Predigt: Hebräer 13,1 – 3 (Sonderlektion 7)

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Bleibt fest in der brüderlichen Liebe

„Bleibt fest in der brüderlichen Liebe.“

(Hebräer 13,1)

Heute betrachten wir das letzte Kapitel des Hebräerbriefs. Die Empfänger, die früher Verfolgungen durch den Glauben mit Freude ertragen hatten, waren inzwischen geistlich müde und angesichts neuer Verfolgungen im Glauben an Jesus schwankend. Der Verfasser stellte ihnen im Kap. 11 viele Männer und Frauen aus der Bibel vor Augen, die aus dem Glauben gelebt und dadurch Gottes Anerkennung erlangt haben. In Kap. 12 ermutigte er sie, angesichts der vielen Zeugen ihren geistlichen Lauf mit Geduld weiter zu laufen und dabei zu Jesus aufzusehen, der um der vor ihm liegenden Freude willen das Kreuz erduldet und sich zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt hat und so Anfänger und Vollender des Glaubens ist. Der Verfasser erinnerte sie, dass der Segen, den der heilige Gott im Neuen Bund anbietet, unvergleichlich größer ist als der im Alten Bund, und ermahnte sie, aufzupassen, dass sie Jesus, der vom Himmel zu ihnen redet, nicht abweisen. Wie sollten sie nach dieser großen Ermahnung dann leben? Im Kap. 13 finden wir konkrete Anweisungen, wie sie und auch wir praktisch aus dem Glauben leben und den Lauf gut laufen können. Vor allem anderen ermahnt er dazu, in der brüderlichen Liebe fest zu bleiben. Gott möge jeden ermutigen, aus dem Glauben zu leben und dazu vor allem die brüderliche Liebe zu erneuern!

Wozu ermahnt der Verfasser die Gläubigen vor allem andern? Betrachten wir den Vers 1: „Bleibt fest in der brüderlichen Liebe.“ Vor allem andern ermutigt er sie dazu, in der brüderlichen Liebe fest bleiben. Mit brüderlicher Liebe ist die Liebe zu den Glaubensgeschwistern gemeint. Sie ist nicht bloß eine von vielen christlichen Tugenden, sondern sie ist Jesus größtes Herzensanliegen. Das können wir daran erkennen, dass Jesus seinen Jüngern am Abend vor seiner Kreuzigung nach der Fußwaschung die Liebe untereinander geboten hat: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh 13,34.35). Brüderliche Liebe ist keine Option, sondern eine wesentliche Eigenschaften von Christen und ihr Erkennungsmerkmal. Sie ist Jesus so wichtig, dass er sie uns als „neues Gebot“ ausdrücklich befohlen hat. Unsere alte sündige Natur liebt sich selbst am meisten und kann deshalb andere nicht tiefgehend und beständig lieben. Sie ist davon abhängig, ob uns jemand von Natur aus sympathisch ist und wir uns davon etwas versprechen, emotional oder praktisch. Auf diese Weise suchen sich die Menschen bewusst oder unbewusst ihre Freunde aus und bauen Beziehungen auf und beenden sie auch wieder, wenn die Beziehung zum anderen zum Beispiel anstrengend wird oder mehr von mir abverlangt, als dass sie mir bringt, oder weil man neue, interessantere Freunde gefunden hat. Eine alte Frau erzählte mir öfter von ihrem Freundeskreis, in dem sich sechs etwa Gleichaltrige seit Jahren regelmäßig treffen und die Hochs und Tiefs in ihrem Leben miteinander teilen. Als bei einem Treffen letztes Jahr eine Freundin ein für sie wichtiges Thema anschnitt, aber niemand in der Runde darauf weiter einging, schrieb sie danach den anderen einen vorwurfsvollen Brief und kündigte ihnen die Freundschaft, mit dem Hinweis, dass sie vor kurzem eine neue, interessantere Freundin gefunden hat. Das ist kein krasser Fall, aber ein Beispiel dafür, wie unsere eigene Bereitschaft und Fähigkeit, andere zu lieben, begrenzt und vom eigenen Interesse abhängig ist.
Brüderliche Liebe ist aber von ihrem Wesen her anders, von der Grundlage und vom Ziel her. Ihre Basis ist die Liebe Jesu, mit der er uns einseitig und bedingungslos geliebt hat und für uns gestorben ist, als wir noch in der Selbstliebe und Sünde blind und gefangen waren. Die brüderliche Liebe kommt daher, dass wir diese Liebe Jesu zu uns persönlich annehmen, und wenn wir uns bewusst werden, dass Jesus mit derselben Liebe alle seine Kinder liebt. In dem Maß, wie diese Liebe Jesu in uns bleibt, haben wir in uns Motivation und Kraft, die eigenen Glaubensgeschwister zu lieben. Diese Liebe ist nicht abhängig davon, wie sehr mir andere sympathisch sind, wie sie sich mir gegenüber verhalten oder ob ich alles verstehe und gut finde, was sie sagen und tun. Denn das Ziel der brüderlichen Liebe liegt nicht in uns selbst, sondern im anderen.

