Predigt: 1. Mose 34,1–36,43

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Zurück nach Bethel

„Gott sprach zu Jakob: Steh auf, zieh nach Bethel hinauf und lass dich dort nieder! Errichte dort einen Altar dem Gott, der dir auf der Flucht vor deinem Bruder Esau erschienen ist!“

(1. Mose 35,1 [EÜ])

Die Bibel sagt, dass wir Menschen wegen unserer Sünde unser wahres Zuhause verloren haben. Und das Buch Genesis erzählt die Geschichte, wie Gott mit den Glaubensvätern Abraham, Isaak und Jakob anfängt, den Weg nach Hause wiederherzustellen. D.h., von den Vätern des Glaubens lernen wir, wie Gott einen jeden einzelnen von uns nach Hause bringen will. Uns fällt dabei auf, dass die drei Personen Abraham, Isaak und Jakob nicht unterschiedlicher sein könnten.
Der heutige Text bildet den Abschluss der Erzählung von Jakob. Keine Sorge, Jakob wird uns im weiteren Verlauf der Genesis begegnen, aber im Fokus stehen dann seine Söhne, allen voran Josef. Bevor wir die Geschichte von Jakob abschließen, gibt es einige wirklich wichtige Lehren aus seinem Leben. Der Text konfrontiert uns mit drei Ereignissen: erstens, der Ruf Gottes; zweitens, die Reaktion Jakobs; drittens, die Realität des Lebens.

1. Der Ruf Gottes
In Vers 1 spricht Gott zu Jakob: „Steh auf, zieh nach Bethel hinauf und lass dich dort nieder! Errichte dort einen Altar dem Gott, der dir auf der Flucht vor deinem Bruder Esau erschienen ist!“ (35,1) Wir finden hier den Ruf Gottes. Gott fordert Jakob dazu auf, nach Bethel zu ziehen und sich dort niederzulassen. Bethel sollte Jakobs irdisches Zuhause werden, weil das der Ort war, an dem Gott ihm zum ersten Mal begegnet war, als Jakobs sich auf der Flucht vor Esau befand. Bevor wir genauer auf den Ruf Gottes eingehen, gibt es drei Dinge, die wir verstehen müssen.
Zum einen, der Ruf Gottes kam, als Jakob Gott gegenüber ungehorsam war. Woher wissen wir das? Als Jakob noch bei Laban war und er irgendwann erfolgreicher und reicher als sein Onkel wurde, kam irgendwann der Wendepunkt. Laban und seine Söhne waren ihm nicht mehr wohl gesonnen. Und irgendwann war Jakob dort mehr geduldet als wirklich willkommen. In diesem Moment spricht Gott mit Jakob: „Kehr zurück in das Land deiner Väter und zu deiner Verwandtschaft! Ich werde mit dir sein.“ (31,3) Es war Zeit für Jakob, nach Hause zu gehen. Es war eine lange, anstrengende und gefährliche Reise. Mit einer riesigen Familie, einer großen Herde und dem ganzen Reichtum, war es noch riskanter. Aber Gott gab ihm das Versprechen, dass er ihn begleiten würde. Es war ein wunderbares Wort und eine wunderbare Verheißung.
Letzte Woche hatten wir dann gehört, wie Jakob seinem Bruder begegnet war. Diese Krise war jetzt auch erfolgreich überwunden. Und dann lesen wir in Kapitel 33,18-20 [EÜ]: „Jakob gelangte, als er aus Paddan-Aram kam, wohlbehalten bis zur Stadt Sichem in Kanaan und schlug vor der Stadt sein Lager auf. Das Grundstück, auf dem er sein Zelt aufspannte, erwarb er von den Söhnen Hamors, des Vaters von Sichem, für hundert Kesita. Dort errichtete er einen Altar und nannte ihn: El, Gott Israels.“ Jakob war in Sichem angekommen. So weit so gut. Aber dann schlug er dort sein Lager auf. Nicht nur das, er kaufte sich für 100 Goldstücke ein Stück Land. Und das zeigt, dass Jakob dachte, dass er am Ziel seines Lebens angekommen war. Er baute dort sogar einen Altar, um das ganze religiös zu rechtfertigen. Das Problem war nur, dass das nicht das Ziel war, zu dem Gott ihn berufen hatte.
