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Josef führt seine Brüder zur Buße (2)
– Josef beherrscht seine Gefühle –
„Und Josef eilte hinaus; denn sein Herz entbrannte ihm für seinen Bruder, und er suchte, wo er weinen könnte, und ging in seine Kammer und weinte daselbst. Und als er sein Angesicht gewaschen hatte, ging er heraus und hielt an sich und sprach: Legt die Speisen auf!“
(1. Mose 43,30.31)
Letzte Woche haben wir durch die Predigt von H. erfahren, dass Josefs Brüder wegen der Hungersnot nach Ägypten zogen, um Getreide zu kaufen. Als sie vor Josef niederfielen, stellte der sich fremd und bezichtigte sie, Spione zu sein. Er behielt Simeon im Gefängnis und sagte den Brüdern, dass sie nur dann wiederkommen durften, wenn sie ihren jüngsten Bruder mitbrächten. Durch diese harte Behandlung wurden sie in ihrer Selbstsicherheit erschüttert, und dachten an Gott und an ihre Sünde. Der heutige Text berichtet von der zweiten Reise der Brüder nach Ägypten. Wie behandelte Josef sie dieses Mal? Welches Ziel verfolgte er dabei? Wie konnte Josef seinen Brüdern auf diese Weise helfen, obwohl er dabei selber unter heftigen Gefühlen litt?
Der Text beginnt mit den Worten: „Die Hungersnot aber drückte das Land“ (1). Die siebenjährige Hungersnot belastete weiterhin auch das Land Kanaan. Als Jakob und seine Großfamilie das Getreide aus Ägypten aufgebraucht hatten, forderte Jakob seine Söhne dazu auf, wieder nach Ägypten zu reisen und Getreide zu kaufen. Juda antwortete stellvertretend, dass der Mann in Ägypten (Josef) ihnen eingeschärft hatte, dass sie nur wieder vor ihn treten durften, wenn sie ihren jüngsten Bruder mitbringen würden. Jakob wollte Benjamin aber nicht mit ihnen nach Ägypten ziehen lassen, weil er sein jüngster Sohn war und der einzige ihm verbliebene Sohn von Rahel, die er so geliebt hatte. Erst als Juda seinem Vater verspricht, als Bürge für Benjamin die Verantwortung zu tragen, lenkt Jakob ein und erlaubt ihnen, Benjamin mitzunehmen. Dabei drückt Jakob sein Vertrauen auf Gott und auch etwas Selbstmitleid aus, indem er sagt: „Aber der allmächtige Gott gebe euch Barmherzigkeit vor dem Manne, dass er mit euch ziehen lassen euren andern Bruder und Benjamin. Ich aber muss sein wie einer, der seiner Kinder ganz und gar beraubt ist“ (14).
Daraufhin zogen die elf Söhne Jakobs wieder nach Ägypten und traten vor Josef. Als Josef seine Brüder sah, gab er seinem Haushalter die Anweisung, sie in sein Haus zu führen und ein gemeinsames Mittagessen vorzubereiten. Josef behandelte seine Brüder dieses Mal also ganz anders als beim ersten Besuch, wo er sie beschuldigte, Spione zu sein, und sie ins Gefängnis legen ließ. Aber obwohl Josef sie in sein Haus führen ließ, um mit ihnen zu Mittag zu essen, waren die Brüder voller Sorge und Angst. Sie befürchten, dass man sie in einen Hinterhalt locken und zu Sklaven machen wolle, weil sie das Geld, mit dem sie beim letzten Besuch Getreide gekauft hatten, ungewollt wieder mitgenommen hatten. Dass sie trotz der freundlichen Behandlung so ängstlich waren, zeigt, dass sie keinen Glauben im Herzen hatten, sondern vom ungelösten Problem ihrer Sünde beherrscht wurden. Wer keinen Glauben an Gott hat, sondern unter der Sünde leidet, kann sich selbst über eine Einladung zum Mittagessen nicht freuen.
