Predigt: Hebräer 12,14 – 29 (Sonderlektion 6B)

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Ermahnung zur Heiligung

„Jagt nach dem Frieden mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird!“

(Hebräer 12,14)

Seit einer Woche hat wieder die Schule begonnen. Das Schuljahr neigt sich wieder dem Ende zu. Gegen Ende des Schuljahres fanden ja gewöhnlicherweise die Bundesjugendspiele statt. Als Kind mochte ich den 100m-Lauf, aber vor dem 1000m-Lauf fürchtete ich mich. Ich war relativ schnell, hatte aber nicht so viel Ausdauer. Weil die letzten Meter so qualvoll waren, war ich immer sehr froh, wenn ich diesen Lauf endlich hinter mich hatte. Das Bild des Marathons, mit dem wir uns letzte Woche beschäftigt hatten, ist daher ein ausgezeichnetes Bild, um die Ausdauer und Geduld des christlichen Glaubenslebens zu beschreiben. Heute werden wir uns mit einem weiteren ausgezeichneten Bild beschäftigen. Es ist das Bild des Nachjagens. Es beschreibt, welche Einstellung wir bzgl. der Heiligung einnehmen sollen. Wir wollen uns mit dem heutigen Text anhand von drei Fragen auseinandersetzen:
1. Was bedeutet es, der Heiligung nachzujagen?
2. Was brauchen wir, um der Heiligung nachzujagen?
3. Wie können wir der Heiligung nachjagen?

