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Die Reise der Pilger
„Jakob gab dem Pharao zur Antwort: Die Zahl der Jahre meiner Pilgerschaft beträgt hundertdreißig. Gering an Zahl und unglücklich waren meine Lebensjahre und reichen nicht heran an die Lebensjahre meiner Väter in den Tagen ihrer Pilgerschaft.“
(1. Mose 47,9 [EÜ])
Die Genesis erzählt die Geschichte, wie wir Menschen unser wahres Zuhause verloren haben. Das verlorene Paradies oder Zuhause beschreibt den verlorenen Zustand der Menschheit (unseren Zustand!) sehr treffend. Aber die gute Nachricht ist, dass Gott uns nicht in diesem Zustand belässt. Durch die Familie von Abraham fängt Gott an, den Weg nach Hause wieder herzustellen. Wie sieht dieser Weg nach Hause aus? Jakob verwendet in seiner kurzen Rede vor dem Pharao ein interessantes Wort: „Die Zahl der Jahre meiner Pilgerschaft beträgt hundertdreißig. Gering an Zahl und unglücklich waren meine Lebensjahre und sie reichen nicht heran an die Lebensjahre meiner Väter in den Tagen ihrer Pilgerschaft.“ Zweimal erwähnt er, dass sein Leben eine Pilgerschaft ist. Das christliche Leben ist ein Leben der Wanderschaft. Dieses Bild wird in der Bibel immer wieder verwendet. Wenn das christliche Leben eine Pilgerschaft ist, was können wir dann davon erwarten? Hierzu mindestens vier Dinge. Erstens, wir haben unser Ziel noch nicht erreicht; zweitens, unser Leben hier ist mühselig; drittens, unser Leben hier soll ein Segen sein; viertens, der Weg ist eine Person.
1. Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht
Josef hatte dem Pharao berichtet, dass sein Vater und seine Brüder angekommen waren. Vers 2 berichtet, dass Josef fünf Brüder auswählte, um sie vor den Pharao zu bringen. Warum diese Auswahl? Ein amerikanischer Pastor hatte diese Szene mit etwas Humor untermalt: Josef suchte sich unter seinen 11 Brüdern die fünf Schlimmsten aus und hält ihnen dann eine Ansprache: „Du Issachar, wenn du vor dem Pharao bist, kannst du vielleicht jeden zweiten Satz mit den Worten abschließen „Jihaa!“? Und du, Gad, immer wenn der Pharao zu dir rüberschaut, kannst du gerne auf den Boden spucken. Simeon, tust du eigentlich immer noch mehr schlecht als recht rappen? Ja, genau, bring einfach deine fette Boombox mit…“ Und dann überlegt Josef und sagt zu den fünf Brüdern: „Ach, wisst ihr was? Seid einfach ihr selbst!“ Und dann kommen diese ungehobelten Brüder zum Pharao und benehmen sich so richtig daneben. Der Pharao denkt sich nur: „Was ist denn das für eine Freak-Show? Ja, ihr könnt euch in meinem Land nehmen, was ihr wollt. Nur lasst mich bitte in Ruhe.“
Wie immer sich die Szene tatsächlich abgespielt haben mag, Josef ist in der Lage, alle Details so einzufädeln, dass der Pharao die Brüder nach Goschen ziehen lässt. Der Pharao sagt zu Josef: „Dein Vater und deine Brüder sind also zu dir gekommen. Das Land Ägypten steht dir offen. Im besten Teil des Landes lass deinen Vater und deine Brüder wohnen! Sie sollen sich im Land Goschen niederlassen. Wenn du aber unter ihnen tüchtige Leute kennst, dass setze sie als Aufseher über meine Herden ein!“ Inwiefern ist das bedeutsam für das Thema?
Jakob und seine Familie würden sich in Goschen niederlassen, weit weg vom verheißenen Land. Es ist ein Bild dafür, dass weder Kanaan und schon gar nicht Ägypten ihr wahres Zuhause war. Das ist es, was Jakob zum Ausdruck bringt, als er sagt, dass sein Leben ein Wandern ist. Matthew Henry kommentiert: „[Jakob] bezeichnet sein Leben als Pilgerreise, betrachtet sich selbst als Fremden in dieser Welt und als Reisenden auf dem Weg in eine andere Welt: Diese Erde ist seine Herberge, nicht sein Zuhause.“ Jakob und seine Familie würden von Pharao und Josef gut versorgt werden. Aber sie waren nicht am Ziel angekommen. Wir sind noch nicht am Ziel angekommen.
