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Bessere Gerechtigkeit
„Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“
(Matthäus 5,20)
Vor ein paar Wochen hatte ich einen Kollegen aus England getroffen. Wir saßen in einem Café, und er erzählte mir ein wenig, wie er aufgewachsen war. Er ist mit vier Geschwistern im Libanon aufgewachsen (Familien mit fünf Kindern sind mir zur Zeit aus unerklärlichen Gründen besonders sympathisch). Eines Tages kam er mit zwei seiner Schwestern von der Schule nach Hause. Seine Mutter stand auf dem Balkon. Sie wohnten im dritten oder vierten Stock. Und dann schrie seine Mutter: „Bleib wo du bist! Keinen Schritt weiter!“ Ihr Schreien war so laut, dass man es in der ganzen Nachbarschaft hören konnte. Dann ging sie in die Wohnung und kam mit einem Berg seiner Kleidung zurück. Und dann warf sie die Kleidung vom Balkon herunter. Dann rief sie: „Heb die Kleidung auf!“ Er gehorchte und hob seine Kleidung auf und kam an die Wohnungstür. Seine Mutter erlaubte ihm nicht, rein zu kommen. Stattdessen nahm sie ihm die Kleidung ab, nur um sie ein weiteres Mal vom Balkon zu werfen. Sie brüllte: „Geh raus und heb deine Kleidung auf!“ Er ging hinaus und hob seine Kleidung erneut auf. Die ganze Nachbarschaft wurde Zeuge dessen. Nach dieser öffentlichen Demütigung stand er vor der Wohnung. Und seine Mutter fragte ihn dann: „Wirst du ab jetzt dran denken, deine Kleidung nicht mehr auf dem Boden liegenzulassen?“ Und mein Kollege erzählte mir: „Ich habe meine Kleidung nie wieder auf dem Boden liegen lassen. Nie mehr!“
Seine Erzählung veranschaulicht auf wunderbare Weise, was es bedeutet, unter der Herrschaft von jemanden zu leben. Seine Mutter hat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass die Wohnung, die Familie ihr Königreich war. Und sie war unbestritten die Königin dieses Reiches.
Ob wir es wollen oder nicht, und ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, wir alle leben unter der Herrschaft von jemandem. In Matthäus 4,17 hatte Jesus die bahnbrechende Botschaft verkündigt: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“ Wir haben gesehen, dass dieses Himmelreich die wahre Realität ist. Das Königreich des Himmels, Gottes Königreich ist in Jesus Christus so nahe herbeigekommen, dass es greifbar ist. Jeder der will, kann und darf unter der Herrschaft Jesu leben. Jeder der will, kann und darf ein Bürger von Gottes Himmelreich werden. Wenn wir das wollen, dann müssen wir umkehren von unserer alten Weise, unser Leben zu führen.
Das ist der Kontext vom heutigen Text. Und es ist so wichtig, dass wir uns diesen Kontext immer und immer wieder vor Augen führen. Jesus erklärt uns, was es bedeutet, als Bürger des Himmelreichs im Hier und Jetzt zu leben. Der Schlüssel hier ist das Wort „Gerechtigkeit“.
Drei Dinge lernen wir über die Gerechtigkeit im heutigen Text. Erstens, das Fundament der Gerechtigkeit; zweitens, die Erfüllung der Gerechtigkeit; drittens, wie diese Gerechtigkeit uns verändert.
1. Das Fundament der Gerechtigkeit
In Vers 20 sagt Jesus: „Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Im deutschen Sprachgebrauch wird Gerechtigkeit häufig gleichgesetzt mit Fairness. Und es wird auch häufig eingesetzt im Kontext von sozialer Gerechtigkeit. Jesus sagte, dass unsere Gerechtigkeit besser oder weit größer sein muss als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Wenn wir uns jetzt die Frage stellen würden „wie schaut es mit deiner Gerechtigkeit aus?“, dann kann es sein, dass viele ein großes Fragezeichen über ihrem Kopf haben. Und der Grund, weshalb wir vielleicht Probleme damit haben, zu verstehen, weshalb Gerechtigkeit für uns so relevant ist, ist, dass das Wort nicht so einfach zu übersetzen ist.
