Predigt: Apostelgeschichte 2,1 – 21 (Pfingsten 2021)

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Das Kommen des Heiligen Geistes

„Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“

(Apostelgeschichte 2,4)

Pünktlich zu Pfingsten schreibt der Spiegel Online folgendes: „Kein Pfingstwunder, nirgends. Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Was es mit dem auf sich hat, ist so leicht nicht zu verstehen. Dies aber ist theologische Absicht. Hier geht es ja um überirdische Mächte, die aus sich heraus geheimnisvoll sein sollen. Grob zusammengefasst lässt sich sagen, dass dieser Geist, wenn er denn über einen kommt, neue Kraft bewirkt. Der Besuch des Heiligen Geistes gilt als Pfingstwunder.“ So weit der Spiegel. Der skeptische Unterton ist halt Spiegel. Der negative Unterton liegt daran, dass es um die Kirche nicht so gut bestellt ist. Die Spiegel Titelgeschichte diese Woche handelt davon, dass in Deutschland scharenweise Christen aus der katholischen Kirche austreten. Die Menschen sind desillusioniert und enttäuscht von der Kirche. Was die Kirche braucht, und das, was wir alle brauchen, ist eine Erfüllung mit dem Heiligen Geist.
Apostelgeschichte 2 handelt vom Kommen des Heiligen Geistes. Eine ganz kurze Erklärung, was dieser Text nicht ist: dieser Text ist keine Anleitung, wie man den Heiligen Geist empfängt. Wir finden hier keinen 5-Punkteplan, der, wenn man ihn befolgt, zum Erfolg führt. Dieser Text ist auch kein Musterbeispiel dafür, wie Erfüllung mit dem Heiligen Geist aussehen muss, im Sinne von: genau so muss das Kommen des Geistes aussehen und nicht anders. Wir können hier keine Prinzipien ableiten, welche Zeichen und Manifestationen mit dem Heiligen Geist einhergehen müssen. Wenn der Text also keine Punkt-für-Punkt Anleitung und auch nicht das Beispiel schlechthin ist, wie sollten wir den Text lesen? Wie sollten wir den Text verstehen? Apostelgeschichte ist in erster Linie eben genau das: eine Geschichte. Es ist ein Bericht. Und genau so wollen wir das heute lesen. Wir lesen Apostelgeschichte 2 als einen Tatsachenbericht von einem einzigartigen Ereignis: das Pfingstwunder.
Der Text zeigt uns, wie der Heilige Geist kam. Wir erfahren hier erstens, die Umstände, zweitens, die Erscheinung und drittens die Auswirkung des Kommens vom Heiligen Geist.

Erstens, die Umstände
Der Heilige Geist kam nicht irgendwann. Er kam nicht an einem willkürlichen, zufälligen Tag in der Geschichte. Vers 1 sagt: „Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort.“ Er kam zum Pfingstfest. Wie die meisten von euch wissen, war Pfingsten auch vorher schon ein wichtiger Feiertag. Pfingsten war zunächst eine Art Erntedankfest. Das Volk Israel brachte zu diesem Fest die ersten Früchte der Ernte dar. Es war sowohl ein Dankfest; und vermutlich war es auch ein Gebet, dass der Rest der Ernte gut ausfallen möge.
Aber Pfingsten war noch mehr als das. Das wichtige Jahresfest vor Pfingsten war das Passafest. Beim Passa wurde der Exodus gefeiert: das Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, aus dem Land ihrer Knechtschaft und Sklaverei. Pfingsten fand 50 Tage nach dem Passafest statt. Das Volk Israel befand sich zu diesem Zeitpunkt am Berg Sinai. An diesem Berg erscheint die Herrlichkeit Gottes. Gott schließt mit seinem Volk einen Bund. Israel empfängt das Gesetz. Und was bedeutet das Empfangen von Gottes Geboten? Die Gebote (und das ist wichtig, dass wir das verstehen) wurden im Kontext eines Bundes gegeben, den Gott mit den Israeliten am Berg getroffen hatte. Das Gesetz ist in erster Linie für sie. Für uns hat es erst einmal keine moralisch bindende Relevanz, weil wir nicht Teil dieses Bundes sind. Israel bekommt das Gesetz als Ausdruck ihres neuen Lebens. Das Gesetz bestimmt fortan, wie sie ihr Leben führen sollen.
