Paulus zog nach Jerusalem hinauf
Nach diesen Tagen machen wir uns fertig und zogen hinauf nach Jerusalem.“
(Apostelgeschichte 21,15)
„Reise nach Jerusalem“ ist ein bekanntes Gesellschaftsspiel. Beim Spiel versucht jeder sich so schnell wie möglich auf einen Stuhl zu setzen, sobald die Musik gestoppt wird. Wer sich keinen Platz erkämpft, scheidet aus.
Nun möchte ich mit euch eine echte Reise nach Jerusalem betrachten. Als die Evangelisation durch Paulus in Ephesus ihren Höhepunkt erreichte, nahm sich Paulus vor, nach Rom zu reisen. In Apg 19,21 steht: „Als das geschehen war, nahm sich Paulus im Geist vor, durch Makedonien und Achaia zu ziehen und nach Jerusalem zu reisen, und sprach: Wenn ich dort gewesen bin, muss ich auch Rom sehen.“
Warum er zuerst nach Jerusalem reisen wollte, erklärte er in seinem Brief an die Gemeinde in Rom:
„Jetzt aber reise ich nach Jerusalem, um den Heiligen zu dienen. Denn Makedonien und Achaia haben eine Gabe der Gemeinschaft beschlossen für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem. Sie haben’s beschlossen, denn sie sind auch ihre Schuldner. Denn wenn die Heiden an ihren geistlichen Gütern Anteil bekommen haben, ist es recht und billig, dass sie ihnen auch mit irdischen Gütern dienen.“ (Römer 15,25-27)
Also wollte er die Spenden, die von den Gemeinden in Europa gesammelt wurden, der Gemeinde in Jerusalem zur Sicherheit selbst aushändigen.
Die Stelle in Apg 20,16 erklärt, dass Paulus sich beeilte, bis zum Pfingsttag in Jerusalem zu sein. Lesen wir die Verse Apg 20,22-24 zusammen: „Und nun siehe, durch den Geist gebunden, fahre ich nach Jerusalem und weiß nicht, was mir dort begegnen wird, nur dass der Heilige Geist mir in allen Städten bezeugt, dass Fesseln und Bedrängnisse auf mich warten. Aber ich achte mein Leben nicht der Rede wert, wenn ich nur meinen Lauf vollende und das Amt ausrichte, das ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes.“ Paulus wusste nicht, was ihm genau in Jerusalem begegnen wird. Er wusste nur durch den Heiligen Geist, dass Fesseln und Bedrängnisse auf ihn warteten. Dennoch wollte er seinen Reiseplan nach Jerusalem nicht ändern, da er dort das Evangelium von der Gnade Gottes bezeugen wollte.
Für diese Reise nahm Paulus folgende Mitarbeiter mit: Sopater aus Beröa, aus Thessalonich Aristarch und Sekundus und Gajus aus Derbe und Timotheus, aus der Provinz Asien Tychikus und Trophimus (Apg 20,4). Der Verfasser Lukas steht nicht in der Liste, doch er war sicher auch dabei.
Paulus erreichte zuerst Tyrus mit seinem Reiseteam. Als sie dort die Jünger vorfanden, blieben sie 7 Tag bei ihnen. Die Jünger in Tyrus warnten Paulus davor, nach Jerusalem weiterzureisen. Der Heilige Geist hatte sie wissen lassen, welche Gefahren ihm dort begegnen würden. Sie zogen weiter nach Ptolemais. Dort blieben sie einen Tag bei den Brüdern. Am nächsten Tag zogen sie weiter nach Cäsarea, wo der Evangelist Philippus wohnte. Dorthin kam der Prophet Agabus aus Judäa. Er nahm den Gürtel von Paulus und band sich die Füße und Hände. Dann sprach er: Die Juden in Jerusalem werden ihn so binden und den Heiden ausliefern. Wiederum baten alle, die Paulus liebten, dass er nicht nach Jerusalem hinauf zöge.
