Predigt: Johannes 9,8 – 41

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Umgang mit dem Licht der Welt

Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, auf dass die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden

(Johannes 9,39)

Letzte Woche wurde der erste Teil über die Geschichte von der Heilung des Blindgeborenen gepredigt. Ich werde heute über den zweiten Teil predigen. Ich muss sagen, dass mein Vorgänger den besseren Teil vom Kuchen abbekommen hat. Denn im ersten Teil der Geschichte geht es viel um Jesus, in meinem Teil viel um den Unglauben der Juden zur Zeit Jesu. Naja, deswegen möchte ich zumindest zu Beginn noch einmal das Wichtigste aus den ersten Versen zusammenfassen. In den ersten Versen offenbart sich Jesus erneut als das Licht der Welt. Jesus ist derjenige, der Menschen geistliches Sehvermögen schenken kann. Mit dem Hinweis, dass Siloah – Gesandter bedeutet, macht Johannes deutlich, dass Jesus selbst unser Siloah ist: Er wurde von Gott gesandt, um uns die Augen über Gott zu öffnen. Jesus ist unser Siloah! Er kann unsere Augen von jeglicher Blindheit befreien. Die Einfachheit, wie Jesus den Blinden heilte, zeigt, dass es für Jesus gar kein Problem ist von geistlicher Blindheit zu heilen. Jesus kann es nicht nur, sondern er tut es auch sehr gerne. Jesus heilte den Blinden aus völliger Eigeninitiative. Es war ja nicht so wie bei den zwei Blinden bei Jericho. Er schrie nicht: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ (Mk 10, 47). Jesus ging einfach auf ihn zu und heilte ihn. Aber das war nicht alles. Er brachte sich dabei sogar selbst in Lebensgefahr, indem er am Sabbat einen Brei herstellte. Jesus kann und will sehr gerne jedem geistliches Sehvermögen geben, denn er ist das Licht der Welt. Aber umso mehr sollten wir uns die Frage stellen: „Wenn Jesus geistliches Sehvermögen geben kann und es auch sehr sehr gerne tut, warum, warum gibt es aber trotzdem noch so viele Menschen, die geistlich blind sind?“ Der restliche Teil von der Geschichte gibt uns eine Antwort auf diese Frage. Wir wollen uns mit ihm wie immer anhand von drei Fragen auseinandersetzen. In dem Leitwort spricht Jesus von Sehenden, die blind werden, und von Blinden, die sehend werden. Ich habe drei Fragen danach orientiert: 1. Warum können Sehende blind werden? 2. Warum bleiben viele Blinde blind? Und 3. Wie können Blinde sehend werden? Die folgenden drei Teile geben eine Antwort auf jeweils eine der drei Fragen.

Teil I: Der Unglaube der Pharisäer (V. 8 – 26)

In den Versen 8 – 12 erfahren wir, wie das Wunder an die Öffentlichkeit kam. Es fällt auf, dass Johannes ziemlich ausführlich darüber schreibt. Eigentlich berichtet Johannes nur das, was er für erwähnenswert hielt. Zum Beispiel berichtet er kein Sterbenswort über die Freude der Eltern über die Heilung ihres Sohnes. Mit Sicherheit haben sich die Eltern sehr gefreut. Aber Johannes hielt es nicht für erwähnenswert. Warum hielt Johannes aber die Reaktionen der Leute auf das Wunder für so erwähnenswert? Wenn wir diesen Abschnitt lesen, bekommt man den Eindruck, dass das Volk überfordert war das Wunder einzuordnen. Was sollten sie von diesem Wunder denken? Wie sollten sie es beurteilen? Was sie dann machen, ist sehr bemerkenswert. In ihrer Ratlosigkeit schickten sie den geheilten Mann zu den Pharisäern. Warum zu den Pharisäern? Die Pharisäer galten sozusagen als die Fachmänner für geistliche Dinge. Sie waren sozusagen die Meinungsbildner in geistlichen Angelegenheiten. Die Pharisäer sollten die ganze Sache beurteilen. Sie sollten sagen, wie man über dieses Wunder zu denken hat. Also, was Johannes wohl in diesem Abschnitt aufzeigen will, ist, dass die Pharisäer als die Leute mit geistlichem Durchblick galten. Sie waren die geistlich Sehenden. Sie sahen sich selbst als Sehende und sie wurden als die Sehende anerkannt. Einst waren die Pharisäer wirklich geistlich Sehende gewesen. Die Pharisäer gingen aus der nachexilischen, jüdischen Bewegungen hervor, die eine Absonderung von heidnischen Einflüssen anstrebten. Später, im 2. Jh. v. Chr. (Antiochus IV. Epiphanes), wandten sie sich entschieden gegen die Hellenisierung. Ihr Leben sollte allein von den bewährten Überlieferungen: das Gesetz, die Propheten und die Schriften bestimmt werden. Die Pharisäer hatten einen geistlichen Anfang gehabt. Sie waren erweckte Leute gewesen, geistlich wache Menschen, eben geistlich Sehende!