Die Ereignisse bei der Erscheinung des Heiligen Geistes reflektieren diese Feste des AT. Und gleichzeitig bekommen die Feste des AT eine völlig neue Bedeutung. Sieben Wochen vorher hatte Jesus mit seinen Jüngern Passa gefeiert. Es war ein Passafest wie so viele hunderte Passafeste vorher. Und doch war alles ganz anders. Jesus wird das wahre Passalamm: er wurde für uns geschlachtet; er ist für uns gestorben. Und das wiederum führte zu einem ganz anderen Exodus. Jesus führt uns aus der wahren Knechtschaft und Sklaverei heraus. Er macht uns frei von unseren wahren Feinden: nicht von Menschen, sondern von Sünde und Tod. Genau wie Mose die Israeliten zum Berg geführt hat, führt Jesus uns zu einem Berg. Es ist nicht mehr der Berg Sinai, der mit Feuer brennt und wo alle Menschen, die sich unrechtmäßig diesem Berg nahen, sterben. Hebräer 12,22 sagt: „Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hinzugetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung.“ Das ist unser Berg.
Was bedeutet das? Das NT löst das AT ab. Der alte Bund wird vom neuen Bund überholt. Im alten Bund ging es um das, was wir tun; es ging um unseren Gehorsam und um unser Tun. Im neuen Bund geht es in erster Linie um Jesu Gehorsam und um das, was Jesus für uns getan hat. Im alten Bund ging es vor allem um äußere Performance und sichtbare Leistungen. Im neuen Bund geht es erst einmal um unsere Innerlichkeit, um das, was unsichtbar in unseren Herzen ist. Der Heilige Geist kommt im Kontext des neuen Bundes. Er zeigt uns, wer Jesus ist, was er für uns getan hat. Er schreibt Jesu Liebe und Jesu Gebote in unsere Herzen. Er verändert unser Inneres. Genauso wie das Gesetz Moses den Israeliten einen neuen Lebensstil auferlegt, steht das Kommen des Geistes für das neue Leben, das wir mit Jesus führen dürfen.
Wir sehen noch einen weiteren wichtigen Umstand. Es ist ein Aspekt, der mir erst vor wenigen Jahren aufgefallen ist. Das Kommen des Heiligen Geistes steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Reich Gottes. Vielleicht ist das eines der wichtigsten Aspekte, um Apostelgeschichte richtig zu lesen. Am Anfang des Buches lesen wir, dass Jesus in den letzten Tagen, in denen er physisch mit seinen Jüngern zusammen war, zwei Dinge tat: er zeigte ihnen, dass er wirklich auferstanden ist und lebt; und er redete mit ihnen vom Reich Gottes. Vierzig Tage lang redet Jesus mit ihnen von Gottes Königreich. In Vers 6 fragen die Jünger: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Früher dachte ich, dass die Jünger Jesus missverstanden hatten. Aber es geht Jesus um das Reich für Israel. Am Ende von Apostelgeschichte schließt sich der Kreis. Paulus sagt: „Denn um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Fesseln.“ Und das Buch endet mit den Worten: Paulus „verkündete das Reich Gottes und lehrte über Jesus Christus, den Herrn – mit allem Freimut, ungehindert.“ Als Petrus am Pfingsttag die Predigt hält, ist die Schlussfolgerung seiner Rede: „Mit Gewissheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Christus gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt.“ Die Botschaft von Petrus lautete: Jesus ist König und Herr; Jesus regiert. Durch König Jesus ist Gottes Herrschaft hier auf Erden angebrochen. Das Kommen des Heiligen Geistes ist die Manifestation dessen. Es geht um das Reich Gottes.