Auf ihre Bitte antwortete er nur so: „Warum weint ihr und macht mir das Herz schwer? Ich bin nicht nur bereit, mich in Jerusalem gefangen nehmen zu lassen, ich bin auch bereit, dort für Jesus, den Herrn zu sterben. Weil er fest entschlossen war, hörten sie auf, ihn zu überreden und sagten: Des Herrn Wille geschehe.“ (Apg 21,13.14)
Lesen wir den Apg 21,15 zusammen. „Und nach diesen Tagen machten wir uns fertig und zogen hinauf nach Jerusalem.“ Obwohl alle Paulus baten, nicht nach Jerusalem zu reisen, wurde die Reise nach Jerusalem nicht gestoppt.
Schließlich erreichte Paulus mit seinem Reiseteam die Jerusalem. Lesen wir den Vers Apg 21,17 zusammen. „Als wir nun nach Jerusalem kamen, nahmen uns die Brüder gerne auf.“ Es hat sich gelohnt, trotz aller Warnung dorthin zu kommen, weil die Brüder Paulus und die Heidenchristen gerne aufnahmen. Gemeinsam gingen sie zu Jakobus, der die Gemeinde leitete. Bei ihm versammelten sich die Ältesten. Als Paulus sie begrüßt hatte, berichtete er ausführlich, was Gott unter den Heiden durch seine Arbeit getan hatte. Was war ihre Reaktion auf seinen Bericht? Sehen wir uns den Vers Apg 21,20a an: „Als sie aber das hörten, lobten sie Gott.“ Sie erkannten darin die Überwindung der Grenze zwischen den Juden und den Heiden und erkannten die Arbeit von Paulus unter den Heiden als Gottes Werk an. Somit wurden die Heidenchristen aufgenommen, so dass sie mit den Judenchristen zusammen den Leib Christi bilden durften. Es war eine lange Geschichte, dass die Juden mit den Samaritern keine Gemeinschaft hatten. Darüber hinaus betrachteten die Juden die Heiden wie Hunde. Aber Jakobus und die Ältesten lobten Gott, als sie den Bericht von Paulus hörten.
Doch dann äußerten sie ihre Befürchtung. Und zwar missverstanden tausende Judenchristen Paulus. Sie meinten: Paulus lehrt alle Juden den Abfall von Mose. Ihrer Meinung nach sei Paulus gegen ihre Ordnung und ihre Tradition. Weil sie alle für das Gesetz eiferten, konnten sie Paulus nicht tolerieren. Daher gab die Gemeindeleitung in Jerusalem Paulus einen Rat, um das Missverständnis abzubauen. Paulus sollte in den Tempel gehen und den Juden öffentlich zeigen, dass er alle vom Gesetz geforderten Reinigungsvorschriften erfüllte. Durch diese Aktion sollte Paulus beweisen, dass alle Gerüchte über ihn nicht wahr seien. Paulus nahm diesen Vorschlag an. Eine Woche lang lief alles ohne irgendeinen Zwischenfall. Als die sieben Tage zu Ende gingen, sahen ihn die Juden aus der Provinz Asien im Tempel. Sie schrien: „Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden lehrt gegen unser Volk, gegen das Gesetz und gegen diese Stätte; dazu hat er auch Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte entweiht.“ (21,28) Das ganze Volk wurde durch sie erregt und die ganze Stadt geriet in Aufruhr. Die Juden ergriffen Paulus und schleppten ihn aus dem Tempel, um ihn zu töten.
Da kam die Nachricht davon hinauf vor den Oberst der Abteilung, dass ganz Jerusalem in Aufruhr sei. Als die er mit seinen Soldaten zu ihnen kam, hörten sie auf, Paulus zu schlagen. Obwohl der Oberst wissen wollte, wer Paulus wäre und was er getan hätte, konnte er keine genaue Information bekommen. Denn jeder sagte etwas anderes. Wegen des Gedränges der Menge mussten die Soldaten Paulus in die Burg tragen. Die Volksmenge folge und schrie: Weg mit ihm!
