifung. Hierfür verschleuderte er das ganze Geld seines Vaters. Vergnügen, Spaß und Genuss – das waren so die Dinge, um die sich sein Leben jetzt drehte. Aber eben das ist die eine Art und Weise, wie man verlorengehen kann.
Der ältere Bruder hingegen lebte sehr anständig, war sehr brav, aber innerlich doch sehr verdorben. In den Versen 29 und 30 bekommen wir einen Einblick in seine Denkweise: „Viele Jahre diene ich dir“, „niemals habe ich ein Gebot übertreten“. Er dachte sehr gut über sich. Und wie dachte er über seinen Bruder? – „dieser dein Sohn“, sagte er, also sehr abwertend. Dann behauptete er, dass sein Bruder das Geld für Huren ausgegeben habe, obwohl in der Erzählung nichts davon die Rede ist. Offenbar hat er das einfach so angenommen: „Bestimmt hat er das gesamte Erbe für Huren ausgegeben.“ Das alles ist sehr typisch für selbstgerechte Menschen: Sie denken über sich selbst sehr gut, über andere aber abwertend und haben ein möglichst schlechtes Bild vom anderen. Sie verurteilen andere in ihrem Herzen.
Für ihn war das Verhalten seines Vaters völlig unlogisch: Wie kann das sein? – „dieser dein Sohn hat dich wie der letzte Dreck behandelt, aber für ihn veranstaltest du ein großes Fest. Für mich, der ich dir immer so treu war, hast du nie so was gemacht. Das ist doch unfair, oder nicht?“
Es gibt einige Dinge, die der Sohn über den Vater bzw. über Gott nicht verstanden hatte: Erstens, der Vater behandelte seine Söhne nicht danach, wie sie es verdient hatten, sondern nach seiner Gnade. Das Verhalten des Vaters war von seiner Gnade, nicht von deren Verdienst bestimmt. Seine Liebe zu ihnen war keine Gegenleistung zu deren Liebe zu ihm. Offenbar dachte der ältere Sohn, der Vater würde ihn mehr lieben, je mehr er für ihn arbeite und je mehr er ihm gehorche, je mehr er für ihn buchstäblich ackere. Sozusagen könne er sich die Liebe und Anerkennung des Vaters erarbeiten. Aber das war ein großer Irrtum. Wenn wir Gott mehr gehorchen, heißt das nicht, dass Gott uns mehr liebt. Wenn wir mehr für Gott arbeiten, heißt das nicht, dass Gott uns mehr liebt(*1). Das Maximum an Liebe hat uns Gott bereits erwiesen, als er sein Sohn für uns gab. Mehr Liebe geht ja gar nicht.
Die zweite Sache, die der ältere Sohn nicht verstand, finden wir in Vers 31. Der Vater sagte: „Kind, du bist allezeit bei mir“. Der ältere Sohn hatte das Privileg gehabt, die ganze Zeit beim Vater zu leben. Die Gegenwart des Vaters selbst war doch schon eine große Belohnung. Er tat zwar sehr viel für den Vater, hatte aber keine Freude an dem Vater selbst. Er hätte sagen können: „Ich bin wunschlos glücklich“ Der Vater sagte zu ihm: Alles, was mein ist, ist dein. Bestimmt hätte ihm der Vater ein Kalb gegeben, wenn er mit seinen Freunden feiern wollte. Er machte von den Privilegien, die er beim Vater hatte, keinen Gebrauch. Warum? Er lebte nicht in der Beziehung zum Vater. Er war nur äußerlich beim Vater.