Zwei Gründe, warum das wirklich wichtig für uns ist. Viele vor allem evangelikale Christen haben eine etwas zu einfache Vorstellung, worum es im christlichen Glauben geht. Manche denken, dass es einfach nur darauf ankommt, gerettet zu werden, damit man nicht in die Hölle kommt, und in den Himmel gehen kann, wenn man stirbt. Viele evangelikale Christen denken, dass die frohe Botschaft die minimalen Voraussetzungen sind, die man glauben oder erfüllen muss, um es gerade so in den Himmel zu schaffen. Aber das ist nicht das Evangelium, das Jesus verkündigt hat. Ich habe schon öfters erwähnt, dass die Hoffnung der ersten Christen nicht darin bestand, in den Himmel zu gehen, wenn sie sterben. Ihre Hoffnung war die Auferstehung von den Toten. Ihre Hoffnung war das Reich Gottes: nicht als ein Ort zu dem man hingeht, wenn man stirbt; sondern als der Bereich der Herrschaft Gottes, der im Hier und Jetzt zu erfahren ist. Das Evangelium ist die frohe Botschaft, dass Jesus der König ist. Im Vater Unser hat Jesus uns gelehrt, dass wir dafür beten sollen, dass sein Reich komme. Gottes Willen soll auf Erden geschehen, so wie er im Himmel geschieht. Mit anderen Worten, Christen beten und leben dafür, dass der Himmel herabkommt im Hier und Jetzt.
Zum anderen, eine Königreichperspektive hilft uns, eine ausgewogene Theologie zu haben, was Rettung angeht. Um eine ganz stark vereinfachte Zusammenfassung vom Problem zu geben: auf der einen Seite haben wir die eher liberalen Christen, die quasi aufgehört haben, Sünde und Vergebung zu predigen und nur noch wohltätige Projekte machen. Und das sage nicht nur ich; selbst die Zeit schrieb: „Die evangelische Kirche scheut das klare Wort, vor allem wenn es um Glaubensinhalte geht. Doch wer niemanden erschrecken will, hat es auch schwer zu überzeugen.“ Auf der anderen Seite sind die eher konservativen Freikirchen, die als Gegenbewegung dazu vor allem Umkehr von den Sünden predigen. Aber wohltätige Aktivitäten, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz haben eine geringe Priorität. Kurze Frage an uns: wo befinden wir uns auf dieser Skala? Es gibt leider nicht so viele christliche Gemeinden, die beides tun.
Die ersten Christen sind aber weder links noch rechts vom Pferd gefallen. Für sie gab es kein Entweder Oder. Sie waren beidem hingegeben: sie hatten sowohl ein Herz für Sünder als auch ein Herz für die Armen; sie haben sowohl Menschen zu Jesus bekehrt als auch die Armen versorgt; sie haben sowohl Gemeinde gebaut als auch soziale Gerechtigkeit gefördert. Sie haben sowohl evangelisiert und missioniert, als auch ihre Stadt zu einem besseren Ort für alle gemacht. Warum? Weil es das ist, was im Reich Gottes geschieht. Es ist das, was König Jesus tut. Jesus predigte das Reich Gottes und heilte Menschen und trieb böse Geister aus und gab ihnen zu essen. Und das ist es, was der Heilige Geist tut. Er ist der Geist Christi. Er selbst ist die Gegenwart von König Jesus unter uns.

Zweitens, die Erscheinung
Das Kommen des Heiligen Geistes ist ein übernatürliches Wunder. Wir lesen in Vers 2: „Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.“ In Vers 3 ist die Rede von Zungen wie von Feuer. Auf der einen Seite verwendet Lukas zwei Bilder, die den Juden im ersten Jahrhundert sehr geläufig sein mussten: Wind und Feuer. Es gibt im AT mehrere Erscheinungen Gottes, die mit Wind und Feuer verbunden sind. Das heißt Wind und Feuer machen durchaus Sinn. Das Problem ist hier aber, dass der Text das nicht sagt. Es gab ein Brausen. Aber der Text sagt „wie ein heftiger Sturm“. Vermutlich war es kein Sturm. Und die Zungen, die sich niederlassen waren wie Feuer. Aber es war kein Feuer. Mit anderen Worten, eigentlich wissen wir gar nicht, was da passiert ist. Das einzige, was wir auf jeden Fall festhalten können, ist, dass es kraftvoll und herrlich und übernatürlich war. Es fehlen uns die Worte, es richtig zu beschreiben.