Eine Anwendung, bevor wir fortfahren. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ist davon die Rede, dass alle Menschen gleich geschaffen sind; und dass sich aus dieser Tatsache ableiten lässt, dass alle Menschen das Recht auf Leben und Freiheit haben sowie das Streben nach Glück. Wir sind alle zu 100% damit einverstanden. Was praktisch alle Menschen gemeinsam haben, ist das Streben nach Glück. Es ist vermutlich das grundlegendste Motiv für praktisch alles, was wir tun. Warum lernen wir? Warum arbeiten wir? Warum hören wir auf, zu arbeiten? Warum gehen wir Beziehungen ein? Warum lösen wir Beziehungen auf? Warum haben wir Kinder? Warum haben wir keine Kinder? Warum machen wir Sport? Warum machen wir kein Sport? Warum fahren wir weg? Warum bleiben wir zu Hause? Und das eine Motiv, das allen anderen Motiven zugrunde liegt, ist, dass wir ein glückliches Leben führen wollen.
Aber Fakt ist auch, dass niemand wirklich glücklich ist, ganz egal was wir erreicht haben. Wir können alles erreichen und werden trotzdem miserabel sein. Wir jagen dem Versprechen nach, dass das wahre Glück noch kommen wird. Aber egal, was wir tun, es bleibt immer nur ein Versprechen, das sich nicht wirklich erfüllen will. Die Tatsache, dass wir selbst in den glücklichsten Momenten unseres Lebens immer noch etwas traurig sind, ist etwas, was keiner besser beschrieben hat als Henri Nouwen.
Da es eines meiner Lieblingszitate ist, werde ich es alle paar Jahre zitieren: „Unser Leben ist eine kurze Zeit der Erwartung, eine Zeit, in der Traurigkeit und Freude sich in jedem Augenblick küssen. Es gibt eine Art von Traurigkeit, die alle Momente unseres Lebens durchdringt. Es scheint, dass es so etwas wie reine Freude nicht gibt, sondern dass wir selbst in den glücklichsten Momenten unseres Daseins einen Hauch von Traurigkeit spüren. In jeder Zufriedenheit ist das Bewusstsein ihrer Begrenztheit enthalten. In jedem Erfolg steckt die Angst vor Neid. Hinter jedem Lächeln verbirgt sich eine Träne. In jeder Umarmung ist Einsamkeit enthalten. In jeder Freundschaft ist Distanz. Und in allen Formen des Lichts ist das Wissen um die umgebende Dunkelheit. Freude und Traurigkeit liegen so nah beieinander wie die prächtigen bunten Blätter eines Herbstes in New England und die Kargheit der kahlen Bäume. […] Aber diese intime Erfahrung, in der jedes bisschen Leben von einem bisschen Tod berührt wird, kann uns über die Grenzen unserer Existenz hinausweisen.“
Hier ist die biblische Antwort, weshalb du nie wirklich erfüllt, nie wirklich in Frieden, nie wirklich frei und glücklich bist: Diese Welt hier ist nicht dein Zuhause. Diese Welt wird dir niemals ungetrübtes und vollkommenes Glück bieten können. Und wenn du versuchst, dein Glück im Hier und Jetzt zu finden, werden immer Leere und Enttäuschung das Resultat sein. Du wurdest in Wirklichkeit für eine andere Welt geschaffen. Und wenn du dich auf Gott einlässt, dann lädt er dich ein, dich auf den Weg zu machen. Gott lädt dich ein, ein Pilger und Wanderer zu sein, unterwegs in deine wahre Heimat; unterwegs in dein wahres Zuhause.
2. Unser Leben hier ist mühselig
Als der Pharao Jakob fragt, wie alt er ist, antwortet Jakob: „Die Zahl der Jahre meiner Pilgerschaft beträgt hundertdreißig. Gering an Zahl und unglücklich waren meine Lebensjahre, und sie reichen nicht heran an die Lebensjahre meiner Väter in den Tagen ihrer Pilgerschaft.“ Die Einheitsübersetzung übersetzt das hebräische ra mit „unglücklich“. Die Lutherbibel benutzt das Wort „böse“. Die NIV spricht von „schwierig“. Tatsächlich ist das Wort sehr negativ und kann schlecht, minderwertig, hässlich, übel, verächtlich, unheilvoll aber auch traurig und schmerzlich bedeuten. Und wenn wir die ganze Geschichte von Jakob Revue passieren, fällt uns ziemlich schnell auf, dass er absolut recht hatte. Sein Leben war ziemlich oft eine ziemlich große Katastrophe.
