Predigt: Hebräer 12,1-13 (Sonderlektion 6a)

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Marathon

„und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt.“

(Hebräer 12,2 nach EÜ)

Der Hebräerbrief wurde an Judenchristen geschrieben, die unter erheblichen Verfolgungen litten. Die ersten Leser hatten eine brennende Frage: „Lohnt es sich überhaupt noch, Christ zu sein? In Anbetracht der ganzen Leiden, die man hat, der Verfolgungen, Konflikte, ist es nicht besser, den christlichen Glauben, über Bord zu werfen?“ Die Antwort lautet: natürlich nicht. In Kapitel 11 hatten wir gesehen, dass der Autor von Hebräer eine ganze Reihe von bekannten Persönlichkeiten aus dem AT vorstellt, die alle aus Glauben gelebt hatten. Und die Botschaft an die Empfänger des Briefes war: „Das könnt ihr auch. Gebt euren Glauben nicht auf.“
Der Text heute erklärt, wie die Leiden im christlichen Leben zu verstehen sind. Mindestens drei Punkte kann man im heutigen Text dazu lernen: erstens, wozu wir berufen sind; zweitens, was wir dafür benötigen; drittens, worauf wir schauen müssen.

Erstens, wozu wir berufen sind
Die Frage war, warum das Leben der ersten Christen so schmerzhaft war. Und die erste Antwort darauf ist, dass das christliche Leben ein Lauf ist. Vers 1: „Darum wollen auch wir, die wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, alle Last und die Sünde abwerfen, die uns so leicht umstrickt. Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der vor uns liegt…“ Der Autor von Hebräerbrief ist nicht der einzige Schreiber, der das christliche Leben mit einem Lauf vergleicht. An die Galater schrieb Paulus: „Ihr lieft so gut!“ Das ist zu verstehen als ein: ihr habt euer Leben so vorbildlich gelebt! Oder in Jakobus 1,12 heißt es: „Selig der Mann, der in der Versuchung standhält. Denn wenn er sich bewährt, wird er den Kranz des Lebens erhalten, der denen verheißen ist, die Gott lieben.“ Siegeskranz ist ein Bild, das wir nicht so häufig in unserem Sprachgebrauch verwenden. Aber es ist trotzdem offensichtlich, was damit gemeint ist: am Ende des Laufs gibt es eine Siegerehrung. Und um noch einmal Paulus zu zitieren, am Ende seines Lebens schrieb er an Timotheus: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten.“ Immer und immer wieder wird im NT unser Leben mit einem Lauf verglichen. Warum?
Ich glaube, dass die Autoren des NT ein grundsätzliches Prinzip des menschlichen Lebens verstanden hatten: wir Menschen wurden dazu gemacht zu laufen. Unser Körperbau, unsre Physis, unsere Veranlagung sprechen allesamt dafür. Wenn wir uns in einem langen Lauf befinden, tun unsere Körper nichts anderes als das, wofür sie bestimmt sind. Tobias Hürter schrieb für die Zeit einen Artikel mit dem Titel „Laufen Sie den Ultramarathon“. Er macht einige sehr interessante Beobachtungen, wie ich finde. „Verglichen mit anderen Tieren, sind wir nur mittelmäßige Athleten. Wir schwimmen nicht schnell, tauchen nicht tief, springen nicht weit und sind nicht sonderlich stark. Wir sind miserable Sprinter. … Menschen brauchen ihr ganzes erstes Lebensjahr, um überhaupt erst gehen zu lernen, und ihr ganzes erstes Lebensjahrzehnt, bis sie richtig rennen können. Und selbst dann sprintet uns noch jeder übergewichtige Stadthund davon. Die schnellsten Menschen laufen die 100 Meter in zehn Sekunden. Ein Gepard schafft sie in fünf Sekunden. Pferde und Windhunde halten minutenlang die doppelte Höchstgeschwindigkeit menschlicher Läufer. Aber dann geht ihnen die Puste aus. Auf die Dauer können wir sie alle wieder einholen. Im Langstreckenlauf sind Menschen Weltklasse.“
Aber hier ist noch mehr: „Darum wollen auch wir, dir wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben…“ Der Verfasser sagt, dass eine Menge von Zeugen um uns herum ist, wie eine Wolke. Ich habe vor viereinhalb Jahren angefangen mit dem Laufen. Mein Bruder macht sich öfters lustig darüber, dass ich so langsam laufe. Außer dass es mich verletzt, macht das nichts, weil ich meistens alleine laufe. Aber 2019 habe ich mit Kollegen und Freunden zum ersten Mal bei öffentlichen 10 Kilometer Läufen mitgemacht. Das ist eine komplett andere Erfahrung. Es bedeutet nicht, dass der Lauf nicht anstrengend ist. Es bedeutet auch nicht, dass der Lauf nicht wehtut. Und trotzdem ist alles anders. Man wird ein wenig von der Menge mitgetragen. Das Bild, das Hebräer 12 zu zeichnen scheint, sind die letzten Kilometer nach einem langen Lauf. Links und rechts stehen hunderte und dann tausende von Zuschauer. Sie jubeln uns zu. Es sind die Helden des Glaubens, die den Lauf bereits vor uns gemacht haben. Sie haben das Ziel bereits erreicht und warten auf uns. Das ist die Gemeinschaft, in der wir laufen.
