Predigt: Die Gemeinde, die Jesus unter uns bauen will – Gesendet zur Mission 5 – Apostelgeschichte 16,11-40

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Gute Nachricht in Philippi

„Dann führte er sie in sein Haus hinauf, ließ ihnen den Tisch decken und war mit seinem ganzen Haus voll Freude, weil er zum Glauben an Gott gekommen war.”

(Apostelgeschichte 16,34)

Wir betrachten heute vorerst zum letzten Mal Texte aus der Apostelgeschichte, um etwas besser zu verstehen, wie sich das Christentum in den ersten Jahrzehnten geradezu explosionsartig ausbreiten konnte. Im heutigen Text wird die Stadt Philippi missioniert. Der Geschichtsschreiber Lukas sagt uns dazu, dass es eine führende Stadt in Mazedonien war und eine römische Kolonie. Die Stadt war nach Philipp von Mazedonien benannt. Im Jahr 42 vor Christus fand bei Philippi eine wichtige Schlacht statt, bei der Antonius und Octavian die beiden Attentäter (Brutus und Cassius) von Julius Cäsar besiegten. Nach dieser Schlacht ließen sich viele römische Soldaten in dieser Stadt nieder. Einige Jahre später besiegte Octavian Marcus Antonius und Kleopatra (31 v. Chr.) bei Actium. Die römische Republik wurde danach zum römischen Imperium, und Octavian wurde danach zum ersten römischen Kaiser Augustus. Nach dieser Schlacht ließen sich noch mehr ehemalige römische Soldaten in Philippi nieder. Philippi war eine durch und durch römische Stadt. Das ist etwas, was wir verstehen müssen.
Der Text zeigt uns drei Dinge, die dazu geführt haben, dass in Philippi eine Gemeinde entstehen konnte: erstens, das Evangelium ist für jedermann; zweitens, das Evangelium beschenkt mit unaussprechlicher Freude; drittens, das Evangelium macht alles anders.

Erstens, das Evangelium ist für jeden
In der Stadt Philippi begegnen uns drei Personen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die erste Person ist Lydia. Vers 14 sagt: „Eine Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; sie war eine Gottesfürchtige und der Herr öffnete ihr das Herz, so dass sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte.“ Für diejenigen, die nicht wissen, was Purpur war: Es war ein äußerst teurer Farbstoff. Er war so exklusiv und so wertvoll, dass zunächst nur der Kaiser in Rom Purpur getragen hatte; die römischen Senatoren, die nach dem Kaiser die höchste und erlesenste Gesellschaftsklasse war, trugen einen purpurnen Streifen. Obwohl Purpur dem Kaiser und den Senatoren vorbehalten, gab es reiche Privatleute, die es sich nicht nehmen lassen wollten, sich ebenfalls in Purpur einzukleiden.
Was machte den Farbstoff so unglaublich teuer? Er wurde aus Purpurschnecken gewonnen. Die Tiere wurden getötet und dann wurde eine kleine Drüse entfernt. Die wurde dann drei Tage in Salz eingelegt. Das Ganze wurde dann in Wasser erhitzt und gereinigt. Damit wurde die Wolle oder die Seide dann gefärbt. Unter Licht und Sauerstoff ergab sich daraus eine intensive Violett-Farbe. Um ein Gramm von dem reinen Farbstoff herzustellen, brauchte man 8 bis 12.000 Schnecken. Es war ein ungemein aufwendiger Prozess. Lydia war nun eine Frau, die damit Handel machte. Ihr Beruf war Geschäftsfrau für einen der begehrtesten Luxusgüter der Antike.