Wir sehen als nächstes, dass das Kommen des Heiligen Geistes ein individuelles Ereignis war. Wir sehen das in den Versen 3 und 4: „Und er erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt.“ Der Heilige Geist erfüllt jetzt nicht nur einige von ihnen, wie z.B. nur die 12 Apostel. Der Heilige Geist kam nicht nur auf die Männer herab. Der Text sagt, dass alle erfüllt wurden. Jeder der anwesenden Geschwister machten diese Erfahrung. Jeder erfuhr subjektiv, wie es ist, mit dem Heiligen Geist erfüllt zu werden. Jeder für sich genommen erfuhr die Kraft Gottes. Für jeden von ihnen war es eine persönliche Begegnung zwischen Gott und ihnen.
C.S. Lewis erlebte die Gegenwart des Heiligen Geistes, als er ein Student in Oxford war. Er sagte folgendes: „Christus begegnet Männern und Frauen auf unterschiedliche Weise. Wenn ich versuche, die damalige Erfahrung zu beschreiben, verwende ich die Bildersprache der Grals-Vision. So kam es mir vor. Es gab aber keine wahrnehmbare Vision. Da war nur der Raum mit seinen schäbigen Möbeln und dem Feuer, das im Rost brannte, und der rot schattierten Lampe auf dem Tisch. Aber der Raum war erfüllt von einer Gegenwart, die auf seltsame Weise sowohl um mich herum als auch in mir war wie ein Licht oder eine Wärme. Ich war überwältigend besessen von jemandem, der nicht ich selbst war. Und doch fühlte ich mich mehr ich selbst als je zuvor. Ich war erfüllt von intensivem Glück und fast unerträglicher Freude, wie ich sie noch nie zuvor oder seither gekannt hatte. Und insgesamt war da ein tiefes Gefühl von Frieden und Sicherheit und Gewissheit.“ Das war Pfingsten für C.S. Lewis. Erfüllung mit dem Heiligen Geist ist also eine sehr persönliche, individuelle Angelegenheit.
Auf der anderen Seite, war das erste Pfingsten definitiv eine gemeinschaftliche Erfahrung. Der Heilige Geist kam, als alle zusammen waren. Wer war zusammen? Wir sehen in Kapitel 1, dass es vor Pfingsten eine Gemeinschaft von Christen gab, die 120 Menschen umfasste. Viele sagen ja, dass Pfingsten der Geburtstag der Gemeinde war. Das mag in gewisser Weise auch stimmen. Aber ganz korrekt ist das nicht. Das griechische Wort für Gemeinde ist ja ekklesia; die aus der Welt Herausgerufenen. Die 120 Männer und Frauen waren die aus der Welt Herausgerufenen. Sie waren die Gemeinde Jesu. Sie wurden jetzt alle gemeinsam vom Geist erfüllt. D.h., der Geist Gottes erfüllte ein Gefäß, das bereits vorhanden war, die Gemeinschaft der ersten Christen.
Wir fassen zusammen: der Heilige Geist kam mit einer übernatürlichen, geheimnisvollen Kraft; die Erfüllung mit dem Heiligen Geist war persönlich; und gleichzeitig war sein Kommen eine gemeinschaftliche Erfahrung.

Drittens, die Auswirkung
Wir sehen die Auswirkungen in den Versen 6 und folgende: „Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden.“ Wir wissen nicht genau, wo sich die Jünger Jesu befanden, als der Heilige Geist kam. Wo immer sie auch waren, verlassen die geisterfüllten Jünger das Haus. Eine große Menschenmenge versammelt sich um sie herum. Und jeder ist verwundert, weil jeder sie in seiner Sprache reden hört. Das Kommen des Heiligen Geistes bedeutet, dass das Evangelium nicht mehr nur für ein einziges Volk ist. Die frohe Botschaft ist für alle Menschen in allen Nationen in allen Kulturen in allen Gesellschaften zu allen Zeiten. Und diese frohe Botschaft sollte in allen Sprachen dieser Welt gepredigt werden.