Das griechische Wort für Gerechtigkeit ist dikaiosune. Der christliche Philosoph Dallas Willard machte die Anmerkung, dass die erste, systematische, philosophische Auseinandersetzung mit diesem Thema vermutlich bei Plato erfolgte in seinem Buch „Der Staat“. Dallas schreibt: „Dieses Buch ist eigentlich eine Studie über die menschliche Seele und über den Zustand, in dem sich die Seele befinden muss, damit der Mensch gut leben und das Richtige tun kann. Der erforderliche Zustand wird in »Der Staat« ebenfalls dikaiosune genannt. Das ist genau der Begriff, um den es Jesus in seiner Bergpredigt geht, wie wir ihn in der griechischen Sprache haben. In Platons Texten wird er gewöhnlich mit »Gerechtigkeit« übersetzt. Aber das ist wieder einmal eine unglückliche Übersetzung, denn dikaiosune hat nur indirekt mit dem zu tun, was wir heute unter Gerechtigkeit verstehen.“ Der große griechische Philosoph Plato hatte sich also auch schon mit der Thematik beschäftigt. Frage ist dann natürlich, was dikaiosune bedeutet.
Dallas Willard’s Vorschlag diesbezüglich war, dieses Wort zu paraphrasieren: „das, an einem Menschen, was ihn oder sie wirklich richtig und gut macht.“ Gerechtigkeit ist das an uns, was uns wirklich richtig und was uns wirklich gut macht. Und hier sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir hoffentlich zumindest anfangen zu merken, wie essenziell und lebensnotwendig dieses Thema für jeden einzelnen von uns ist. Es geht um die Frage, wie ein Mensch ein gutes Leben haben kann.
In dem Film „Ein Soldat namens James Ryan“ wird die Geschichte erzählt, wie ein amerikanischer Soldat, dessen Brüder alle im Krieg gefallen waren, gerettet wird. John Miller ist der Offizier, dem er schließlich sein Leben zu verdanken hat. Als Miller erschossen wird, sind seine letzten Worte an James Ryan: „Verdiene es dir.“ Jahrzehnte später kommt James Ryan als alter Mann zurück in die Normandie. Er steht vor dem Grab, wo Miller beerdigt ist. Am Grab spricht er mit seinem verstorbenen Offizier: „Meine Familie ist heute mit mir. Sie wollten mitkommen. Um ehrlich zu sein war ich mir nicht sicher, ob ich hierher zurückkehren wollte. Jeden Tag erinnere ich mich an die Worte, die du mir auf der Brücke gesagt hattest. Ich habe versucht, mein Leben auf die beste Weise zu leben, wie es mir möglich war. Ich hoffe, dass das ausreicht. Ich hoffe, dass ich mir zumindest in deinen Augen das verdient habe, was ihr für mich getan habt.“ Seine Ehefrau tritt an seine Seite. James Ryan sagt zu seiner Frau: „Sag mir, dass ich ein gutes Leben geführt gelebt habe. Sag mir, dass ich ein guter Mensch bin.“ Seine Frau ist zuerst verwundert, dann schaut sie auf das Grab, streicht ihm über das Gesicht und sagt ihm: „Das bist du.“
Im Grunde unseres Herzens sind das die Worte, die ein jeder von uns hören möchte. Jeder von uns will eigentlich ein gutes Leben führen. Jeder Mensch will eigentlich gut sein. Selbst die Menschen, die wir als unmoralisch, unanständig oder sogar bösartig wahrnehmen, wollen eigentlich gut sein. Ich glaube nicht, dass die Bösewichter dieser Welt morgens aufstehen und sich sagen: „Har, har … heute will ich etwas ganz Schlimmes anstellen und ein richtig schlimmer Schuft sein.“ Selbst die Diktatoren und die Tyrannen wollen moralisch sein. D. h., du und ich, wir haben in unseren Herzen eine Sehnsucht nach dem, was gut ist. Wir wollen Gerechtigkeit, und wir selbst wollen gerecht sein. Wir wollen das haben, was uns zu guten und richtigen Menschen macht.
Das Problem aber ist, dass diese Gerechtigkeit nichts ist, was wir uns selbst zusprechen können. Um noch einmal auf den Veteranen James Ryan zurück zu kommen: Er hofft, dass sein verstorbener Offizier ihm bestätigen kann, dass sein Leben ausreichend gut war. Aber der Offizier Miller sagt nichts, weil er tot ist. Und deshalb wendet er sich an seine Ehefrau: „Sag mir, dass ich ein gutes Leben geführt habe. Sag mir, dass ich ein guter Mensch bin.“ Aber reicht die Bestätigung seiner Frau wirklich aus?
