Der Dienst des Gottesknechts
„ja, er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen. So mache ich dich ⟨auch⟩ zum Licht der Nationen, ⟨dass⟩ meine Rettung reicht bis an die Enden der Erde “
(Jesaja 49,6 [ELB])
Vor einigen Jahren war ich mit der Straßenbahn nach Schriesheim unterwegs, um einen Bekannten zu besuchen. Auf der Fahrt las ich in der Bibel. Eine junge Frau sah das und kam auf mich zu. Sie sagte mir sinngemäß Folgendes: „Oh, sie lesen ja die Bibel, ich auch. Ich habe eine Zeit lang das Buch Jesaja gelesen, aber ich habe es abgebrochen, dieses Buch zu lesen. Ich konnte es nicht mehr lesen, weil es ständig um Gericht geht.“ Ich versuchte sie zu ermutigen, das Buch trotzdem zu Ende zu lesen. Das Buch Jesaja ist in der Tat nicht so einfach zu verdauen, weil es viel um Gericht geht. Aber erstaunlicherweise wird ausgerechnet das Buch Jesaja als das „prophetische Evangelium“ bezeichnet. Das Buch Jesaja spricht auch viel von Gnade, insbesondere in den letzten Kapiteln des Buches. Diese Gnade würde niemals so aufleuchten, wenn nicht zuvor das Gericht in aller seiner Schrecklichkeit aufgezeigt werden würde. Gerade weil das Gericht so schrecklich ist, ist die Gnade Gottes so wunderbar herrlich. Von dieser herrlichen Gnade ist auch in den vier Liedern über den Gottesknecht die Rede. Doch wer ist eigentlich mit dem sogenannten Gottesknecht gemeint? Ist damit Jesaja gemeint oder Israel oder der Messias? Meinem Verständnis nach sowohl als auch. Es ist hier sowohl von der Berufung des Propheten und des Volkes Israels die Rede, aber gleichzeitig ist es auch eine Prophetie auf den kommenden Messias. In der Predigt soll es vor allem um die messianische Perspektive auf den Gottesknecht gehen.
Der heutige Text aus Jesaja 49 befasst sich mit einem dieser vier Lieder über den Gottesknecht. Die Bestimmung eines Knechts ist es, den Willen seines Herrn auszuführen. Ein Knecht ist dazu da, um zu dienen. Daher lautet der Titel der Botschaft: „Der Dienst des Gottesknechts“. Um diesen Dienst gut verstehen zu können, wollen wir uns mit dem Gottesknecht anhand von drei Fragen auseinandersetzen:
1. Von wem ist der Gottesknecht?
2. Wofür ist der Gottesknecht?
3. Für wen ist der Gottesknecht?
1. Gottes Berufung des Gottesknechtes (V. 1-3)
Wenn wir die Verse 1b bis 3 zusammen betrachten, gibt es eine gewisse Auffälligkeit:
Der HERR hat mich berufen vom Mutterleib an, hat von meiner Mutter Schoß an meinen Namen genannt. Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, hält mich versteckt im Schatten seiner Hand. Und er hat mich zu einem geschärften Pfeil gemacht, hat mich verborgen in seinem Köcher. Und er sprach zu mir: Mein Knecht bist du, Israel, an dem ich mich verherrlichen werde. (Jes 49,1b-3)
Gott ist hier der Handelnde. Erstens heißt es: „Der HERR hat mich berufen vom Mutterleib“. Die Berufung des Gottesknechtes kam von Gott. Zweitens heißt es: „von meiner Mutter Schoß an meinen Namen genannt“. Die Identität des Gottesknechts kam ebenfalls von Gott (denn mit Namen ist ja die Person und damit die Identität des Gottesknechts gemeint). Von an Anfang an hatte Gott bestimmt, wofür der Gottesknecht kommen sollte. Beides – sowohl Berufung als auch Identität – wurden bereits von Mutterleib an bestimmt. Der Gottesknecht wurde nicht erst zum Knecht Gottes, als er bestimmte Dienste für Gott vollbrachte. Er wurde nicht erst dann zum Gottesknecht, als er sich als Gottesknecht bewies. Nein, noch bevor er irgendetwas tat, war er bereits Gottesknecht. Seine Berufung und Identität beruhen ganz allein auf Gottes Erwählung und Bestimmung. Dies passt ganz genau auf Jesus. Noch bevor Jesus auf die Welt kam, waren bereits sein Name und seine Berufung festgelegt: „Und sie wird einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus nennen, denn er wird sein Volk retten von seinen Sünden“ (Mt. 1,21). Drittens heißt es: „Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht …“, und im Vers 5 steht: „der mich von Mutterleib an für sich zum Knecht gebildet hat“. Gott ist auch derjenige, der den Gottesknecht geformt und gebildet hat. Identität, Berufung und Gestaltung des Gottesknechts – alles, was den Gottesknecht ausmacht, ist von Gott. Der Gottesknecht ist nicht nur ein Mann für Gott, sondern durch und durch auch ein Mann von Gott.