Doch wie konnten ausgerechnet sie blind werden? Dies wird uns klar, wenn wir den Verlauf der Untersuchung des Wunders durch die Pharisäer näher betrachten. Die Untersuchung durchläuft drei Phasen: Zuerst befragen sie den geheilten Mann, dann seine Eltern und dann nochmal den geheilten Mann. Die erste Phase von V. 13 – 16 zeigt, was bei den Pharisäern auf dem Spiel stand: Es ging um die Frage des Sabbats. Dass Jesus ausgerechnet den Mann mit der Herstellung eines Breis heilte, war ein krasser Verstoß gegen ihr Verständnis des Sabbatgebots. In den Augen der Pharisäer war das keine kleine Sache. In Joh 5,16, wo es um die Heilung des Gelähmten ging, heißt es: Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte. Johannes erklärt hier, dass der angebliche Sabbatbruch Jesu der Anlass war, warum die Pharisäer Jesus verfolgten. Die Pharisäer nahmen den Sabbat sehr ernst, todernst. Der Sabbat hatte einen wichtigen Platz in der Frömmigkeit der Pharisäer. Er war in der Frömmigkeit der Pharisäer keine Nebensache. Als Jesus am Sabbat den Brei herstellte, war das ein heftiges Rütteln an der Frömmigkeit der Pharisäer. Das Wunder Jesu bewirkte sozusagen einen tiefen Riss in die Frömmigkeit der Pharisäer. Es stellte sie in Frage. Letztendlich zielte die Frage nach der Echtheit des Wunders darauf ab: „Entweder ist Jesus total verkehrt oder wir sind total verkehrt. Wenn dieses Wunder echt ist, wenn dieses Wunder wirklich von Gott kommt, dann bedeutete es automatisch, dass wir mit all unseren Satzungen über den Sabbat total falsch liegen.“