Wie wertvoll ist es, solche brüderliche Liebe untereinander zu haben! Wie schön ist es, Brüder und Schwestern zu haben, die Jesus lieb haben und den gleichen Lauf des Glaubens laufen und uns allein dadurch immer wieder ermutigen! Wie tröstlich ist es, wenn wir erleben, dass Brüder und Schwestern uns lieben, obwohl wir mangelhaft sind und ihren Erwartungen nicht immer entsprechen, und die bereit sind, uns mit Rat und Tat zu helfen, wenn wir Hilfe brauchen. Brüderliche Liebe ermöglicht uns Beziehungen, in denen wir unsere Schwächen oder Probleme nicht verstecken und den anderen etwas vorspielen müssen, sondern wo wir darüber reden und den anderen um Rat und um Gebetsunterstützung bitten können. Wie ermutigend ist es, wenn wir Anliegen miteinander teilen und dann erfahren, dass Gott unser Gebet erhört und dem anderen oder uns selbst geholfen hat. Ich meine, dass die Schwestern unter uns diese Erfahrung zurzeit mehr machen als die meisten Brüder, weil sie sich mehr austauschen und zusammen beten. Wie schön ist es, Brüder und Schwestern zu haben, mit denen wir über alles mögliche reden und mit denen wir gemeinsam Zeit verbringen und Freude teilen können. Ich meine, dass hier die Älteren von den Jüngeren lernen können. Als ich gestern ins Gemeindehaus kam, saßen einige Jugendliche und Kinder am Computer und haben gemeinsam ein EM-Spiel geschaut. Fast jeden Samstag treffe ich im Gemeindehaus Kinder und Jugendliche, die miteinander Zeit verbringen. Natürlich haben die meisten Erwachsenen mehr Aufgaben und weniger freie Zeit als Schüler. Aber es ist wohl nicht nur eine Frage der Zeit. Studenten haben auch viel zu lernen und müssen nebenher noch arbeiten; aber sie nehmen sich trotzdem irgendwie Zeit zur Gemeinschaft mit anderen, offenbar aus dem Bewusstsein, dass miteinander Zeit zu verbringen an sich wertvoll ist. Darin können wir Älteren von ihnen lernen.

Betrachten wir noch einmal den Vers 1. Die Empfänger hatten ohne Frage brüderliche Liebe. Sie halfen sich gegenseitig, als ihnen ihre Güter geraubt wurden, und sie besuchten die Brüder, die im Gefängnis waren. Aber der Verfasser ermahnte sie, dass sie in der brüderlichen Liebe fest bleiben sollten. Ihm war bewusst, dass auch wenn sie früher in der Not ihre Liebe großartig unter Beweis gestellt hatten, das nicht bedeutete, dass sie automatisch einander immer so lieben würden. Die Umstände im Leben ändern sich immer, mit den Umständen und Erfahrungen ändern sich auch die Gedanken und Einstellungen, bei uns selbst und bei den Glaubensgeschwistern. Das ist normal. Was sich aber nie ändern soll, ist die brüderliche Liebe untereinander. Davon lebt eine Gemeinde, und davon lebt letztlich jeder Einzelne in der Gemeinde.