Teil 1: Der Heiligung nachjagen (V. 14)
Die erste Anweisung erfahren wir in Vers 14. „Jagt nach dem Frieden mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird!“. Der Apostel greift erneut ein Bild auf. Es ist das Bild des „Jagens“? Jemanden zu jagen bedeutet, jemanden zu verfolgen, an etwas dranbleiben, etwas im Fokus behalten, etwas nicht aus den Augen zu verlieren, nicht aufgeben.
Und was ist das, an das wir dranbleiben und das wir im Fokus behalten sollen? Was ist das, worin wir auf keinen Fall innerlich aufgeben sollen? Der Apostel nennt im Vers 14 zwei Dinge: 1. Frieden mit jedermann und 2. die Heiligung, wobei dem Frieden nachzujagen schon ein Teil der Heiligung ist. Die Aufforderung, dem Frieden nachzujagen, ist ziemlich krass, wenn wir an die Situation der damaligen Zuhörer denken. Sie wurden beraubt, gefangengenommen und öffentlich bloßgestellt. Die damaligen Zuhörer haben große, ja besser gesagt eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit erfahren. Was möchte man in solch einem Fall am liebsten tun? Sich rächen, verfluchen, verwünschen usw. Aber stattdessen sollten sie dem Frieden nachjagen, und zwar mit jedermann, also auch mit deren schlimmsten Verfolgern.
Das Bild des Jagens passt ausgezeichnet zum Thema „Frieden“. Was man jagt, sind ja entweder Tiere oder Feinde. Beide haben eins gemeinsam: sie sind etwas, was sehr schnell entweicht. Wer ein Reh jagen will, muss mucksmäuschenstill sein. Die kleinsten Geräusche und schon ist es weg. Der Friede unter den Menschen ist in der Tat auch etwas, das sehr sehr schnell verschwinden kann. Wer viel mit Menschen zu tun hat, weiß das. Wie leicht geschehen unter Menschen Spannungen. Schon das kleinste Missverständnis kann zu Unfrieden führen. In der Tat ist der Friede etwas, das schnell entweicht. Es ist etwas, dem man nachjagen muss. Etwas, woran man dranbleiben muss. Etwas, dem man hinterher sein muss. Ich musste zum Beispiel letztens dem Frieden nachjagen, als ich mir einen Scherz bei jemanden erlaubt hatte, den er gar nicht als Scherz aufgefasst hatte. Als ich es mit ihm klären wollte, sagte die Person, dass sie schnell zum Bahnhof müsse. Daraufhin sagte ich, dass ich ein Stück mit ihr laufen würde.
Uns sollte bewusst sein, dass die Aufforderung zum Frieden mit jedermann nicht nur im Hebräerbrief auftritt, sondern auch in anderen Stellen der Bibel – zum Beispiel in Ps. 34,15: „lass ab vom Bösen und tue Gutes, suche Frieden und jage ihm nach!“; Röm 12,18.19: „Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden! Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn [Gottes]!“; 1. Petr 3,11: „er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach!“ Eph 4,3: „Befleißigt euch, die Einheit des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens“ Mt 5,9: „Glückselig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen.“ In vielen Stellen der Bibel werden wir also dazu aufgefordert, dem Frieden nachzujagen. Das zeigt, wie wichtig es ist. Die zuletzt erwähnte Bibelstelle aus Mt 5 macht deutlich: Gerade daran, dass wir dem Frieden nachjagen, erkennen die Leute, dass wir Gottes Kinder sind. Mit anderen Worten: Es ist ein mächtiges Zeugnis.