In Vers 17 sagt Jesus uns, was der Maßstab ist: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.“ Das Fundament der Gerechtigkeit ist das Gesetz und die Propheten. Wenn wir das Wort Gesetz hören, dann denken wir fast unvermeidlich an Regeln und an Gesetzestexte wie aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch oder die Zehn Gebote.
Aber das „Gesetz und die Propheten“ war die gängige Art und Weise, wie die Juden das gesamte Alte Testament bezeichnetet hatten. Jesus bezieht sich auf die ganze Schrift, angefangen von Genesis bis hin zum Propheten Maleachi. Das AT enthält Gebote (613 um genau zu sein), und einige wenige dieser Gebote diskutiert Jesus in den folgenden Versen. Wir werden uns die nächsten Wochen damit beschäftigen. Aber der Großteil des AT ist Narrative. Das AT erzählt die Geschichte der Schöpfung, die Geschichte der Stammväter, die Geschichte der Geburt und Befreiung Israels bis zu ihrem Exil und darüber hinaus. Und aus dieser Geschichte lässt sich folgern und ablesen, wer Gott ist und welche Maßstäbe Gott hat.
Was ist die Essenz von Gottes Geboten? Jesus wurde einmal nach dem höchsten Gebot befragt. Jesus hätte an dieser Stelle antworten können: „Na hör mal, alle Gebote sind von Gott und deshalb gleich wichtig.“ Aber das sagte Jesus nicht. Stattdessen antwortete er in Matthäus 22: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Danken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Gott über alles zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst ist die Essenz vom Gesetz und den Propheten. Und das ist es, was der Gerechtigkeit Gottes zu Grunde liegt.
2. Die Erfüllung der Gerechtigkeit
In den Versen 18 und 19 sagt Jesus dann: „Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.“
Jesus erklärt hier den Anspruch. Wir haben gesagt, dass die Essenz des AT ist, Gott über alles zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Und die Frage ist, bis zu welchem Grad? Und Jesus antwortet: absolute Vollkommenheit. Ein Jota könnte man als i-Tüpfelchen ansehen, ein Häkchen als das Strichlein im kleinen „t“ zum Beispiel. Alles muss erfüllt werden. Allem soll gehorcht werden. Gott soll vollkommen geliebt werden und wir sollen unsere Nachbarn vollkommen lieben. Frage: Welcher Mensch kann diesem Anspruch auch nur annähernd gerecht werden?
Gunnar Kaiser erzählte in einem persönlichen Video wenige Wochen vor seinem Tod, wie die Krebserkrankung dazu geführt hatte, zu beten. Sprichwörtlich sagte er im Video dann folgendes: „Wenn das jetzt zu Ende geht, möchte ich alles tun, um meine Seele ins Himmelreich kommen zu lassen.“ Der Titel des Videos lautet: „Habe ich genug getan?“ Und dann stellt er diese nagenden Fragen: „Habe ich genug gebetet? Habe ich genug gebeten? … Habe ich genug getan? … Habe ich genug Schlechtes unterlassen? Habe ich nicht nur genug getan, habe ich es auch gut genug getan?“
Oder um noch einmal eine Referenz aus einem Film zu erwähnen: Am Ende des Films Schindlers Liste, steht Oskar Schindler vor all den Menschen, die alle ihr Leben ihm zu verdanken haben. Itzhak Stern überreicht ihm als Dankeschön einen goldenen Ring auf dem die Worte des Talmuds eingraviert sind: „Wer einen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt“. Und plötzlich bricht Schindler zusammen. Er stammelt: „Ich hätte mehr tun können …, wenn ich nur …, ich weiß nicht, wenn ich nur …, ich hätte mehr tun können.“ Stern sagt: „Oskar, hier stehen 1.100 Menschen, die am Leben sind deinetwegen. Schau sie an.“ Aber er kann nicht. Er sagt: „Ich hätte mehr Geld verdienen können. Ich habe so viel Geld verschwendet, du hast keine Ahnung. Ich habe nicht genug getan. Dieses Auto, warum habe ich das Auto behalten? Zehn weitere Menschen hätte ich holen können, zehn weitere Menschen …“ Er bricht zusammen und weint, und niemand kann ihn trösten. Oskar Schindler ist unbestritten ein Held. Und in seinem Zusammenbruch zeigt sich, dass selbst die besten Menschen dem Gesetz und den Propheten nicht gerecht werden können.