Derek Kidner kommentiert: „Sichem bot Jakob die Verlockungen eines Kompromisses. Seine Berufung galt Bethel, aber Sichem, etwa einen Tagesmarsch davon entfernt, lag attraktiv an einer Handelswegkreuzung. Er war dazu berufen, ein Fremder und Pilger zu sein, aber während er dort sein eigenes Stück Land kaufte, konnte er argumentieren, dass es innerhalb seiner versprochenen Grenzen lag. Es war dennoch Ungehorsam, und seine fromme Tat, einen Altar zu errichten und seinen neuen Namen Israel anzunehmen, konnte diese Tatsache nicht verschleiern.“ Gottes Ruf kam also zu einem Zeitpunkt, als Jakob Gott gegenüber ungehorsam war.
Die beiden folgenden Punkte sind Konsequenzen dessen. Jakobs Familie erlitt einen Schicksalsschlag. In Kapitel 34 ist von Jakobs Tochter Dina die Rede. Dina kommt auf die unglaublich schlechte Idee, sich ohne Begleitung die Stadt anzuschauen, einfach weil sie wissen wollte, wo andere Mädchen shoppen gehen, welche Handtaschen gerade in sind und um vielleicht noch einen Cocktail zu trinken. In der New York Times gab es vor ein paar Jahren einen Artikel mit dem Titel „Abenteuerlustig. Allein. Angegriffen.“ Er handelt davon, wie Frauen auf Reisen Gewalt erfahren. Es gibt heute noch viele Gegenden, in welche Frauen wegen hoher Kriminalität besser nicht alleine verreisen sollten. Natürlich war das damals schlimmer. Dina trifft auf einen jungen Mann, der übergriffig ist und sie vergewaltigt. Ich kann mir nicht ausmalen, wie erniedrigend und wie traumatisierend es für eine Person sein muss, sexuelle Gewalt zu erfahren. Opfer von Vergewaltigungen leiden häufig jahrelang, wenn nicht ihr ganzes Leben lang darunter. Dina war hier das Opfer.
Und gleichzeitig ist es auch furchtbar für die Menschen, die ihr nahestehen. Der christliche Autor Francis Collins hat eine Tochter, die das Opfer einer Vergewaltigung wurde. Natürlich ist das, was seiner Tochter angetan wurde, weit schlimmer als alles, was er erfahren hatte. Aber aus seiner Erzählung hört man auch den Schmerz heraus, den er als Vater hatte. Es muss auch für Jakob, für die Brüder und die ganze Familie eine schlimme Erfahrung gewesen sein.
So weit so schlimm. Die leiblichen Brüder von Dina reagieren etwas über und nehmen Rache an der ganzen Stadt. Sie überreden Hamor und Sichem die Stadt davon zu überzeugen, dass sich alle beschneiden lassen. Anschließend nutzen Simeon und Levi dieses Handicap aus, um alle Männer mit dem Schwert umzubringen. Ihre Brüder ziehen ihnen hinterher und plündern die ganze Stadt, einschließlich der Tiere und einschließlich Frauen und Kinder, die danach versklavt wurden.
Genesis 34 ist eine ganz hässliche Geschichte, in der alle Beteiligten ohne Ausnahme eine richtig schlechte Figur abgeben. Dina war naiv. Sichem ist ein Sexualstraftäter und ein Kidnapper. Sein Vater Hamor war gleichgültig und mitschuldig, weil er seinen Sohn deckte, anstatt ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Die Bewohner von Sichem waren leichtgläubig, als es um eine Möglichkeit ging, sich potentiell an Jakobs Familie zu bereichern. Simeon und Levi waren hinterhältig und übertrieben aggressiv und gewalttätig. Die anderen Brüder und Halbbrüder von Dina waren Opportunisten und Aasgeier. Jakob, der im Mittelpunkt des Geschehen stand, war passiv; unfähig angemessen auf die Situation zu reagieren; ein Vakuum für Leiterschaft.