Die zweite Person, die uns begegnet, befindet sich in etwas anderen Umständen. Vers 16: „Als wir einmal auf dem Weg zur Gebetsstätte waren, begegnete uns eine Magd, die einen Wahrsagegeist hatte und mit der Wahrsagerei ihren Herren großen Gewinn einbrachte.“ Magd ist ein etwas freundlicher klingendes Wort für Sklavin. Der Text sagt, dass sie von einem Geist besessen war. In heutiger Zeit wäre sie vielleicht als geisteskrank eingestuft worden. Ihren Besitzern war es nur recht: Was immer diese arme Frau von sich gab, konnte als Wahrsagerei verkauft werden. Was immer ihr Zustand war, für Paulus entwickelte sich diese Frau zu einer regelrechten Nervensäge. In Vers 18 sehen wir, dass Paulus schließlich die Hutschnur riss. Der trieb den Geist aus, und die Sklavin war sofort geheilt.
Die dritte Person, der wir begegnen, ist wieder von einem ganz anderen Schlag. Die Beamten gehen davon aus, dass Paulus und Silas zum einen vagabundierende Ausländer waren und zum anderen Unruhestifter waren. Entsprechend werden sie in Philippi ziemlich brutal behandelt. Verse 22 und 23 berichten davon, dass sie von der Polizei vor Ort mit Ruten geschlagen wurden. Blutend werden sie letztendlich ins Gefängnis geworfen. Der Gefängniswärter wird beauftragt, sie sicher zu verwahren. In Vers 24 heißt es dann: „Auf diesen Befehl hin warf er sie in das innere Gefängnis und schloss ihre Füße in den Block.“
Wir erfahren hier einiges über den Kerkermeister. Vermutlich war er ein ehemaliger römischer Soldat. Er gehörte definitiv zur Klasse der einfachen Arbeiter, der seinem Job nachging. Auf der einen Seite war er sehr pflichtbewusst. Auf der anderen Seite war er auch übermotiviert. Was bedeutet es, dass er Paulus und Silas Beine in den Block legte? Es war eine Foltermethode. Die Beine der Gefangenen wurden dabei gespreizt, so dass es fürchterliche Krämpfe und Schmerzen verursachte. Niemand hatte ihm aufgetragen, seinen „Gästen“ weitere Leiden zuzufügen. Das war alles er selbst. Und es zeigt eine Gleichgültigkeit und Brutalität in ihm.
Drei Charaktere begegnen uns hier also. Falls wir versuchen würden, diese drei Typen in die heutige Zeit zu übertragen: Lydia wäre vielleicht die Besitzerin einer Louis Vuitton oder Tiffany Boutique an der Champs-Elysées; die Sklavin wäre vielleicht eine drogenabhängige Prostituierte im Frankfurter Rotlichtviertel, die von ihren Zuhältern missbraucht wird; der Gefängnisaufseher wäre vielleicht ein Ex-Bundeswehrsoldat, der als Justizvollzugsbeamter arbeitet.
Sie könnten nicht unterschiedlicher sein. Um mit dem Offensichtlichen anfangen: es waren zwei Frauen und ein Mann. Es waren Personen aus allen Gesellschaftsschichten: Lydia gehörte zur Oberklasse, der Gefängniswärter war Mittelklasse, die Sklavin war Unterklasse. Finanziell gesehen war Lydia wohlhabend, der Gefängniswärter lebte in einfachen Verhältnissen, die Sklavin war mittellos. Was den Glauben angeht, war Lydia religiös, der Wärter war irreligiös, die Sklavin war anti-religiös. Selbst vom Temperament her, könnten sie nicht unterschiedlicher sein: Lydia war warmherzig, der Gefängniswärter war kaltherzig, die Sklavin war herzlos. Was die Umgangsformen angeht, war Lydia angenehm, der Gefängniswärter war brutal, die Sklavin war nervig. Diese drei Individuen stehen für die Vielfalt der Gesellschaft damals. Ich kann mich nur wiederholen: noch gegensätzlicher geht es kaum.