Welche Hoffnung gibt es dann für uns? Wenn wir uns noch einmal den Vers 17 ansehen, dann sehen wir, dass Jesus das Wort „erfüllen“ verwendet. Matthäus hatte dieses Wort bereits mehrfach in seinem Evangelium verwendet. Als Maria schwanger war, sieht Josef im Traum einen Engel. Und der Engel sagt ihm: „Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat.“ In Matthäus 2,15 lesen wir: „Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat …“ Und zwei Verse weiter: „Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia gesagt worden ist.“ Und im gleichen Kapitel in Vers 23: „Denn es sollte sich erfüllen, was durch die Propheten gesagt worden ist.“ Es gibt noch weitere Beispiele. Matthäus sagt uns unmissverständlich, dass sich durch Jesus die Schrift es AT erfüllte.
Und das ist nicht alles. Als Jesus starb, waren die letzten Worte, die er sprach: „Es ist vollbracht.“ Was Jesus hier zum Ausdruck brachte, war, dass er durch seinen Tod alle Forderungen des Gesetzes erfüllt hatte. Jesus war Gott vollkommen gehorsam gewesen; er wurde unschuldig verurteilt, und er ist für alles das gestorben, was wir verbockt haben: für alle unsere Sünden, unsere Missetaten, unsere Fehltritte, unseren Aufstand gegen Gott. Jesus hat das Leben gelebt, das wir hätten leben sollen. Jesus ist den Tod gestorben, den wir verdient hätten. Er ist die Erfüllung der ganzen Heiligen Schrift. In ihm erfüllt sich das ganze AT.
Was heißt das für unsere Gerechtigkeit? Jesus sagte, dass wenn unsere Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Für die Menschen damals müssen diese Worte ein echter Schreckmoment gewesen sein. Wir assoziieren Pharisäer mit Heuchler. Aber tatsächlich waren die Pharisäer damals so ziemlich die diszipliniertesten und religiösesten Menschen, die es gab. Das ist wie, wenn man sagen würde: „Wenn du nicht heiliger bist als der Papst“ oder „wenn du nicht frommer bist als Mutter Teresa“. Wer um alles in der Welt ist gerechter und besser als die besten dieser Welt?
Aber es gibt eine Gerechtigkeit die weit größer und besser ist, als die der heiligsten Menschen. Es ist die Gerechtigkeit Jesu. Und wenn wir an diesen Jesus glauben, dann spricht uns Gott diese Gerechtigkeit zu. Die Gerechtigkeit des Himmelreichs ist die Gerechtigkeit der Gnade. Niemand im Himmelreich kann sagen, dass er oder sie es verdient hat, gerecht zu sein. Niemand im Himmelreich kann sagen: „Ich habe genug getan.“ Unser Bekenntnis ist: „Jesus hat genug getan. Jesus hat das ganze Gesetz erfüllt. Jesus hat alles vollbracht. Wir leben aus dem Geschenk seiner Gnade.“ Die Gerechtigkeit wurde durch Jesus erfüllt.
3. Wie diese Gerechtigkeit uns verändert
Betrachten wir noch einmal Vers 20: „Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Die Gerechtigkeit der Pharisäer war vor allen Dingen eine äußerliche Gerechtigkeit. In Matthäus 23,28 sagte Jesus: „So erscheint auch ihr von außen den Menschen gerecht, innen aber seid ihr voll Heuchelei und Gesetzlosigkeit.“ In praktisch allen menschlichen Gesellschaftsformen, zählt primär die äußere Gerechtigkeit: Es geht um das äußere Verhalten, die äußerlich sichtbare Regelkonformität, die guten Werke, die man sehen kann.
Aber die Gerechtigkeit des Himmels ist eine andere. Sie zielt darauf ab, unser Inneres zu verändern. Unter der Herrschaft Gottes geht es nicht nur um unseren äußeren Gehorsam; es geht auch um die innere Herzensmotivation, weshalb wir gehorchen. Hier sind ein paar Beispiele. Wer von euch hat schonmal bei einer Klassenarbeit oder einer Klausur abgeschrieben oder mit einem Spickzettel gearbeitet? Wem von euch ist es mal passiert, dass ihr eure Hausaufgaben vergessen hattet, und anstatt das dem Lehrer zu beichten, dachtet ihr, dass es eine bessere Idee ist, in der 5-Minutenpause vor dem Unterricht die Hausaufgaben noch schnell abzuschreiben? Oder etwas ernster: Wer von euch hat schon mal was geklaut?