Als drittes, Gott hatte Jakob zu einem Zeitpunkt gerufen, als Jakob um sein Leben Furcht hatte. Er beklagte sich bei Simeon und Levi: „Ihr stürzt mich ins Unglück. Ihr habt mich in Verruf gebracht bei den Bewohnern des Landes, den Kanaanitern und Perisitern. Ich habe nur wenige Männer. Jene werden sich gegen mich zusammentun und mich schlagen. Dann werden wir – ich und mein Haus – ausgerottet werden.“ (34,33) Jakob hatte nicht Unrecht. Er war der Einwanderer, er war der Ausländer, er war der Fremdling. Die Gefahr, dass sich die Einwohner des Landes gegen ihn und seine etwas zu gewaltbereiten Söhne verbündeten, war real.
Das war die Lage, in der sich Jakob befand, als Gott ihn rief: er befand sich nicht in einer guten Beziehung mit Gott; die ganze Familie hatte Leid und Demütigung erfahren, vor allem Dina; er hatte Angst um sein Leben, weil seine Söhne eine ganze Siedlung niedergemacht und geplündert hatten. Mit anderen Worten, Gott rief Jakob, als er praktisch mal wieder am Ende war: in einer ausweglosen Sackgasse, am Ende seines Lateins. Gott rief Jakob, als er eigentlich nichts mit Gott zu haben wollte. Und in dieser Situation forderte Gott ihn dazu auf: „Steh auf, zieh nach Bethel hinauf und lass dich dort nieder!“ (35,1) Bethel bedeutet „Haus Gottes“. Es ist geradezu eine symbolische Aufforderung: „Steh auf, zieh zum Haus Gottes und lass dich dort nieder!“
Eine Anwendung, bevor wir fortfahren. Gott ruft uns nach Bethel, das Haus Gottes. Ich denke, dass die Anwendung angebracht ist, zu sagen, dass dieser Ruf jedem einzelnen hier gilt: „Steh auf, zieh zum Haus Gottes und lass dich dort nieder.“ Und vielleicht hört der ein oder andere diesen Ruf zu einem Zeitpunkt, an dem es dir so ähnlich geht wie Jakob. Das ist das Tröstliche an Jakobs Geschichte. Er ist kein Superheld oder Übermensch. Über seinem Haupt leuchtet kein Heiligenschein. Jakob war ein sturer Mensch mit vielen Fehlern und Macken. Er war so wie du und ich.
Vielleicht bist du der Ansicht, dass deine Beziehung zu Gott im Moment nicht gerade „gnädig“ ist. Vielleicht hast du schmerzhafte Erlebnisse in deinem Leben, was immer das auch sein mag; und vielleicht hast du die Enttäuschung und den Schmerz noch gar nicht fertig aufgearbeitet. Vielleicht denkst du, dass deine Lage ebenfalls aussichtslos und festgefahren ist; und vielleicht denkst du, dass sich erst einmal deine Gesamtsituation radikal ändern müsste, bevor du auch nur anfangen kannst, an Gottes Ruf zu denken. Wenn Gott dich ruft, gibt es keinen besseren Zeitpunkt.