In so einer dramatischen Lage bat Paulus den Oberst, ihm zu erlauben, zu seinem Volk zu reden. Der Oberst ignorierte die Bitte von Paulus nicht, sondern erlaubte sie. In Kapitel 22 erzählte Paulus seine Bekehrungsgeschichte. Er sprach von seiner jüdischen Herkunft, von seiner Ausbildung durch den bekannten Lehrer Gamaliel, von seinem Eifer für Gott und er bekannte ihnen: Er sei ein Verfolger der Christen gewesen. Aber Jesus besuchte ihn, als er nach Damaskus reiste, um die Christen dort festzunehmen. Weil ein helles Licht seine Augen blendete, wurde er blind. Dennoch ließ Jesus ihn wieder sehen. Jesus schickte ihm seinen Diener Hananias. Obwohl Paulus gegen die Christen gewesen war, wurde seine Sünde abgewaschen. Als Paulus von Damaskus nach Jerusalem zurückkam, sprach Jesus zu ihm, Jerusalem schnell zu verlassen. Eigentlich wollte Paulus seinem Volk von Jesus erzählen. Aber damals sagte Jesus zu ihm: „Sie werden dein Zeugnis von mir nicht hören.“ (21,18) „Geh hin; denn ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden.“ (22,21) Das war die Bekehrungsgeschichte von Paulus. Als die Juden Paulus bis dahin zugehört hatten, erhoben sie ihre Stimme und riefen: „Hinweg mit diesem von der Erde! Denn er darf nicht mehr leben.“ (22,22b) Auf die Erzählung über seine Bekehrung reagierten die Juden voller Empörung. Aus Wut schrien sie und zerrissen ihre Kleider.
Als Paulus in Ephesus seine dritte Missionsreise beendete, nahm er sich vor, nach Jerusalem zu reisen. Für die Reise sammelte er Spenden von den Gemeinden, um die hungerleidende Gemeinde in Jerusalem zu unterstützen. Trotz aller Warnungen vor den Gefahren reiste er nach Jerusalem. Nun begegneten ihm Fesseln und Bedrängnisse, wie es ihm mehrfach gesagt wurde.
Als mir dieser Predigttext zugeteilt wurde, fing ich an, darüber nachzudenken, was der Text aussagen will. Sicher kann die Entschlossenheit von Paulus für den Herrn zu sterben ein Punkt sein. Seine Reise nach Jerusalem erinnerte mich an den Weg Jesu nach Jerusalem. In Lukas-Ev. 9,51 lesen wir dazu: „Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, dass er in den Himmel aufgenommen werden sollte, da wandte er das Angesicht, entschlossen, nach Jerusalem zu wandern.“ So wie Jesus entschlossen nach Jerusalem wanderte, wollte auch Paulus unbedingt nach Jerusalem reisen. Warum zog er nach Jerusalem hinauf, obwohl Gefahren auf ihn warteten? Ein Grund sein, dass er die gesammelten Spenden sicher zur Muttergemeinde gebracht werden sollten. Daher konnte er diese Aufgabe nicht anderen überlassen, sondern wollte unbedingt selbst die Gabe aushändigen. Zum anderen kann es sein, dass die Heidenchristen als ein Teil des Leibes Christi von der Muttergemeinde anerkannt werden sollen. Eigentlich wurden die Heidenchristen schon längst als ein Teil des Leibes Christi akzeptiert. Dennoch gab es viel Missverständnisse über sie. Durch den Besuch wollte er die Gemeinschaft zwischen den Brüdern in Jerusalem und den Heidenchristen stärken. Darum nahm er auch mehr als 7 Mitarbeiter, die meist Heidenchristen waren, auf die Reise mit.