Dass er nicht in der Beziehung zum Vater lebte, zeigte sich vor allem darin, dass er sich nicht mitfreute. Das ganze Haus des Vaters feierte und war voller Freude. Aber nicht nur das ganze Haus, sondern auch der Himmel. Millionen von Engeln feierten, doch er sagte: „Nö, ich mach da nicht mit.“ Der ganze Himmel sang Dur, aber er wollte Moll singen. Wie ichhaft und wie lieblos! Äußerlich machte er einen frommen Eindruck, aber in Wirklichkeit verhielt er sich im krassen Gegensatz zur himmlischen Realität. Also, die andere Art und Weise, wie man verloren gehen kann, ist Selbstgerechtigkeit. Äußerlich ist man zwar sehr anständig und sittlich, aber inwendig verachtet und verurteilt man andere. So einer kann leicht denken, er sei mehr von Gott geliebt. Denn er beruft und vertraut mehr auf seine Verdienste, anstatt die Gnade Gottes in Anspruch zu nehmen. Dies führt dazu, dass er über andere unbarmherzig und lieblos urteilt. Er tut das, was man tun soll, lebt aber nicht in der Beziehung zu Gott und hat auch keine Freude an ihm. Er weiß zwar von den Privilegien des Evangeliums, macht aber von ihnen im Alltag keinen Gebrauch. Er ist zwar äußerlich in der Nähe von Gott (z. B. durch regelmäßige Teilnahme am Gottesdienst und Bibelstudium), ist da anwesend, wo auch andere Christen sind, aber gleichzeitig kennt er Gott nicht. Die zweite Art und Weise verloren zu gehen ist viel gefährlicher, weil sie nicht so offensichtlich ist. Gerade weil sie nicht so offensichtlich ist, spricht man eher vom „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ anstelle vom „Gleichnis von den verlorenen Söhnen“. Ob man eher zum Typ des jüngeren oder des älteren Sohnes neigt (oder vielleicht zu beiden) – in beiden Fällen ist Umkehr nötig! Der jüngere Sohn gibt uns ein wunderbares Vorbild für die Umkehr. Betrachten wir hierzu die Verse 17 bis 20. Eines Tages kam es in dem Leben von dem jungen Mann zum Wendepunkt. Wie es zu diesem Wendepunkt kam, steht am Anfang von Vers 17: „Er kam aber zu sich selbst“ In der englischen Übersetzung steht: „When he came to his senses …“ Das bedeutet so gut wie: Als er zur Besinnung kam. Er kam zur Vernunft. Um ihn herum machte es ständig „oink“, „oink“ und „grunz“, „grunz“, aber er selbst kam endlich zur Vernunft. Er fing auf einmal an zu verstehen. Plötzlich wurde ihm etwas klar. Es war eine Erkenntnis, die zum Wendepunkt in seinem Leben führte! Wie diese Erkenntnis lautete, erfahren wir, wenn wir Vers 17 weiterlesen: „Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, ich aber verderbe vor Hunger!“ Der junge Mann hatte endlich verstanden: Bei dem Vater geht es mir besser! Beim Vater zu leben ist besser, als ohne den Vater zu leben! Er hatte die Einsicht, die in Psalm 84 steht: „Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend. Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause als wohnen in den Zelten der Frevler.“ Zweitens hatte der Sohn eine echte Sündenerkenntnis. Dies sehen wir in den Versen 18 und 19. Der Sohn erkannte: „So wie ich mich gegenüber meinem Vater verhalten habe, ist Sünde, nicht allein Sünde gegen ihn, sondern gegen Gott! Das, was ich gemacht habe, ist so schlimm, dass ich es nicht mehr verdient habe, als sein Sohn behandelt zu werden. Ich habe es verdient, wenn mein Vater mich nur noch als Arbeiter aufnimmt.“ Echte Sündenerkenntnis klingt so. „Oh man, dass was ich gemacht habe, ist wirklich schlimm. Das, was ich gemacht habe, hat wirklich Strafe verdient.“ Viele Menschen entschuldigen ihre Sünde. Manche entschuldigen ihre Sünde so: „Ja, das, was ich gemacht habe, ist nicht richtig, aber das macht ja jeder.“ Andere entschuldigen ihre Sünde so: „Ja, das, was ich gemacht habe, ist nicht richtig, aber normalerweise mache ich das ja auch nicht. Sorry, mir ging es gerade nicht so gut.“ Sie entschuldigen ihre Sünde mit den Umständen. Aber der junge Mann aus dem Gleichnis sagte einfach: „Vater, ich habe gesündigt.“ Er ließ die Sünde so stehen wie sie ist, anstelle sie zu rechtfertigen. Nach seinen Überlegungen heißt es schließlich: „Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater.“ Sobald er die Entscheidung traf, setzte er sie auch in die Tat um. Er kehrte tatsächlich um. Er kehrte um von einem Leben, wo es nur darum ging ein schönes Leben auf dieser Erde zu haben, zu einem Leben, wo es darum ging, bei Gott zu sein und Gemeinschaft mit ihm zu haben. Soweit die vorbildliche Umkehr des jüngeren Sohnes. Als Jesus am Kreuz hing, warf Gott alle unsere Sünden auf ihn. Jesus wurde voll von Unreinheit, er landete sozusagen bei den Schweinen, damit wir nicht bei den Schweinen landen müssen. Am Kreuz wurde Jesus von Gott verlassen. Am Kreuz wurde Jesus zum verlorenen Sohn, damit wir keine verlorenen Söhne zu sein brauchen. Damit wir Gottes Kinder sein können. Was für eine großartige Liebe zum Sünder. Umkehr ist, in die von dieser Liebe durchdrungenen ausgestreckten Arme Gottes zu laufen.

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*1 Wer im Gehorsam gegenüber Gott lebt, wird nicht mehr von ihm geliebt, erkennt aber mehr, wie sehr er von Gott geliebt wird – vgl. hierzu: Joh. 14,21 + 24; Joh. 15,10.

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