2. Die Reaktion Jakobs
Wir sehen Jakobs Reaktion auf Gottes Ruf in den folgenden Versen. Es beginnt damit, dass er eine Familiensitzung einberuft. Er fordert alle auf: „Entfernt die fremden Götter aus eurer Mitte, reinigt euch und wechselt eure Kleider! Wir wollen uns aufmachen und nach Bethel hinaufziehen. Dort will ich einen Altar für den Gott errichten, der mich am Tag meiner Bedrängnis erhört hat und der auf dem Weg, den ich gegangen bin, mit mir war.“ (35,2.3)
Jakobs Reaktion ist sehr entschieden und eine echte 180°-Wende. Das Erste, was Jakob verlangt, ist das Entfernen von fremden Göttern. Wir könnten uns an dieser Stelle fragen: „Jakob war doch in einer gläubigen Familie aufgewachsen. Vielleicht hatte sich der ein oder andere Götze in die Familie hineinverirrt, aber das sollte doch beim besten Willen nicht viel sein.“ In Vers 4 lesen wir, dass die Angehörigen seiner Familie Jakob alle fremden Götter übergaben; das deutet darauf hin, dass es einige Götzen waren. Vers 4 erwähnt auch Ohrringe. Robert Alter erwähnt an dieser Stelle: „Wie archäologische Funde reichlich belegen, wurden Ohrringe oft in Form von Figuren von Göttern und Göttinnen gestaltet.“ Selbst die Ohrringe waren Götzen. D.h., die Götzen waren ganz nah an ihnen dran; sie waren sprichwörtlich an ihrem Körper.
Diese Tatsache sollte uns wirklich zu denken geben. Wir könnten denken, dass wir mit Götzen praktisch nichts zu tun haben. Niemand von uns hat zu Hause eine Statue oder ein Bildnis aus Edelmetall, vor dem wir niederfallen würden, um es anzubeten. Und doch schreibt Tremper Longman: „Wir müssen nicht unsere Kaminsimse von Götzenbildern befreien und sie ins Feuer werfen. Aber um ehrlich zu sein, jeder kämpft mit seinen Götzen, auch wenn unsere Götzen nicht aus Holz oder Edelmetallen bestehen. Schließlich ist ein Götze alles oder jeder, der den wahren Gott in unseren Herzen und Gedanken verdrängt. Was auch immer wir für das Wichtigste und Liebste halten und was auch immer unseren Geist und unsere Energie mehr als alles andere beschäftigt, ist unser Gott. Unser Götze kann unsere Ehe, unsere Kinder oder unsere Freunde sein. Unser Götze kann die Gemeinde sein. Mit anderen Worten: Selbst sehr gute Dinge können zu einem Götzen werden, wenn sie für uns wichtiger sind als Gott.“
Das zeigt, wie nahe uns die Götzen sind, genau so wie Ohringe an unserem Kopf. Das erste, was Jakobs Familie also tun sollte, war die Götzen abzulegen. Und vermutlich ist es das erste, was wir vor Gott tun müssen: das Eingeständnis, dass unsere Herzen regelrecht Götzenfabriken sind; und dass wir Gottes Hilfe und Eingriff brauchen, das vor Gottes Thron niederzulegen.
Jakob verlangt auch, dass sie sich reinigen und ihre Kleider wechseln. Für uns ist es relativ normal, täglich die Kleider zu wechseln. Gerade jetzt im Sommer, wenn man so viel schwitzt, macht das ja sehr viel Sinn. Aber damals hat man nicht einfach seine Kleider gewechselt. Kleidung war unglaublich teuer und sehr wertvoll. Und so viele verschiedene Kleider hatte man vermutlich nicht. Die Kleidung zu wechseln war daher ein sehr starkes Bild dafür, einen echten Neuanfang zu machen.
Schließlich machte sich Jakob mit seiner ganzen Familie auf den Weg. Wir lesen in den Versen 6 und 7: „Jakob kam nach Lus, das im Land Kanaan liegt und jetzt Bet-El heißt, er und alles Volk, das bei ihm war. Er baute dort einen Altar und nannte die Stätte Gott von Bet-El; denn auf der Flucht vor seinem Bruder hatte Gott sich ihm dort offenbart.“ Hier schließt sich ein ganz wichtiger Kreis im Leben von Jakob und in seiner Geschichte. Vor Jahrzehnten war Gott ihm an dieser Stelle begegnet. Gott hatte ihm versprochen, dass er ihn wieder sicher nach Hause bringen würde. Dieses Versprechen hatte Gott an dieser Stelle absolut erfüllt. Nicht ein einziges Detail von den Verheißungen Gottes hatte er unterschlagen. Gott ist wirklich treu.