Noch ein wichtiger Gedanke: wir haben gesehen, dass der Lauf, zu dem wir berufen sind, ein Langstreckenlauf ist. Vers 1 sagt: „Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der vor uns liegt.“ Es braucht Ausdauer. Beim Thema Sport fühlen sich häufig Männer etwas mehr angesprochen als die Frauen. Und gerade deshalb ist die nächste Beobachtung sehr interessant und relevant für die Damen unter uns: beim Langlauf sitzen Frauen und Männer im gleichen Boot. Beim 100 Meter Lauf würde man Frauen und Männer in der Regel nicht direkt gegeneinander antreten lassen. Der Weltrekord bei den Frauen liegt bei 10,49 Sekunden. Bei Männern liegt er bei 9,58 Sekunden (dank Usain Bolt muss man hierzu sagen). In der Welt des Sprints sind das Lichtjahre. Anders gesagt: eine Frauen-Weltrekordzeit zu laufen, würde für Männer noch nicht einmal ausreichen, um sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Aber je mehr sich die Laufdistanzen verlängern, desto unerheblicher werden die Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Der Grund ist einfach: die kurzen Distanzen werden vor allem durch Kraft entschieden. Und da sind Männer den Frauen überlegen. Aber je länger die Distanzen werden, desto unerheblicher wird die Kraft und desto mehr wird der Lauf durch Ausdauer entschieden; und durch die Fähigkeit, schmerzresistent zu sein. D.h., Frauen sind im Prinzip genau so gute Langstreckenläufer wie Männer.
Unser Leben im Glauben ist kein Sprint. Es ist ein Marathon. Es geht nicht darum der Schnellste zu sein. Es geht darum, ans Ziel zu kommen. Es geht nicht darum, wie viele wir unterwegs überholen. Es geht darum, ob wir überhaupt bis zum Ende laufen und kämpfen und durchhalten. Johannes Hartl berichtet von einer Statistik, in der Christen, die schon lange gläubig sind, zu ihrem geistlichen Leben befragt wurden. Es wurden folgende drei Fragen gestellt: „Ich erlebe, dass mich der Gottesdienst aufbaut. Ich erlebe, welche verwandelnden Auswirkungen der Glaube auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche hat. Zeiten des Gebets sind für mich eine inspirierende Erfahrung.“ Manche von den Befragten waren eine Jahr gläubig, andere 5 Jahre, 10-19 Jahre oder mehr als 20 Jahre. Erschreckenderweise wurde folgendes Phänomen festgestellt: je länger die Leute gläubig sind, desto negativer die Bewertung: Gottesdienst wird unwichtiger, das Gebet wird weniger hilfreich, der Glaube verliert an Kraft, je länger die Personen in einer Beziehung mit Gott leben.
Das ist eine deprimierende Statistik. Wie ist es bei uns? Wie ist es bei dir? Für mich persönlich kann ich sagen, dass es leider zutrifft; dass ich mir wünschen würde, dass meine Beziehung jedes Jahr mehr an Tiefe gewinnt. Wenn es euch ähnlich gehen sollte, vielleicht liegt es daran, dass wir das christliche Glaubensleben wie ein Sprint angegangen sind. Vielleicht liegt es daran, dass wir Hals über Kopf losgerannt bis wir an einem Punkt angekommen sind, an dem uns die Puste ausgegangen ist. Vielleicht gibt es unter uns einige, die sich innerlich leer fühlen. Vielleicht sind manche von uns müde, erschöpft und auch ausgebrannt.