Jetzt ist die Frage: Was hat das Ganze mit uns zu tun? Lasst uns das im zweiten und dritten Teil betrachten.
2. Der Gottesknecht – extra für uns (V. 1.6)
Die Worte des Gottesknechtes, die wir soeben betrachtet haben, sind ja nicht in erster Linie an Gott gerichtet. Vers 1 macht deutlich, an wen die Worte vom Gottesknecht eigentlich gerichtet sind: „Hört auf mich, ihr Inseln, und horcht auf, ihr Völkerschaften, ⟨die ihr⟩ von fern her ⟨seid⟩!“ Der Gottesknecht appelliert an die ganze Welt. Er ruft die ganze Welt zur Aufmerksamkeit. Die ganze Welt soll erfahren, zu was Gott ihn berufen hat. Die ganze Welt soll erfahren, was sein Name ist, also wozu der Gottesknecht bestimmt ist. Wer der Gottesknecht ist, und wozu er gekommen ist, ist von globaler Bedeutung. Daher der Appell: „Hört auf mich, ihr Inseln, und horcht auf, ihr Völkerschaften, ⟨die ihr⟩ von fern her ⟨seid⟩!“
Warum dieser weltweite Appell? Im Vers 6 wendet sich der Text erneut an die Nationen der Welt. Die Gnade, die Gott in Seinem Knecht bringt, ist so groß, dass es viel zu schade wäre, wenn der Gottesknecht nur für das Volk Israel gekommen wäre. Stell dir vor, jemand würde ein riesengroßes und traumhaftes Schloss vererbt bekommen, so ein Schloss, wie man es aus den Disney-Filmen kennt. Der Erbe würde aber nur allein darin leben. Nur eine Person im ganzen Schloss – wie schade wäre das doch! Das Schloss ist so groß, dass nicht nur eine Person, sondern viele andere davon in den Genuss kommen könnten. Ebenso ist es auch mit der Gnade, die Gott in Seinem Knecht bringt. Sie ist zu groß und zu wunderbar, als dass sie nur einem Volk widerfahren sollte. Lange Zeit hatte man geglaubt, dass der Messias nur für die Juden gekommen sei. Selbst nach Jesu Auferstehung brauchten die Apostel eine Zeit lang, um zu verstehen, dass das Heil auch den Heiden gilt. Doch am Ende von Vers 6 steht es ganz klar: „bis an die Enden der Erde“. Gottes Gnade, die er in seinem Knecht bringt, ist so groß, dass sie für die ganze Menschheit reicht. Sie ist nicht begrenzt.
Im ersten Teil haben wir hoffentlich gesehen, dass der Gottesknecht in jeglicher Hinsicht ein Mann von Gott ist. Nun sehen wir auch, für wen der Gottesknecht ist. Der Gottesknecht ist für die Welt. Der Gottesknecht ist von Gott für die Welt, für die Menschheit. Der Gottesknecht ist nicht für ein bestimmtes Volk, nicht für bestimmte Privilegierte, sondern für jeden einzelnen von uns – von Gott für dich und mich. Gerade weil der Gottesknecht ganz und gar von und für Gott ist, ist der Gottesknecht ganz und gar für uns.