Die Aufforderung, dem Frieden nachzujagen, ist aber besonders schwierig, wenn man von anderen große Ungerechtigkeit erfährt, wie es bei den Hebräern der Fall war. Das kann einem so vorkommen, als würde man ständig gegen das offene Messer laufen. Wie können wir diese geistliche Herausforderung, dem Frieden nachzujagen, gerecht werden? Ich möchte hierzu drei Punkte herausstellen: Ich denke, einer der wichtigsten Punkte ist das Vergeben. Ohne Vergebung werden wir verbittert. Ohne zu vergeben, suchen wir andere Wege, um mit einem Konflikt fertig zu werden. Zweitens ist mir in der letzten Zeit ein Wort aus 1. Korinther 6, 7-9 wichtig geworden: „Es ist nun schon überhaupt ein Fehler an euch, dass ihr Rechtsstreitigkeiten miteinander habt. Warum lasst ihr euch nicht lieber unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen?“ Zum Frieden nachjagen kann es auch dazugehören, sich Dinge gefallen zu lassen, anstelle auf sein Recht zu bestehen. 3. Sprüche 10,12: „aber Liebe deckt alle Vergehen zu.“ Zum Frieden nachjagen gehört es auch, dass man über viele Dinge hinwegsieht. Wer jeden Fehler des anderen kritisiert, kann nicht erwarten, Frieden mit anderen zu haben. Wer wegen jeder Kleinigkeit beleidigt ist, hat vergessen, dass er selbst ein begnadigter Sünder ist. Wenn wir um Jesu willen dem Frieden nachjagen, werden wir in der Heiligung wachsen und das Bild Christi wird in uns mehr und mehr Konturen bekommen.
Was sind aber die Grenzen des Nachjagens von Frieden? In Mt 10,34 sagt Jesus: „Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Wir sollen dem Frieden nachjagen, aber nicht auf Kosten der Wahrheit. Wenn der Frieden mit anderen voraussetzt, dass wir unseren Glauben nicht treu sein können, dann müssen wir der Wahrheit gegenüber dem Frieden Priorität geben. Deswegen heißt es ja in Röm 12: „Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden!“
Betrachten wir noch einmal Vers 14. Die zweite Sache, der wir nachjagen sollen, ist die Heiligung. Warum muss man der Heiligung nachjagen? Die Heiligung ist kein Selbstläufer. Wir haben drei Gegner, die uns von der Heiligung abhalten: 1. unsere verdorbene Natur, 2. der Teufel und 3. die Welt. Diese drei Gegner leisten gegenüber jedem Heiligungsbestreben Widerstand. Der gefährlichste davon ist unsere verdorbene Natur. Ihr nicht zu widerstehen, führt automatisch zu einem Leben in Sünde. Nicht die Heiligung, sondern ein Leben in Sünde ist ein Selbstläufer. Daher ist die Heiligung eine Sache, der man nachjagen muss. Mit anderen Worten: Die Heiligung ist eine Sache, an die man dranbleiben muss und die vollsten Einsatz erfordert. Sie ist eine Sache, die nicht aus den Augen verloren gehen darf. Die Heiligung ist eine Sache, die nicht nach Lust und Laune geschieht, sondern konsequent erfolgt. In 2. Petrus 1,5 heißt es: „so setzt eben deshalb allen Eifer daran und reicht in eurem Glauben die Tugend dar“.