Wenn es dir so ergehen sollte, dann gibt uns dieser Text Hoffnung. Der Lauf geht weiter. Und wir dürfen jetzt lernen, uns die Dinge anzugewöhnen, die uns helfen können, den Lauf erfolgreich zu beenden. Es geht hier nicht um das, was wir tun, damit es uns kurzfristig besser geht; damit wir kurzfristig wieder mehr Benzin im Tank haben; damit wir kurzfristig wieder etwas „on fire“ sind. Kennt ihr das: man hat gerade ein neues Diätprogramm angefangen; am Anfang geht man dreimal am Tag auf die Waage, um zu schauen, ob man auch wirklich abnimmt. Das Problem ist, dass unser Körpergewicht natürlichen Schwankungen unterworfen ist. D.h., das Abnehmen sieht man nicht sofort. Man sieht es erst später in der Summe nach einigen Wochen oder Monaten. Im geistlichen Leben machen wir das vielleicht auch so: dreimal am Tag auf die Waage, um zu sehen, ob es uns schon besser geht. Und darum geht es nicht. Die Frage ist, was wir tun können, um nachhaltig etwas zu verändern. Was können wir tun, damit wir längerfristig tiefer in Gott verwurzelt sind; damit längerfristig unsere Freude am Herrn wächst; damit längerfristig unser Gebetsleben Kraft und Dynamik entwickelt? Das Ermutigende ist: Ausdauer lässt sich lernen. Es gibt kleine Schritte, die wir unternehmen können: kleine Schritte, die am Anfang nach gar nichts aussehen; aber die über ein Jahr gesehen oder ein ganzes Leben gesehen einen riesigen Unterschied ausmachen können.
Und das bringt uns zum nächsten Punkt.

Zweitens, was wir dazu benötigen
Was ist es, was wir brauchen? Die Antwort finden wir in den Versen 4-11. Die Schlussfolgerung finden wir in Vers 11: „Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Leid; später aber gewährt sie denen, die durch sie geschult worden sind, Gerechtigkeit als Frucht des Friedens.“ Die Verse 4-11 scheinen auf der einen Seite das Thema abrupt zu wechseln. Aber es geht immer noch um die Frage, wie wir Leiden und Schmerzen mit dem christlichen Leben in Einklang bringen. Die erste Antwort darauf war, dass das christliche Leben ein langer Lauf ist, der entsprechend schmerzhaft ist. Und die andere Antwort ist, dass die Leiden, die wir erfahren, Gottes Züchtigung sind. Wie hängt das mit dem Laufen zusammen? Der Verfasser verwendet in Vers 11 ein interessantes Wort gymnazo. Es bedeutet üben, trainieren, schulen. Direkt danach folgt dann in den Versen 12 und 13 die Ermutigung: „Darum macht die erschlafften Hände und die wankenden Knie wieder stark und schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern vielmehr geheilt werden!“ D.h., es geht hier um unser Training, unsere Stärkung, unsere Befähigung für unser christliches Leben (der Lauf).
Leiden sind Gottes Züchtigung und Erziehung für uns. Und das ist auf jeden Fall ein Gedanke, mit dem wir uns näher auseinandersetzen müssen. Wir sind es überhaupt nicht gewöhnt, in diesen Kategorien über Leiden nachzudenken. Stellen wir uns vor, dass uns etwas Schlimmes passiert: wir haben einen Unfall; wir erwischen unsere Kinder dabei, wie sie etwas Blödes tun, wie Drogen zu nehmen; wir erfahren Krankheit und Schmerzen; ein enger Bekannter oder Freund verstirbt plötzlich. Unser erster Gedanke ist nicht: ich sehe schon, Gott will mich gerade wieder erziehen. Das ist mit Sicherheit das Letzte, was wir denken. Aber der Verfasser von Hebräer 12 pocht darauf. Er sagt, dass es haargenau das ist, was uns widerfährt. Vers 7: „Es dient zu eurer Erziehung, wenn ihr dulden müsst. Wie mit Kindern geht Gott mit euch um. Denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?“ Es erweckt den Anschein, als ob die schlechten Dinge, die uns passieren, intrinsisch gut sind.
Bevor wir fortfahren, müssen wir uns über zwei Dinge im Klaren sein. Das eine ist, Gott ist nicht für das Böse verantwortlich. Wisst ihr, es lässt sich einfach sagen: „Immer wenn du gerade leidest, denke dran: Gott tut das nur zu deinem Besten, um dich zu erziehen. Also mach nicht so ein Gesicht.“ Wir haben in Hebräer 10 gesehen, was für Leiden die Leser des Briefes hatten. Kapitel 10,32 spricht von einem harten Leidenskampf. Verse 33 und 34: „da ihr durch Beschimpfungen und Bedrängnisse öffentlich zur Schau gestellt wurdet oder mitgetroffen gewesen seid vom Geschick derer, denen es so erging; denn ihr habt mit den Gefangenen gelitten und auch den Raub eures Vermögens mit Freuden hingenommen…“ Die Christen wurden an den Pranger gestellt; sie wurden öffentlich gedemütigt und beschimpft; sie wurden ins Gefängnis geworfen; ihr Hab und Gut wurde geplündert. Und wenn wie das Glück hatten, all das nicht am persönlichen Leib erfahren zu haben, dann kannten sie zumindest andere Christen in ihrem unmittelbaren Bekannten- und Verwandtenkreis, denen genau das zugestoßen war. Aus der Geschichte wissen wir, dass das erst der Anfang der Leiden war, und dass unter den ersten Christen sehr viele als Märtyrer starben.