In den letzten 15 Monaten hat sich durch die Coronapandemie für uns alle vieles geändert. Homeoffice, Online-Unterricht von zu Hause und die zahlreichen Kontaktbeschränkungen haben unser Leben verändert. Als Gemeinde konnten wir seit über einem Jahr nicht mehr alle zusammen Gottesdienst feiern und anschließend beim Essen über alles Mögliche reden. Ich bin dankbar, dass wir den Gottesdienst sowie Bibelstudium, Austausch- und Gebetsstunde online oder on- und offline weiterführen und dadurch unsere geistliche Gemeinschaft am Leben halten konnten. Aber das ist doch nicht dasselbe. Und dass wir uns gegenseitig nach Hause einladen, war teilweise sogar verboten. Automatisch haben wir uns an den neuen Zustand in gewissem Maße gewöhnt, ihn bewusst oder unbewusst als neue Normalität akzeptiert. Wie werden wir uns verhalten, wenn die Beschränkungen wieder aufgehoben sind?

Betrachten wir noch einmal den Vers 1: „Bleibt fest in der brüderlichen Liebe.“ Gott will, dass wir in der brüderlichen Liebe fest bleiben. Gott will, dass unsere Liebe zu den Geschwistern nicht von der Situation oder von unseren Gefühlen und Stimmung abhängen. Gott wünscht sich, dass wir uns untereinander herzlich lieben, das ist sein größter Wunsch neben dem Wunsch, dass wir ihn von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzer Kraft lieben. Und wir wissen, dass das zusammenhängt. Wenn unsere Liebesbeziehung zu Jesus gesund ist, haben wir auch herzliche brüderliche Liebe, und wenn wir in Jesus bleiben, bleiben wir auch fest in der brüderlichen Liebe. Wenn wir in der Liebe zu den Geschwistern bleiben, hilft uns das sehr, in einer rechten Liebesbeziehung zu Jesus zu bleiben und darin zu wachsen. Wir wollen die heutige Aufforderung zum Anlass nehmen, zu prüfen, wie es um unsere Liebe zu Glaubensgeschwistern steht. Lasst uns auf Jesus sehen und seine große hingebungsvolle Liebe zu uns neu annehmen! Lasst uns für unseren Mangel an Liebe Buße tun und unsere Brüder und Schwestern neu von Herzen lieben. Und lasst uns diese Liebe ausleben.

Wie können wir die brüderliche Liebe ausleben? Wie hat der Verfasser die Empfänger dazu ermutigt? Betrachten wir die Verse 2 und 3: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt. Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene, und an die Misshandelten, weil auch ihr noch im Leibe lebt.“ Dieses Wort ermutigt uns dazu, gastfrei zu sein und an der Situation herzlich Anteil zu nehmen. Andere einzuladen, ist eine schöne Gelegenheit, seine Liebe zu Glaubensgeschwistern auszudrücken, sowohl für die, die den anderen dienen, als auch für die, die diesen Dienst annehmen. Tatsächlich geht es nicht um die Qualität des Essens oder ob die Wohnung frisch geputzt ist. Es geht darum, Zeit miteinander zu verbringen, einander zuzuhören und dadurch einander besser kennen zu lernen und die Lage des anderen besser zu verstehen. Es ist eine gute Möglichkeit, Liebe zu üben und in der Liebe untereinander zu wachsen. Deshalb: Wer keine Zeit hat, einen Kuchen zu backen, kann beim Lidl einen Kuchen kaufen. Wer keine Zeit hat, aufzuräumen, kann sich zum Spaziergang verabreden. Wer keine Zeit für ein langes Treffen hat, kann sich für eine halbe Stunde verabreden.