Robert Alter hat es ziemlich gut zusammengefasst: „Jakob hat alles erreicht, was er sich gewünscht hat: das Erstgeburtsrecht, den Segen, die Ehe mit seiner geliebten Rahel, Nachkommen und Reichtum. Ein Gradmesser für den tiefen moralischen Realismus der Geschichte ist jedoch, dass er zwar alles bekommt, was er wollte, aber nicht so, wie er es sich gewünscht hätte, und dass die Folge davon weit mehr Schmerz als Zufriedenheit ist. Seit seinem „Zusammenstoß” mit seinem Zwillingsbruder im Mutterleib war alles ein Kampf. Er verdrängt Esau, aber der Preis sind Angst, anhaltende Schuld und langes Exil. Er bekommt Rahel, aber nur, indem ihm Lea aufgezwungen wird, mit all den damit verbundenen häuslichen Streitigkeiten, und er verliert Rahel früh bei der Geburt. Er erhält von seinem göttlichen Widersacher einen neuen Namen, trägt aber eine bleibende Wunde davon. Er bekommt die volle Sonnenjahreszahl von zwölf Söhnen, aber es herrscht Feindschaft unter ihnen (für die er eine gewisse Verantwortung trägt), und er verbringt zweiundzwanzig Jahre damit, ununterbrochen um seinen Lieblingssohn zu trauern, den er für tot hält.“
Jakobs Leben ist keine Ausnahme. Das Leben als Pilger ist ein mühseliges Leben. Wandern ist anstrengend. Nicholas Kristof ist ein Journalist für die New York Times, der zwei Pulitzerpreise gewonnen hat. Vor kurzem schrieb er darüber, wie er in der Natur wandern geht, um abzuschalten. Unter anderem war er mit seiner Tochter über einen Zeitraum von 6 Jahren den „Pacific Coast Trail“ gewandert, der mehr als 4.200 km lang ist. Kristof schrieb einen sehr unterhaltsamen Artikel über ihre Abenteuer: „Wir haben den Weg unter einer Meter-hohen Schneedecke […] komplett verloren und sind mit Karte und Kompass nach Norden gewandert. […] Außerdem regnete es so stark, dass wir irgendwann einen Berg hinaufstiegen und nicht mehr ganz sicher waren, ob wir uns auf dem Weg oder im Bach befanden, der neben ihm hinabfloss. Wenn es nicht regnete, waren die Mücken auf der Jagd und hatten es besonders auf Caroline [seine Tochter] abgesehen. Sie trug Mückenspray und ein Kopfnetz – aber das half nicht viel. „Papa!“, rief sie aufgeregt, als wir am Elk Lake vorbeikamen. „Ich habe gerade gezählt – ich habe allein auf meiner Stirn 49 Mückenstiche!“ Dieser Moment spiegelte zwei schöne Dinge wider, die das Wandern mit ihr ausmachen. Erstens liebten die Mücken sie so sehr, dass sie mich nicht belästigten, solange sie in der Nähe war. Zweitens hatte sie ein Talent dafür, das Positive zu sehen – wie zum Beispiel einen neuen Rekord bei Mückenstichen aufzustellen.“
An einer anderen Stelle erzählt er: »Als wir uns im Schnee verirrt hatten, wies ich meine Tochter an, nach Markierungen und alten Fußspuren zu suchen. Irgendwann zeigte ich ihr triumphierend einige Spuren vor uns, und wir folgten ihnen eifrig, begeistert, dass wir den Weg wiedergefunden hatten. Einige Zeit später bemerkte Caroline, dass die Fußspuren Zehen hatten. Und Krallen. „Papa“, sagte sie, „ich glaube, du folgst einem Bären.“« Wandern ist anstrengend. Und Wandern kann richtig gefährlich sein. Und dieses Beispiel ist von Menschen, die lediglich im Urlaub wandern. Wandern ist eine tolle Erfahrung, auch weil nach diesen Wochen zu Hause ein gemütliches Bett und eine warme Mahlzeit warten. Aber was wäre, wenn unser ganzes Leben nur Wandern ist?