Das Bild des Nachjagens ist auch im Zusammenhang der Heiligung treffend und ausgezeichnet. Jemanden nachzujagen bedeutet ja, jemandem hinterherzulaufen. Allerdings nicht nur irgendwie hinterherlaufen, sondern schnell. Besser gesagt: Man rennt jemandem hinterher. In dem Prozess der Heiligung sollen wir solche sein, die nicht langsam, sondern schnell wachsen. In Hebr. 5,12 heißt es: „Denn während ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, habt ihr wieder nötig, dass man euch lehrt, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise“ Wir haben letzte Woche das Bild vom Marathon betrachtet. Es ist ein wunderbares Bild um die Ausdauer im Glaubensleben zu veranschaulichen, aber nicht ein Bild dafür, dass es egal ist, wie man läuft. Wie andere Bilder der Bibel veranschaulicht es einen oder mehrere Aspekte, ist aber nicht in jeder Hinsicht anwendbar. Zum Beispiel sagt Jesus über sich selbst, dass er kommen wird, wie ein Dieb. Mit dem Bild des „Diebes“ möchte Jesus die Art und Weise seines Kommens beschreiben, nämlich überraschend und unerwartet. Allerdings würden wir Jesus großes Unrecht tun, wenn wir Jesus in jeglicher Hinsicht mit einem Dieb vergleichen würden. Oder hier ein anderes Beispiel: Jesus sagt: „seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ Mit dem Bild der „Schlange“ will Jesus nur einen Aspekt verdeutlichen, nämlich klug sein. Eine Schlange ist aber auch listig. Sollen wir auch in dieser Hinsicht wie die Schlangen sein? Nein! Um nicht missverstanden zu werden, macht Jesus den Zusatz: „und ohne Falsch wie die Tauben.“ So ist es auch mit dem Bild des „Marathons“. Es ist nur begrenzt auf den geistlichen Lauf anwendbar. Um die Art und Weise des Laufens zu beschreiben, verwendet der Apostel nämlich ein anderes Bild. Es ist eben das Bild des „Nachjagens“, wo es ja gerade um ein schnelles Laufen geht. Man kann von Heidelberg nach Mannheim mit dem Zug fahren, theoretisch kann man nach Mannheim auch auf allen Vieren kommen, allerdings auf Kosten der Gesundheit. Ebenso auch mit der Heiligung: Wenn sich Christen Zeit mit der Heiligung lassen, kann es gut sein, dass Gott viele Probleme in ihr Leben schickt, um sie in der Heiligung voranzutreiben. Ihr Weg zum Himmelreich geht dann durch viele Leiden hindurch.
Betrachten wir weiter Vers 14. Am Ende von Vers 14 heißt es: „ohne die niemand den Herrn sehen wird.“ Mit diesen Worten verleiht der Apostel der Aufforderung zur Heiligung einen ernsthaften Nachdruck. Einfach gesagt: Gott macht das nicht mit, wenn ein Christ nicht nach der Heiligung trachtet. Die Zeit auf dieser Erde dient als Vorbereitung auf die Ewigkeit mit Christus. Ohne Heiligung ist man auf die Ewigkeit mit Christus nicht vorbereitet. In Mt 5,8 gibt es einen ähnlich lautenden Vers: „Glückselig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Ein reines Herz ist das Gegenteil von einem geteilten oder götzendienerischen Herz. Wir werden auf dieser Erde nie sündlos sein, aber der Prozess der Heiligung muss zu dem Punkt kommen, dass wir Gott von ganzem Herzen lieben. Gott teilt sich den Thron auf unserem Herzen nicht. Gott ist solange mit uns nicht fertig, bis unser Herz ihn einzig und allein anbetet. Ist ja eigentlich auch logisch: Wozu soll ein götzendienerisches Herz Christus schauen? Solch ein Herz findet nichts Schönes an Jesus? Es kann mit seiner Herrlichkeit nichts anfangen. Im Himmelreich sind Scharen von Geschöpfen, die den Herrn Jesus Tag und Nacht anbeten. Was hat dort jemand zu suchen, der ein geteiltes Herz hat? Wie können wir der Heiligung nachjagen?