Durch die ständigen Nachrichten über die Coronapandemie ist für manche die Sorge vor einer Ansteckung zu einem Hindernis geworden, andere einzuladen. Sich mit anderen zu treffen, ist für uns nicht mehr gewöhnlich und kann uns wie etwas Gefährliches vorkommen. Das war zeitweise auch so, aber inzwischen hat sich die Situation stark verbessert. Die Infektionsrate ist deutschlandweit unter 10, das heißt dass sich von 100.000 Einwohner pro Tag nur etwa anderthalb Ansteckungen gibt. In ganz Heidelberg gibt es pro Tag nur etwa zwei Ansteckungen! Deswegen ist es inzwischen erlaubt, dass sich wieder bis zu zehn Erwachsene aus drei Haushalten plus ihre Kinder untere 14 zu Hause ohne Masken treffen dürfen. Ich sage nicht, dass wir ab jetzt unvorsichtig sein und bestehende Kontaktbeschränkungen ignorieren sollen. Aber wir sollen unser Bewusstsein von unnötiger Sorge und Angst frei machen, damit wir nicht davon bestimmt werden, sondern tun können, was Gott sich wünscht und was sich unsere Geschwister wünschen.

Welchen Grund nennt der Verfasser, warum die Empfänger gastfrei sein sollten? Betrachten wir nochmals den Vers 1. Er verweist darauf, dass dadurch einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt haben. Habt ihr euch auch gefragt, warum er das schreibt? Offenbar nimmt er auf die Stelle in Genesis Kap. 18 Bezug, die wir vor wenigen Monaten betrachtet haben, wo Abraham drei Fremde freundlich zu sich einlädt und sie bewirtet, ohne zu wissen, dass es sich in Wirklichkeit um Gottes Engel handelt. Der Verfasser wusste besser als wir, dass das nach der Bibel ein einmaliges Ereignis in der Geschichte war, das sich so nicht wiederholt hat. Warum erwähnt der Verfasser das dann an dieser Stelle als Argument dafür, gastfrei zu sein? Indirekt sagt er dadurch ja, dass die Erfahrung von Abraham damals auch eine Relevanz für Christen hat, die Glaubensgeschwister einladen. Ist das unangemessen? Nein, kann es nicht sein! Er deutet dadurch auf den großen Segen hin, den wir bekommen, wenn wir Glaubensgeschwister einladen und mit ihnen Gemeinschaft haben. Abraham wurde dadurch, dass er die drei Fremden einlud, durch die Gemeinschaft sehr gesegnet. Denn Gott half seiner Frau Sara, ihren verbliebenen Unglauben zu erkennen und Buße zu tun und daran zu glauben, dass Gott ihr tatsächlich ein Kind geben konnte. Und Abraham konnte beim anschließenden Gespräch mit Gott von dem wichtigen Gebetsanliegen erfahren, dass Gottes Gericht über Sodom kommen musste, und er konnte daraufhin erleben, dass Gott seine inständige Fürbitte erhörte und seinen Neffen und dessen Töchter aus Sodom rettete. Das heißt natürlich nicht, dass wir alle auch die gleiche Erfahrung machen werden wie Abraham. Aber wenn wir Glaubensgeschwister einladen, freut Gott sich darüber sehr und will nicht nur unsere Geschwister, sondern auch uns selbst segnen.

Dies habe ich selbst vielfach erfahren dürfen. Als wir über dem Gemeindehaus gewohnt haben, hatten wir öfter Gelegenheit, Gäste zum Essen einzuladen, weil es buchstäblich naheliegend war. Jedes Mal haben wir erlebt, dass wir durch die dabei entstehende Gemeinschaft selbst sehr ermutigt und getröstet wurden. Seit Pfingsten haben wir angefangen, sonntags nachmittags Geschwister nach Hause einzuladen. Das war nur wenige Male bisher, aber jeder Besuch war eine große Freude und hat uns den Wunsch gegeben, viel mehr Gemeinschaft mit den Geschwistern zu haben.

Lasst uns die brüderliche Liebe untereinander erneuern und darin fest bleiben! Durch diese Liebe kann jeder von uns geistlich weiter wachsen und gesund bleiben. Wenn wir Liebe untereinander haben, bilden wir eine Umgebung, in der unsere jungen Leute und alle, die hierher kommen, erkennen können, dass Jesus unter uns lebt. Möge Gott uns helfen, alle Hindernisse zu überwinden und unsere Wohnung neu zu öffnen und herzlich Anteil aneinander nehmen. Möge Gott dadurch alle unter uns segnen!

 

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