In Apostelgeschichte ziehen Paulus und Barnabas am Ende der ersten Missionsreise erneut durch Lystra, Ikonion und Antiochia. Wir lesen in Kapitel 14,22: „Sie stärkten die Seelen der Jünger und ermahnten sie, treu am Glauben festzuhalten: Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen.“ Die Botschaft, dass wir durch viele Leiden hindurch müssen, war ihre Art und Weise, die Jünger zu ermutigen. Es ist eine Ermutigung, die von Realismus geprägt ist: „Macht euch keine Illusionen. Das Leben wird richtig hart werden. Euch wird nichts erspart bleiben. Und jetzt viel Freude dabei!“
Warum ist es für uns so wichtig, dass wir das verstehen? C.S. Lewis hatte ein paar sehr hilfreiche Gedanken dazu: „Wenn man diese Welt als einen Ort betrachtet, der nur zu unserem Glück bestimmt ist, findet man sie ziemlich unerträglich; betrachtet man sie jedoch als einen Ort der Ausbildung und Erziehung, ist sie gar nicht so schlecht. Stellen wir uns eine Gruppe von Menschen vor, die alle im selben Gebäude wohnen. Die Hälfte von ihnen hält es für ein Hotel, die andere Hälfte für ein Gefängnis. Diejenigen, die es für ein Hotel halten, empfinden es wahrscheinlich als ziemlich unerträglich, während diejenigen, die es für ein Gefängnis halten, es vielleicht überraschend komfortabel finden. So wird eine Lehre, die auf den ersten Blick hässlich erscheint, letztendlich zu einer, die Sie tröstet und stärkt. Die Menschen, die versuchen, eine optimistische Sicht auf diese Welt zu bewahren, würden zu Pessimisten werden; diejenigen, die eine ziemlich strenge Sichtweise haben, würden zu Optimisten werden.“
Jakobs Sicht auf dieses Leben war, dass es unglücklich und elend war. Was ist unsere Sicht auf das Leben?
3. Unser Leben soll ein Segen sein
Wir haben gesehen, dass Josef erfolgreich seine große Familie im Land Goschen unterbrachte. Es hatte den großen Vorteil, dass die Familie dort unbehelligt unter sich leben und wachsen konnte. Die Gefahr, dass sich seine Familie mit den Ägyptern vermischen würde und auf Dauer einfach innerhalb der ägyptischen Kultur untergehen würde, war dort gering. Im Land Goschen zu leben war also für seine Familie und für das zukünftige Volk Israel eine Art Absonderung. Es war ihre Art und Weise, in Ägypten zu leben aber nicht von Ägypten zu sein. Die christliche Berufung ist es, in der Welt zu sein, aber nicht von der Welt zu sein.
Die eine Seite der christlichen Pilgerschaft ist eine gewisse Absonderung und Isolation von der Welt. Die andere Seite der Medaille sehen wir aber auch im Text. In Vers 7 lesen wir: „Darauf führte Josef seinen Vater Jakob hinein und stellte ihn dem Pharao vor. Jakob segnete den Pharao.“ Und Vers 10 sagt: „Jakob segnete den Pharao und ging von dessen Angesicht weg.“
Ich hatte vor vielen Jahren Alte Geschichte in der Schule. Und ich erinnere mich noch an den Wortlaut von meinem alten Geschichtslehrer. Er wollte uns darauf aufmerksam machen, wie bedeutsam das Alte Ägypten war. Er sagte: „während hier in Germanien die Leute noch mit dem Knüppel auf die Jagd gegangen sind, entstand im Nahen Osten eine Hochkultur!“ Der Pharao war der mächtigste Mann der Welt, der Herrscher innerhalb dieser Hochkultur. Jakob war zwar ein reicher Mann. Aber er war ein Nomade aus dem Ausland. Er war ein Niemand. Er hatte keinerlei Ansehen oder Macht. Aber es war nicht der Pharao, der Jakob segnete. Der alte Jakob segnete den mächtigsten Mann der Welt.
Und wisst ihr, das ist die Berufung der Christen als Salz und Licht dieser Welt. Nicht von der Welt zu sein, bedeutet nicht, dass wir weltfremd sind. Nicht von der Welt zu sein, bedeutet nicht, dass wir keine Ahnung davon haben, wer gerade diese Welt für einen kurzen Moment regiert. Nicht von der Welt zu sein, bedeutet nicht, dass wir kein Verständnis davon haben, was diese Kultur im Innersten antreibt. Josef und Jakob befanden sich hier im Zentrum der Macht. Und sie nutzten die Gunst der Stunde, um was zu tun? Die Menschen dieser Welt zu segnen und ihr Bestes zu ersuchen.
