Predigt: Apostelgeschichte 2,1-21

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Pfingsten: das Alte und das Neue

„Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.“

(Apostelgeschichte 2,1.2)

Die Apostelgeschichte beginnt mit einer Frage. Die Jünger fragen Jesus: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ Und das Buch endet mit Apostel Paulus in Rom in Ketten, der folgendes bekennt: „Denn um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Fesseln.“ Wir könnten es auch anders formulieren. Die Apostelgeschichte beginnt damit, dass Jesus mit seinen Jüngern vom Reich Gottes spricht. Und sie endet damit, dass Paulus frei vom Reich Gottes spricht. Die Apostelgeschichte handelt von Israel und von dem, wie sich die Botschaft vom König der Juden ausbreitete.
Während unseres Studiums dieses Buches möchte ich euch gerne einladen, ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, auch in unserem Text über das Pfingstwunder. In dieser kurzen Predigt wollen wir über drei Punkte nachdenken. Erstens, was ist alt? Zweitens, was ist neu? Und drittens, was bedeutet es für uns?

1. Was ist alt?
Wir finden die Antwort in Vers 1. Wir lesen da: „Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort.“ Das Alte ist das Pfingstfest. Es gab das Pfingstfest schon seit vielen hunderten von Jahren. Vielleicht hilft eine kleine Analogie. Wenn wir das Wort Lego hören, dann denken wir an kleine Plastiksteinchen mit Noppen. Aber mittlerweile gibt es viele Spielzeughersteller, die praktisch die gleichen Plastiksteine produzieren. Wenn wir jetzt Bausteine von diesen alternativen Herstellern sehen würden, würden die meisten von uns immer noch von Lego sprechen, obwohl es kein Lego ist. Warum? Weil Lego im allgemeinen Sprachgebrauch ein Gattungsbegriff geworden ist. Wenn jemand uns fragt „hast du vielleicht ein Tempo?“ oder „hast du Tesa?“ oder „kann ich dein Labello haben?“, verstehen die meisten von uns, dass damit Taschentücher, Klebeband und Lippenpflegestift gemeint sind. Man vergisst, dass es sich um Markennamen handelt und dass sich eigentlich hinter diesen Namen mehr verbirgt.
Genauso verbinden wir mit Pfingsten dieses eine Pfingstwunder. Aber das Pfingstfest war erst einmal ein jüdisches Fest. Es war ein Fest, bei dem die Juden, ihren Erstling der Weizenernte opferten. Es war ein Erntedankfest, bei welchem dafür gebetet wurde, dass Gott den Rest der Ernte segnen möge. Aber das war längst nicht alles. Pfingsten leitet sich vom griechischen Wort pentekoste ab, was „fünfzig“ bedeutet. Pfingsten war der 50. Tag nach dem Passafest. 50 Tage nach dem Auszug aus Ägypten waren die die Israeliten am Berg Sinai angekommen. An diesem Berg hatten die Israeliten das Gesetz erhalten. Gott hatte mit ihnen einen Bund geschlossen. Gott hatten ihnen gesagt: „Ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.“ Das, was die Juden im ersten Jahrhundert mit dem Pfingstfest verbanden, hatte mit nichts weniger als mit ihrer Identität und ihrem Selbstverständnis als Volk Gottes zu tun.
D. h., das Pfingstwunder geschah nicht in einem Vakuum. Es ist zuerst einmal die Fortsetzung von dem, was Gott mit dem Volk Israel begonnen hatte. Es ist eine Fortsetzung vom Passafest. Vor zwei Wochen hatte ich über Psalm 1 gepredigt. In meiner Predigt hatte ich gesagt, dass wir die Bibel nicht einfach als ein Buch von Regeln und Gesetzen lesen sollten. Wir sollten die Bibel primär als eine Geschichte lesen: die Geschichte zwischen Gott und Israel. Abgesehen von der Tatsache, dass diese Geschichte so zentral in der Bibel ist, ist diese Geschichte absolut relevant für uns.
Alex Motyer, ein Theologe des Alten Testaments, wurde einmal gefragt, ob das Alte Testament und das Neue Testament miteinander vereinbar sind. Seine Antwort war: „Die gesamte Bibel steht unter dem Motto: ‚Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein‘. In der ganzen Bibel findet sich derselbe Weg der Erlösung: Wir vertrauen auf die Verheißungen Gottes und werden gerettet. Ich würde die Einzigartigkeit und Einheit des Volkes Gottes, die sich durch die ganze Bibel zieht, besonders hervorheben. Wir sind das Volk Gottes. Die [frühen Gläubigen] hätten niemals zulassen dürfen, dass die Leute in Antiochia ihnen den Spitznamen Christen geben. Unser richtiger Name ist Israel.“
Kennt ihr die „Unendliche Geschichte“ von Michael Ende? Sie handelt von einem Jungen namens Bastian Balthasar Bux, der ein Außenseiter ist und in der Schule schikaniert wird. Er fängt an, ein Buch zu lesen, das die unendliche Geschichte heißt und von dem Reich der Fantasien handelt. Aber es bleibt nicht einfach beim Lesen. Irgendwann wird er in die Geschichte hineingezogen und ein Teil dieser Geschichte. Und das tut die Bibel mit uns. Wir werden hineingezogen in die Geschichte, weil die Geschichte zwischen Gott und Israel auch unsere Geschichte ist.