Josefs Haushalter beruhigte die Brüder mit den Worten: „Seid guten Mutes, fürchtet euch nicht! Euer Gott und eures Vaters Gott hat euch einen Schatz gegeben in eure Säcke. Euer Geld habe ich erhalten“ (23). Der Ägypter, der offenbar durch Josef Glauben an Gott gelernt hatte, verwies die Brüder auf den Gott ihres Vaters, der es gut mit ihnen meinte. Danach führte er Simeon zu ihnen heraus und brachte sie in Josefs Haus. Dass sie am restlichen Vormittag hauptsächlich das Geschenk, das sie mitgebracht hatten, herrichteten, aber nicht beteten, zeigt, wie wenig sie auf Gott vertrauten und wie abhängig sie sich von Menschen fühlten.
Wie verlief dann ihre Begegnung mit Josef? Als Josef nach Hause kam, fielen die Brüder vor ihm zur Erde nieder. Josef grüßte sie aber freundlich und fragte: „Geht es eurem alten Vater gut, von dem ihr mir sagtet? Lebt er noch? Sie antworteten: Es geht deinem Knechte, unserm Vater, gut und er lebt noch. Und sie verneigten sich und fielen vor ihm nieder“ (27.28). Auch in dieser Szene sehen wir den Kontrast zwischen Josefs Freundlichkeit gegenüber den Brüdern und ihrer Angst. Natürlich war Josef in einer viel stärkeren Position. Aber während sie früher ihre stärkere Position gegenüber Josef rücksichtslos ausgenutzt und ihn an Händler verkauft hatten, nutzte Josef seine Überlegenheit nicht aus, sondern behandelt sie freundlich. In seinem Verhalten sehen wir keine Spur von Groll oder Rache.
Was war der Höhepunkt dieser Begegnung? Betrachten wir den Vers 29: „Und er hob seine Augen auf und sah seinen Bruder Benjamin, seiner Mutter Sohn, und sprach: Ist das euer jüngster Bruder, von dem ihr mir sagtet? Und sprach weiter: Gott sei dir gnädig, mein Sohn!“ Als Josefs Blick auf Benjamin fiel, stellte er sich weiter unwissend, um seine Identität vor ihnen zu verbergen. Aber Vers 30 berichtet weiter: „Und Josef eilte hinaus; denn sein Herz entbrannte ihm für seinen Bruder, und er suchte, wo er weinen könnte, und ging in seine Kammer und weinte daselbst.“ Als Josef seinen geliebten Bruder Benjamin sah, den er seit mehr als 21 Jahre nicht gesehen hatte, entbrannte sein Herz für ihn so sehr, sodass er es nicht mehr aushalten konnte und schnell in sein Zimmer floh, weil er weinen musste.
Hier sehen wir zum einen, wie sehr Josef in den vergangenen Jahren unter der Trennung von seinem Vater und Benjamin gelitten hatte! Sein Weinen erinnert uns daran, dass Josef ein normaler Mensch war. Auch wenn er durch Gottes Beistand alle Schwierigkeiten in Ägypten überwinden konnte, waren seine abrupte Trennung von seiner Familie, seine Einsamkeit und sein jahrelanges Leiden als Sklave und als Gefangener nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Als er seinen geliebten Bruder wieder sah, nach dem er sich über 20 Jahre lang gesehnt hatte, entbrannten in ihm heftige Gefühle der Zuneigung und Schmerzen wegen der langen Trennung, sodass er eilig den Raum verließ und in sein Zimmer ging, um zu weinen.
Zum anderen sehen wir aber auch, wie Josef seine Gefühle beherrscht. Eigentlich verlangten seine Gefühle von ihm, dass er sich seinen Brüdern sofort zu erkennen gibt und ihnen sagt, dass er ihnen alles vergeben hat, Benjamin umarmt und alle nach Ägypten einlädt. Aber Josef ließ sich nicht von seinen Gefühlen leiten. Er zog sich zurück, um sein Gefühl vor ihnen zu verbergen, wusch sein Gesicht und ging wieder zu seinen Brüdern. Die Worte „und hielt an sich“ im Vers 31 bringen zum Ausdruck, wie Josef sein Gefühl beherrschte. Er befahl, das Essen zu servieren, nicht nur weil er Hunger hatte, sondern weil er entschlossen war, seinen Brüdern zu helfen.