Was ist aber konkret die Gnade, die der Gottesknecht uns bringt? Lasst uns das im 3. Teil der Predigt betrachten.
3. Die Gnade im Gottesknecht
Wie der Name schon sagt, ist der Gottesknecht von seinem Wesen her ein Diener. Gerade weil er voll und ganz dem Willen Gottes dient, ist er gekommen, um uns zu dienen. Er ist gekommen, um uns zu helfen. So heißt es in Mk 10,45: „Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“. Einzelne Stellen des Liedes zeigen, worin konkret dieser Dienst besteht:
In den Versen 5–6 steht, dass der Gottesknecht Israel zurückbringt, es sammelt und aufrichtet. Dies bezieht sich in erster Linie auf das Zurückbringen der Juden in ihr Land und die Wiederherstellung Israels als Staat. Die geographische und politische Wiederherstellung Israels steht in der Bibel mit der zukünftigen Umkehr Israels in Verbindung. Daher sind dieses Zurückbringen, Sammeln und Aufrichten auch in geistlicher Hinsicht zu verstehen. So heißt es auch nur wenigen Kapiteln weiter: „Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen ⟨eigenen⟩ Weg; aber der HERR ließ ihn treffen unser aller Schuld (Jes 53,6).“ Viele Menschen gehen ihren eigenen Weg. Viele wollen es so machen, wie sie es für richtig halten, wie es auch im Buch Richter heißt: „In jenen Tagen war kein König in Israel. Jeder tat, was recht war in seinen Augen.“ (Ri 17,6). Doch der Gottesknecht möchte vom eigenen Weg zurückbringen. Wie können wir dieses Zurückbringen verstehen? Angenommen ein Kind hat sich draußen in Kälte und Dunkelheit verirrt. Der Vater sucht es, findet es und bringt es nach Hause. Wie wohltuend ist doch dieses Zurückbringen für das Kind. Dieses Zurückbringen ist ein Zurückbringen nach Hause, zu unserem Gott und Vater.
Das Gehen seines eigenen Weges führt auch dazu, dass Gemeinschaften zerstört werden, weil jeder auf das Eigene bedacht ist. Aber was möchte der Gottesknecht an uns tun? Er möchte sammeln. Er tut es, indem er jedes einzelne verirrte Schaf von seinem eigenen Weg zurückbringen will.
Der Gottesknecht bringt nicht nur zurück und sammelt, sondern richtet auch auf. Letzte Woche haben wir erfahren, dass der Gottesknecht den glimmenden Docht nicht zerbricht (Jes 42,3). Der Gottesknecht ist nicht destruktiv, sondern konstruktiv. Sein Dienst an uns hat das Ziel, uns aufzurichten. Er möchte uns erbauen.
Vor allem am Ende von Vers 6 erfahren wir, worin dieser besondere Dienst des Gottesknechtes besteht, nämlich in Licht und Rettung für die Welt. Wie wir wissen ist Licht ein beliebtes Bild, das die Bibel verwendet. Licht ist eigentlich immer mit positiven Assoziationen verbunden:
Dass Licht ein Bild für Wahrheit ist, machen mehrere Bibelstellen deutlich:
Joh 3,20-21: Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
1. Joh 1,5b-6: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln doch in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit.
Wenn Menschen durch Jesus zur Erkenntnis der Wahrheit über Gott und damit auch über sich selbst kommen, sie glauben und annehmen; kommen die anderen Bedeutungen des Lichts (die im linken Pfeil stehen) in ihr Leben hinein und verändern es sehr ins Positive.