Wie gingen die Pharisäer mit dieser Spannung um? Betrachten wir Vers 16. Das erste, was die Pharisäer versuchten, war es, die Tatsache des Wunders zu ignorieren. Sie sagten einfach: Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er den Sabbat nicht hält. Was sie eigentlich sagten, war: „Dieser Mensch kann nicht von Gott sein; dieser Mensch darf nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält.“ Das Wunder der Heilung ließen sie einfach unbeachtet. Aber das war so eine krasse Ignoranz gegenüber dem Wunder, dass selbst ein Teil der Pharisäer zugeben musste: Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun? Das Wunder einfach so ignorieren, ging also nicht. Was machten die Pharisäer dann? Im Vers 17 erfahren wir, dass die Pharisäer den Geheilten nach seiner Meinung über Jesus fragen. Wahrscheinlich hatten sie sich erhofft, dass er Jesus als fragwürdig darstellt. Aber das ging voll in die Hose. Der Geheilte hielt Jesus für einen Propheten. Auch das funktionierte also nicht. Was machten sie dann? Wenn schon an Jesus nichts Schlechtes gefunden werden konnte, so musste doch zumindest etwas an dem Wunder nicht in Ordnung gewesen sein. Hierzu gab es zwei Möglichkeiten: a) Der Mann war in Wirklichkeit gar nicht blind. Es war ein anderer. Das Wunder war sozusagen nur ein Fake. b) An der Art und Weise, wie der Mann geheilt worden ist, lässt sich etwas finden; z.B. dass man es irgendwie natürlich erklären kann oder dass sich dahinter Zauberei verbirgt u.Ä. Die Pharisäer stellten den Eltern daher im Vers 19 zwei Fragen: Ist das euer Sohn, von dem ihr sagt, er sei blind geboren? Wieso ist er nun sehend? Aber auch die Eltern konnten den Pharisäer nicht weiterhelfen. Es konnte einfach nicht geleugnet werden, dass der Mann wirklich ihr Sohn war, der zuvor blind gewesen ist. Die andere Frage wollten sie ja aus Angst nicht beantworten (hierzu später im zweiten Teil). So standen die Pharisäer wieder am Anfang.

Was machten sie dann? Im Vers 24 erfahren wir, dass sie den geheilten Mann wieder befragten. Ihre Vorgehensweise wiederholt sich: Entweder musste etwas an Jesus oder an dem Wunder gefunden werden. Sie nötigen ihn regelrecht dazu, Jesus zu verleumden. Es durfte einfach nicht sein, dass Jesus von Gott ist. Aber der geheilte Mann erfüllt ihre Erwartung nicht. Stattdessen legte er ein klares Zeugnis ab: Ist er ein Sünder? Das weiß ich nicht; eins aber weiß ich: dass ich blind war und bin nun sehend (V. 25). Dann musste doch wenigstens etwas an dem Wunder sein. Also stellen die Pharisäer den Blindgeborenen erneut die Frage: Was hat er mit dir getan? Wie hat er deine Augen aufgetan? (V. 26) Aber der geheilte Mann war nicht mehr bereit, auf die Frage der Pharisäer zu antworten. Stattdessen fängt er an, sie zurechtzuweisen. Der Mann merkte also, dass die Pharisäer es einfach nicht verstehen wollen. Die gesamte Untersuchung der Pharisäer macht eine Sache ganz deutlich: Sie wollten das Wunder einfach nicht wahrhaben.

Zurück zur Frage: Wie konnten ausgerechnet die Pharisäer, die einst Sehende waren, geistlich blind werden? Nachdem wir ihre Untersuchung des Wunders betrachtet haben, ist die Antwort ganz klar: Sie widerstanden der Wahrheit. Jesus hatte ihnen ein ganz „helles Licht“ gegeben. Er hätte den Blinden mit einem Wort heilen können. Aber er heilte ihn absichtlich mit der Herstellung eines Breis. Damit verkörperte der geheilte Blindgeborene eine ganz klare Botschaft: „Eure gesamte Frömmigkeit um den Sabbat ist falsch.“ Mit einem Blinden, der sehend geworden war, wollte Jesus denjenigen helfen, die einst sehend waren und nun blind geworden waren. Der geheilte Blindgeborene, der eine klare Botschaft verkörperte, stand direkt vor ihren Augen. Das war ein ganz „helles Licht“, welches Jesus ihnen gegeben hatte. Aber die Pharisäer widerstanden diesem Licht willentlich. Sie taten es, weil es ihre gesamte Frömmigkeit um den Sabbat als verkehrt hinstellte. Das wollten sie nicht anerkennen.

Um noch einmal auf die Frage zurückzukommen, „Wie kann es sein, dass Sehende blind werden?“: Immer dann, wenn Menschen, die einst erweckt waren bzw. die einst sehend waren, sich gegen bestimmten Offenbarungen Gottes wehren bzw. nicht wahrhaben wollen – solche stehen in der Gefahr, geistlich blind zu werden. Dieses Phänomen hat sich in der Kirchengeschichte häufige Male wiederholt.