Was sind die Konsequenzen dessen? Was bedeutet das? Mini-Exkurs: vor einigen Jahren hatte ich mit meinem ehemaligen Chef ein Gespräch über den Glauben. Er sagte etwas flapsig: „Die Religionen sind doch alle gleich.“ Nein, das sind sie natürlich nicht. (Ich hatte daraufhin erklärt, dass im Christentum eine Person im Zentrum steht, der für seine Feinde am Kreuz stirbt und beim Sterben dafür betet, dass Gott den Menschen, die ihm das angetan haben, vergeben möge. So etwas gibt es in keiner anderen Religion). Ein wesentlicher Unterschied ist die Tatsache, dass das Christentum keine originale Sprache und Kultur hat. Zum Beispiel, ein ehemaliger Muslim hat das Christentum mit dem Islam verglichen. Und er kommt zu dem Schluss, dass Allah ein arabischer Gott ist. Er spricht arabisch. Der Koran ist arabisch, und nur der arabische Koran ist der originale Koran. Ihrer Tradition nach wurde der Koran durch den Engel Gabriel dem Propheten Mohammed Wort für Wort diktiert. Arabisch ist die Originalsprache. Alle Übersetzungen sind vielleicht nützliche Erklärungen und Hilfestellungen. Aber die Übersetzungen sind nicht das Wort Allahs.
Im Christentum hingegen gibt es das nicht. Die Autoren der Bibel hatten noch nicht einmal eine einheitliche Originalsprache. Das NT wurde in Alt-Griechisch geschrieben. Der größte Teil des AT wurde auf Hebräisch geschrieben. Daniel und Esra wurden auch noch in aramäisch geschrieben. D.h., es gibt nicht das „originale Wort Gottes“. Die Bibel hat schon immer in Übersetzungen zu den Menschen gesprochen. Wir alle lesen Übersetzungen der Bibel, und können in den meisten Fällen recht gut verstehen, was damit gemeint ist. Warum ist das so?
Hier ist eine andere Beobachtung. Es gibt keine Religion auf der Welt, die kulturell so vielfältig und vielseitig ist, wie das Christentum. Beispiel: wenn ich die Predigt vorbereite, haben meine Predigten meistens drei Teile. Davon abgesehen, mache ich mir über drei Dinge Gedanken: Was sagt der Text? Was bedeutet das, was der Text sagt? Und was bedeutet es für uns? Und für die Bedeutung des Textes und die Bedeutung für uns mache ich mir Gedanken, was es für unsere Zeit und für unsere Gesellschaft bedeutet. Ich versuche das in Dialog zu setzen, mit dem, was wichtige Denker und Autoren schreiben. Ich versuche das in Zusammenhang zu bringen, mit dem was aktuell in den Medien ist. Ich versuche einen minimalen intellektuellen Anspruch zu erfüllen. Der Grund weshalb ich das tue, ist nicht, weil ich euch quälen möchte, sondern weil ich persönlich der Ansicht bin, dass es das ist, was hoffentlich junge Menschen und vielleicht auch Studenten ansprechen könnte, hier in Deutschland.
Ganz wichtig: wenn wir in manchen Teilen von Afrika oder Asien oder Südamerika wären, dann wäre das vermutlich ein völlig verkehrter Ansatz. Oder wir brauchen noch nicht einmal so weit zu gehen: wenn man für Kinder predigt, müsste man das ganz anders aufziehen. In vermutlich keiner anderen Religion in der gesamten Geschichte der Menschheit hat es einen Glauben gegeben, der so vielfältig und so multikulturell gepredigt, gelehrt und gelebt wird wie das Christentum.