2. Was ist neu?
Wir finden die Antwort in Vers 2: „Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm dahinfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.“ Der Heilige Geist kam wie ein Sturmwind. Er kam in einer sichtbaren und erlebbaren Manifestation von Gottes Kraft. Vers 3 berichtet von etwas, das aussah wie Feuerzungen. Diese Zungen verteilten sich und ließen sich auf die Jünger nieder. Das Neue ist nicht nur, dass der Heilige Geist kam. Das Besondere und das Neue ist die Universalität seines Kommens.
Im AT sehen wir in einigen Stellen, wie der Geist Gottes herabkam. Am Ende des Buches Exodus sehen wir, wie der Künstler und Handwerker Bezalel beim Bau der Stiftshütte mit dem Geist Gottes erfüllt wurde. Der Geist gab ihm die Befähigung für all die künstlerischen Tätigkeiten, die er brauchte. Im Buch Richter lesen wir, wie der Geist Gottes auf einige der Richter fiel, zum Beispiel auf Otniel oder Simson. Bei Simon äußerte sich das Erfülltsein mit dem Geist Gottes darin, dass er einen Löwen mit bloßen Händen zerreißen konnte oder 1.000 Philister verprügeln konnte. Die Erfüllung mit dem Geist im AT waren individuelle Ereignisse. In den meisten Fällen waren es einzelne Menschen, die das besondere Privileg hatten, mit dem Geist erfüllt zu werden.
Wir sehen einen großen Kontrast dazu in Vers 4: „Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen gab.“ Es waren ungefähr 120 gläubige Menschen, die sich in Jerusalem zum Gebet versammelt hatten. Alle von ihnen wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt. Alle von ihnen empfingen die Kraft Gottes, die über sie kam. Alle von ihnen erfuhren den Geist, sowohl Männer als auch Frauen.
Wir sehen die Universalität seines Kommens noch in einer anderen Tatsache. Die Augenzeugen des Pfingstwunders waren sehr international: „Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber.“ Die Zuhörerschaft in Jerusalem war so international wie sie nur sein konnte. Zweimal erwähnt unser heutiger Text, dass jeder der Anwesenden die Jünger jeweils in seiner Muttersprache hören konnte.
Die meisten Ausleger sind sich darin einig, dass hier das Ereignis vom Turmbau zu Babel wieder rückgängig gemacht wurde. Beim Turmbau zerstreuten sich die Menschen, weil sie alle anfingen, eine unterschiedliche Sprache zu sprechen. Hier kamen Menschen zusammen, die eigentlich alle eine unterschiedliche Muttersprache hatten. Sie alle wurden vereint in der Tatsache, dass sie die Jünger Jesu Gottes große Taten verkündigen hörten. Der Heilige Geist steht allen Menschen offen. Und der Heilige Geist verleiht die Gabe, alle Menschen, aller Sprachen und aller Kulturen anzusprechen. Das ist das Neue, das Gott hier in der Apostelgeschichte tut.