In dem Text werden mindestens zwei Kennzeichen von Menschen genannt, die einst sehend waren und nun blind geworden sind. Das erste Kennzeichen sehen wir in den Versen 28 und 29. Die Pharisäer beriefen sich ständig auf Mose. Mit anderen Worten sie beriefen sich auf ihre Tradition und Geschichte. Diese ständige Berufung auf Tradition und Geschichte ist wirklich ein typisches Kennzeichen von Menschen oder Gemeinden, die einst sehend und nun blind geworden sind. Das zweite Kennzeichen ist in den Versen 29 und 30 zu finden. Das Wort „wissen“ taucht hier mehrmals auf. Übrigens im ganzen Text kommt dieses Wort sehr häufig vor. Das ist bestimmt kein Zufall: „Sehen“ und „Wissen“ sind eng miteinander verbunden. Verinnerlichtes, geistliches Wissen ist die Folge vom geistlichen Sehen (bzw. Erkenntnis).

Aber zurück zu den Versen 29 und 30. Die Pharisäer behaupteten zu wissen, dass Gott mit Mose geredet hat. Aber das war nur ein theoretisches Wissen. Wäre dies ein verinnerlichtes Wissen gewesen, dann hätten sie verstanden, dass Gott gerade auch durch Jesus redet. Deswegen sagte Jesus einmal zu den Juden: der euch verklagt, ist Mose, auf den ihr hofft (Joh 5,45). Andererseits behaupteten die Pharisäer etwas nicht zu wissen, was sie sehr wohl wussten. Sie behaupteten nicht zu wissen, woher Jesus komme. Aber schon Nikodemus musste zugeben: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Das stimmte einfach nicht. Die Pharisäer konnten sehr wohl wissen, woher Jesus kommt. Der geheilte Mann weist sie daher zurecht: Das ist verwunderlich, dass ihr nicht wisst, woher er ist; und er hat meine Augen aufgetan. Das zweite Kennzeichen von blindgewordenen Menschen ist also: Sie behaupten etwas zu wissen, das sie nicht in Wirklichkeit wissen, und sie leugnen etwas zu wissen, dass sie sehr wohl wissen. Kennt ihr solche Leute, die sobald man ihnen von seinen Entdeckungen aus der Schrift erzählt, immer sagen: „Ich weiß nicht…“. Das muss zwar nicht, kann aber ein Symptom dafür sein, dass man der Wahrheit widersteht.

Anstelle Buße zu tun, schwelgten die Pharisäer weiterhin an ihrer Selbstgefälligkeit. Heuchlerisch fragten sie Jesus: Sind wir denn auch blind? (V. 40). Dann gab ihnen Jesus eine deutliche Antwort: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde (V. 41). Geistlich blind muss nicht unbedingt ein Problem sein. Von Natur sind wir alle blind, was Gott angeht. So gesehen sind wir alle Blindgeborene. Selbst die Jünger waren in gewisser Weise blind. Das zeigt ihre Frage ganz am Anfang des Textes (V. 2). Sie gingen von einer völlig falschen Absicht Gottes bzgl. der Blindheit des Mannes aus (V. 3). Gott hatte etwas ganz anderes vor, als sie dachten. Jesus konnte den Jüngern helfen, Gott Stück für Stück besser kennenzulernen. Ebenso kann Jesus jedem „Blindgeborenen“ helfen. Wenn aber Menschen behaupten, sehend zu sein, obwohl sie blindgeworden sind, dann machen sie sich schuldig und unfähig für Jesu Hilfe.

Zur Zeit Jesu glaubte man, dass blindgeboren sein ein Gericht Gottes sei (daher die Frage der Jünger zu Beginn des Textes). Aber V. 39 macht deutlich, dass nicht blindgeboren, sondern blindgeworden ein Gericht Gottes ist!