Die Welt kennt Gott nicht. Das Leben vieler Menschen würde ganz anders aussehen, wenn sie die Wahrheit über Gott wüssten. Diese Wahrheit würde viele ihrer Ängste, Traurigkeiten, Sorgen und Sünden aus ihrem Leben vertreiben. Sie würden mit einer anderen Perspektive durchs Leben gehen. Im Vers 6 steht allerdings nicht, dass der Gottesknecht das Licht zu den Nationen bringt, sondern dass er selber das Licht der Nationen ist. An der Person des Gottesknechts selbst wird die Wahrheit über Gott sichtbar. Jesus sagt: „Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Dabei sagt Gott, dass er ihn zum Licht der Nationen macht. Natürlich gilt das für das ganze Leben des Messias, aber ganz besonders als er am Kreuz starb, machte Gott ihn zum Licht der Nationen. Denn nirgendwo anders wird die Liebe Gottes zu uns Menschen, aber auch seine Gerechtigkeit und Heiligkeit deutlicher, als durch das Sterben des Gottesknechts am Kreuz. Im Vers 3 sagt Gott daher: „Mein Knecht bist du, Israel, an dem ich mich verherrlichen werde.“ Als der Gottesknecht am Kreuz starb, stellte Gott ein helles Licht für die Welt auf, sodass es alle Menschen sehen können, wie großartig Gott in Wirklichkeit ist und wie verkehrt ihr bisheriges Gottesbild ist. Gerade am Kreuz zeigt sich, dass der Messias durch und durch ein Knecht Gottes ist. Der Knecht Gottes dient den Menschen dadurch, dass er ihnen die wunderbare Wahrheit über Gott zeigt.
Zweitens nennt Vers 6b auch Rettung. Der Gottesknecht bringt Rettung. Dies hängt eng mit dem zusammen, dass er das Licht der Welt ist. Durch die Wahrheit über Gott erkennen Menschen, dass sie Sünder sind und Rettung brauchen. Das Schöne ist, dass der Gottesknecht nicht nur zeigt, dass sie Rettung brauchen, sondern auch Rettung bringt! Wie oben bereits erwähnt, kann meinem Verständnis nach unter dem Gottesknecht sowohl der Prophet Jesaja als auch der Messias verstanden werden – aber sowohl der Name „Jesaja“ als auch „Jesus“ haben die Bedeutung: „JAHWE ist Rettung“. Im Vers 2 sagt Gott daher: „hat von meiner Mutter Schoß an meinen Namen genannt.“ Die Identität des Gottesknechts besteht gerade darin, zu retten. So wurde auch noch vor Jesu Geburt bekanntgegeben: „er wird sein Volk retten von seinen Sünden“ (Mt 1,21). Der Gottesknecht rettet von den Sünden, die den Menschen in die Verdammnis bringen. Dabei ist er nicht nur bei unserer Bekehrung unserer Retter, sondern möchte diese Rolle beständig in unserem Leben einnehmen. Brenzlige Situationen können uns dazu veranlassen, dass wir, durch sündhafte Strategien, die Rolle des eigenen Retters spielen. Doch der Knecht Gottes möchte uns damit dienen, in jeder Situation unserer Retter zu sein.