Bevor wir fortfahren, wollen wir ganz kurz festhalten, was es für uns bedeutet. Es gibt viele Gründe, weshalb Menschen heutzutage nicht an Gott glauben. Eine ehemalige Kollegin von mir ist noch zu DDR-Zeiten aufgewachsen in einem nicht-christlichen Haushalt. Sie meinte, dass Gott einfach kein Thema bei ihnen in der Familie war und sie es auch nie vermisst hat. Vielleicht denken manche von euch: „Glaube ist etwas für die Menschen, denen es nicht so gut geht. Ich stehe mit beiden Beinen im Leben und brauche so etwas nicht.“ Oder vielleicht denken manche, dass das Christentum eher für Menschen schlichten Gemüts ist. Karl Marx hatte vom Opium fürs Volk gesprochen. Oder vielleicht denkst du: „Ich bin halt nicht so der Typ dafür.“
Hier ist der Punkt: Es gibt keinen christlichen Typ! Es gibt praktisch nichts, was dich geeigneter oder ungeeigneter für den christlichen Glauben machen könnte. Es ist völlig irrelevant in welcher Lage du dich befindest, ganz oben oder ganz unten in der Gesellschaft, reich oder arm, angenommen oder ausgestoßen, jung oder alt, gebildet oder ungebildet, gesund oder krank. Das Evangelium ist für alle Menschen, aller Zeiten; das Evangelium ist für dich.

Zweitens, das Evangelium bringt unaussprechlichen Frieden und Freude
Paulus und Silas waren brutal zusammengeschlagen im tiefsten Verlies. Soweit nichts Außergewöhnliches. Aber dann lesen wir in Vers 25: „Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und sangen Loblieder; und die Gefangenen hörten ihn zu.“ Hier ist das absolut Unerhörte. So etwas hatte es im Gefängnis noch nie gegeben. Inmitten von Leid und Folter, im Angesicht des Todes, fangen Paulus und Silas an, zu singen. Der Text erwähnt, dass die Gefangen ihn zuhörten. So etwas hatten sie noch nie gehört. Normal wäre gewesen, dass Gefangene fluchen und schreien und klagen. Aber Paulus und Silas tun das absolute Gegenteil davon. Sie loben und sie preisen Gott.
Pfarrer Wilhelm Busch ist der Frage nachgegangen, warum der Gesang erst um Mitternacht beginnt. Was machten die beiden zwischen 19 Uhr und Mitternacht? Busch hatte selbst die Erfahrung machen müssen, wegen seines Glaubens eingesperrt zu werden. Er war in den berüchtigten Gefängnissen der Gestapo. Seine Vermutung war, dass Paulus und Silas einige Stunden brauchten, bis sie das Licht sahen. Sie müssen mit der Frage gehadert haben, warum Gott das alles zugelassen hatte. Warum hatte Gott es zugelassen, dass sie so brutal misshandelt wurden, dass sie bluteten, dass sie gebrochene Rippen hatten? Warum hatte Gott es zugelassen, dass sie im Gefängnis noch weiter leiden mussten? Selbst ein Glaubensheld wie Paulus hatte vielleicht Zweifel. Vielleicht brauchte auch er etwas Zeit, um diese bittere Pille zu schlucken. Aber dann beteten sie und in ihre Herzen wurden mit Lobgesang erfüllt. Sie hatten einen Frieden, den die Welt nicht kannte und den ihnen nichts und niemand wegnehmen konnte.
Wir sehen den Frieden noch an anderer Stelle. Es kommt ein gewaltiges, übernatürliches Erdbeben, das dazu führt, dass die Türen des Gefängnisses sich öffnen. Der Kerkermeister sieht die Türen des Gefängnisses offen, und denkt, dass die Gefangenen alle geflohen sind. Er zieht das Schwert, um sich umzubringen. Der Grund dafür ist, dass er ohnehin exekutiert worden wäre, wenn die Gefangenen weg wären. Das wollte er sich ersparen, indem er sich selbst das Leben nahm. Paulus ruft laut: „Tu dir nichts an! Wir sind alle noch da.“ Das ist wiederum unerhört. Paulus und Silas hätten fliehen können. Sie waren völlig zu Unrecht im Gefängnis. Es wäre nur recht und billig gewesen. Es wäre außerdem die perfekte Art gewesen, es dem Wärter heimzuzahlen. Aber ihr Friede ließ es nicht zu. Das Erstaunliche ist, dass nicht nur Paulus und Silas nicht getürmt waren. Sie hatten einen solchen Einfluss und eine solche Autorität, dass alle Mitgefangenen ebenfalls geblieben waren. Alle waren noch da.