Frage: war das, was diesen Christen angetan wurde, Bosheit? War es niederträchtig? War es ungerecht? Und die Antwort ist: absolut ja! Das, was ihnen angetan wurde, war schrecklich. Es war nicht gut. Und genau deshalb ist es so wichtig zu differenzieren. Es war nicht Gott, der ihnen das angetan hatte. Es waren ihre Mitmenschen. Es waren die Mächtigen, die Amts- und Würdenträger ihrer Zeit, die dafür verantwortlich waren. D.h., wenn wir lesen, dass Gott uns züchtigt, sollen wir das nicht missverstehen als ob Gott derjenige wäre, der diese Bosheit initiiert hat. Wenn wir mit schlimmen und tragischen Ereignissen konfrontiert werden, ist es erst einmal nicht Gott, der uns das antut. Gott ist nicht für das Böse verantwortlich.
Was bedeutet es dann, dass Gott uns züchtigt? Einer der aufschlussreichsten und wichtigsten Verse dazu ist Genesis 50,20. Josef spricht zu seinen Brüdern: „Ihr habt Böses gegen mich im Sinne gehabt, Gott aber hatte dabei Gutes im Sinn, um zu erreichen, was heute geschieht: viel Volk am Leben zu erhalten.“ Die Brüder von Josef hatten mit Sicherheit nichts Gutes im Sinn gehabt, als sie Josef in die Grube geworfen und ihn als Sklaven verkauft hatten. Aber Gott hat diese böse Tat so gebraucht, dass maximal viel Gutes dadurch entstanden ist: die Rettung von vielen Menschenleben, die Veränderung von Josef zu einer großartigen Persönlichkeit und die Umkehr von seinen Brüdern. Hier ist das, was Gott also tut: Gott nimmt das Kaputte dieser Welt, und wendet es auf das Kaputte in unserem Leben an; Gott nimmt das Zerbrochene dieser Welt und wendet es auf das an, was in unserem Leben zerbrochen ist; Gott nimmt die Sünde in der Welt und wendet sie so auf uns an, dass unsere Sünde konfrontiert und behandelt wird. Er tut es mit der Präzision eines Chirurgen, so dass es uns nicht zerstört. Und er tut es mit der Liebe eines Vaters, so dass es in uns das Beste hervorbringt.
Das ist es, was Vers 11 sagt: „Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Leid; später aber gewährt sie denen, die durch sie geschult worden sind, Gerechtigkeit als Frucht des Friedens.“ Leiden sind Gottes Schule und Gottes Training, um uns heiliger zu machen. Er erzieht uns dadurch zu besseren Menschen.
Um kurz zusammen zu fassen: das Leben ist ein Marathonlauf; natürlich ist es schmerzhaft, ihn zu laufen. Aber Gott wendet die Leiden so auf unser Leben an, dass es uns nicht zerstört, sondern dass wir dadurch geheiligt werden.

Drittens, worauf wir schauen
Leiden können in Menschen entweder Positives oder Negatives hervorbringen. Leiden führen entweder dazu, dass Menschen verbittern und zynisch werden. Oder aber, Leiden führen dazu, dass wir reife, großartige Menschen werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass tragische Ereignisse, Unglück, Unrecht uns kaputt machen können. Es kann auf zwei unterschiedliche Dinge geschehen: wir denken entweder, dass wir das Leid nicht verdient haben oder wir denken, dass uns das Leid als Strafe geschehen ist, weil wir es verdient haben.
Wenn wir denken, dass wir die schlechten Dinge nicht verdient haben, dann tun wir das, weil wir selbstgerecht sind. Und dann führen Tragödien dazu, dass wir uns empören, dass wir zornig werden auf Gott und auf die Welt: „wie konntest du mir das antun? Wie konntest du nur so etwas in meinem Leben zulassen? Was habe ich getan, um so etwas zu verdienen?“ Häufig ist die Reaktion dann, dass wir zynisch werden. Wir werden aggressiv. Wir werden unfähig, mit anderen Menschen eine echte Beziehung einzugehen, weil Bitterkeit und Zorn ein Teil von uns sind.