Jede Gemeinde, jeder einzelne Christ steht in der Gefahr, aus einem geistlich Sehenden zu einem geistlich Blinden zu werden. Wir sollten uns daher diese Fragen stellen: Gibt es bestimmte Offenbarungen Gottes, gegen die ich mich sträube, die ich wie die Pharisäer einfach nicht wahrhaben will, einfach weil sie mir nicht passen? Treffen auf mich jene zwei Kennzeichen zu? Wenn das der Fall sein sollte, erkenne an, dass du geistlich blind bist, auf dass der Herr dir Augenlicht geben kann.

Die Pharisäer sind ein typisches Beispiel dafür, wie einst Sehende blind geworden sind. Die Eltern des Blindgeborenen sind hingegen ein typisches Beispiel für Blinde, die blind bleiben. Lasst uns das im zweiten Teil betrachten.

Teil II: Der Unglaube der Eltern (V. 18 – 23)

Mit dem Wunder hatte das Licht Jesu nicht nur in das Leben des Blindgeborenen, sondern auch in das Leben der Eltern hineingeleuchtet. Die Heilung ihres Sohnes hätte ein wunderbarer Anlass werden können, zum Glauben an den Herrn zu kommen. Wie gingen die Eltern aber mit diesem Licht um? Lasst uns hierzu einmal die Antwort der Eltern in den Versen 20 und 21 genauer anschauen. In diesen zwei Versen taucht das Wort „wissen“ mehrfach auf. Zuerst sagen die Eltern: „Wir wissen“, dann sagen sie zwei Mal hintereinander „wir wissen nicht“. Das zeigt etwas ganz Entscheidendes, wie sie mit dem Licht Jesu umgegangen sind. Zum einen können sie einfach nicht leugnen, dass etwas Wundersames mit ihrem Sohn passiert ist. Sie sagen: „Wir wissen“. Aber gleich, in dem nächsten Moment sagen sie „Wir wissen nicht“. Das zeigt, dass sie das Licht vertuschten. Sie wussten sehr wohl, von wem ihr Sohn geheilt worden war und wie Jesus ihn geheilt hatte. Ihr Sohn hatte es ja öffentlich gemacht und sie gehörten bestimmt zu den ersten, die das erfahren hatten. Aber anstelle es zu bekennen, sagten sie zwei Mal „Wir wissen nicht“. Warum vertuschten sie das Licht? Johannes nennt den Grund in Vers 22. Die Eltern fürchteten sich vor den religiösen Leitern. Die religiösen Leiter hatten beschlossen, jeden aus der Synagoge hinauszuwerfen, der Jesus als den Christus bekennt. Aus der Synagoge ausgestoßen zu werden, war eine sehr bittere Angelegenheit. Es bedeutete nicht einfach nur, nicht mehr die Synagoge besuchen zu dürfen. Jemand, der aus der Synagoge ausgestoßen war, war in der jüdischen Gesellschaft stigmatisiert. Mit einem Mal wollte niemand mehr was mit ihm zu tun haben. Das hatte sicherlich auch große Beeinträchtigungen auf die Ausübung des Berufes gehabt. Stell dir vor, du erfährst im engsten, vertrautesten Kreis, da wo du deinen sozialen Platz und Annahme gefunden hast, auf einmal die totale Verachtung und Ablehnung. Das ist schon hart. Trotzdem ist das nicht wert, das Licht zu vertuschen. Deren Sohn ist gerade hierfür ein Beispiel. Auch wenn er am Ende niemanden mehr hatte, er hatte Jesus und das reicht! Den Eltern war es lieber als Unwissende zu gelten, als zu sozialen Außenseitern zu werden. Mit anderen Worten, sie hatten offenbar gar kein Problem damit, geistlich blind zu sein. Das sie zwei Mal sagten: „Wir wissen nicht“ passt wirklich gut zu ihnen. Sie waren geistlich blind und sie blieben auch geistlich blind.