Und das brachte diesen hartgesottenen Mann zitternd auf die Knie vor Paulus und Silas. Er fragt: „Ihr Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ Viele traditionelle Christen interpretieren diese Frage als ein: „Was muss ich tun, um nicht in die Hölle zu kommen, wenn ich sterbe?“ Aber ich glaube nicht, dass er das damit meinte. Seine Frage war ein: „Was muss ich tun, um aus meinem Schlamassel herauszukommen?“ In Paulus und Silas sieht er zwei Menschen, die ganz eindeutig ihr Leben gemeistert haben. Sie haben etwas, was ihm fehlt: einen Frieden und eine Freude, die nicht von dieser Welt sind. Sie hatten eine Wahrheit, von welcher er nichts wusste. Sie glaubten an einen Gott, den er noch nicht kannte.
Paulus und Silas verkündigen ihm die frohe Botschaft. Was ist das Resultat? Verse 33 und 34: „Er nahm sie in jener Nachtstunde bei sich auf, wusch ihre Striemen und ließ sich sogleich mit allen seinen Angehörigen taufen. Dann führte er sie in sein Haus hinauf, ließ ihnen den Tisch decken und war mit seinem ganzen Haus voll Freude, weil er zum Glauben an Gott gekommen war.“ Im Haus des Gefängniswärters beginnt mitten in der Nacht ein Riesen-Freudenfest. Er lässt sich mit allen seinen Angehörigen taufen. Und dann wird aufgetischt; sie essen und das ganze Haus ist mit einer tiefen Freude erfüllt. Das ist es, was das Evangelium tut. Überall dort, wo das Evangelium wirkt, werden Menschen mit einem übernatürlichen Frieden und mit unaussprechlicher Freude erfüllt. Nichts und niemand kann das aufhalten.
Wir beten seit einigen Wochen für Darren, der an Krebs erkrankt ist. Er hat vor kurzem die letzte Runde Chemo-Radiotherapie abgeschlossen. Die Behandlung ist wirklich hart, und er hat erzählt, dass die Nebenwirkungen ihn wirklich mitgenommen haben. Darren hat uns vor kurzem geschrieben, dass es vor allem einen Vers gibt, der ihn die ganzen letzten Wochen hindurchgetragen hat: „Nachdem er sich mit dem Volk beraten hatte, ernannte der König Sänger, die in heiligem Schmuck dem Heer vorangehen und dem HERRN singen und seine Herrlichkeit preisen sollten. Sie sangen: Dankt dem Herrn; denn seine Gnade bleibt ewig bestehen!“ Der Kontext von diesem Vers ist, dass Israel von einem riesigen Heer angegriffen wurde; genauer gesagt bestand das riesige Heer aus drei Armeen; genug um das ganze Land zu überrollen. Der König Joschafat antwortet auf diese Bedrohung mit meinem Worship-Team. Das ist es, was Darren während diesen Wochen getan hat: Er hat uns alle dazu aufgefordert, gemeinsam Gott zu preisen.
Er schreibt: „Während dieser Zeit habe ich gesehen, wie meine Eltern näher zu Gott gekommen sind; mein ältester Freund Austin (der nicht gläubig ist), möchte mit mir die Bibel lesen, wenn das alles vorbei ist; betet für einen Mann namens Dave, dem ich im Krankenhaus Zeugnis gegeben habe, und der durch die gleiche Behandlung geht. … Ich war in der Lage, mit Uber-Fahrern zu beten und ihnen von Gottes Güte zu erzählen. Es gab wunderbare Zeiten.“ Und genau das ist es, was ich meine. Es gibt keine Fesseln, keine Gefängnismauern, keine Krankheit, keine Umstände, welche die Freude des Evangeliums aufhalten können.
Egal ob du an Jesus glaubst oder nicht oder wie stark und ausgeprägt dein Glaube ist, ohne diese Freude bist du verloren. Der Kerkermeister hatte es nicht, aber er wollte es und am Ende bekam er es.