In dem Text selbst bekommen wir ein wunderbares Beispiel dafür, was es heißt, Gottes Licht und Rettung in seinem Leben zuzulassen. Dieses Beispiel ist das Leben des Propheten Jesaja selbst. Im Vers 4 erfahren wir, dass sich der Prophet Jesaja beklagt: „Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verbraucht.“ In der Tat hatte der Prophet allen Grund sich zu beklagen. Jesaja hatte in Juda mehr als fünf Jahrzehnte lang gewirkt. Sein Wirken überdauerte die Regierungszeit von vier Königen. Doch was war das Resultat dieser Warnungen? Israel tat nicht Buße. Im Gegenteil, der Überlieferung nach wurde er unter König Manasse hingerichtet, und zwar dadurch, dass er mit einer hölzernen Säge zersägt wurde. Das Krasse ist, dass Gott es Jesaja bereits bei seinem Amtsantritt sagte, dass sein Reden auf taube Ohren stoßen würde. Jesaja wusste von Anfang an, dass seine Arbeit vergeblich sein würde. Jahrzehntelange Arbeit schienen für die Katz gewesen zu sein – wie frustrierend! Solche Situationen, in denen unsere Arbeit keine sichtbaren Früchte bringt, lassen es dunkel in uns werden. Doch wie kam Licht in Jesajas Leben? Vers 4 setzt fort mit den Worten: „Doch mein Recht ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott.“ Am Ende von Vers 5 heißt es: „ich bin geehrt in den Augen des HERRN, und mein Gott ist meine Stärke.“ Jesaja ließ viel Licht, also die Wahrheit Gottes, in sein Leben hineinströmen. Da sah die Sache auf einmal ganz anders aus. Von der Situation her sah es so aus, dass seine ganze Arbeit umsonst war. Doch Jesaja fasst dadurch Mut, indem er erkennt: „Mein Lohn ist bei meinem Gott!“. Jesaja konnte mehr als 50 Jahre lang einen Dienst ohne sichtbaren Erfolg tun, weil er eine wichtige Sache über Gott erkannte. Er sagte: „Mein Gott ist meine Stärke geworden“. Jesaja erfuhr von seinem Volk Verachtung und Ablehnung. Aber er ließ sich dadurch nicht von seinem Dienst entmutigen. Warum? Er sagte: „ich bin geehrt in den Augen des HERRN“. Bei Verachtung und Ablehnung ergreifen Menschen normalerweise eigene Rettungsversuche. Die einen ziehen sich zurück, andere wehren sich mit verbalen Gegenangriffen usw. Doch Jesaja hingegen ließ Gott seinen Retter sein, indem er sagte: „Mein Recht ist bei dem HERRN.“ Anstelle sich selbst Recht zu verschaffen, vertraute er auf das gerechte Gericht Gottes. Jesaja selbst ist daher ein wunderbares Vorbild darin, Gottes Licht und Rettung in seinem Leben zuzulassen.
Wie bereits erwähnt, ist ein Knecht dazu da, um zu dienen. Zurückbringen, sammeln, aufrichten, Licht und Rettung – das ist die Art und Weise, wie der Knecht Gottes uns dienen möchte. Gerade dazu hat Gott den Knecht Gottes berufen und geformt – von Gott extra für uns. Wann immer wir unsere eigenen Wege gehen, möchte uns der Knecht Gottes sagen: „Lass mich dir dienen.“ Er möchte uns zurückbringen, sammeln und aufrichten. Wann immer Dunkelheit in unserem Leben herrscht, möchte uns der Knecht Gottes sagen: „Lass mich dir dienen.“ Er möchte Licht in unserem Leben bringen. Indem er uns die Wahrheit über Gott mehr und mehr zeigt, können bestimmte Dinge und Situationen auf einmal ganz anders aussehen. Dadurch können Ängste und Sorgen im Nu verschwinden und sich stattdessen Hoffnung und Zuversicht breit machen. Dinge, die wir bisher als Probleme erachtet haben, sind dann vielleicht gar keine Probleme mehr, weil wir sie buchstäblich in einem anderen Licht sehen. Oder zumindest können wir trotz dieser Probleme doch Hoffnung und Zuversicht haben. Dinge, die wir für groß erachtet haben, werden dann auf einmal zu einer Kleinigkeit. Dinge, die wir für zu klein erachtet haben, werden dann auf einmal zu einer Wichtigkeit. Im Licht Gottes wird klar, was im Leben wirklich zählt usw. Wann immer wir versuchen, unser eigener Retter zu spielen, möchte der Knecht Gottes uns sagen: „Lass mich dir dienen.“ Der Knecht Gottes ist, was Rettung angeht, ein Profi, ein Meister. Lassen wir ihn in jeder Situation unser Retter sein, anstelle mit unseren eigenen Rettungsversuchen die Lage zu verschlimmern.