Diese zwei genannten Gründe könnten eine dafür Erklärung sein, warum Paulus nach Jerusalem ging. Obwohl die zwei Gründe plausibel klingen, fragte ich mich weiterhin: Warum reiste Paulus hinauf nach Jerusalem? Als Antwort fand ich einen weiteren Grund. Im Römerbrief 9,1-3 sagt Paulus: „Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. Denn ich wünschte, selbst verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch.“ Seit seiner Bekehrung war er die ganze Zeit unterwegs für die Menschen, die Juden waren. Jesus berief ihn, um ihn zu den Heiden zu senden. Daher war er dem Auftrag des Herrn durch seine erste, zweite und dritte Missionsreise gehorsam. Nach diesen „Dienstreisen“ hatte er noch vor, auch Rom zu besuchen und danach nach Spanien zu reisen. Bis ans „Ende der Welt“ wollte er für den Herrn seine Missionsaufgabe erfüllen. Aber in seinem Herzen hatte er ein ungelöstes Problem, nämlich große Traurigkeit und Schmerzen. Sein eigenes Volk war verflucht und von Christus getrennt, während die Heiden, die ohne Gott lange Jahre gelebt haben, gesegnet werden. Sein Wunsch war, an Stelle seiner Stammverwandten selbst verflucht zu werden und von Christus getrennt zu werden, wenn sie dadurch gerettet werden könnten. Darum kann ich sagen, dass seine Liebe zu seinem Volk der Juden ihn nach Jerusalem geführt hat. Es wäre nur allzu menschlich, wenn er Angst vor den Gefahren in Jerusalem hätte. Viele Male hat er Gefahren durch sein eigenes Volk erlebt. Die Verse aus Römerbrief 15,30-32 zeigen, dass er um die Gebetsunterstützung bat, um vor den Ungehorsamen errettet zu werden: „Ich ermahne euch aber, Brüder und Schwestern, durch unsern Herrn Jesus Christus und durch die Liebe des Geistes, dass ihr mir kämpfen helft und für mich zu Gott betet, dass ich errettet werde vor den Ungehorsamen in Judäa und mein Dienst, den ich für Jerusalem tue, den Heiligen willkommen sei, damit ich mit Freuden zu euch komme nach Gottes Willen und mich mit euch erquicke.“ Er war sich dessen bewusst, dass die Juden versuchen würden, ihn zu töten. Dennoch liebte er sein Volk mehr als sein Leben. Wie kann man seine Liebe auf menschliche Weise verstehen? Paulus bekannte in seinem Brief an die Galater: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20) Paulus selbst kann die Menschen nicht lieben, aber Jesus Christus, der in ihm lebt, liebt die Menschen, die ihn hassen. Als Jesus vor Pilatus verhört wurde, schrien die Juden: „Kreuzige ihn“. Aber am Kreuz betete Jesus zu Gott: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Das gleiche hörte Paulus von seinem Volk: „Hinweg mit diesem von der Erde! Denn er darf nicht mehr leben.“ Trotz ihrer Ablehnung wollte er seine letzte Kraft dafür nutzen, ihnen die Gnade der Vergebung zu bezeugen. Er berechnete nicht, was sein Zeugnis bringen würde. Sein Zeugnis kann nur ein törichter Versuch sein, weil sein Volk nicht zuhören wird. Aber seine Tat wird unauslöschlich ins Herz Gottes geschrieben. Als Stephanus gesteinigt wurde, stand Paulus in der Nähe und hörte: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Stephanus Tod sah vergeblich aus, weil Paulus dadurch nicht bekehrt wurde. Aber sein Tod war wie ein Same, der ins Herz Gottes eingepflanzt wurde. Paulus, der Verfolger der Gemeinde wurde zum Apostel verändert. Wer hätte das gedacht? Aber Gott bringt zu seiner Zeit seine Früchte. Wer weiß, wann unsere Mitmenschen das Evangelium aufnehmen und Gott loben werden? Die Liebe Christi, die Paulus befähigt hat, nach Jerusalem zu reisen, haben wir ebenso empfangen. In uns wohnt Christus, der sein Leben für uns hingegeben hat und auferstanden ist. Das ist die Antwort, warum wir trotz aller Gefahren und Verlusten die anderen Menschen lieben können. Lasst uns „hinauf nach Jerusalem ziehen“, wo Fesseln und Bedrängnisse auf uns warten. Unser Alltag kann unser Jerusalem sein. Unser Arbeitsplatz kann für uns unser „Jerusalem“ sein. Wo die Menschen sind, die uns geringachten und nicht akzeptieren, da ist unser „Jerusalem“. Aber gerade dorthin können wir gehen, weil Christus in uns wohnt. Es mag sein, dass unser Dasein keine Bedeutung für unsere Mitmenschen zu haben scheint. Aber wir können etwas bleibendes ins Herz Gottes schreiben, indem wir unsere Mitmenschen lieben. Zu seiner Zeit wird er seine Früchte bringen. Das ist unser Glaube. Amen.