Am Beispiel der Eltern lernen wir also, dass Menschenfurcht dazu führt, dass man das Licht vertuscht. Die natürliche Folge davon ist, dass man geistlich blind bleibt. Ist ja klar, warum sollte einer, der das Licht vertuscht bzw. gar nicht wirklich haben will, mehr Licht bekommen? Die Frage, die man sich daher stellen sollte, ist: Wie wichtig ist es mir, an geistlichem Sehvermögen zuzunehmen? Setzt die Menschenfurcht auch in meinem Leben dem Licht eine Grenze, sodass ich es vertusche?

Nachdem wir den Unglauben der Pharisäer und den Unglauben der Eltern betrachtet haben, wollen wir uns den Glauben des Blindgeborenen anschauen. Der Blindgeborene ist ein Beispiel für Blinde, die sehend werden.

Teil III: Der Glaube des Blindgeborenen (V. 24 – 41)

Im Laufe der Geschichte nimmt der geheilte Mann immer mehr an geistlichem Sehvermögen zu. Zuerst war Jesus für den Blindgeborenen nur der Mensch, der Jesus heißt (V.11). Dann erkennt er in Jesus einen Propheten (V. 17). Einen weiteren Moment seiner Entwicklung sehen wir in Vers 38: Herr, ich glaube. Und er betete ihn an. Jetzt ist Jesus nicht mehr nur ein Prophet. Der Blindgeborene erkennt in Jesus den Messias. Er fing an Jesus anzubeten. Jesus war für ihn zum Gott geworden. Diese drei Momente der Entwicklung seines Glaubens sind nicht als Stufen (wie bei eine Treppe) zu verstehen, sondern eher als einen Prozess mit fließenden Übergängen zu verstehen. In den Versen 31 bis 33 sehen wir zum Beispiel wie der Blindgeborene Jesus mit aller Entschiedenheit vor den Pharisäern verteidigt und im Kauf nimmt, aus der Synagoge ausgestoßen zu werden. Das zeigt, dass der Anbetungsglaube bereits in dem Mann keimte.

Wie auch immer, jedenfalls zeigen diese drei Momente, dass der Blindgeborene von einem geistlich blinden Menschen zu einem geistlich sehr klar sehenden Menschen verändert wurde. Wie konnte das geschehen? Einfach gesagt, der Mann rebellierte nicht gegen das Licht (wie die Pharisäer), er vertuschte das Licht nicht (wie die Eltern), sondern er reagierte auf das Licht, das Jesus ihm gegeben hatte. So konnte ihm Jesus mehr und mehr Licht geben.

Als Jesus dem Blindgeborenen zum ersten Mal begegnete, reagierte der Mann ohne Wenn und Aber auf Jesu Wort, obwohl Jesus es ihm nicht einmal begründet hatte, warum er zum Teich Siloah gehen sollte. Medizinisch gesehen, machte Jesu Auftrag keinen Sinn. Offenbar hatte der Mann von Jesus schon gehört, weswegen er später sagte: Der Mensch, der Jesus heißt. Er hatte ein wenig Licht. Er reagierte auf dieses Licht, indem er Jesu Befehl ohne Wenn und Aber gehorchte.

Als der geheilte Mann das Wunder erlebt hatte, fing er an, über Jesus nachzudenken. Dies sehen wir in den Versen 31 bis 33. Das Wunder regte den Blindgeborenen dazu an, vernünftige und logische Schlussfolgerungen über Jesus zu ziehen: Jesus konnte kein Sünder sein. Er musste ein gottesfürchtiger Mensch sein. Er musste ein Mensch sein, der von Gott kommt. Auch hier sehen wir wieder, dass der Blindgeborene auf das Licht reagierte, indem er über das Wunder nachdachte. Seine Reaktion auf das Licht zeigt sich aber auch noch auf eine andere Weise. Das, was er mit Jesus erlebt hatte; das, was er über Jesus erkannt hatte, das bekannte er auch, anstelle es zu vertuschen. Er tat das, obwohl ihn das in große Gefahr brachte. Gerade das zeigt, wie gut er auf das Licht reagiert hatte.