Abschreiben und Klauen sind äußerlich sichtbare Verhaltensweisen. Und vermutlich sind viele von euch zu ehrlich, um abzuschreiben oder zu stehlen. Hier ist jetzt die 1-Millionen Euro-Frage: Warum seid ihr ehrlich? Seid ihr deshalb ehrlich, weil ihr echte Achtung vor dem habt, was gut und recht ist? Oder seid ihr deshalb ehrlich, weil ihr einfach nur Angst davor habt, erwischt zu werden? Seid ihr vielleicht nur deshalb ehrlich, weil ihr Angst vor negativen Konsequenzen habt? Und angenommen, ihr wüsstet, dass niemand euren Diebstahl sieht und dass es keine Bestrafung dafür gibt und ihr die 500 Euro, die einfach so daliegen, wirklich gut gebrauchen könntet und ihr davon auch noch den Zehnten von opfern könntet, wärt ihr immer noch ehrlich?
Und stellen wir uns vor, wir werden dabei ertappt, während wir etwas Krummes anstellen. Stellen wir uns vor, du wirst als Kind beim Naschen ertappt, mit der Hand in der Keksdose, und der ganze Mund ist mit Schokolade verschmiert und sagst: „Es tut mir so leid!“ Dann stellt sich die Frage: Was tut dir leid? Tut es dir leid, weil dir bewusst ist, dass du etwas getan hast, was nicht in Ordnung war. Oder tut es dir leid, weil du dabei erwischt wurdest? Ist es echte Reue und Buße? Oder ist es lediglich die Reue des Ertappten, der auf ein milderes Urteil hofft? Und an allen diesen Beispielen lässt sich ablesen, dass es um unser Herz geht. Wer regiert dein Herz?
Wie wird unser Inneres verändert? Olivétan hatte das Neue Testament auf Französisch herausgebracht. Der Reformator Johannes Calvin schrieb eine ausführliche Einleitung zu dieser Ausgabe. In seiner sehr theologischen Einleitung spricht er über die frohe Botschaft, die wir in Jesus Christus haben: „Daraus folgt, dass alles Gute, das wir denken oder wünschen können, allein in diesem Jesus Christus zu finden ist. Denn er wurde verkauft, um uns freizukaufen; er wurde gefangen, um uns zu befreien; er wurde verurteilt, um uns freizusprechen; er wurde zum Fluch, um uns zu segnen, zum Sündopfer, um uns gerecht zu machen; er wurde entstellt, um uns schön zu machen.
Er starb für unser Leben; so dass durch ihn der Zorn besänftigt, die Finsternis in Licht verwandelt, die Furcht beruhigt, die Verachtung verachtet, die Schuld aufgehoben, die Arbeit erleichtert, die Traurigkeit fröhlich gemacht, das Unglück zum Glück gemacht, die Schwierigkeit vereinfacht, die Unordnung geordnet, die Spaltung geeint, die Schmach geadelt, die Rebellion unterworfen, Einschüchterung eingeschüchtert, der Anschlag vereitelt, der Angriff abgewehrt, Kraft zurückgedrängt, der Kampf bekämpft, Krieg bekriegt, Rache gerächt, Qual gequält, Verdammnis verdammt, der Abgrund in den Abgrund gesenkt, die Hölle gefesselt, der Tod tot, Sterblichkeit unsterblich gemacht wurde. Kurzum, die Barmherzigkeit hat alles Elend verschlungen und die Güte alles Unglück.“
Und was ist die Konsequenz dessen für unser Leben? Calvin schreibt: „Wir sind zufrieden in allen Dingen, egal in welchem Land, Ort, Stand, Kleidung, Speise und alles, was dazu gehört. Und wir sind getröstet in der Trübsal, fröhlich in der Trauer, rühmen uns der Schmähungen, sind reich in der Armut, gewärmt in der Blöße, geduldig in allem Übel, leben im Tod.“
Auf sprachlich wunderbare Art und Weise zeigt uns Calvin den Schatz, den wir in Jesus Christus haben. Jesus erfüllte das ganze Gesetz für uns! Er, der eine und einzige Gerechte, starb für uns die Ungerechten, weil er uns unendlich liebt. Die Liebe Gottes ist die einzige Kraft des Universums, die dein Herz verändern kann. Wenn diese Wahrheit in unsere Herzen sinkt, dann verändert das unser Inneres. Wenn diese Wahrheit unsere Herzen berührt und erneuert, dann entsteht in uns eine Gerechtigkeit, die besser und weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Und wir werden das Himmelreich sehen.