Beim Essen ließ Josef die Brüder ihrem Alter nach geordnet, ihm gegenüber setzen. Darüber wunderten sie sich sehr. Außerdem bekam Benjamin fünfmal mehr von Josefs Tisch zu essen als die anderen. Unser Text endet mit den Worten: „Und sie tranken wurden trunken mit ihm“ (34). Das ist eine ziemlich wörtliche Übersetzung des hebräischen Urtexts; aber etliche andere Übersetzungen (King James, ESV, LUT 1984) übersetzen hier sinngemäß: „Und sie tranken und wurden fröhlich mit ihm.“ Josef behandelte seine Brüder mit Liebe und großer Freundlichkeit, damit sie die Anspannung und Angst verlieren und ihre Herzen weichen werden konnte.
Hier können wir einige Fragen stellen: Warum gab Josef sich den Brüdern nicht zu erkennen, obwohl das für ihn selbst kaum auszuhalten war? Der Text antwortet auf diese Frage nicht direkt, sondern schildert nur Josefs Verhalten und überlässt es uns, den Grund zu verstehen. Josefs Verhalten zeigt, dass er seine Brüder offensichtlich nicht nur mit Getreide versorgen, sondern ihnen auch geistlich helfen wollte. Josef wusste, dass sie keine richtige Beziehung zu Gott hatten und nie vor Gott Buße getan hatten. Dass das wirklich so war, konnte Josef schon bei ihrem ersten Besuch erkennen, als sie untereinander sagten: „Das haben wir an unserem Bruder verschuldet! Denn wir sahen die Angst seiner Seele, als er uns anflehte, und wir wollten ihn nicht hören; darum kommt nun diese Trübsal über uns“ (42,21). Sie hatten ihre Sünde an ihrem Bruder über 20 Jahre lang verdrängt und ohne eine richtige Beziehung zu Gott gelebt, und sie litten auch jetzt noch unter einem schlechten Gewissen und Angst vor Gottes Strafe. Josef wusste, dass sie ihr Leben lang unter der Sünde leiden würden, wenn sie nicht Buße tun würden. Er wusste auch, dass sie Gottes Ziel für sie, das himmlische Vaterland, nicht erreichen würden, wenn sie nicht zu Gott umkehren, seine Gnade annehmen und ihr Leben mit Gott führen.
Deshalb hatte Josef sich vorgenommen, seinen Brüdern zu helfen, Buße zu tun. Für dieses Ziel setzte er sein Wissen, seinen Verstand, seine Zeit und Möglichkeiten ein, obwohl er mit seinen Aufgaben als Regent von Ägypten sicher voll ausgelastet war. Er muss sich viele Gedanken gemacht haben, um zu verstehen, wie sie wohl dachten und warum sie in all den Jahren nie Buße getan hatten. Er muss auch viel gebetet haben, wie er ihnen helfen konnte, in einer richtigen Beziehung zu Gott zu leben. Hier sehen wir Josefs heilige Liebe zu seinen Brüdern. Es wäre für ihn viel leichter gewesen, sich ihnen gleich zu erkennen zu geben, sich oberflächlich zu versöhnen und sie nach Ägypten einzuladen. Aber Josef sah sie aus Gottes Sicht und nahm ihre gestörte Beziehung zu Gott zum Problem. Aus einer heiligen Liebe heraus wollte er ihnen helfen, sich selbst vor Gott zu erkennen, zu ihm zu kommen und sich mit Gott zu versöhnen. Dafür behandelte er sie mal mit Strenge, um ihre Selbstsicherheit zu erschüttern, mal freundlich, um ihr Herz für Gottes Gnade zu öffnen. Alles hatte das Ziel, dass sie Buße tun und eine richtige Beziehung zu Gott eingehen und unter seiner Herrschaft leben würden.
Aber woher hatte Josef diese klare geistliche Einsicht und den Mut, seinen Brüdern zur Buße zu verhelfen? Eigentlich ist es für einen Menschen unmöglich, andere zur Buße zu leiten. Am Beispiel von Josefs Brüdern sehen wir, wie tief die Sünde Menschen prägt und wie schwer es für sie ist, sich selbst vor Gott zu erkennen und ihre Gesinnung und ihre Lebensweise zu verändern. Woher hatte Josef die Weisheit, wie er seinen Brüdern dabei helfen konnte, und die Liebe und die Kraft, dieses Anliegen konsequent zu verfolgen, obwohl es lange dauerte und er dafür seine eigenen Gefühle verleugnen musste?