Wie wir wissen, wurde der Blindgeborene aus der Synagoge ausgestoßen. Spätestens jetzt hätte er sagen können: „Jesus bringt mir nur Probleme mit Menschen ein. Ich lasse diese ganze Sache mit Jesus lieber sein!“. In solchen Momenten kann es leicht sein, dass man nicht mehr bereit ist, weiter auf das Licht zu reagieren. Aber der Blindgeborene war anders. Als Jesus dem Blindgeborenen zum zweiten Mal begegnete, sagte der Blindgeborene: Herr, wer ist’s, auf dass ich an ihn glaube? Der Blindgeborene war für die Wahrheit nach wie vor total offen. Er war bereit, Jesus als den anzuerkennen, der Er ist, unabhängig davon, was das für Konsequenzen für ihn hätte. Jesus wurde immer mehr zu einem sozialen Außenseiter (vgl. Joh 7,20). Aber der Blindgeborene war bereit, den als Messias anzuerkennen, wer der auch sein möge. Als der Blindgeborene so gut auf das Licht reagiert hatte, konnte Jesus ihm weiteres Licht geben. Jesus gab ihm eine ganz klare Antwort: der mit dir redet, der ist’s. Der Blindgeborene konnte nun Jesus ganz klar sehen: Jesus ist Gott selbst! Hierfür musste der Mann nur vor dem Licht kapitulieren. Alles andere hat Jesus getan. Wir können vom Anfang bis zum Ende der Geschichte sehen, dass Jesus dem Blindgeborenen sehr entgegen kam. Wie schon in der Einleitung erwähnt, hatte der Blindgeborene Jesus nicht einmal darum gebeten, ihn zu heilen. Jesus heilte den Mann von sich aus. Später als er geheilt wurde, ging der Mann nicht wieder zu Jesus. Selbst als er aus der Synagoge ausgestoßen wurde, ging er nicht zu Jesus. Jesus war es, der den Blindgeborenen aufgesucht hatte. Jesus war es, der ihm mit der Frage: Glaubst du an den Menschensohn? zu einem tieferen Glauben verholfen hat. Jesus kommt denen, die auf das Licht gut reagieren, sehr sehr entgegen. Er gibt ihnen sehr gerne mehr geistliches Sehvermögen.

Jesus möchte auch unser Sehvermögen sehr gerne verbessern. Er ist ja das Licht der Welt. Es gehört ja zu seinem Wesen, uns geistliches Augenlicht zu geben. Daher sollte man sich fragen, wie man mit dem Licht, das man bekommen hat, umgeht? Widersteht man dem Licht wie die Pharisäer, vertuscht man das Licht wie die Eltern oder kapituliert man davor wie der Blindgeborene. Wenn wir auf das Licht mit einem offenen Herzen reagieren, wird sich unser Glaube mehr und mehr zu einem Glauben verändern, der Jesus anbetet.

Als der Mann vor Jesus niederfiel und ihn anbetete, sagte Jesus nicht: „Hey, das ist doch nicht nötig. Wegen mir brauchst du keine Probleme mit den religiösen Leitern zu haben. Danke, aber das brauchst du nicht für mich zu machen.“ Nein, Jesus nahm diese Anbetung an. Was für ein schönes Bild: Der Mann fiel vor Jesus nieder. Und Jesus blieb vor ihm stehen. Es ist, als ob Jesus sagen würde: „Ich bin es würdig! – deine Verspottung, dein Rausschmiss, deine Anbetung – dein alles bin ich würdig!“ Und es ist, als ob der Mann sagen würde: „Auch wenn ich niemanden mehr habe, Hauptsache ich habe dich! Das ist völlig genug!“

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