Teil 2: Die Gnade Gottes nicht versäumen (V. 15 – 17)
Betrachten wir gemeinsam Vers 15: „Und achtet darauf, dass nicht jemand die Gnade Gottes versäumt.“ Die Kraft für die Heiligung bekommen wir ja durch die Gnade Gottes. Die Heiligung erfordert unseren ganzen Einsatz, geschieht aber dennoch nicht aus eigener Kraft, sondern aus Gnade. Das hört sich widersprüchlich an. Ich versuche es mit einem Bild zu verdeutlichen: Um ein Auto in Gang zu setzen, müssen wir es tanken, den Schlüssel drehen, das Pedal treten, die Gänge schalten, bremsen und lenken. Doch niemand von uns würde behaupten, dass das Autofahren aus eigener Kraft geschieht. Es geschieht aus der chemischen Energie, die im Benzin ist. Da ich in der Regel Fahrrad fahre, weiß ich allzu gut, wie sehr sich ein Fahren aus eigener Kraft von einem Fahren mit fremder „Kraft“ unterscheidet. In 2. Petr. 1,3 heißt es: „Da seine göttliche Kraft uns alles geschenkt hat, was zum Leben und [zum Wandel in] Gottesfurcht dient“ Unser Anteil an der Heiligung besteht darin, dass wir die Gnadenmittel Gottes voll in Anspruch nehmen. Man missversteht die Botschaft des Evangeliums, wenn man meint, dass sie eine Legitimation für ein halbherziges Christenleben sei. Gerade weil uns in Christus alle Gnade zur Heiligung gegeben ist, lautet das Motto des Evangeliums: „Heiligung – jetzt erst recht!“
Wir haben in der letzten Lektion erfahren, dass Gott die Leiden der Hebräer gebrauchte um sie zu züchtigen. Dies erinnert an Röm. 8,28, wo es heißt: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind.“ Probleme, Konflikte, Leiden, besondere Herausforderungen, unerfüllte Wünsche u.Ä. gebraucht Gott, um seine Kinder zu formen, sodass sie dem Bild Christi ähnlicher werden. Insofern sind auch solche Dinge Gnade.
Was ist aber, wenn man diese Dinge nicht als Gnade Gottes annimmt? Betrachten wir hierzu das Ende von Vers 15. Es kommt zur Bitterkeit. Verbitterte Menschen murren, sind unzufrieden und reden schlecht über Menschen, die Umstände und damit letztendlich auch gegen Gott. In der Gemeinde üben sie einen destruktiven Einfluss aus. Sie stecken andere mit ihrer Bitterkeit an, sodass durch sie viele verunreinigt werden. Für die restlichen, die sich nicht von ihnen beeinflussen lassen, sind sie eine Last. Bitterkeit ist also kein kleines Problem. Daher darf die Wurzel von Bitterkeit erst gar nicht aufsprießen. Bitterkeit sollte schon in seinen Anfängen identifiziert und behandelt werden. Hierzu wieder ein Bild: Ein kleines Pflänzchen woanders zu verpflanzen, erfordert nicht viel Aufwand. Was ist aber, wenn aus diesem Pflänzchen ein Baum geworden ist? Dann ist das Verpflanzen äußerst aufwendig.
Was ist die Wurzel der Bitterkeit? Betrachten wir hierzu Vers 16. Im Vers 16 kommt der Apostel auf die alttestamentliche Person Esau zu sprechen. Er wird als Gottloser bezeichnet, weil er wegen einer Speise sein Erstgeburtsrecht verkauft hatte. In 1. Mose 25,34 heißt es: „So verachtete Esau das Erstgeburtsrecht.“ Er hatte die Gnade Gottes leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Er hatte keine Wertschätzung gegenüber dem Segen bzw. der Gnade Gottes. Die Wurzel der Bitterkeit ist, dass man die Wertschätzung gegenüber der Gnade Gottes verliert. Folglich kann man besondere Umstände nicht als Gnade annehmen. Man wird verbittert.
Angesichts der schrecklichen Leiden waren die Hebräerchristen versucht, ihre Hoffnung übers Bord zu werfen und als verbitterte Menschen zu verenden. Doch was sollten sie aus dem Beispiel Esau lernen? Das Resultat davon, dass Esau den Segen bzw. die Gnade Gottes verachtete, wird am Ende von Vers 17 beschrieben. Dieser Teil vom Vers ist aber nicht so einfach zu verstehen. Was bedeutet das, dass Esau die Buße mit Tränen suchte? In 1. Mose wird nichts darüber berichtet, dass Esau Buße tun wollte – vielmehr das Gegenteil: Er wollte hernach noch seinen Bruder umbringen. In 1. Mose wird berichtet, dass er nicht die Buße, sondern den Segen mit Tränen suchte. Esau sagte nämlich zu seinem Vater: „Hast du ⟨nur diesen⟩ einen Segen, mein Vater? Segne mich, auch mich, mein Vater! Und Esau erhob seine Stimme und weinte.“ Man kann den letzten Teil von Vers 17 auch so übersetzen: „obgleich er ihn (also den Segen) mit Tränen suchte.“ Jedenfalls passt diese Übersetzung besser zu dem Bericht aus Genesis. Dass ein Mensch mit Tränen Gott um Vergebung bittet, aber Gott sagt: „Ne, mache ich nicht“ – dafür kenne ich in der gesamten Bibel keim Beispiel. Der Ausdruck „fand keinen Raum zur Buße“ bekräftigt die Auslegung, dass Esau nicht Buße tat, eben weil er keine Buße mehr tun konnte. Zusammengefasst: Obwohl Esau den Segen mit Tränen suchte, konnte er seine Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das Beispiel Esau ist eine Warnung, Gottes Gnade nicht als etwas Billiges anzusehen, sondern sie hochzuachten.
Wie half der Apostel den Hebräern die Größe der Gnade und Segen Gottes neu zu sehen?