Einen Schlüssel zu diesen Fragen finden wir in Kapitel 39, das wir vor vier Wochen gelesen haben: „Und der Herr war mit Josef, sodass er ein Mann wurde, dem alles glückte“ (39,2a). Gott konnte Josef für dieses Werk gebrauchen, weil Gott mit ihm war und mit Seinem Geist in ihm wirkte. Gott konnte mit Josef sein, weil er in allen Lagen Gott als Gott anerkannte und danach strebte, ihn zu ehren und seinen Mitmenschen zu dienen. Deshalb konnte Gott mit seinem Geist in ihm wirken. Dass der Heilige Geist in Josef wirkte, war so sichtbar, dass es sogar der Pharao bei seiner ersten Begegnung mit Josef erkennen konnte (41,38). Weil Gott mit Josef war, bekam er Einsicht, wie er seinen Brüdern helfen konnte. Durch Gottes Geist bekam er auch die Kraft, dafür seine eigenen Gefühle zu überwinden, und die Ausdauer, um ihnen bis zum Ende zu helfen, bis sie wirklich verändert waren (das können wir erst im nächsten Kapitel sehen).
Josefs geistliche Einsicht, seine Liebe, Weisheit und Kraft, mit der er seinen Brüdern half, sind wirklich beeindruckend. Wie viele Menschen um uns herum haben Probleme und leiden letztlich deshalb, weil sie Gott nicht kennen und versuchen, ihr Leben ohne eine richtige Beziehung zu ihm meistern! Was brauchen sie mehr als Hilfe dabei, Gott als ihren Schöpfer und als liebevollen Vater zu erkennen und vor ihm Buße zu tun, was ihnen tiefe Heilung und eine echte Veränderung und Erneuerung und ein neues Leben unter seiner ewigen Herrschaft ermöglicht! Josefs Hilfe für seine Brüder soll uns ermutigen, unsere Mitmenschen nicht menschlich und oberflächlich, sondern aus Gottes Sicht zu betrachten und für ihre Buße zu beten. Josefs Leben soll in uns einen neuen tiefen Wunsch wecken, dass Gott uns durch seinen Geist weiter verändert und uns für dieses großartige Rettungswerk an Menschen gebrauchen kann.
Wahrscheinlich haben aber die meisten von uns ein Bewusstsein, dass sie von Josef so weit entfernt sind, sodass wir uns kaum vorstellen können, so wie er von Gott gebraucht zu werden. Wer ist so fromm und edelmütig wie Josef, sodass er wirklich darauf hoffen kann? Aber Gott hat die Geschichte über Josef nicht dafür in der Bibel schreiben lassen, dass wir mit Hilflosigkeit und Indifferenz reagieren. Wir sollen erkennen, dass der wahre Held dieser Geschichte nicht Josef ist, sondern Gott. Unser Text heute zeigt deutlich, dass Josef ein normaler Mensch mit Gefühlen, Verletzlichheit und Grenzen war. Aber Gott war mit ihm! Weil Gott mit ihm war und mit seinem Geist in ihm wirkte, erhielt Josef die Liebe, die Einsicht und die Kraft, um seinen Brüdern zu helfen, vor Gott Buße zu tun.
So wie Gott mit Josef war, will er auch mit uns sein. Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben (Joh 3,16). Gott hat Jesus am Kreuz völlig dahingegeben, damit jeder durch den Glauben an ihn die Vergebung seiner Schuld und neues, ewiges Leben haben kann. Gott gibt jedem, der an Jesus glaubt, den Heiligen Geist. Wenn er in uns wirkt, wird er uns helfen, unter seiner guten Herrschaft zu leben, und uns dafür gebrauchen, unsere Mitmenschen geistlich zu verstehen und ihnen zu helfen, dass auch sie Buße tun und seine gute ewige Herrschaft annehmen. Lasst uns dafür beten!