3. Die Realität des Lebens
In Vers 8 lesen wir etwas sehr Rätselhaftes. Vers 8: „Debora, die Amme Rebekkas, starb. Man begrub sie unterhalb von Bet-El unter der Eiche. Er gab ihr den Namen Träneneiche.“ Das ist wieder ein sehr geheimnisvoller Vers. In den Kommentaren, die ich zu Genesis lese, habe ich relativ wenig Information gefunden. Aber viele fromme Juden haben sich viele Gedanken dazu gemacht. Rebekkas Amme wird vorher nur einmal in Genesis 24 erwähnt. Sie zieht zusammen mit Rebekka von Mesopotamien nach Kanaan. Die Tatsache, dass sie namentlich erwähnt wird, deutet an, dass sie in Jakobs Familie eine ganz wichtige Person war. Interessant ist auch, dass der Tod und das Begräbnis von Debora erwähnt wird, während Rebekkas Tod unerwähnt bleibt. Manche sehen das als ein Indiz, dass Rebekka starb, als Jakob in der Ferne war. Debora wird in Bethel unter einer Eiche begraben, die den Namen „Träneneiche“ bekommt. Das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass es ein sprichwörtlich tränenreicher Abschied war.
Das ist nicht der einzige Tod, von dem im Text die Rede ist. Rahel bekommt ihr zweites Kind. Es war eine schwere Geburt, die ihr schließlich das Leben kostete. Vers 20 sagt: „Jakob errichtete ein Steinmal über ihrem Grab. Das ist bis heute das Grabmal Rahels.“ Rahel war die große Liebe seines Lebens gewesen. Und sie verstarb vorzeitig. Das ist die Realität des Lebens: Unrecht passiert; Unglück passiert; Ungemach ist unvermeidlich; Katastrophen ereignen sich; Beziehungen zerbrechen und scheitern; Menschen werden krank, viele unheilbar krank; und Menschen sterben viel zu früh, noch bevor ihre Zeit gekommen ist.
Vor einiger Zeit hatte ich eine Bekannte besucht, die durch eine hässliche Scheidung gegangen war. Wir saßen zusammen in ihrem Auto und fingen an über dieses schmerzhafte Thema zu reden. Und sie erzählte mir, dass die Frage, mit der sie die ganze Zeit hadert, die Frage nach dem „warum“ ist. Was ihre Heirat angeht, hatte sie doch auf Gott vertraut. Sie hatte doch was Partnerschaft angeht, alles „richtig“ gemacht. Sie hatte sich doch gewünscht, einen Mann zu heiraten, der gläubig ist und mit dem sie gemeinsam Gott lieben und Gott dienen kann. Warum dann diese Misere? Als ich ihr gesagt hatte, dass das Leben chaotisch ist, meinte sie, dass wir darauf anstoßen können.