3. Was bedeutet es für uns?
Zwei Dinge können wir für uns persönlich mitnehmen. Zum einen, der Heilige Geist ist auch für uns. Vorhin habe ich gesagt, dass der Heilige Geist auf alle versammelten Gläubigen fiel, auf alle 120 Nachfolger Jesu, Männer und Frauen. Das Neue ist, dass auf eine vorher noch nie da gewesene Art und Weise, Gottes Geist und Gegenwart allen Menschen offensteht, auch uns im Hier und Jetzt.
Eine sehr passende Illustration von N.T. Wright war: „Stellen wir uns vor, wir schauen die Wetternachrichten. Es ist Sturm angesagt. Am Fernseher sehen wir die Wolkenbänder vom Sturm, wir sehen die Linien und die Pfeile. Es gibt uns eine ungefähre Ahnung, wie groß der Sturm ist, wohin er sich bewegt, wie immens seine Auswirkungen sein könnten. Aber es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen im-Fernsehen-etwas-über-den-Sturm-zu-lernen und wirklich im Sturm zu stehen, wenn er über uns hinwegweht.“ Die Geschichte, die wir heute gelesen haben, ist erst einmal ein historischer Bericht, von dem, was geschehen ist. In gewisser Weise lesen wir das erst einmal wie wir im Fernsehen den Wetterdienst schauen würden.
Aber Gott will, dass es nicht dabei bleibt. Er will, dass wir uns dem „Wind“ und der „Feuer“ des Heiligen Geistes aussetzen. Er will, dass wir als Individuen und als Gemeinde diese Kraft des Himmels erfahren. Der alttestamentliche Prophet Habakuk betete: „HERR, ich höre die Kunde, / ich sehe, HERR, was du früher getan hast. Lass es in diesen Jahren wieder geschehen, / offenbare es in diesen Jahren! Auch wenn du zürnst, denk an dein Erbarmen.“ (Hab 3,2) Es ist ein wunderbares und passendes Gebet. Wir dürfen dafür beten: „Gott, das, was du bei diesem Pfingstfest getan hast, tue es wieder. Gieße erneut deinen Heiligen Geist aus. Komme noch einmal mit deiner großen Macht! Besuche uns erneut mit deinem Wind und mit deinem Feuer!“
Das zweite ist, der Heilige Geist ist wie ein Feuer, das uns trotzdem nicht verbrennt. Beim ersten Pfingstfest in der Wüste am Berg Sinai, hatte der ganze Berg geraucht. Das Volk war nicht eingeladen, auf diesen Berg zu steigen. Im Gegenteil, sie wurden eindringlich davor gewarnt, es zu tun. Nicht nur das, das Volk hatte auch kein sonderliches Interesse, sich diesem Berg zu nahen, weil sie Furcht und Angst hatten. Die Gegenwart Gottes war schrecklich und war furchteinflößend. Nur eine Person durfte sich Gott nahen, und das war Mose. Ich weiß nicht wie es bei dir ist. Vielleicht sehnst du dich nach Erfüllung mit dem Heiligen Geist. Vielleicht fühlst du dich aber auch eher wie einer vom Volk Israel am Berg Sinai: Du willst dich nicht wirklich auf Gott einlassen, weil du Angst davor hast, etwas zu verlieren; oder weil du weißt, dass dein Leben nicht okay ist; oder weil du weißt, dass Gottes Kraft absolut unberechenbar ist und du dich davor fürchtest.
In Chroniken von Narnia gibt es einen interessanten Dialog über Aslan, den Löwen. Susan fragt: „Ist er wirklich ungefährlich? Ich wäre ziemlich nervös, wenn ich einem Löwen begegne.“, „Das wirst du, meine Liebe, und das ist kein Fehler“, sagte Frau Biber. „Wenn es jemanden gibt, der vor Aslan auftreten kann, ohne dass ihm die Knie schlottern, ist er entweder mutiger als die meisten anderen oder einfach nur dumm.“, „Dann ist er nicht ungefährlich?“, fragte Lucy. „Ungefährlich?“, sagte Herr Biber, „hörst du denn nicht, was Frau Biber dir erzählt? Wer hat etwas von ungefährlich gesagt? Natürlich ist er nicht ungefährlich. Aber er ist gut. Er ist der König, sage ich dir.“
Und hier ist der Widerspruch: auf der einen Seite ist Gott so gut; es ist gut in seiner Gegenwart zu sein; es ist gut mit dem Heiligen Geist erfüllt zu werden; es ist gut, Gott ganz nah zu sein. Es gibt nichts Besseres, weil Gott unendlich gut ist. Aber gleichzeitig ist es so gefährlich. Gott ist ein verzehrendes Feuer. Gott ist ein starker Sturm, der lebensgefährlich ist. Warum war die Gegenwart Gottes für die Jünger Jesu der sicherste Ort an diesem Tag? Wie konnte es sein, dass sie an diesem Tag wie brennende Dornbüsche waren, die doch nicht vom Feuer verzehrt wurden?
Die Antwort ist: Dieses Pfingstfest, von dem hier die Rede ist, war das wahre Pfingstfest nach dem wahren Passa. Wenige Wochen zuvor hatten sie mit Jesus gemeinsam das Abendmahl gefeiert. Sie hatten das Brot gebrochen, sie hatten den Wein getrunken. Aber keines der Evangelien erwähnt ein Lamm. Wie konnten sie ein Passafest ohne Lamm feiern? Das Lamm war nicht auf dem Tisch. Das Lamm war am Tisch. Jesus ist das wahre Lamm Gottes, das die Schuld dieser Welt und alle unsere Schuld getragen hat. Jesus ist das Lamm, das an unserer Stelle geschlachtet wurde. Jesus ist der wahre Mann auf dem Berg, auf den Mose lediglich hingewiesen hat. Jesus ist der wahre Mittler zwischen Gott und uns, weil das verzehrende Feuer auf ihn gefallen ist. Wir sind sicher im Sturm des Heiligen Geistes, weil Jesus durch den wahren Sturm für uns gegangen ist.
Das ist der Grund weshalb der Heilige Geist für alle Christen ist. Jesus ist für dich gestorben. Jesus hat sein Leben für dich gegeben. Du darfst und du kannst für das Kommen des Geistes beten. Weil Jesus am Kreuz den wahren Sturm der Zerstörung erduldete, wird Gottes Sturmwind für uns zum Atem unserer Seelen. Weil Jesus das vernichtende Feuer erfuhr, werden wir von Gottes Feuer entfacht aber nicht zerstört. Gottes Gegenwart ist die Kraft des Himmels, die uns belebt. Und wir können mit Habakuk beten: „HERR, ich höre die Kunde, / ich sehe, HERR, was du früher getan hast. Lass es in diesen Jahren wieder geschehen, / offenbare es in diesen Jahren! Auch wenn du zürnst, denk an dein Erbarmen!“ (Hab 3,2).

 

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