Wenn von einem Dienst, der an mir getan wird, die Rede ist, kann man leicht denken, dass es sich hierbei immer um eine angenehme Sache handelt. Ist das beim Dienst des Gottesknechts auch so? Betrachten wir hierzu einmal Vers 2. Hier ist ausgerechnet von Waffen die Rede, und zwar von einem Schwert und einem Pfeil. Bei beiden wird ausdrücklich erwähnt, dass sie geschärft sind. Am Anfang von Vers 2 steht: „Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht.“ Der Dienst des Gottesknechts geschieht durch seinen Mund, d.h. durch sein Wort. Sein Wort geschieht immer genau zum rechten Zeitpunkt und ist scharf. Denn das Wort des Gottesknechts ist Gottes Wort. Hebr 4,12 beschreibt Gottes Wort so: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“ Das Wort des Gottesknechts deckt auf, überführt, trifft das Gewissen, bringt verborgene Motive des Herzens ans Licht usw. Das Wort Gottes ist trennscharf. D. h. es kann exakt unterscheiden zwischen Gut und Böse, sodass Menschen, die in Selbstbetrug leben, überführt werden können. In einem Kommentar hierzu heißt es: „sein Wort ist wie das seines Gottes ein eindeutiges, das auf Veränderung der Wirklichkeit zielt (…) ein Wort, das zwar Heil bringt, aber zugleich auch Unheil für den, der es nicht annimmt.“ (1 SCHNEIDER, D. 1988: 163). Das Wort des Gottesknechts ist so scharf, dass er sich bei denjenigen, die es nicht annahmen, in Lebensgefahr brachte. Die religiösen Leiter nahmen Jesu Wort nicht an, vielmehr wuchs ihr Hass zunehmend ihm gegenüber, bis dass sie ihn umbringen wollten. Doch wie sehr sich Jesus auch in Lebensgefahr befand, ihm geschah solange nichts, bis der Zeitpunkt Gottes gekommen war. Im Vers 2 steht: „hält mich versteckt im Schatten seiner Hand“. Obgleich der Gottesknecht wegen der Schärfe seines Wortes in Lebensgefahr schwebt, steht er doch unter Gottes Schutz. Das Wort des Gottesknechts muss scharf sein. Denn sonst könnte der Gottesknecht nicht zurückbringen, sammeln und aufrichten. Als ich mir vor einigen Jahren die Nase gebrochen hatte, musste sie per Operation wieder zurechtgebracht werden. Hierzu steckte der Arzt zwei Stäbe in meine Nase, jeweils eins pro Nasenloch. Als er nun anfing, meine Nase mithilfe dieser zwei Stäbe zurechtzubringen, war das alles andere als angenehm. Genauer gesagt, hatte es mir ungeheure Schmerzen bereitet. Es kam mir vor, als befände ich mich gerade in einer Folterkammer. Doch war das Resultat dieses Dienstes? Meine Nase wurde wieder zurechtgebracht (zumindest einigermaßen). Was möchte ich mit diesem Beispiel sagen? Wenn andere einen guten Dienst an uns tun, ist das nicht immer gleichbedeutend damit, dass dieser Dienst auch angenehm ist. Der Dienst des Gottesknechts ist zwar nicht immer angenehm, doch sucht er unser Bestes. Menschen verweigern sich dem Dienst des Gottesknechts, weil er ihnen zu unangenehm ist. Aber ist das weise? Was wäre aus meiner Nase geworden, wenn ich es dem „Folterarzt“ nicht erlaubt hätte, sie wieder zurechtzubringen? Daher möchte ich mit dieser Frage abschließen: „Inwieweit gebe ich dem Gottesknecht in meinem Leben Raum, mir zu dienen?“
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1 SCHNEIDER, D. (1988): Der Prophet Jesaja. Erklärt von Dieter Schneider. In Wuppertaler Studienbibel, S. 163. SCM R. Brockhaus.
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