Teil 3: Die Größe der Gnade im Neuen Bund (V. 18 – 29)
Betrachten wir die Verse 18 bis 24. Als Gott dem Volk Israel die 10 Gebote gab, war seine Erscheinung furchterregend. Sie wird mit den Wörtern „Dunkel“ und „Finsternis“, „brennender Berg“, „Ungewitter“, „Posaunenschall“ und „unerträglichen Worten“ beschrieben. Gott erschien den Israeliten als einen unnahbaren, gefährlichen und bedrohenden und nicht zuletzt als einen unheimlichen Gott. Seine Worte waren 0,0 Gnade, so unerträglich, dass die Israeliten Mose baten, dass Gott nicht mehr mit ihnen reden solle. So wie Gott den Israeliten auf dem Berg Sinai begegnet war, ebenso haben auch wir es aufgrund unserer Sündhaftigkeit verdient, dass Gott uns als einen unnahbaren, gefährlichen, bedrohenden und nicht zuletzt als einen unheimlichen Gott begegnet. 0,0 Gnade – das ist unsere eigentliche Lage.
Doch in den Vers 22-24 erfahren wir, wie Gott mit uns in Wirklichkeit umgeht: Hier ist nicht mehr von einem brennenden Berg die Rede, sondern vom Berg Zion, der für Gottes Heil und Segen steht; es ist nicht mehr von einem unnahbaren Gott die Rede, sondern von einem willkommenden Gott, ein Gott, der ins himmlische Jerusalem, wo auf die Gläubigen eine Festversammlung mit Myriaden von Engeln wartet, willkommen heißt; nicht mehr von der Androhung des Todes, sondern von einem vollen Anteil am Heil, nämlich am himmlischen Jerusalem, der Gemeinde, an dem Mittler Jesus und seinem Blut. Abels Blut klagte vor Gott an, Jesu Blut aber rechtfertigt uns. Nicht mehr von unerträglichen Worten ist die Rede, sondern von Namen, die in den Himmeln angeschrieben sind, also von voller Gnade; nicht mehr ist von einem ohnmächtigen Mittler, der selber sich fürchtete und zitterte, die Rede, sondern von Jesus, dem Mittler des neuen Bundes. Durch den Kontrast zum Alten Testament leuchtet die Gnade Gottes noch mehr auf. Wer einmal die Wertschätzung der Gnade und Segen Gottes verloren hat, hole sich einmal in Erinnerung, was seine eigentliche Lage vor Gott wäre. Der denke darüber nach, wie Gott ihm aufgrund seiner Sündhaftigkeit eigentlich begegnen müsste. Eine größere Gnade bedeutet aber nicht nur eine größere Wertschätzung, sondern auch mehr Verantwortung. Daher die Ermahnung in Vers 25: „Habt acht, dass ihr den nicht abweist, der redet!“ Hebr. 1,1 -2 heißt es: „Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn.“ Gottes Reden zu uns geschah am deutlichsten durch seinen Sohn, viel deutlicher als durch die Propheten. Denn nirgendswo klarer, als in seinem Sohn, können wir Gottes Liebe und Barmherzigkeit hören. Gerade dieses Reden durch Seinen Sohn abzuweisen, hat ein viel heftigeres Gericht zu Folge als das Gesetz abzuweisen. Im Kontext der vorherigen Verse bedeutet „Abweisen“, dass die Botschaft des Evangeliums ohne praktische Konsequenzen der Heiligung bleibt.
Welche Schlussfolgerung sollen wir aus dem Ganzen ziehen? Betrachten wir hierzu Vers 28. Die Schlussfolgerung ist Dankbarkeit! Nach mehreren anderen Übersetzungen steht zwischen dem Wort „dankbar“ und „dienen“ das Wort „wodurch“. Echte Dankbarkeit zeigt sich also darin, dass man Gott dienen möchte. Denn wie kann man von Dankbarkeit sprechen, wenn man nicht das Anliegen hat, Gott zu dienen?
Ein Dienen, das Gott gefällt, ist ein Dienen mit Scheu und Furcht! Wer hätte das gedacht? Wir würden eher erwarten, dass da so etwas steht wie „Dienen mit Freude“ oder „Dienen vom Herzen“, aber nein, dasteht: „mit Scheu und Furcht“. Was bedeutet das? Damit ist nicht die sklavische Furcht gemeint. Es geht hier nicht darum, aus Angst vor Gott zu dienen. Es geht um eine Furcht, die aus der Hochachtung gegenüber der Gnade Gottes kommt. Lasst mich mal versuchen, das an einem Bild zu erklären: Angenommen du hast ein teures elektrisches Gerät gekauft, wie zum Beispiel ein hochqualitatives Laptop. Gerade weil es so wertvoll ist, geht man damit sehr vorsichtig um. Man würde es niemals werfen, nicht einmal mit dreckigen Händen anfassen. Bildschirm darf nur mit einem Mikrofasertuch gereinigt werden. Niemand darf an den Computer dran, als nur du allein usw. Kurz gesagt: Man geht damit hochachtungsvoll um, gerade weil man weiß, wie wertvoll dieses Gerät ist. Und so ist es auch mit der Gnade. Wer verstanden hat, wie kostbar diese Gnade ist, geht mit ihr nicht leichtfertig um, sondern mit Hochachtung, oder wie es der Apostel sagt: mit „Scheu und Furcht“. Stell dir vor, jemand benutzt seinen nigelnagelneuen Laptop als Fußabtreter. Wir könnten uns so etwas nicht ansehen. Es tut regelrecht weh. Noch grausamer ist es, mit der Gnade Gottes, die ja noch viel kostbarer ist, leichtfertig umzugehen. In 1. Kor 6,20 heißt es: „Denn ihr seid teuer erkauft; darum verherrlicht Gott in eurem Leib“. In der zweiten Strophe von „amazing grace“ heißt es:

Die Gnade hat mich Furcht gelehrt und auch von Furcht befreit
seitdem ich mich zu Gott bekehrt bis hin zur Herrlichkeit.

Das ist je genau das: Die Gnade befreit uns einerseits von der Angst des Gerichts, andererseits lehrt sie uns auch Gottesfurcht. Schließlich heißt es: „denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“ Im Neuen Testament wird die Heiligkeit Gottes zwar von der Gnade Gottes überstrahlt1, aber nicht aufgehoben. Wir haben es nach wie vor mit einem heiligen Gott zu tun. Dies zu wissen, hilft uns, die Gnade Gottes nicht als selbstverständlich anzusehen, sondern ihr mit Hochachtung zu begegnen.

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1 Vgl. Laubach, F. in: Wuppertaler Studienbibel, S. 268. SCM R. Brockhaus.

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