Drittens, das Evangelium verändert alles
Der Text lässt ein Rätsel offen. Die Beamten der Stadt gaben den Befehl, dass man Paulus und Silas freilassen sollte. Sie hatten sich wahrscheinlich gedacht: „So wie wir die beiden Vagabunden behandelt haben, werden wir uns keine Sorgen mehr um sie machen müssen. Die werden sich hier nie wieder blicken lassen.“ Zu ihrer großen Überraschung sagte Paulus aber: „Nein, wir gehen nicht.“ Vers 37: „Sie haben uns ohne Urteil öffentlich auspeitschen lassen, obgleich wir römische Bürger sind, und haben uns ins Gefängnis geworfen. Und jetzt möchten sie uns heimlich fortschicken? Nein! Sie sollen selbst kommen und uns hinausführen.“
In der Apostelgeschichte gibt es eine andere Begebenheit, in der Paulus sich wieder in römischer Gefangenschaft befindet. Wieder wird der Befehl gegeben, dass man ihn auspeitschen soll. Aber dieses Mal sagt er von vornherein, dass er römische Bürger ist. Und Paulus wird mit sofortiger Wirkung losgebunden. Römische Bürger besaßen besondere Rechte. Sie durften ohne Gerichtsurteil nicht geschlagen werden. Vers 38 erwähnt, dass die obersten Beamten erschraken, als sie das hörten. Sie wussten, dass sie richtigen Ärger bekommen könnten, wenn das an die große Glocke gehängt werden würde. Die Angelegenheit war ihnen so wichtig, dass sie persönlich zu Paulus und Silas kamen, sich entschuldigten und sie baten, die Stadt zu verlassen. Hier ist das Rätsel: warum hatte Paulus in Philippi seine Trumpfkarte nicht vorher ausgespielt?
John Ortberg hat sich mit der römischen Gesellschaft damals beschäftigt. Und er erklärt: „Ein männlicher, römischer Bürger durfte ab 14 die sogenannte toga virilis tragen. Ironischerweise war die Toga „ein bemerkenswert unbequemes Kleidungsstück“. Im Winter zog es, im Sommer war es brütend heiß, eine Hand blieb bedeckt und unbrauchbar, sie war schwer zu ordnen (die Reichen beschäftigten Sklaven, die speziell für das Anlegen der Toga ausgebildet waren) und hatte nur einen einzigen Wert: die Verkündigung des Status.“ Zum Glück gibt es das heute nicht mehr, dass man Kleidung als Statussymbol verwendet, oder etwa doch?
Wie wichtig ist dir Status? Bei meinem Vorstellungsgespräch hatte ich gefragt, wie die Stelle einzuordnen ist: es gibt Associate Scientist, Scientist, Senior Scientist, Principal Scientist. Was ist gewichtiger, was ist höher? Und die Managerin sagte zu mir: „Ach wissen Sie, es gibt bei uns Mitarbeiter, die so in ihren Titel verliebt sind. Wichtiger ist jedoch, welche Tätigkeit man hat.“ Ich arbeite jetzt seit dreieinhalb Jahren mit dieser Managerin zusammen. Und ich konnte den Eindruck nicht abschütteln, dass sie auch eine der Personen ist, die in ihren eigenen Titel verliebt ist.