Und das bringt uns zum letzten Punkt.
4. Der Weg ist eine Person
Unser Leben mit einer Wanderschaft oder mit einem langen Lauf zu vergleichen ist nicht nur biblisch. Es hat sich auch in unserem allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert. Wenn wir uns auf eine Arbeitsstelle bewerben, dann reichen wir ein Dokument ein, das Lebenslauf heißt. Jeder von uns hat schonmal einen Lebenslauf gesehen, und die allermeisten von uns haben schon einige davon geschrieben. Unser Lebenslauf enthält Informationen darüber, wo und wie wir ausgebildet wurden, welche Erfahrungen und Expertisen wir gesammelt haben, was unsere Stärken sind. Aber die Informationen, die wir auf dem Lebenslauf präsentieren, sind so aufgearbeitet, dass wir in einem möglichst guten Licht dastehen. Wer immer unseren Lebenslauf in Händen hält, soll von uns beeindruckt werden. Und das ist keine Kritik. So funktioniert der Arbeitsmarkt, auf dem wir uns verkaufen.
Gleichzeitig fällt uns auf, dass Jakob, wenn er von seinem Lauf erzählt, nichts erwähnt, was ihn vorteilhaft erscheinen lässt. Er sagt: „Gering an Zahl und unglücklich waren meine Lebensjahre und sie reichen nicht heran an die Lebensjahre meiner Väter in den Tagen ihrer Pilgerschaft.“ Sprichwörtlich sagt hier Jakob, dass er trotz seines stattlichen Alters nicht so alt geworden ist, wie seine Väter Abraham und Isaak. Aber ich glaube, dass da noch mehr dahinter ist, als einfach zu sagen, dass seine Väter älter geworden sind. Es scheint hier offen zuzugeben, dass das Leben seiner Väter besser und frommer und gesegneter war als sein Leben. Wir haben vorhin schon gesehen, wie offen Jakob mit der Tatsache umging, dass sein Leben mühselig, anstrengend und in vielerlei Hinsicht auch schlimm und böse war. Er scheint nicht hinter dem Berg halten zu wollen, dass sein Leben in vielen Hinsichten voller Niederlagen und Versagen war.
Wer von uns hat schon einmal versucht, andere Menschen beeindrucken zu wollen? John Ortberg hat die interessante Feststellung gemacht, dass wenn er mit anderen Menschen zu tun hat, zwei Optionen hat: sie beeindrucken zu wollen oder sie zu lieben. Beides auf einmal zu tun, geht nicht. So auch wir. Wir können entweder versuchen, bei den anderen Eindruck zu schinden. oder aber wir können sie lieben. Zu lieben bedeutet, dass wir eine gewisse Offenheit und Transparenz an den Tag legen. Zu lieben bedeutet, dass wir uns zeigen wie wir wirklich sind, mit allen Macken. Zu lieben bedeutet, dass unsere Schwächen, unsere Verletzungen, unsere Niederlagen zum Vorschein kommen. Zu lieben bedeutet, dass wir uns verletzlich machen. Gott selbst hat diesen Weg der Liebe vorgelebt. In Philipper 2 schreibt Apostel Paulus: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz.“ In diesen Versen beschreibt Paulus, auf welch unvorstellbare Art und Weise sich Jesus erniedrigte, um mit uns zu sein und uns zu lieben. Jesus, der in sich alle Macht und Herrlichkeit vereinigt, wurde arm und schwach. Jesu Lebenslauf war es, ein Sklave und Diener von allen zu werden. Das Ende seines Lebenslaufs war es, in Schande und Schmerzen am Kreuz zu sterben.
Der Weg der Liebe, der Weg ins Himmelreich, ist der Weg der Schwäche: Wir kommen mit all unseren Versagen, mit unseren Krankheiten, mit unseren Niederlagen, mit unseren Sünden zu Jesus. Der Weg ins Himmelreich ist der Weg des Sterbens: Wir sterben, um mit Jesus zusammen zu leben. Paulus schrieb an die Galater: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.“ In der christlichen Lehre ist der Weg nach Hause eine Person: Jesus Christus ist nicht nur das Ziel, er ist auch unser Weg hin zu diesem Ziel. Wie freundlich, wie gütig, wie großzügig und wie gnädig ist er! Von ganzem Herzen möchte ich euch einladen, dass ihr euch auf diesen Weg macht; der Weg hin zu unserem wahren Zuhause bei ihm.