Auf der anderen Seite: wenn wir unter dem Gedanken leiden, dass wir das Böse verdient haben, dann liegt das oftmals daran, dass wir uns selbst verdammen. Wenn wir von Tragödien heimgesucht werden, denken wir: „Das ist ja klar, dass das wieder mir passiert. Ich habe es ja nicht anders verdient, weil ich so schlecht bin. Wer sollte dann auch etwas Gutes für mich übrig haben.“ Und das wirklich Tragische ist, dass es von Gedanken begleitet wird wie: „Gott bestraft mich. Gott liebt mich nicht.“ Und das wiederum macht uns zu deprimierten, niedergeschlagenen Menschen. Es macht uns zu traurigen Früchtchen, die sich einfach nur selbst bemitleiden und sich selbst geißeln.
Leiden können uns wirklich kaputt machen, wenn wir auf uns selbst fokussiert sind. Beide Haltungen sind eine Form von Selbstzentriertheit. Was sollen wir stattdessen tun? Vers 2 sagt: „und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt.“ Natürlich lautet die Antwort: auf Jesus blicken. Wenn wir auf Jesus blicken, was sehen wir dann? Wir sehen Jesus, den Urheber und Vollender des Glaubens, der die schlimmsten Leiden und den Tod selbst auf sich genommen hat. Er ist das absolute und vollkommene Vorbild. Wir treten in seine Fußstapfen.
Jesus ist aber nicht einfach nur unser Vorbild. Er ist soviel mehr als das. Die Lutherbibel ist die einzige Übersetzung, die an dieser Stelle ein „obwohl“ setzt: „obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete…“ Alle anderen Übersetzungen schreiben hier „wegen“. Elberfelder Übersetzung sagt hier: „indem wir hinschauen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der um der vor ihm liegenden Freude willen, die Schande nicht achtete…“ Oder etwas freier die Neue Genfer Übersetzung: „Weil Jesus wusste, welche Freude auf ihn wartete, nahm er den Tod am Kreuz auf sich.“ Warum litt Jesus? Jesu litt nicht mit Zähneknirschen und Widerwillen. Jesus litt wegen der Freude, die auf ihn wartete.
Welche Freude erwartete auf Jesus? War es die Rückkehr zum Vater? War es die Herrlichkeit des Himmels? Was hat Jesus durch das Kreuz gewonnen, was er nicht vorher schon hatte? Die Antwort ist: wir. Jesus hat uns durch seinen Tod gewonnen. Wir sind die Freude Jesu. Jesus sah auf die Leiden und das Kreuz auf der einen Seite. Und er sah die Freude über unsere Rettung. Die Freude, uns zu haben überwog jedes Leid. Jesus litt, weil er sich darüber freute, uns zu haben. Jesus freut sich über dich. Das ist es, worauf wir schauen sollen, wenn wir leiden.
Wenn wir auf diesen Jesus sehen, dann verstehen wir zwei Dinge: zum einen, wir haben jedes Leid der Welt verdient; und zum anderen dürfen wir gleichzeitig wissen, dass kein Leid, das uns widerfährt, eine Strafe Gottes ist. Jesus, der Urheber und Vollender des Glaubens, hat unsere Strafe getragen. Am Kreuz hat der Vater seinen Sohn im Stich gelassen, um uns für alle Zeiten ein Vater zu werden. Ein guter Vater bestraft seine Kinder nicht. Ein guter Vater diszipliniert seine Kinder. Strafe bedeutet Vergeltung. Strafe ist der Versuch, Gerechtigkeit herzustellen: „du hast mir weh getan, also tue ich dir weh“. Disziplinierung hingegen bedeutet Zurechtweisung. Wir finden im ganzen NT keine einzige Stelle, die im Zusammenhang von Gott und seinen Kindern von Strafe spricht. Gott erzieht uns und diszipliniert uns; aber er wird uns nie, niemals bestrafen. Der Grund ist, weil Jesus am Kreuz die Strafe empfangen hat, die wir verdient hätten.
Schau auf Jesus. Jesus ist nicht nur unser Vorbild und unsere Inspiration. Er ist so viel mehr als das. Jesus ist derjenige, der unsere müden Herzen stärkt. Er ist derjenige, der uns ermutigt, wenn wir am Boden sind. Er ist derjenige, der unser Leid in Freude verwandelt. Er ist derjenige, der uns aufhilft, den Lauf zu Ende zu laufen, Schritt für Schritt.

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