Status war in der römischen Gesellschaft unglaublich wichtig. In einem Artikel habe ich gelesen: „Zu jedem Zeitpunkt der römischen Geschichte wussten die einzelnen Römer mit Sicherheit, dass sie einer bestimmten sozialen Klasse angehörten: Senator, Ritterstand, Patrizier, Plebejer, Freie, Sklaven. In einigen Fällen wurden sie in diese Klasse hineingeboren. In anderen Fällen sicherte ihnen ihr Reichtum oder der Reichtum ihrer Familie die Zugehörigkeit. […] Zu keinem Zeitpunkt bestand Zweifel darüber, welche Römer zu welcher Klasse gehörten.“
Das war die Gesellschaft, in der eine christliche Gemeinde hineingeboren wurde. Zu dieser Gemeinde gehörten Lydia, die Sklavin und der Gefängniswärter. Jahre später schrieb Paulus an diese Gemeinde einen Brief. Der Brief enthält einige Verse, bei denen viele Ausleger und Theologen davon ausgehen, dass es sich um eines der frühesten christlichen Lieder handelte. Paulus schreibt: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: [und hier folgt jetzt das Lied.] Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz.“ Natürlich gab es in der griechischen Mythologie Geschichten von Zeus und anderen Göttern, die sich temporär als Menschen ausgaben. Aber das hier ist etwas ganz anderes. Gott wird Mensch. Nicht nur das: Gott wird Sklave. Nicht nur das: Gott stirbt. Nicht nur das: Gott stirbt am Kreuz. Gott ging zu Boden, damit wir Menschen nachtreten konnten. Tiefer geht es nicht. Im Zentrum des christlichen Glaubens ist Gott, der bereit ist, sich aufs Äußerste zu degradieren. Und er tut es für dich und für mich. Er tut es, weil es keine andere Möglichkeit gab, um uns zu retten. Nur diese eine Möglichkeit. Es gibt keine andere Religion, keinen anderen Glauben, der uns das bieten kann.
Noch einmal die Frage: warum haben Paulus und Silas damit gewartet, sich als römische Bürger zu outen? Warum haben sie sich misshandeln lassen und ihr Leben riskiert? Hier ist eine mögliche Antwort darauf: Weil sie einem Herrn und König folgten, der sich so erniedrigte. Sie brauchten das Statusspiel nicht mehr mitzuspielen. Sie haben sich mit den Armen, den Klassenlosen, den Rechtelosen identifiziert. Sie ließen sich so behandeln wie Sklaven. Sie sagten: „Mein Wert hängt nicht von meinem Status ab. Meine Identität ist unabhängig davon, welcher Klasse ich angehöre.“ Auf ganz subtile und unscheinbare Art stellten sie die Gesellschaft auf den Kopf. Das ist es, was ich damit meine: Das Evangelium macht alles anders.
Was in dem Brief an die Philipper Gemeinde ebenfalls besonders ist, ist die Art und Weise, wie Paulus sich vorstellt. In allen anderen Briefen an andere Gemeinden stellt Paulus sich als Apostel vor. Das war sein offizielles Amt, das ihm auch eine gewisse Autorität verliehen hat. In 1. Korinther lesen wir: „Paulus, berufen zum Apostel Christi durch den Willen Gottes…“ An die Kolosser schreibt er: „Paulus, ein Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes…“ An die Epheser schreibt er: „Paulus, ein Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes…“ Die Galater waren Paulus’ Sorgenkinder. An die Galater schreibt er deshalb: „Paulus, ein Apostel nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater…“ Aber den Brief an die Gemeinde in Philippi beginnt Paulus folgendermaßen: „Paulus und Timotheus, Sklaven von Jesus Christus…“
Hier ist das Erstaunliche: Das römische Reich ist nicht mehr. Die Kaiser, die Senatoren, die Ritter, die Bürger und die Sklaven sind nicht mehr. Sie sind eine Randnotiz der Geschichte. Aber das Evangelium hat alles überdauert. Die Gemeinde Jesu ist heute noch da. Jesus wird heute noch gelobt und gepriesen, 2000 Jahre später.
Hier sind die drei Punkte: das Evangelium ist für jeden. Und weil das Evangelium für jedermann ist, ist es auch für dich, ganz egal wo im Leben du dich gerade befindet. Das Evangelium beschenkt mit übernatürlichem Frieden und mit Freude. Weil das Evangelium mit unaussprechlicher Freude erfüllt, ist es etwas, was du dir zumindest wünschen solltest, auch wenn du vielleicht (noch) nicht daran glauben kannst. Drittens, das Evangelium macht alles anders. Weil das Evangelium alles anders macht, ist das Evangelium unglaublich relevant: Es verändert dein Leben, er hat die Kraft, die Gesellschaft zu verändern und die ganze Welt und die ganze Geschichte.

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