Das Leben ist chaotisch und voll von Leid. Fakt ist, dass wir Menschen ein ganz großer Verursacher und Faktor von diesem Chaos sind. Vor kurzem wurde der Late-Night Host Conan O’Brien mit dem Mark-Twain-Preis ausgezeichnet. Das ist ein Preis für die besten und größten Komiker. In seiner Dankesrede sprach O’Brien von menschlichen Fehlern und Schwächen. Er sagte dann: „Nun denken einige von euch vielleicht: ‚Was hat das mit Humor zu tun?‘ Es hat alles mit Humor zu tun. Alles! Die Comedy, die ich mein ganzes Leben lang geliebt habe, eine Comedy, die selbstkritisch und entlarvend ist und sich der These verschrieben hat, dass wir alle fehlerhaft und absurd sind und gemeinsam im Schlamm suhlen. […] eine Comedy, die eine urkomische Feier unserer Ängste, unserer Unfähigkeit und des glorreichen Chaos des Menschseins ist.“
In Vers 9 und folgende sehen wir, wie Gott Jakob nach dem Tod von Debora segnet. Gott segnete Jakob nicht in der Abwesenheit von dem Chaos, das menschliches Leben ist. Gott segnete ihn inmitten dessen. Mit anderen Worten, Gott war mit ihm in allen leidvollen Erfahrungen. Als Jakob später die Kinder von Josef segnete, würde er sagen, dass Gott sein Leben lang bis auf diesen Tag sein Hirte war (viele Jahre bevor, David den berühmten Psalm 23 schrieb). Das ist ein riesiger Kontrast zu den Religionen der damaligen Zeit, und dem was Jakobs Zeitgenossen über die Götter geglaubt hatten. Die Götter der Babylonier und Kanaaniter standen weit über dem menschlichen Leid. Sie hatten praktisch nichts mit dem menschlichen Elend zu tun, außer natürlich, dass sie zu dem Leid mit beitrugen: Menschen waren ihre Untertanen, die geschaffen wurden, um das zu machen, was den Göttern zu lästig war. Wie radikal anders ist der Gott, der sich Abraham, Isaak und Jakob offenbart hatte.
Das Tröstliche ist, dass Gott mitten drin ist, wenn wir mit der hässlichen Realität unseres Lebens konfrontiert werden. Um eine ganz einfache Illustration zu verwenden, stellen wir uns ein 2-jähriges Kind war, das laut schreit, weil sein Herz zerbrochen ist. Und stellen wir uns vor, dass wir davon bewegt sind und gerne alles tun würden, um das Kind zu trösten. Man könnte das Kind auf den Arm nehmen und tragen. Oder aber, man kann sich bücken und auf die gleiche Ebene begeben wie das Kind: dem Kind auf Augenhöhe begegnen: „Schatz, warum weinst du?“ Wenn man das tun würde, was würde das Kind dann sagen? Es würde sagen: „Ich will zu meiner Mama.“ Ich würde daraufhin antworten: „Weißt du was? Papa will auch zu deiner Mama. Wir können gerne zusammen weinen.“ Gott kommt herab auf unser niedriges Niveau. Gott kam herab, um mit Jakob einen Ringkampf zu machen, um Jakob dort zu begegnen, wo er sich befand. So stark ist Gottes Wille, uns zu begegnen.
Nirgendwo mehr sehen wir den Wunsch Gottes deutlicher, mit uns zu sein, als in seiner Selbstoffenbarung in Jesus Christus. Jesus wurde in einem unhygienischen Stall geboren und in eine Krippe gelegt, weil in der Herberge kein Platz war. Wisst ihr, was das ist? Es ist chaotisch. Vom ersten Tag seiner Geburt an war Jesus Teil von allem menschlichen Leid und Elend. Und dann starb Jesus am Kreuz. Jesus ist ohne Sünde und wurde unschuldig verurteilt. Er starb den Tod eines Schwerverbrechers, den Tod eines rechtlosen Sklaven: Gott, der sich maximal von den Menschen erniedrigen lässt. Gibt es etwas, was unbegreiflicher und unfassbarer ist?
Tim Keller erzählte von einer Frau, die von großem Leid gezeichnet war, weil unter anderem ihre Mutter Selbstmord begangen hatte. Als diese Frau sich mit Jesu Tod beschäftigt, verstand sie plötzlich: „Jesus leidet nicht nur für mich; Jesus leidet mit mir.“
Der heutige Text zeigte uns den Ruf Gottes, die Reaktion Jakobs, die Realität des Lebens. Unser Leben ist so zerbrechlich. Wie könnte es etwas Besseres geben, als dieses Leben, das Gott uns geschenkt hat, mit ihm zu führen und es ihm anzuvertrauen?