Hier sind ein paar Anwendungen für uns. Das Kommen des Heiligen Geistes lehrt uns Demut und Sensitivität im Bezug auf unsere eigene Kultur. Kurze Frage an euch: wer von euch hatte schon mal Gedanken wie: „unsere Gemeinde ist bibeltreuer als andere; in unserer Gemeinde wird mehr Wert auf Jüngerschaft gelegt als in anderen Gemeinden; wir haben besser verstanden, was die Bibel sagt, als andere?“ Wer von uns hatte jemals solche Gedanken? Ich hatte solche Gedanken. Ständig. Und ich muss extrem aufpassen, dass ich nicht zurückrutschen in solche Vorstellungen. Oder Musik: vielleicht gibt es manche unter uns, die sagen: wie kann man nur diese alten verstaubten Lieder aus dem 19. Jahrhundert gut finden? Die haben keinen Beat, sie reißen nicht mit, sie haben keine eingängigen Texte, sie sind leblos und langweilig. Auf der anderen Seite mag es Leute geben, die sagen: diese modernen Worship-Lieder sind so primitiv und oberflächlich und laut; und dann sind sie ja auch noch alle auf Englisch, das spricht doch keiner hier in Deutschland. Die meisten von diesen Gedanken sind unterbewusst. Wir merken das noch nicht einmal, weil wir uns keine Gedanken darüber machen, weshalb wir so fühlen und denken. Aber der Grund weshalb wir so fühlen und denken ist, dass jeder von uns gewisse kulturelle Vorprägungen und Präferenzen hat. Und das Problem dabei ist, dass man die eigenen kulturellen Vorstellungen und seine kulturellen Werte auf das Christentum überstülpt. Es ist eine Form von Überheblichkeit. Und der Heilige Geist tut das nicht.
Es gibt noch so viele Anwendungen, über die wir reden könnten. Eine Letzte zum Abschluss: der Text ermutigt uns dazu, Kommunikation zu einem Herzensanliegen zu machen. Ein älterer Freund von mir hatte mir erzählt, wie seine Frau einmal geweint hatte und zu ihm gesagt hatte: „Du versteht mich nicht.“ Und er sagte dann zu ihr: „Ich glaube, ich weiß was du meinst. Ich glaube ich verstehe ein wenig wie du dich fühlst!“ Und sie sagte dann: „NEIN!!!“ Und er sagte dann: „Und weißt du, sie hatte recht. Ich hatte sie gar nicht verstanden.“ Oder Tim Keller erzählte einmal, wie seine Frau zu ihm sagte: „Wir haben ein Kommunikationsproblem.“ Er antwortete daraufhin: „Das sehe ich nicht so.“ Und sie sagte dann: „Wenn ich sage, dass wir ein Kommunikationsproblem haben, dann haben wir ein Kommunikationsproblem, okay?“ Und Tim Keller sagte: sie hatte recht. Wenn eine von zwei Parteien sich nicht gehört und nicht verstanden fühlt, dann gibt es Kommunikationsproblem ganz egal, was die andere Person denkt. Wir könnten eine ganze Predigt nur darüber halten. Kommunikation ist unglaublich schwierig. Selbst zwischen zwei Personen, die sich nahestehen, ist Kommunikation unglaublich hart und herausfordernd. Wir sprechen alle eine unterschiedliche Sprache.
Das Wunder von Pfingsten war es, dass jeder Mensch die frohe Botschaft in seiner Sprache hören konnte. Das war das Wirken des Heiligen Geistes. Und mindestens genauso war es das Wirken des Heiligen Geistes, als Luther in mehr als 12 Jahren Arbeit die Bibel ins Deutsche übersetzte. Genauso war es das Wirken des Heiligen Geistes, dass die vollständige Bibel heute in 694 Sprachen gelesen werden kann; das NT kann in mehr als 1500 zusätzlichen Sprachen gelesen werden. Es gibt das Wunder des Geistes, der in einer Sekunde alle Sprachbarrieren beseitigt. Und es gibt das Wunder des Geistes, das in jahrelanger, geduldiger, strapaziöser, stiller Arbeit Ausdruck findet, um zu übersetzen, zuzuhören, sich zu verständigen. Beides ist das Tun des Geistes.
Der Text sagt, dass alle, die beisammen waren, mit dem Geist erfüllt wurden. Unser Gebet heute sollte sein, dass das einmal mehr bei uns der Fall sein wird.

 

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